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München: LES TROYENS, 06.07.2022

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Les Troyens

copyright: W.Hoesl, mit freundlicher Genehmigung Bayerische Staatsoper

Grosse Oper in fünf Akten | Musik: Hector Berlioz | Libretto: vom Komponisten, nach Vergils AENEIS | Uraufführung: 4. November 1863 in Paris (nur die Akte III – V, Die Trojaner in Karthago), Erste Aufführung des gesamten Werks: 5./6. Dezember 1890 in Karlsruhe | Aufführungen in München: 6.7. | 10.7.2022

Kritik: 

"... zwei Frauengestalten als Weltgedächtnis für das Leiden der Menschheit", so fasst Ulrich Schreiber in seinem OPERNFÜHRER FÜR FORTGESCHRITTENE Berlioz' monumentale Oper zusammen. Diese beiden Frauen sind die Seherin Cassandre im ersten Teil und die karthagische Königin Didon im zweiten Teil der Oper. Beide müssen sich in einer Männerwelt behaupten, beiden wird die Liebe und Unterstützung der Männer versagt werden. Berlioz hat musikalisch zwei grandiose und dankbare Partien für die beiden komponiert und die Interpretationen sowohl von Jennifer Holloway als Cassandre als auch von Ekaterina Semenchuk als Didon waren tief beeindruckend - vor allem mit geschlossenen Augen. Denn Christophe Honoré gelang es mit seiner Regiearbeit nicht, dem Publikum die Grösse und das Leiden der beiden Frauen näher zu bringen. Zugegeben, Berlioz' Oper ist für uns heutzutage nicht ganz einfach zu verstehen, zu episodenhaft ist die Anlage, zu verflogen ist die klassische Bildung aus dem Bildungskanon. Für die Bühne hat Katrin Lea Tag eigentlich ein kluges und stimmiges Konzept gewählt: Einen zerstörten Marmorboden und rauchgeschwärzte Betonwände für das kriegsversehrte Troja, eine eiskalte Beton-Bäderarchitektur für das unter Didon blühende Karthago. Doch Honoré gelang es nur ungenügend, diese Räume mit einleuchtender theatralischer Dramatik zu füllen. Dagegen herrschte viel Statik auf der Bühne, wenig spannungsgeladene Interaktion. Dem Chor verweigerte er praktisch komplett das Agieren, er findet die Chorpartien seien "infantil" (Lobpreisungen der Herrschenden, banale Kommentare). Deshalb lässt er den Chor einfach in Abendgarderobe auftreten und benennt diesen im Programmheft als "Repräsentanten der Zuschauer:innen auf der Bühne". Mit Verlaub: Ich fühlte mich nicht repräsentiert. Für mich kommt diese Vorgehen eher einer Kapitulation vor den inszenatorischen Herausforderungen gleich. Die umfangreichen Ballettmusiken des vierten Aktes werden selbstredend nicht als Ballette gezeigt (kann man verstehen). Honoré greift (als Drehbuchautor und erfolgreicher Filmregisseur nachvollziehbar) zu filmische Mitteln, um diese ausladenden Ballettszenen zu bebildern. Zwei Leinwände werden auf die Bühne geschoben, darauf werden schwule Softpornos projiziert, im Stil eines Jean Daniel Cadinot, der seine "Garçons" Hardcore Pornos oft in den Ländern rund ums Mittelmeer drehte. Weitere Parallen zu LES TROYENS erschlossen sich weder mir noch meinen Sitznachbarn, völlig sinnbefreit das Ganze, aber eine gezielte Provokation für einen Teil des Festspielpublikums. Die Bayerische Staatsoper kam deshalb nicht umhin, die Vorstellungen wegen "expliziter Szenen" erst für Zuschauer:innen ab 18 Jahren zu empfehlen. Trotzdem verliessen nicht wenige Besucher die Vorstellung in der darauffolgenden Pause. Bereits im dritten Akt kam es zu kleineren Misfallensbekundungen, da sich in Didons Bäderlandschaft ein gutes Halbdutzend nackter Jünglinge splitternackt in selbstverliebten Posen räkelte. Warum umgibt sich Didon, die ihrem verstorbenen Gemahl Keuschheit über den Tod hinaus geschworen hatte, mit schwulen Jungs? Um nicht in fleischliche Versuchung zu geraten? Fragen über Fragen, auf die man weder anlässlich der Einführung durch die Dramaturgin noch beim gewissenhaften Studium des schön gemachten Programmbuchs (die Fotoarbeiten mit dem Thema MITTELMEER vom Spanier Txema Salvans und französisch - algerischen Fotografin Zineb Sedira sind großartig) Antworten kriegte. Die kriegerischen Handlungen (Vergewaltigungen) der griechischen Soldaten wurden auf kleinen Fernsehern gezeigt (man bekam davon durch die Entfernung zur Bühne wenig mit). Später traten die Griechen dann in billigem Gay- Fetisch-Outfit auf, Harness, Reiterstiefel und weisse Strumpfhosen und machten sich über die Frauen Trojas her, hatten aber nicht mit dem Widerstand Cassandres und der Damen gerechnet. Das trojanische Pferd bestand übrigens bloss aus gestylten Buchstaben aus Leuchtröhren ... .

