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Frankfurt: DER FERNE KLANG, 24.02.2023

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Der ferne Klang

copyright: Barbara Aumüller, mit freundlicher Genehmigung Oper Frankfurt

Oper in drei Akten | Musik: Franz Schreker | Text: vom Komponisten | Uraufführung: 18. August 1912 in Frankfurt am Main | Aufführungen in Frankfurt (Wiederaudnahme): 5.2. | 11.2. | 17.2. | 19.2. | 24.2.2023

Kritik:

Eine behutsame, kluge Inszenierung voller Poesie hat das Inszenierungsteam rund um Starregisseur Damiano Michieletto für Schrekers spätromantische Autorenoper - Text UND Musik stammen wie bei Wagners Musikdramen aus der Hand des Autors - geschaffen. Den Ansatz für ihre Konzeption fanden der Regisseur, der Bühenbildner Paolo Fantin, der Kostümdesigner Klaus Bruns und die Videokünstler Roland Horvath und Carmen Zimmermann (Rocafilm) wohl im 1979 erschienen Roman DER FERNE KLANG des österreichischen Autors Gert Jonke. Ein kurzer Auszug aus dem Roman ist im überaus sorgfältig, informativ und  umfassend ausgestalteten Programmheft der Oper Frankfurt nachzulesen. Darin kommen in Jonkes einzigartig schöpferischer Sprachgewalt Passagen vor wie "Diese libellenflügelgeschuppten, passatdurchflossenen Landschaftsklanghautschleier senken sich um dich herunter, ... diese Schleierlichtakkorde ..., ... du kannst dir sicher sein, dass dein ganzes Innenlebensgefühl aus dem Vorstadthimmel auf dich herunterrieselt als feiner Klangstaubkörnerhaufen ... ". In Jonkes Roman erwacht ein Musiker in einer Anstalt, in Michielettos Inszenierung begegnen wir auf der Bühne immer wieder alten Menschen, nicht Alter Egos von Grete und Fritz, sondern alten Egos. Der im Kranken- oder Irrenhausbett liegende Fritz wird manchmal in Projektionen gezeigt, manchmal ist er konkret auf der Bühne , die Partitur seiner Oper DIE HARFE liegt auf dem Nachttisch, noch immer ist er auf der Suche nach dem "fernen Klang", hat Visionen,  verschwommene Reminiszenzen an sein Leben. Die alte Grete nimmt regen Anteil am Schicksal der jungen Grete, tröstet sie, streichelt sie. Ein poetisches Changieren zwischen erzählender Realitätsebene und imaginierter Vergangenheit. Dazu hat Paolo Fantin das Bild der "Landschaftsklanghautschleier" in ein faszinierendes, viele seelische und szenische Zustände ent- und verhüllendes bildnerischen Konzept geformt. Vertikale reale Schleier und horizontale projizierte und leise flatternde Schleier, die tatsächlich an Libellenflügel erinnern. Großartig!
Mit projizierten Texten zu den vier Jahreszeiten wird eine Lebensparallele für jedes Bild zum realen Leben geschaffen. Die junge, erst unbeschwerte Liebe im Frühling, die umtriebige Suche nach dem Sinn des Lebens im Sommer, die Resignation im Herbst und das unausweichlich tragische Ende im Winter; ein Leben der verpassten Chancen, bloß weil Fritz einem Ideal nachjagte, das er nie fand, weil es die ganze Zeit genau da vor seiner Nase gelegen hatte, er es aber in seiner künstlerischen Eitelkeit nicht hatte erkennen wollen - das Glück der Liebe.
Schrekers 1912 in Frankfurt uraufgeführte Oper war ein durchschlagender Erfolg gewesen, die gestrige letzte Vorstellung der Produktion aus dem Jahr 2019 war es ebenfalls. Die Aufführung begann mit einer Verspätung von 20 Minuten, da der Andrang an der Abendkasse so immens gewesen war und man natürlich diese Kartenkäufer nicht bis zur Pause vor der Tür warten lassen wollte. Frankfurt, Opernhaus des Jahres 2022, und das gesamte Ensemble haben diesen rauschenden Erfolg verdient - und natürlich auch der Komponist, der zwar unterdessen wieder vermehrt ins Blickfeld des Operninteresses gerückt zu sein scheint, aber noch immer nicht ganz den Platz einnimmt, den er verdiente.
