Luzern: IM WEISSEN RÖSSL, 30.10.2011
Singspiel in drei Akten | Musik: Ralph Benatzky | Libretto: Ralph Benatzky, Hans Müller-Einigen, Erik Charell | Liedtexte: Robert Gilbert | Uraufführung: 8. November 1930 in Berlin | Aufführungen in Luzern: 30.10. | 4.11. | 12.11. | 23.11. | 25.11. | 27.11. | 3.12. | 10.12. | 22.12. | 31.12.2011 | 2.1. | 19.1. | 26.2. | 9.4. | 22.4. | 28.4. | 12.5.2012
Kritik:
Dass man nicht nur im Salzkammergut gut lustig sein kann, sondern auch an den Gestaden des Vierwaldstättersees, beweist das Luzerner Theater mit der gelungenen und schmissigen Schweizer Erstaufführung der rekonstruierten Urfassung von Benatzkys IM WEISSEN RÖSSL. Man darf sich zurücklehnen und geniessen "wenn die Musi spielt, holdrio" ohne befürchten zu müssen, durch einen doppelten Boden zu fallen. Ein überaus spielfreudiges Ensemble von Singschauspielern und das bestens gelaunte Luzerner Sinfonieorchester unter der Leitung von Howard Arman garantieren einen unterhaltsamen, beschwingten Abend. (Durch die Verwendung der rekonstruierten Urfassung erklingt die Partitur jetzt fetziger, jazziger und farbenreicher als man sie von den Aufnahmen mit Peter Alexander und Ingeborg Hallstein in Erinnerung hat.) Zudem darf man sich bei jeder Vorstellung auf den Auftritt einer anderen Blaskapelle aus der Innerschweiz freuen. An der Premiere war es die LUZERNER BLASKAPELLE. Das Auge ergötzt sich dabei auch an den einfalls- und temporeichen Choreografien von Sean Stephens und der geradlinigen, ohne pseudo-tiefgründige Mätzchen und unangebrachte Verfremdungen auskommenden Regie von Dominique Mentha. Mentha belässt dabei das RÖSSL da, wo es auch hingehört, am Wolfgangsee im Salzkammergut. Er erliegt zum Glück nicht der Versuchung, die Handlung an den Vierwaldstättersee zu verlegen. Denn als wen hätte man da den Kaiser auf die Bühne gebracht? Mittels eines auf die Rückwand projizierten Films wird die Entstehungszeit des Singspiels angedeutet, die Weltwirtschaftskrise von 1929/30. Danach jedoch folgt die Flucht in die Postkartenidylle von St. Wolfgang und die lustige Oberflächlichkeit der mehr oder weniger erotischen Techtelmechtel im und um den berühmten Gasthof. Dazu stehen dem Luzerner Intendanten gewiefte Darstellerinnen und Darsteller (mehrheitlich aus dem eigenen Ensemble) zur Verfügung: Allen voran der Wiener Robert Maszl, welcher den Leopold mit schönstem tenoralem Schmelz ausstattet und in den ausgedehnten Dialogen selbstverständlich für Austria-Authentizität sorgt. Herzzerreissend gestaltet er das "Zuschaun kann i net" und seinen grossen Auftritt als Betrunkener (mit träfen Bemerkungen zum Schweizer Publikum!). Aus der Wirtin Jospha wird mangels österreichischem Akzent eine Witwe des RÖSSL-Besitzers mit schwedischen Wurzeln - Madelaine Wibom sieht im Dirndl nicht nur kokett und fesch aus, sie singt auch bezaubernd. Herausragend besetzt ist auch die "Berliner Fraktion": Horst Krebs als Giesecke gibt einen herrlich mürrisch-nationalstolzen Preussen und Marie-Luise Dressen ist geradezu umwerfend komisch als ältlich-jungfräuliche Tochter Ottilie. Sie krönt diese exzellente Darstellung mit ihrer wunderbar satten Mezzosopran Stimme. Reto Raphael Rosin (Dr.Siedler) verguckt sich in diese grossgewachsene Schönheit und lässt seine Schlager mit hell timbriertem Tenor erklingen. Hans-Jürg Rickenbacher ist der auf seinen wohlgestählten Körper bedachte schöne Sigismund. Den Hit "Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist" schmachtet er in einer ausgezeichneten Max-Raabe-Parodie ins Mikrophon. Als darstellerischer Höhepunkt darf man bestimmt die Badeszene (welche einst als anstössig gebrandmarkt wurde) bezeichnen. Nur schon das Umziehen von Sigismund und dem grandios lispelnden Klärchen von Patricia Flury ist eine Gaudi, wird aber durch das anschliessende Geplantsche der beiden auf der Bühne noch übertroffen. Christoph Künzler verleiht dem an Parkinson leidenden Kaiser Franz Joseph sympathisches Profil und gibt daneben auch noch den Geizhals Hinzelmann. Eine grossartige Probe seines Talents liefert der junge Noah Wili als pfiffiger Piccolo: Da reift ein äusserst wendiger Darsteller heran! Neben all diesen bestechend komischen Darstellern haben auch die Revue Girls (Fiona Hess, Séverine Studer, Tanja Urben, Bettina Zumstein) und das als running gag eingesetzte, unendlich verliebte Tanzpaar (Véronique Porta und Friedrich Pohl) grossen Anteil am Riesenerfolg dieses gelungenen Abends.