Das Plädoyer für Berlioz' selten aufgeführte Monumentaloper kam also nicht von der Bühne, dafür mit überwältigender Vehemenz aus dem Graben. Die wunderbar differenzierten Klänge, welche Daniele Rustioni dem Bayerischen Staatsorchester zu entlocken verstand, waren von farbenreicher Intensität und bewegender Dramatik erfüllt. Stark besetzt waren neben den bereits erwähnten Jennifer Holloway und Ekaterina Semenchuk auch alle anderen Gesangspartien. Besonderen Eindruck machte der stimmlich auf dem Höhepunkt seiner großartig aufgebauten Karriere stehende Gregory Kunde (er sprang kurzfristig für Brandon Jovanovich ein und hatte am Abend zuvor einen beeindruckenden Otello hier in der Staatsoper gesungen). Heldisch, sauber intonierend und unangestrengt stand er die gewaltige Partie durch. Ein wahrer Held! Wunderschön ließ Stéphane Degout seine samtene Stimme als Chorèbe erklingen und Lindsey Ammann begeisterte mit ihrem ausdrucksstarken Mezzosopran als Didons Schwester Anna. Den schönen Arien des Iopas und des Hylas wurden Martin Mitterutzner bzw Jonas Hacker mehr als gerecht. Der Bayerische Staatsopernchor, von Stellario Fagone einstudiert, verlieh den Chortableaux wunderbar stimmigen musikalischen Reiz. 

Trotz aller szenischer Vorbehalte meinerseits lohnt sich die Auseinandersetzung mit LES TROYENS immer wieder und in München wird man mit grandioser musikalischer Umsetzung beglückt!

Inhalt:

Der erste Teil des monumentalen Werks behandelt die Einnahme Trojas (Akte I und II), der zweite zeigt die Trojaner in Karthago (Akte III-V).

Erster Teil:

Die Trojaner freuen sich, dass die Belagerung der Stadt durch die Griechen endlich zu Ende ist. Nach der (vermeintlichen) Flucht der Belagerer, entdecken sie auf dem Schlachtfeld ein riesiges hölzernes Pferd, sie halten es für ein Opfergabe an Pallas Athene. Die Seherin Cassandre hingegen warnt die Trojaner und sieht den Untergang Trojas nahen. Die Prophetin wurde einst von Apollo mit dem Fluch bestraft, dass nie mehr jemand ihren Weissagungen Glauben schenken werde. Selbst ihr Verlobter Chorèbe glaubt ihr nicht. Währenddessen trauern Andromaque und Astyanax um den gefallenen trojanischen Helden Hector. Der trojanische Held Énée berichtet, dass Laocoon von zwei Schlangen verschlungen worden sei, als er versuchte, das hölzerne Pferd der Griechen anzuzünden. Trotzdem schleppt das Volk das Pferd in die Stadt und lässt sich selbst durch eigenartige Geräusche aus dem Innern des Holzpferdes nicht aufhalten. Énée wird durch Lärm aufgeschreckt. Er sieht den Geist Hectors, der ihn zur Flucht mahnt. Er soll in Italien eine Stadt gründen, um von da aus ein neues Weltreich zu schaffen. Nachdem die List der Griechen mit dem hölzernen Pferd aufgegangen ist, beginnen die Kämpfe in der Stadt. König Priamus fällt, die Stadt steht in Flammen. Énée, sein Sohn Ascagne und Chorèbe stürzen sich in die Schlacht. Die trojanischen Frauen beten im Palast. Cassandre führt die Frauen zum Freitod, da sie nicht in griechischer Gefangenschaft entehrt werden wollen. Énée kann mit dem Schatz von Troja entkommen.

