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St.Gallen: DER ZAUBERTRANK (LE VIN HERBÉ), 02.02.2018

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Le vin herbé

copyright: T+T Fotografie | Tanja Dorendorf, mit freundlicher Genehmigung Theater St.Gallen

Weltliches Oratorium | Musik: Frank Martin | Textquelle: „Roman de Tristan et Iseut“ von Joseph Bédier | Uraufführung: 28.3.1942 in Zürich (konzertant), 1948 in Salzburg (szenisch) | Aufführungen in St.Gallen (Lokremise): 2.2. | 6.2. | 7.2. | 11.2. | 14.2. | 16.2.2018

Kritik:

Es ist schon ein besonderer Trank, den uns Frank Martin in seinem weltlichen Oratorium DER ZAUBERTRANK (LE VIN HERBÉ) da kredenzt: Seine chromatische-lyrische Tonsprache, mit diesen um lang gehaltene Basstöne kreisenden Harmonien und Zwölftonreihen, die aber immer irgendwie doch tonal fixiert sind, entfaltet eine berührend-suggestiver Eindringlichkeit, zieht uns in einen tranceähnlichen Sog, nimmt uns mit auf eine Reise von beinahe morbider Faszination. Und wenn dann ein so grandioses, engagiertes und überzeugendes Team am Werk ist wie in der Lokremise in St.Gallen, dann kann man von einem überwältigenden Abend sprechen, einem Abend, der lange nachhallt, weil hier einfach alles stimmig ist, vom Spielort bis zu den Ausführenden. Martin hat seine Werke nie „Oper“ genannt, da sie nichts an Genretypischem, Opernhaftem enthalten. Gerade deshalb ist die Lokremise ein überaus passender Spielort für diese „archaische Keuschheitslegende“ wie Ulrich Schreiber sie in seinem Opernführer für Fortgeschrittene betitelte. Die ovale Spielfläche, um die sich arenenartig sechs Tribünenblöcke für die Zuschauer gruppieren, mit grossen Spiegeln in den Gängen zwischen den Tribünen, welche die Spielfläche mystisch in die Unendlichkeit erweitern, sorgen für eine bezwingende Nähe zum Geschehen, einer Nähe, der man sich nicht entziehen kann. Die Regisseurin Polly Graham hat diesen Raum mit faszinierender Gestaltungskraft in ihr Regiekonzept integriert, lässt ihn zusammen mit der Choreografin Jo Fong, dem Lichtdesigner Tim Mitchell und durch die Solisten, den Chor und die Statisten spannungsreich okkupieren. Und obwohl das Stück eigentlich handlungsarm ist, die „action“ meist vom Chor und Erzählern aus dem Chor heraus vorangetrieben wird, bricht der Bogen der Intensität nie ab, man bleibt stets involviert, die 100 pausenlosen Minuten vergehen wie im Flug. Gerade weil der ungewöhnliche Raum so intelligent genutzt wird, braucht es wenig Ausstattung. April Dalton hat aber das Wenige überaus klug eingesetzt, den Chor schwarz gekleidet, ebenso die Solist_innen, mit Ausnahme der Isold (weiss) und des Tristan (grauer Anzug, weisses Hemd).