Die Oper Frankfurt vermochte die vielen Rollen, welche das grandiose Werk erfordert, praktisch vollständig mit Sänger"innen aus dem eigenen Ensemble zu besetzen. Chapeau!
Jennifer Holloway ersang sich mit der anspruchsvollen und anforderungsreichen Rolle der Grete einen riesigen Triumph. Sie war erst das junge, verliebte (und für die Marotten Fritzens viel zu verständnisvolle) Mädchen aus einem niedrigen Arme-Leute-Milieu, dann Edelkurtisane in Venedig, danach folgte der Abstieg zur Straßendirne zurück in ihrer Heimatstadt. Am Ende sieht man sie als alte Frau im Altenheim (großes Kompliment auch an die Maskenabteilung!). Frau Holloway beeindruckte mit aufblühender, wunderschön kontrollierter Tongebung, bestechender Textsicherheit und Artikulation und weitem Volumen, das nie forciert wurde, sondern mit herausragender Stütze ganz organisch aus der Kehle floß. Fantastisch. Gerade auch in der wichtigen (mit Hilfe von Wasseroberflächen- und Wellenprojektionen so stimmig impressionistisch inszenierten) Szene am Teich bewegte sie mit der unter die Haut gehenden Intensität ihres Gesangs. Ian Koziara als Fritz war ihr ein ebenbürtiger Partner, der die ebenfalls tückenreiche Tenorpartie hervorragend und blitzsauber intonierend meisterte. Seine Stimme blühte auch im Herbst und im Winter von Fritzens Leben nochmals hoffnungsvoll und energiegeladen auf, das war schon ganz große Klasse! Aus der Vielzahl von Rollen und Interpreten seien speziell erwähnt:
- Thomas Faulkner als mit warmer Bassstimme aufwartender Dr. Vigelius
- Anthony Robin Schneider als stimmlich souveräner (übergriffiger)  Wirt
- Clarry Bartha als mystisch-böse Zuhälterin (Altes Weib, wird die Rolle von Schrekers genannt)
- Danylo Matviienko als besorgter, mit wundervoll baritonalem Wohlklang aufwartender Freund Rudolf (hier Arzt und Psychiater). Diesen Sänger muss man im Auge behalten!
- Liviu Holender, der die traurige Ballade des Grafen im zweiten Akt so ergreifend gestaltete
- Brian Michael Moore mit seinem herrlich vorgetragenen Schlager über "die Blumenmädchen von Sorrent"
- Magnús Baldvinsson als alkohol- und spielsüchtiger Vater Gretes
- Juanita Lascarro als mit starker Bühnenpräsenz agierende Mutter 
Der Dirigent Florian Ertl blieb - zusammen mit dem Chor der Oper Frankfurt und dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester - der reichhaltigen Musiksprache Schrekers nichts an spätromantischer Aufwallung, differenzierter Klangsinnlichkeit und spannungsreichem, zwischen Impressionismus und neuer Sachlichkeit changierendem Eindruck schuldig. Wenn am Ende der sterbende Fritz in den Armen Gretes endlich den fernen Klang als den Klang von Gretes Liebe entdeckt, die Geigen des Himmels (und alle andern Instrumente des Orchesters) vom Bühnenhimmel schweben, die fallenden weißen Schleier schwarze Bühnenwände freigeben, dann schleicht sich doch die eine oder andere Träne aus dem Auge!
Der Applaus steigerte sich am Ende zu einer verdienten Standing ovation!
Persönliche Anmerkung: Zwei Opern aus der selben Entstehungszeit durfte ich nacheinander erleben: Montemezzis L'AMORE DEI TRE RE, uraufgeführt 1913 und eben Schrekers DER FERNE KLANG, uraufgeführt 1912. Beide Komponisten sahen sich ja mit dem Vorwurf des Elektizismus konfrontiert. Montemezzis Oper wurde vor ganz schwach besetztem Haus gegeben, obwohl seine Musiksprache dank konziser Gestaltung eigentlich viel leichter zugänglich zu sein scheint, als Schrekers ausufernde, schon beinahe wagnersche Ausmaße annehmenden Oper, die für ein fast volles Haus sorgte. Erklären kann ich mir das nicht ganz volle Häuser hätten beide Komponisten verdient!