Fazit:
Ein unbeschwerter, äusserst kurzweiliger Abend; szenisch und musikalisch temperamentvoll und streckenweise urkomisch umgesetzt.
Inhalt:
Hochbetrieb herrscht im Hotel zum Weissen Rössl am Wolfgangsee. Kellner Leopold hat trotz Stress Zeit, seiner Chefin Josepha schöne Augen zu machen. Diese jedoch ist verliebt in den Berliner Rechtsanwalt Dr. Siedler, einem Stammgast. Die Ankunft von Dr. Siedler wird vom Fabrikanten Giesecke, welcher mit seiner Tochter Ottilie hier Urlaub macht (machen muss), ungern gesehen, da er eben gegen ihn und seinen Mandanten Sülzheimer einen Prozess verloren hat. Dr. Siedler seinerseits unterlässt es nicht, Ottilie Avancen zu machen.
Leopold streitet sich mit seiner Chefin, weil er sich geweigert hat, einen Blumengruss von ihr auf Siedlers Zimmer zu bringen. Leopold wird gekündigt. Nun trifft auch noch der schöne Sigismund ein, der Sohn Sülzheimers. Aber noch wichtiger ist die Nachricht, dass der Besuch des Kaisers Franz Joseph angekündigt wird. Josepha ist nun gezwungen, Leopold wieder einzustellen.
Der Kaiser durchschaut die emotionalen Verwirrungen und rät Josepha, sich mit dem Möglichen zufrieden zu geben, sprich den Leopold zu erhören. Sie überreicht ihm erneut die Kündigung – und engagiert ihn als Ehemann auf Lebensdauer. Ottilie nimmt den Antrag Doktor Siedlers an, Sigismund bemüht sich um Klärchen. Mit einem Freudengesang dreier glücklicher Paare endet die Operette.
Werk:
Das „Weisse Rössl“ ist ein erstaunliches Machwerk: Unglaublich viele Hände haben daran gearbeitet, einige blieben gar unerwähnt, und trotzdem erscheint es wie aus einem Guss und erfreut sich seit der Uraufführung grosser Beliebtheit. Denn neben Benatzkys Melodien wurden auch Lieder von Robert Stolz, österreichische Volkslieder, die Nationalhymne, ein Titel aus einem MGM Filmmusical und ein Song von Robert Gilbert in die Partitur eingebaut. Und kein Geringerer als Eduard Künneke übernahm am Ende aus Zeitgründen Teile der Instrumentation. Robert Stolz versuchte in der Folge immer wieder, Tantiemen einzuklagen. Deshalb dürfen in deutschsprachigen Aufführungen einige seiner Songs im Werk nicht verwendet werden, erklingen jedoch in England und Frankreich sehr wohl.
Mit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten verschwand das Werk von den deutschen Bühnen. Es wurde als entartet bezeichnet (jüdische Mitwirker, Verhunzung von Volksmusik, Freizügigkeiten). Als The White Horse Inn feierte es in London und New York Triumphe. 2009 wurde in Zagreb das Orchestermaterial der Uraufführung wiederentdeckt (für ein ca. 250 Musiker umfassendes Orchester!). Eine auf diesem Material basierende Fassung wurde an der Staatsoperette Dresden im Juni 2009 aufgeführt. Diese Fassung erweist sich als greller, satirischer, jazziger und frecher als die betulichen, folkloristischen Fassungen der biederen 50er Jahre und wird nun auch in Luzern gespielt, als Schweizer Erstaufführung!
Als sehr erfolgreich erwies sich auch eine Aufführungsserie in Berlin (Bar jeder Vernunft, 1994), inszeniert von Ursli Pfister (Christoph Marti), mit den Geschwistern Pfister, Meret Becker und Otto Sander.
Musikalische Höhepunkte:
Im weißen Rössl am Wolfgangsee (Ralph Benatzky)
Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist? (Robert Gilbert)
Im Salzkammergut, da kann man gut lustig sein (Ralph Benatzky)
Es muss was Wunderbares sein (Ralph Benatzky)
Mein Liebeslied muss ein Walzer sein (Robert Stolz)
Die ganze Welt ist himmelblau (Robert Stolz)
’s ist einmal im Leben so (Ralph Benatzky)
Zuschau’n kann i net (Bruno Granichstaedten)