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Zürich, Bernhard Theater: IM WEISSEN RÖSSL!, 29.10.2023

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Im weissen Rössl

Die SHAKE COMPANY galoppiert auf dem unsterblichen "WEISSEN RÖSSL" ins Bernhard Theater Zürich

Singspiel in drei Akten | Musik: Ralph Benatzky, mit Einlagen von Robert Gilbert, Bruno Granichstaedten und Robert Stolz | Text: frei nach dem Lustspiel von Blumenthal und Kadelburg von Hans Müller und Erik Charell | Liedtxte von Robert Gilbert | Uraufführung: 8. November 1930 im Grossen Schauspielhaus Berlin | Aufführungen in Zürich: Voraufführungen 28. und 29.10.2023, Premiere 1.11., danach Aufführungen bis 31.12.2023

Kurzkritik der zweiten Voraufführung: 

DER GAUL IST NICHT TOTZUKRIEGEN

Es sind gefühlte 50 Jahre her, seit ich mir IM WEISSEN RÖSSL letzmals auf Tonträger angehört habe (mit Peter Alexander und Waltraut Haas), danach gab es noch eine von mir besuchte Live-Aufführungen (in Luzern) und die Produktion der Geschwister Pfister aus der BAR JEDER VERNUNFT im TV, was aber auch schon wieder weit über 10 Jahre her ist. Und doch: Bei der Wiederbegegnung anlässlich dieser Voraufführung des WEISSEN RÖSSLS durch die Shake Company im Bernhard Theater Zürich hätte ich bei jedem Song mitsingen können - so eingängig und unverwüstlich sind die Schlager, die Benatzky, Stolz u.a. für diese Revue geschrieben haben. Spritzig und frisch kamen sie dann auch gestern Abend daher - dank eines überragenden Ensembles, das dem Schmiss und dem Ohrwurmcharakter dieser Musik nichts schuldig blieb. Schnell distanziert man sich von der etwas gar betulichen Handlung und geniesst einfach die einzelnen Nummern und Szenen. Die Texte wurden leicht aufpoliert, dezent zwar, aber das ging in Ordnung so, denn man wollte das Zielpublikum (Ü 70) wohl nicht allzu sehr mit deftigen Anzüglichkeiten provozieren.

DIE KUH IM BREAKDANCE-TAUMEL

Das schlichte, aber funktionalen Bühnenbild von Roman Fischer zeigt links den Balkon des besten Zimmers im Rössl und im Hintergrund einen von Schnee und Eis bedeckten Berg mit Kletterseilen. Dieser Berg kann sich öffnen - darin befindet sich der Kushstall, in welchen Leopold den Rivalen Dr.Siedler (sehr einnehmend in Gesang und Spiel: Flavio Dal Molin) und Ottilie (erfrischend: Marianne Curn - da kein Besetzungszettel verfügbar war, bin ich mir wegen der Namen der entsprechenden Rollendarstellerinnen nicht ganz sicher) zu ihrem ersten Rendez-vous lockt. Vor dem grossen Liebesduett (Die ganze Welt ist himmelblau - mit herzförmigen Wölkchen am Himmel) geben jedoch vier Sänger ihr Muh-Quartett zum besten. Das ist einmalig gut gemacht: Fantastisch gesungen, witzig choreografiert und wenn dann die fünfte Kuh (der wunderbare Lavdrim Xhemeili), die zuvor aus dem Hintergrund schon flapsige Kommentare abgegeben hat, sich vorne zu einem regelrechten, akrobatischen Breakdance auf den Boden schmeisst, gibt es kein Halten mehr. Von da an gewinnt dieses "Rössl" definitiv an Tempo und Witz. Ganz herrlich gerät das Unwetter mit dem Tanz der gelben Regenschirme, danach wird gar noch "Nach em Rägä schint d'Sunne" angestimmt und das weisshaarige (oder glatzköpfige) Publikum ist glücklich. Der Oberkellner Leopold (fantastisch gesungen vom ehemaligen Wiener Sängerknaben Matthias Liener) schmeisst wegen der für seine Blumen und Avancen unempfindlichen Wirtin Josepha (herrlich kratzbürstend Susanne Kunz) den Bettel hin und will vom Salzkammergut in den Aargau auswandern, der Ur-Berliner Gieseke, der lieber Eisbein als Backhendl speist, gewöhnt sich mit Müh' und Not an die Krachlederne (urkomisch und fast wie echt berlinernd: Mario Gremlich). So steigert sich mit einer Kombination aus Schuhplattler, Can-Can und Jodel (umwerfend komisch und zugleich versiert jodelt Yael de Vries als Kathi, die auch mit ihrem frechen Mundwerk zu manchem Schmunzeln verführt) die Turbulenz zu einem ersten Höhepunkt am Ende von Teil eins .