Zweiter Teil:

In Karthago ist Königin Didon in Schwierigkeiten. Ihr fruchtbares Reich an der Küste Afrikas wird durch die Nubier unter Iarbas bedroht. Die verkleideten Trojaner geben sich zu erkennen und Énée bietet Didon seine Hilfe im Kampf gegen die Nubier an. Didon ist von dem Helden aus Troja mehr als angetan. Nach der erfolgreichen Schlacht kehrt die Idylle in Karthago wieder ein (diverse Pantomimen folgen: Königliche Jagd, Unterschlupf in einer Höhle, Satyre, Nymphen, Ballett der Sklaven). Der Minister Narbal sorgt sich über Didons Vernachlässigung der königlichen Pflichten, die Schwester der Königin, Anna, zerstreut seine Sorgen. Didon und Énée steigern sich in ein ekstatisches Liebesduett (Nuit d'ivresse). Merkur erscheint und deutet in einem Strahl des Mondes Richtung Italien.

Vom Hafen her erklingt das Lied des Matrosen Hylas. Die trojanischen Anführer sind beunruhigt über das lange Verweilen der Flotte in Karthago, zumal Schatten gefallener Helden erscheinen und dreimal das Wort ITALIEN rufen. Sie mahnen zum Aufbruch. Énée ist sich bewusst, dass er die Annehmlichkeit in Karthago beenden muss. Didon ist enttäuscht und verbittert, fühlt sich um ihr Glück betrogen. Nachdem die Abreise der Trojaner nicht aufgehalten werden konnte, befiehlt Didon, einen Scheiterhaufen zu errichten. Darin verbrennt sie alle Geschenke Énées. In einer Vision sieht sie Hannibal aufsteigen und ihre Schmach an den Nachkommen der Trojaner rächen. Sie ersticht sich mit dem eigenen Schwert. Sie erkennt in einer weiteren Vision sterbend noch, wie auch Karthago untergehen wird, sieht das römische Kapitol aufscheinen. Das Volk von Karthago schwört ewigen Hass auf das Geschlecht des Énée.

Werk:

Berlioz kam durch seinen Vater schon im Knabenalter mit Vergils Aeneis in Berührung. Die Faszination für diesen Stoff liess ihn nie mehr los. Obwohl er sich dessen bewusst war, dass eine Aufführung des Monumentalwerks wahrscheinlich schwierig durchzusetzen sei, machte er sich an die Komposition. An seinem Enthusiasmus hatte die Prinzessin von Sayn-Wittgenstein entscheidenden Anteil, da sie ihn immer wieder ermunterte weiterzumachen. Er widmete die Partitur nach deren Fertigstellung auch der Prinzessin Carolyn de Sayn-Wittgenstein (und dem göttlichen Vergil). Was Berlioz befürchtet hatte, trat ein. Die Opéra hatte nach dem Disaster mit Wagners TANNHÄUSER 1861 kein Geld und keinen Mut, um nochmals einen grossen Brocken zu stemmen. Mit Wagner hatte sich Berlioz dann eh verkracht, da dieser sich nicht begeistert von Berlioz' Textentwurf zu LES TROYENS gezeigt hatte. Trotz intensiven Lobbyierens (selbst bei Napoléon III.) kam es nicht zu einer Aufführung an der Opéra. Immerhin erklärte sich der Direktor des Théâtre Lyrique, Carvalho, bereit, den zweiten Teil DIE TROJANER IN KARTHAGO aufzuführen. Der Erfolg hielt sich in Grenzen, das Werk wurde nach 21 Vorstellungen abgesetzt. Eine vollständige Aufführung seiner Oper konnte Berlioz nicht mehr erleben. Auch heute noch sind Aufführungen der ganzen Oper eher selten, und wenn, dann nur mit erheblichen Strichen. Dabei würde eine Aufführung kaum mehr als fünf Stunden betragen, was man z.B. bei den MEISTERSINGERN problemlos in Kauf nimmt.

Als grosser Bewunderer Glucks (ganz unbescheiden schrieb Berlioz an Prinzessin Carolyne: „Ich fühle es, wenn Gluck auf die Erde zurückkehren würde und dies hörte, würde er sagen: Das ist mein Sohn!“) ist der erste Teil ganz im Stil der Gluckschen Tragédie lyrique gehalten, der zweite hingegen eher im Stil der Grand opéra, mit grossen Ensembles, Balletten, Liebesszenen, Kulten. Im Mittelpunkt beider Teile steht eine Frauengestalt: Die reine Heldin Kassandra im ersten, die schöne Didon, mit all ihren Gefühlen und Leidenschaften, im zweiten Teil. Wie immer begeistern bei Berlioz die kunstvolle, reiche Instrumentierung, die Erhabenheit der Gesangslinien, der kluge, symmetrische Formenbau.

Karten

 

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