Nur schon der Prolog reisst die Zuschauer_innen mitten hinein ins Werk: Die Chorsänger_innen gehen ganz nah entlang der Tribünen und schauen und singen (... wollt ihr hören ein schönes Lied von Liebe und Tod? ) uns direkt ins Gesicht, wir sind also von Beginn weg Teil und Beteiligte des Dramas. Der Chor des Theaters St.Gallen macht das ganz wunderbar, so nahe kommt man diesen hochklassigen Sängerinnen und Sängern nur ganz selten, durch die ständige Bewegung (die nie hektisch wirkt) hat man mal eine Sopranistin ganz nah am Ohr, dann wieder einen balsamischen Bass, eine Altstimme, einen Tenor. (Einstudierung: Michael Vogel). Die sieben Streicher und der Flügel sind direkt vor der grossen Fensterfront der Lokremise platziert, draussen sieht man Züge vorbeirollen (hört davon aber nichts!), blickt in den winterlichen Nachthimmel, drinnen darf man den wunderbar lyrisch intonierten Phrasen, Kantilenen und Wendungen lauschen (traumhaft schön spielen Adriana Ostertag, Anna Zimmermann, Ladina Zogg, Erin Torres, Eri Putz, Juan Camilo Gómez Lizarazu und Ikuma Saito, dazu der mit herrlich weichem, sanft perlendem Anschlag spielende Paul Lugger am Flügel), welche unter Hermes Helfrichts leitenden Händen mit betörender Wirkung erklingen, eine reizvolle Atmosphäre und mystisch entrückte Grundstimmung schaffen. Die Präsenz des jungen Dirigenten ist dabei genauso faszinierend (er atmet mit den Sängern – und spricht den Text stumm mit) wie das Spiel der acht Instrumentalisten des Vorarlberger Landeskonservatoriums, welche diesen bewegenden Klangkosmos Martins so souverän interpretieren, als sei diese Musik Teil ihres Standardrepertoires.

Einige der Chorsänger_innen übernehmen auch kleinere solistische Partien – und dies auf überzeugende Art: So Manuela Iacob Bühlmann mit ihrem dunklen, interessanten Timbre als Isolds Mutter, Candy Grace Ho als Isold die Weisshändige und Paulo S.Medeiros als Herzog Hoël. Als Brangäne zeichnet Tatjana Schneider ein besorgtes Porträt von Isolds Begleiterin („Ihr habt getrunken Euren Tod“ geht wahrlich unter die Haut), Riccardo Botta ist ein ebenso besorgter Kahedrin und David Maze verströmt mit seiner warmen Stimme die am Ende verständnisvolle Milde von König Marke. Ganz speziell aufhorchen lässt der Bass von Martin Summer als Erzähler: Eine Stimme, die einen sofort in ihren Bann schlägt, so fein geführt und doch so eindringlich die Dramatik gestaltend. Und da sind dann natürlich noch die beiden Hauptpartien – Isold und Tristan. Mit Sheida Damghani und Nik Kevin Koch ist das unglückliche Liebespaar stimmlich und darstellerisch geradezu ideal besetzt. Sheida Damghani vermag ihren wunderschön blühenden Sopran gewinnend und berührend einzusetzen, bringt ihre anfängliche Wut, ihre spätere Zuneigung, ihre Leidenschaft und ihre finale Verzweiflung mit schlichter Glaubhaftigkeit zum Ausdruck. Nik Kevin Koch zeigt einen faszinierenden Tristan, da ist der jugendlich-überschäumende wilde Kämpfer genauso präsent wie der seine Leidenschaft erfahrende, die Triebe nur schwer unter Kontrolle haltende junge Mann. Doch da sind auch die sanfteren, verletzlicheren Aspekte seines Charakters zu hören, welche der Tenor Nik Kevin Koch mit seiner auf solidem Fundament aufbauenden, fantastisch gut fokussierten Stimme zu transportieren vermag und mit welcher er die Schattierungen seines Charakters differenziert auszuloten im Stande ist. Es gibt in Beziehungen nicht nur Weiss und Schwarz – gerade deshalb passt Tristans grauer Anzug so trefflich.

Frank Martins charismatisches weltliches Oratorium ist leider nicht allzu oft szenisch zu erleben. Die Webseite operabase.com z.B. listet für die Saison 2017/18 nur gerade zwei Produktionen: Die der Long Beach Opera in Kalifornien und die oben besprochene des Theaters St.Gallen. Also nichts wie hin in die Lokremise, direkt beim Bahnhof St.Gallen!