VON MOZART ZU RAY CHARLES

Die Einstimmung zum zweiten Teil erfolgt mit Mozarts g-Moll Sinfonie KV 550 (die vier MusikerInnen der Combo beweisen ihre enorme stilistische Vielseitigkeit, untermalen die Szenen mit Piano, Geige, Kontrabass und Akkordeon überaus stimmungsvoll). Nun treten auch die letzten Protagonisten auf: Professor Hinzelmann und seine Tocher Klärchen aus Illnau-Effretikon (!) führen sich mit Ray Charles Hit the Road Jack ein (wunderbar der mit accent fédéral hochdeutsch daherplappernde Fabio Romano und mit Luegid vo Bärg und Tal punktend und seine lispelnde Tochter, gespielt von Victoria Sedlacek). In der Eisenbahn (sie nehmen gerne den Bummelzug) haben sie noch den schönen Sigismund kennengelernt (Reto Mosimann spielt ihn umwerfend eingebildet). Erwähnen muss man unbedingt auch den vielseitig eingesetzten Nico Jacomet (wunderbar als Piccolo, aber auch in vielen Ensembleszenen). Natürlich wartet man gespannt auf den Auftritt des Kaisers Franz (nicht des Fussballkaisers, denn Leopold mag keinen Fussball, sondern der von Sisi). Er kommt dann auch und trägt die ganze Zeit einen Bilderrahmen vorm Gesicht, nun ja, eigentlich ist er schon tot, aber als Deus ex machina taugt er natürlich in einer Revue allemal. In der Rolle wechseln sich im Verlauf der Aufführungsserie bis zum 31. Dezember Victor Giacobbo, Hanna Scheuring, Kamil Krejčí und Christian Jott Jenny ab. In der gestrigen Voraufführung war die Reihe nun an Christian Jott Jenny, dem Tenor, der auch Gemeindevorsteher von St.Moritz ist. Sein Auftritt hätte durchaus etwas pointierter ausfallen können, das hatte eindeutig zu wenig Biss.

Ansonsten hat der Regisseur und Choreograf der Produktion der Shake Company, Martin Schurr, hervorragende Arbeit geleistet, das hatte über weite Strecken gerade die richtige Melange und das perfekte Timing aus Revue, Slapstick und Schwank, gepaart mit herausragenden gesanglichen Leistungen. So alle 20 Jahre kann man gerne mal IM WEISSEN RÖSSL einkehren ... .

Werk:

Ralph Benatzky (1884-1957) feierte als Operettenkomponist erste Erfolge in Wien und München. Ab 1924 begann seine erfolgreiche  Zusammenarbeit mit dem Regisseur und Schauspieler Eric Charell in Berlin, wo er sich dann auch niederliess. Höhepunkt dieser Zusammenarbeit war IM WEISSEN RÖSSL, ein Stück, das ihm zu ungeheurer Popularität verhalf, obwohl Charell darauf bestanden hatte, dass in diese revueartige Singspiel auch erfolgreiche “Schlager” anderer Komponisten miteinbezogen wurden. Die Mixtur aus pseudo-folkloristischen Weisen und aktuellen Tanzrhythmen führte zu einem weltweiten Grosserfolg. Benatzky kaufte sich mit den reichlich fliessenden Tantiemen 1932 ein Haus im bernischen Thun, übersiedelte später in die USA, wo er in Hollywood aber nicht glücklich wurde. Schön früh hatte er die Gefahr des aufziehenden Nationalsozialismus erkannt (er bezeichnete die “hakenkreuzlerischen” Agitatoren als “Urgermanen mit Wampe und Nackenspeck, mit rückwärts rasiertem und oben hahnenkammartig durch eine Scheitelfrisur gekrönte Schädel, […] arisch-arrogant, provinzlerisch gackernd.”

