Luzern: WEST SIDE STORY, 09.04.2011
Musical in zwei Akten |
Musik: Leonard Bernstein |
Buch: Arthur Laurents (basierend auf Shakespeares ROMEO UND JULIA) |
Songtexte: Stephen Sondheim |
Idee und Choreographie der Uraufführung: Jerome Robbins |
Uraufführung: 26. September 1957 in New York |
Aufführungen in Luzern: 9.4. | 11.4. | 13.4. | 16.4. | 21.4. | 23.4. | 28.4. | 1.5. | 3.5. | 5.5. | 8.5. | 13.5. | 28.5. | 4.6. | 5.6 | 8.6. | 13.6. | 14.6. | 17.6.2011
Kritik:
„Something great ist coming!“ (Zitat aus Tonys Auftrittssong) steht auf den Werbepostkarten, welche dem Luzerner Programmheft beiliegen. Der Song endet mit „ ...maybe tonight?“ Wir können nur in aller Dankbarkeit anfügen: Ja, tonight durften wir einen grossartigen und berührenden Abend erleben im Luzerner Theater. Bei der Wiederbegegnung mit Bernsteins Musical wird einem so richtig bewusst, wie wohltuend sich diese raffiniert komponierte und so subtil instrumentierte Partitur aus den späten 50er Jahren vom Musical-Einheitsbrei unserer Tage absetzt. Bernstein/Sondheim schufen zwar unsterbliche Melodien, doch werden diese nie bis zum Geht-nicht-mehr quasi ad infinitum platt gewalzt, sondern erfahren immer wieder leicht ironische Brechungen, überraschende Modulationen, werden konterkariert mit schrägen und vertrackten Rhythmen und glänzen durch perfektes Timing. Diese Perfektion in der Anlage nehmen auch die Regisseurin Tatjana Gürbaca und der Choreograph Kinsun Chan für ihre Inszenierung in Luzern sehr ernst und bringen die WEST SIDE STORY mit einem den hervorragenden Ensemble auf die „Bühne auf der Bühne“ (Werner Hutterli). Das Luzerner Sinfonieorchester unter Rick Stengårds spielt diese anspruchsvolle Partitur mit begeisternder Wendigkeit, immer wieder lassen Instrumentensoli aufhorchen.
Beinahe zögerlich suchend erscheint ein Tänzer auf einer leeren Spielfläche, greift hereinfliegende Fetzen eines Rhythmus auf, beginnt zu tanzen. Langsam kommt das Ensemble dazu, sie beginnen die Geschichte von Romeo und Julia in New York zu erzählen – und schon wird man hineingezogen in die Tragik, die Komik, die Konflikte. Dazu braucht es kein kitschiges Bühnenbild, keine Häuserkulissen – die ungeheure Spannkraft, die konzentriert-agile Köperlichkeit der DarstellerInnen und TänzerInnen reichen vollkommen aus. Ein raffiniertes Lichtdesign (David Hedinger) und eine wirklich ausgeklügelte Tontechnik (nie werden die Sänger elektronisch übersteuert, wie man dies oft in „kommerziellen“ Produktionen über sich ergehen lassen muss) unterstützen sie dabei. Als Requisiten reichen ein paar Stühle, einige Dosen Cola (als Anspielung auf die Szene im Film von Robert Wise, in welcher Tony Cola-Flaschen schleppt) und die riesige Scheinwerferbatterie, welche sich am Ende des ersten Aktes wie eine bedrohliche Spinne vom Bühnenhimmel senkt.