Inhalt :

Deutschland und Venedig, um 1900

Der Komponist Fritz entflieht der Enge seiner biederen, kleinbürgerlichen Heimat, um sich in der Ferne auf die Suche nach der Vision des „fernen Klangs“, der Erfüllung seines musischen Schaffens zu machen. Seine ihm heimlich verbundene Geliebte, Grete, lässt er zurück. Gretes Vater ist dem Trunk und der Spielsucht verfallen, er schreckt auch nicht davor zurück, seine eigene Tochter als Spielpfand zu setzen. Sie soll sich mit dem Wirt verehelichen. Grete flieht, will Selbstmord begehen. Ein Waldzauber und ein altes Weib, eine Kupplerin, halten sie davon ab.

Zehn Jahre später befindet sich Grete in einem Edelbordell in Venedig. Grafen und Barone bemühen sich in einer Art Gesangswettbewerb um ihre Gunst. Als letzter erscheint der glücklose Fritz. Er gewinnt erneut Gretes Herz, doch als er erkennt, dass sie zu einer Kurtisane geworden ist, stösst er sie von sich. Grete nimmt in ihrer Verzweiflung den Grafen.

Wieder sind fünf Jahre vergangen: Grete (als Dirne Tini) ist heruntergekommen und wieder in Deutschland. An einem Theater wird das Werk „Die Harfe“ von Fritz aufgeführt. Er hat den Klang nicht gefunden, das Werk fällt durch. Fritz ist erschöpft, der Klang realisiert sich in der Wiederbegegnung mit Grete, doch kann er ihn nicht mehr richtig fassen – er stirbt in Gretes Armen.

Werk:

Franz Schreker (1874-1934) war zu seiner Zeit einer der erfolgreichsten Opernkomponisten des deutschsprachigen Raums. Seine Opern erreichten oft höhere Auslastungszahlen als diejenigen von Richard Strauss. Erst als die Nazis seine Werke als „entartet“ bezeichneten und in die Nähe von sexual-pathologischen Verirrungen rückten, geriet Schreker in Vergessenheit. Erschwerend für die Renaissance seines Schaffens war, dass Theodor W. Adorno und die Komponisten der „Darmstädter Schule“ (Stockhausen, Nono, Messiaen, Cage u.a.) Schrekers Klangsprache als Kitsch bezeichneten. Doch seit rund 30 Jahren werden Schrekers Opern wieder öfter mit grossem Erfolg aufgeführt (z.B. DIE GEZEICHNETEN in Stuttgart, Salzburg, Paris, DER FERNE KLANG in Berlin und Augsburg, IRRELOHE 1985 in Bielefeld und Jahre später in Wien und DER SINGENDE TEUFEL 1989 ebenso in Bielefeld).

DER FERNE KLANG ist natürlich der Thematik entsprechend stark autobiographisch  geprägt. Als sein eigener Librettist verfasste Schreker ein eher hölzern und schwerfällig daherkommendes Textbuch. Er war auch musikalisch nicht der grandiose Dramatiker, weder vom Schlag eines Richard Strauss noch von dem eines Veristen wie Puccini oder Mascagni. Und doch entfaltet die irisierend-üppige Klangsprache seiner Oper und die wiederholte Hinwendung zum Melodram eine geheimnisvolle, beinahe rauschhaft anmutende Sogwirkung, welche in der Vereinigung von Klang und Eros in den letzten Takten des Werks kulminiert.

Musikalische Höhepunkte:

Ich kann nicht, Szene der Grete und Waldzauber, Akt I

Seit vielen Jahren … , Szene der Grete, Akt II

In einem Land ein bleicher König, Lied des Grafen, Akt II

Schuldbeladen und reuig …, Lied des Fritz, Akt II

Csárdás, Finale Akt II

Die Bäume rauschen ein wundersam Lied, Grete, dann Zwischenspiel (Nachtstück), Akt III

Hast du mir verziehn?, Fritz-Grete, Finale, Akt III

Karten

 

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