In den USA übersetzte er u.a. PORGY AND BESS und die Memoiren William Somerset Maughams ins Deutsche. 1948 kehrte er in die Schweiz zurück und liess sich in Zürich nieder. Dort schrieb er seinen autobiografisch gefärbten Roman IN DUR UND MOLL. Benatzky starb 1957 in Zürich und wurde auf eigenen Wunsch im Salzkammergut, in St.Wolfgang, begraben, dem Handlungsort seines grössten musikalischen Erfolgs.

Das „Weisse Rössl“ ist ein erstaunliches Machwerk: Unglaublich viele Hände haben daran gearbeitet, einige blieben gar unerwähnt, und trotzdem erscheint es wie aus einem Guss und erfreut sich seit der Uraufführung grosser Beliebtheit. Denn neben Benatzkys Melodien wurden auch Lieder von Robert Stolz, österreichische Volkslieder, die Nationalhymne, ein Titel aus einem MGM Filmmusical und ein Song von Robert Gilbert in die Partitur eingebaut. Und kein Geringerer als Eduard Künneke übernahm am Ende aus Zeitgründen Teile der Instrumentation. Robert Stolz versuchte in der Folge immer wieder, Tantiemen einzuklagen. Deshalb dürfen in deutschsprachigen Aufführungen einige seiner Songs im Werk nicht verwendet werden, erklingen jedoch in England und Frankreich sehr wohl.

Mit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten verschwand das Werk von den deutschen Bühnen. Es wurde als entartet bezeichnet (jüdische Mitwirker, Verhunzung von Volksmusik, Freizügigkeiten). Als The White Horse Inn feierte es in London und New York Triumphe. 2009 wurde in Zagreb das Orchestermaterial der Uraufführung wiederentdeckt (für ein ca. 250 Musiker umfassendes Orchester!). Eine auf diesem Material basierende Fassung wurde an der Staatsoperette Dresden im Juni 2009 aufgeführt. Diese Fassung erweist sich als greller, satirischer, jazziger und frecher als die betulichen, folkloristischen Fassungen der biederen 50er Jahre. Als sehr erfolgreich erwies sich auch eine Aufführungsserie in Berlin (Bar jeder Vernunft, 1994), inszeniert von Ursli Pfister (Christoph Marti), mit den Geschwistern Pfister, Meret Becker und Otto Sander.

Inhalt:

Im Hotel “Zum Weissen Rössl” am Wolfgangsee ist zu Beginn der Touristensaison allerhand los. Der Oberkellner Leopold ist zudem verliebt in die Wirtin Josepha. Die wiederum hat eher Augen für den Rechtsanwalt Siedler. Leopold quartiert diesen aber in einer Dépendence ein, damit er möglichst wenig mit Josepha zusammentrifft und gibt das Zimmer Siedlers dem Berliner Fabrikanten Giesecke und dessen Tochter Ottilie. Josepha stellt alles wieder richtig. Es kommt zu einigen Irrungen und Wirrungen, zwischenzeitlich wird Leopold von Josepha gar entlassen, Ottilie soll den Sohn des Prozessgegeners von Giesecke, den “schönen" Sigismund, heiraten, Siedler umschwärmt aber ebenfalls Ottilie und Sigismund hat kein Interesse an ihr, sondern hat nur Augen für Klärchen Hinzelmann. Auf dem Höhepunkt der Turbulenz kündigt der Kaiser seinen Besuch an. Josepha muss bei Leopold zu Kreuze kriechen, da sie den erfahrenen Kellner zur Bewirtung des hohen Gastes braucht. Der Kaiser ist es dann auch, der alles wieder einrenkt. Josepha macht die Kündigung Leopolds zwar nicht rückgängig, engagiert ihn aber als Ehemann und Wirt. Die beiden Nebenpaare dürfen sich auch verloben: Sigismund mit Klärchen und Ottilie mit Dr. Siedler.

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