Werk:

Der Schweizer Komponist Frank Martin (1890-1974) beschrieb seinen Kompositionsstil als 'style chromatique'. Aus Leitmotiven entwickelte er eine Klangsprache, welche auch über komplexe Schichtungen und Reihen hinweg doch eine atmosphärische Schlichtheit bewahrt und tonal grundiert bleibt. Ursprünglich entstand das Werk als etwa halbstündige Auftragskomposition für den Züricher Madrigalchor. Martin erweiterte das Oratorium ab 1940 zu einer abendfüllenden Fassung, indem er zwei weitere Kapitel aus dem Roman von Bédier sowie einen Prolog und einen chorischen Epilog hinzufügte. Textlich und musikalisch rückt Martin weit von Wagners schwülstiger und ausufernder Todessehnsucht und Verklärung ab, indem er in der schlichten, untheatralischen Erzählweise und der sparsamen, kammermusikalischen Komposition für ein zwölfstimmiges Vokalensemble (begleitet von sieben Streichern und Klavier) bewusst einen quasi madrigalen Gegenpunkt zu Wagners Musiksprache setzte. Die Singstimmen werden ganz im Stile von Debussys PÉLLEAS ET MÉLISANDE sehr nahe am Duktus der Sprache eingesetzt, ausdrucksstark rezitierend, mit wunderschön herausgearbeiteten, affektbetonten ariosen Aufschwüngen.


Inhalt:

Isolde wird von Tristan über das Meer nach Cornwall gebracht, wo sie König Marke ehelichen soll. Isoldes Mutter gibt der Begleiterin Brangäne einen Trank mit, sie soll diesen dem Paar in der Hochzeitsnacht kredenzen. Isolde hasst Tristan, da er ihren Verlobten Morold erschlug. Während eines Zwischenhalts bleiben Tristan und Isolde allein auf dem Schiff zurück. Ein Kind reicht ihnen aus Versehen Brangänens Trank. Brangäne warnt das Paar, dass es sich um einen Liebes- und Todestrank gehandelt habe. Tristan und Isolde verfallen einander in unermesslicher Liebe.

Isolde wird Markes Gemahlin. Dieser hat jedoch erfahren, dass seine Frau Tristan liebt. Tristan und Isolde flüchten in den Wald von Morois. Marke spürt die Flüchtigen auf, entdeckt aber, dass beide züchtig waren, denn Tristans Schwert liegt zwischen ihren Lagern. Als Beweis seiner Gnade tauscht Marke das Schwert aus und legt seines zwischen die Liebenden. Die beiden Liebenden sind von unterschiedlichen Gewissenbissen geplagt. Isolde kehrt an Markes Hof zurück.

Zwei Jahre später: Tristan ist ohne Nachricht von Isolde. Er nimmt das Angebot des Herzogs Hoel an, Isolde die Weisshändige (Achtung, nicht „seine“ Isolde!) zu ehelichen. Während eine Kampfes wird Tristan tödlich verwundet. Er sehnt sich danach, Isolde, die Blonde (die Richtige!) noch einmal zu sehen. Sein Freund Kaherdin solle alles in die Wege leiten für ein Wiedersehen und ein weisses Segel hissen, wenn Isolde nahe. Die andere Isolde hat das Gespräch belauscht. Isoldes Schiff naht, doch ein Sturm bringt es beinahe zum Kentern. Isolde wünscht, in den Armen Tristans zu sterben. Kahedrin hisst das weisse Segel, doch Isolde die Weisshändige berichtet Tristan, ein Schiff mit schwarzem Segel nahe. Tristan stirbt. Isolde die Blonde ist gelandet. Sie schickt die andere Isolde weg und stirbt an Tristans Seite.

Legende des Brombeerstrauchs: In der Nacht wuchs ein Brombeerstrauch aus Tristans Grab und senkte sich in Isoldes Grab. Dreimal wurde der Strauch geschnitten, immer wieder wuchs er von neuem ins Grab der Isolde. König Marke verbietet, den Strauch je wieder zu schneiden.

Epilog: Für alle, die lieben. Mögen sie darin Trost finden gegen alle Leiden der Liebe.

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