Das Liebespaar Tony und Maria wurde am Premierenabend von Daniel Prohaska und Simone Stock verkörpert: Er träumerisch, sensibel, mit dem offensichtlichen Herzklopfen des frisch Verliebten seine Songs und Duette mit sauber intoniertem Schmelz gestaltend, sie mit glockenreinem Sopran, herrlich aufblühender Höhe, witzig, voll unbeschwert mädchenhafter Lebenslust (I feel pretty), betörend schön beide in One hand, one heart. Samia von Arx als Anita gab eine resolute, und doch einfühlsame Freundin Marias, hatte grosse gesangliche Moment im herrlich frech, schrill und schräg inszenierten America und zusammen mit Simone Stock in A boy like that und brillierte darstellerisch/tänzerisch in der Vergewaltigungsszene. Olga Privalova war es vorbehalten, das aufrüttelnd berührende Somewhere zu intonieren, diesen utopischen Ruhepunkt, dieses Innehalten inmitten der sich tragisch zuspitzenden Eskalation (und wohl eine Hommage an Rodgers'/Hammersteins You'll never walk alone). Dazu nimmt sie die beiden Liebenden bei der Hand, erweitert die Gruppe mit Freunden und Feinden, alle spielen in einer Art paradiesischer Kindheit miteinander, basteln Origamis und tanzen Reigen. Doch die Brachialität des Alltags kehrt schnell zurück, Tony und Maria wandern über eine Art Schlachtfeld. Doch bevor wir zum Taschentuch greifen, werden wir von einer der originellsten Choreographien des Abends überrascht: Gee, Officer Krupke kommt als atemberaubend schnelles, irres Stück daher. Glänzend dargestellt von den Jets, welche angeführt werden von Manuel Kühne (Action), Flurin Caduff (Diesel) und Hans-Caspar Gattiker (Riff). Überhaupt trägt das grandiose Ensemble von SängerInnen und TänzerInnen mit dem intensiven Spiel in verschiedenen Rollen von Jets und Sharks zum begeisternden Geamteindruck der Produktion entscheidend bei. Die wunderbar einfühlsam charakterisierende Personenführung hebt auch kleinere Rollen eindrücklich hervor: Besonders erwähnt seien Julia Reznik (Anybody's), David Imhoof (Bernardo), Martin Blazek (Baby John) und Christoph Künzler (Schrank/Doc). Nach der Vergewaltigungsszene sagt dieser: Ihr macht aus dieser Welt einen Haufen Dreck. Die Antwort der Jets: So haben wir sie vorgefunden. Diese Worte sind auch heute noch bedenkenswert, denn eigentlich sind es tatsächlich noch Kinder, welche sich erst auf dem Weg zum Erwachsenwerden befinden und dabei ziemlich allein gelassen werden. So lässt sich denn auch das tragische Ende nicht aufhalten: Chino (von geradezu unheimlicher Bühnenpräsenz: Hajo Tuschy) erschiesst Tony, Chinos mentale Hilflosigkeit äussert sich in spastischen Bewegungen, das Entsetzen in den Augen der Zuschauer auf der Bühne ist beinahe körperlich greifbar. Eine zitternd a cappella vorgetragene Reprise von Somewhere durch das Liebespaar macht die Sinnlosigkeit der Gewalt noch einmal deutlich. Dann nur noch Dunkelheit - und Ergriffenheit im Saal, bevor begeisterter Applaus aufbrandet.
Werk:
Der ursprüngliche Plan der Autoren sah vor, den jüdisch-christlichen Konflikt im New York der Nachkriegszeit zu thematisieren, der Arbeitstitel hiess damals noch EAST SIDE STORY. Doch diesen Plan verwarfen die Autoren bald wieder als unzeitgemäss. Stattdessen konzentrierte man sich auf immer wieder ausbrechende Rassenkonflikte, so zwischen Hispanics (Puertoricanern - Sharks) und weissen Amerikanern (Jets) und wählte neu den Titel WEST SIDE STORY.
Musikalisch griff Bernstein Elemente des Jazz, der Unterhaltungsmusik, aber auch der klassischen Oper auf und verflocht die Stile ausserordentlich gekonnt in mitreissende, eingänige und treffend charakterisierende, zu unsterblichen Klassikern gewordene Melodien und Rhythmen.
Die WEST SIDE STORY wurde durch die aussergewöhnlich stimmg gelungene Verbindung von Wort, Musik und Tanz zu einem bis heute andauernden Grosserfolg, von vielen auch als Mutter aller Musicals bezeichnet. Die Verfilmung durch Robert Wise und Jerome Robbins (u. mit Nathalie Wood und Rita Moreno) erhielt zehn Oscars.
1985 spielte Bernstein das Musical in Opernbesetzung selbst ein, u.a. mit Kiri T Kanawa, José Carreras und Marilyn Horne.
Inhalt:
Vor dem Hintergrund eines Bandenkrieges zwischen eingewanderten Puertoricanern (Sharks) und ansässigen Weissen (Jets) spielt sich eine tragische Liebesgeschichte ab, da sich Tony, ein Weisser, in die vor kurzem eingewanderte Maria verliebt, die Schwester von Bernado, dem Anführer der Sharks. Tony gerät ungewollt in einen Zweikampf mit Bernado und verletzt diesen tödlich. Tony muss fliehen. Maria will ihm eine Nachricht zukommen lassen. Da die Überbringerin der Nachricht, Anita, von den Jets vergewaltigt wird, erzählt sie aus Rache die Lüge von der Ermordung Marias durch den eifersüchtigen Chino. Nun will Tony auch nicht mehr leben, sucht Chino, damit dieser ihn ebenfalls erschiesse. In einer Strasse findet er jedoch Maria, läuft auf sie zu - und wird von Chino erschossen. Erst jetzt begreifen die Gangs, dass es sich nicht lohnt, wegen ihrer banalen Konflikte Menschenleben zu opfern.
Musikalische Höhepunkte:
Prolog, Tanz der Gangs
Maria, Tony
Tonight, Tony und Maria
America, Anita, Rosalie und Sharks
I feel pretty, Maria, Consuela, Rosalie
Somewhere, die wohl ergreifendste berührendste Melodie des Stücks
Gee, Officer Krupke, Ensemble Jets
Taunting, Anita und Jets
Finale, Tony und Maria