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Zürich: DER FERNE KLANG, 09.05. & 22.05.2010

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Der ferne Klang

©Suzanne Schwiertz, mit freundlicher Genehmigung Opernhaus Zürich

Oper in drei Akten

Musik: Franz Schreker

Text: vom Komponisten

Uraufführung: 18. August 1912 in Frankfurt am Main

Aufführungen in Zürich:

9.5. | 13.5. | 15.5. | 20.5. | 22.5. | 2.6. | 6.6. | 9.6. 2010

 

Kritik: 

Der unglaublichen Magie des Schrekerschen Orchesterklangs konnte sich an diesem Premiernabend wohl niemand entziehen. Ingo Metzmacher und das Orchester der Oper Zürich loteten die fabenprächtige Partitur überaus tiefgründig aus und bewirkten mit fantastischer Präsenz und grandioser Gestaltungskraft eine mitreissende Sogwirkung. Von der Morgenstimmung des Vorspiels über den Waldzauber zum Nachtstück und dem emotionalen, Gänsehaut erregenden Schlussduett beeindruckten die hervorragenden Musiker unter der einfühlsamen Leitung Ingo Metzmachers mit herrlich austariertem, differenziertem Spiel. Tänzerische Elemente, wilde Rhythmen, verschlungene Motive und gefühlsreiche Kantilenen verschmolzen zu einem Ganzen, dessen Nachhall noch lange im Ohr haften blieb. Schrekers FERNER KLANG wird in dieser Interpretation zu einem UNVERGESSLICHEN KLANG! Die Intensität, mit welcher Fritzens Erzählung im zweiten Akt begleitet wurde, die perfekt gedämpften Klänge der Posaunen und sauberen Zwischenrufe der Hörner, die wunderschön herausgearbeiteten Phrasen der Flöten und Oboen und die ruhig einsetzenden Bewegungen der Streicher seien als Beispiel für das herrlich differenziert gestaltete Klangbild genannt. Die Partitur ist von einer gewaltigen Komplexität, immer wieder schieben sich Ebenen übereinander, wird das Ohr gefordert. Dass die Zuhörer dabei nicht in den Klangfluten untergingen, ist ein weiterer imponierender Verdienst des Maestros und des phänomenalen Orchesters. Zum grossartigen Kolorit trug auch die exzellent aufspielende Miklós Lakatos Zigeunerkapelle im zweiten Akt mit ihrem einzigartigen Stehgeiger bei!

Musiktheater lebt aber nicht von der Musik allein, einen ebenso wichtigen Anteil am Gelingen eines eindrücklichen Abends hat das Theatralische. Jens-Daniel Herzog und sein Ausstatter Mathis Neidhart haben die Zürcher Opernfreunde schon oft mit herausragenden Inszenierungen beglückt. Dieser FERNE KLANG reiht sich nahtlos in die Reihe ein, ja er stellt geradezu einen Kulminationspunkt eines intelligenten, genau auf den Text und die Musik gehörten dramaturgischen Schaffens dar. Mathis Neidhart hat fünf im Grundriss identische Räume auf die Drehbühne gestellt, welche den Schauplätzen und dem Vergehen der Zeit entsprechend ausgestattet wurden. Zu Beginn sind wir im Mief der Nachkriegszeit, eine ärmliche Mietwohnung mit hellhörigen Räumen, ein trister Hinterhof mit Eingang zum Luftschutzraum, ein in Orange- und Rottönen gehaltenes Bordell im Stil der Siebzigerjahre, eine Theaterkantine und schliesslich - als genialer Einfall für die  Schlussszene - die vollkommen leere, aber renovierte Wohnung des Beginns. Durch das Strecken der Handlung auf einen Zeitrahmen von 50 Jahren wurde eine noch grössere Intensität erreicht. Wenn Grete am Ende als alte, aber immer noch würdevolle Frau in die leere Wohnung von Fritz tritt, sich die beiden Menschen wieder zärtlich annähern, die noch immer bestehende Glut zwischen den beiden wieder entflammt wird, dann ist das nicht nur grosses Theater, sonder tief empfundene Hingabe an das Werk. Requisiten, Lichtspiele und Ausstattungszauber braucht es da nicht mehr, man vertraut zu Recht uneingeschränkt der Kraft der Musik und der Bühnenpräsenz der herausragenden Sänger. Die genaue Zeichnung der Charaktere war schon immer eine Stärke Herzogs - hier hat er sich selbst übertroffen. Er zeigt nicht einfach Typen, sondern erweckt Menschen aus Fleisch und Blut zum Leben: Das Ehepaar Graumann, mit der verhärmten Mutter (beispielhaft in der Darstellung Irene Friedli), dem arbeitslosen, verkrüppelten Vater, welcher seine Tochter verspielt, nach aussen Härte zeigt und doch innerlich an seiner Schande zerbricht (Morgan Moody vermag echtes Mitleid mit der kaputten Gestalt zu erwecken), den mafiösen Grafen (stimmlich leider nicht ganz auf der gewohnten Höhe: Oliver Widmer), den leichtlebigen Chavalier (Peter Sonns Strip auf dem Salontisch des Bordells ist umwerfend), Dr. Vigelius (ganz ausgezeichnet: Valeriy Murga), den Schmierenkomödianten (ebenso toll: Cheyne Davidson), die Kupplerin (fies triumphierend: Stefania Kaluza) - selbst kleine Rollen, wie Rudolf (wieder Morgan Moody) oder die leichten Mädchen erhalten individuelles Profil.

Und dann sind da noch die beiden Protagonisten: Juliane Banse  und Roberto Saccà stellen geradezu Idealbesetzungen für die schwierigen Partien der Grete und des Fritz dar. Ihre  hinreissend dargestellten Wandlungen von den jungen ungestüm Liebenden über die mit unterschiedlichen Lebenserfahrungen konfrontierten Mitdreissiger zu den beiden sich kurz vor dem Tod noch einmal begegnenden Betagten sind nicht nur ein Verdienst der Masken- und Kostümabteilung sondern auch der Gestaltungskraft der beiden Sänger. Juliane Banse singt mit ebenmässig und jugendlich leicht geführtem Sopran, raffiniert eingedunkelter und geheimnisvoll wirkender Stimme. Kleine Einengungen in der Höhe vermögen den hervorragenden sängerischen Gesamteindruck kaum zu trüben, sie ist sowohl als suizidgefährdetes Mädchen als auch als erfolgreiche Kurtisane (einer Mischung aus Hayworth, Marlene und kühler Garbo) und alte Frau in jeder Phrase glaubhaft und anrührend. Roberto Saccà gestaltet mit dem Fritz ein weiteres erfolgreiches Rollendebüt seines klug ausgewählten Repertoires. Mit geradezu beispielhafter Diktion, wunderschön rund und frei strömender, äusserst modulationsfähiger Stimme und exemplarischer Darstellungskraft gestaltet er den zwar nicht immer sympathischen (das an TRAVIATA erinnernde verächtliche Bewerfen der Grete mit Geldscheinen ...) , aber doch so menschlichen Fritz.

Das Premierenpublikum bedankte sich mit lang anhaltendem, begeistertem Applaus für einen der intensivsten Opernabende der laufenden Spielzeit, für einen Abend, welcher in den weiteren Vorstellungen stets ein ausverkauftes Haus verdienen würde!

Nachtrag:

Am 22.05. sass ich im Parkett: Gerade bei diesem Werk wurde einem wieder einmal die nicht unproblematische Akustik des Hauses bewusst. Die Balance Stimmen/Orchester war bedeutend unausgewogener (zulasten der Sänger ...) als man dies vom 2.Rang aus wahrnimmt. Trotzdem: Welch wunderbares Werk, welch gewaltig unter die Haut gehende Interpretation. Gerade der dritte Akt geriet noch intensiver als bei der Premiere! Drei Vorstellungen bleiben noch - nicht verpassen!

Fazit:

Eine der packendsten, ergreifendsten und stringentesten Produktionen des Opernhauses Zürich der letzten Jahre. Musiktheater im wahrsten Sinne des Wortes. Diesen FERNEN KLANG darf sich kein Musik- und Theaterfreund entgehen lassen!!!

Inhalt :

Deutschland und Venedig, um 1900

Der Komponist Fritz entflieht der Enge seiner biederen, kleinbürgerlichen Heimat, um sich in der Ferne auf die Suche nach der Vision des „fernen Klangs“, der Erfüllung seines musischen Schaffens zu machen. Seine ihm heimlich verbundene Geliebte, Grete, lässt er zurück. Gretes Vater ist dem Trunk und der Spielsucht verfallen, er schreckt auch nicht davor zurück, seine eigene Tochter als Spielpfand zu setzen. Sie soll sich mit dem Wirt verehelichen. Grete flieht, will Selbstmord begehen. Ein Waldzauber und ein altes Weib, eine Kupplerin, halten sie davon ab.

Zehn Jahre später befindet sich Grete in einem Edelbordell in Venedig. Grafen und Barone bemühen sich in einer Art Gesangswettbewerb um ihre Gunst. Als letzter erscheint der glücklose Fritz. Er gewinnt erneut Gretes Herz, doch als er erkennt, dass sie zu einer Kurtisane geworden ist, stösst er sie von sich. Grete nimmt in ihrer Verzweiflung den Grafen.

Wieder sind fünf Jahre vergangen: Grete (als Dirne Tini) ist heruntergekommen und wieder in Deutschland. An einem Theater wird das Werk „Die Harfe“ von Fritz aufgeführt. Er hat den Klang nicht gefunden, das Werk fällt durch. Fritz ist erschöpft, der Klang realisiert sich in der Wiederbegegnung mit Grete, doch kann er ihn nicht mehr richtig fassen – er stirbt in Gretes Armen.

Werk:

Franz Schreker (1874-1934) war zu seiner Zeit einer der erfolgreichsten Opernkomponisten des deutschsprachigen Raums. Seine Opern erreichten oft höhere Auslastungszahlen als diejenigen von Richard Strauss. Erst als die Nazis seine Werke als „entartet“ bezeichneten und in die Nähe von sexual-pathologischen Verirrungen rückten, geriet Schreker in Vergessenheit. Erschwerend für die Renaissance seines Schaffens war, dass Theodor W. Adorno und die Komponisten der „Darmstädter Schule“ (Stockhausen, Nono, Messiaen, Cage u.a.) Schreckers Klangsprache als Kitsch bezeichneten. Doch seit rund 30 Jahren werden Schrekers Opern wieder öfter mit grossem Erfolg aufgeführt (z.B. DIE GEZEICHNETEN in Stuttgart, Salzburg, Paris, DER FERNE KLANG in Berlin und Augsburg, IRRELOHE 1985 in Bielefeld und Jahre später in Wien und DER SINGENDE TEUFEL 1989 ebenso in Bielefeld).

DER FERNE KLANG ist natürlich der Thematik entsprechend stark autobiographisch  geprägt. Als sein eigener Librettist verfasste Schreker ein eher hölzern und schwerfällig daherkommendes Textbuch. Er war auch musikalisch nicht der grandiose Dramatiker, weder vom Schlag eines Richard Strauss noch von dem eines Veristen wie Puccini oder Mascagni. Und doch entfaltet die irisierend-üppige Klangsprache seiner Oper und die wiederholte Hinwendung zum Melodram eine geheimnisvolle, beinahe rauschhaft anmutende Sogwirkung, welche in der Vereinigung von Klang und Eros in den letzten Takten des Werks kulminiert.

Musikalische Höhepunkte:

Ich kann nicht, Szene der Grete und Waldzauber, Akt I

Seit vielen Jahren … , Szene der Grete, Akt II

In einem Land ein bleicher König, Lied des Grafen, Akt II

Schuldbeladen und reuig …, Lied des Fritz, Akt II

Csárdás, Finale Akt II

Die Bäume rauschen ein wundersam Lied, Grete, dann Zwischenspiel (Nachtstück), Akt III

Hast du mir verziehn?, Fritz-Grete, Finale, Akt III

Karten und Informationen

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