Bern, Stadttheater: DIDO & AENEAS; 10.11.2024
Die Choreografin Ina Christel Johannessen konzipiert einen Opern-/Tanzabend zu Henry Purcells DIDO & AENEAS
Libretto: Nahum Tate, nach Vergils Epos AENEIS | Uraufführung: 1689 in Josias Priests Mädchenpensionat in Chelsea (London) | Aufführungen in Bern: 10.11. | 17.11. | 20.11. | 24.11. | 29.11. | 1.12. | 5.12. | 7.12. | 21.12. | 28.12. | 30.12.2024 und 5.1.2025
Kritik:
Leider ist Purcells einzige richtige Oper etwas kurz geraten (mit knapp einer Stunde Spieldauer) - und gerade deshalb wohl ein eher seltener Gast auf den Opernbühnen. Dabei hat die Musik ganz grossartige Qualitäten und ist mit ihren aufs Notwendigste komprimierten Szenen überaus stringent vorwärtsdrängend. Aber eben, als Abendfüller taugt sie nicht und Kombinationen à la CAVALLERIA RUSTICANA/PAGLIACCI wären zwar vorstellbar, aber nicht ganz einfach zu finden (auf Anhieb würde mir Gnecchis CASSANDRA einfallen). Die Bühnen Bern haben nun eine insgesamt recht überzeugende Lösung des Problems präsentiert, indem sie aus DIDO & AENEAS einen Tanz- und Opernabend gestalteten. Die Verantwortliche dafür ist Ina Christel Johannessen, welche das Konzept entworfen und die Inszenierung und die Choreografie zusammen mit den Tänzer*innen des Bern Ballett gestaltet hat. Das Ergebnis kann sich sehen und hören lassen! Yngvar Julin hat dazu zwei drehbare Bühnenelemente entworfen, welche Lehmbauten einer orientalischen Stadt erahnen lassen: Auf der Vorderseite Säulengänge, auf der Rückseite sich nach oben verengende, gerundete Treppenstufen, zwischen den beiden symmetrischen Elementen ein Durchgang für Auftritte und Abgänge. Die Kostüme von Bregje van Balen sind vorwiegend in gedeckten Pastelltönen gehalten, teils antik und ethnisch historisierend, teils durchaus mit Anklängen an zeitgenössische Kleidung. Begonnen wird mit einer ca. 15 Minuten dauernden Tanzsszene, wilde Ethno-Techno-Rythmen inspirieren die barfuss tanzenden Tänzer*innen zu wilden, fast Derwisch artigen Tänzen in verzückter Trance im Bühnennebel. Vorerst tanzen alle für sich alleine, selbstbezogen. Wenn dann in der Musik arabisch singende Stimmen auftauchen und voller Melancholie von Herz-Schmerz berichten, finden sich Paare, auch Dreierkonstellationen werden sichtbar. Hebefiguren gibt es praktisch nicht, der Tanz bleibt sehr erdverbunden. Ein Kinderchor bittet Königin Dido zum Einsetzen der Barockmusik um Frieden. Nun kommt es zur eigentlichen Oper, welche die unglückliche Liebe der Königin Dido in Karthago zum trojanischen Flüchtling Aeneas zum Thema hat. Aufhorchen lässt das geschmeidige, freudige Musizieren des Berner Symphonie Orchesters, welches unter der sehr schön gestaltenden Leitung von Artem Lonhinov Purcells wunderbare Partitur voll einfühlsamer Wärme erstrahlen lässt und auch durchaus dramatische Akzente zu setzen weiss. Es ist tatsächlich eine Musik, die man sehr gerne hört. Der aparte Klang des erhöht positionierten Orchesters setzt sich aus Streichern, Cembalo (Peter Solomon), Laute (Sam Chapman), Theorbe/Barockgitarre (Priska Weibel) und wenig Schlagzeug zusammen. In der eingefügten Violinsonate von Tartini (zur Ballett-Pantomime des Jägers Actaeon, welcher die nackte Göttin Diana beim Baden beobachtet hatte und als Strafe von seinen eigenen Hunden zerfleischt wurde) spielt der Dirigent Artem Lonhinov selbst die Violine und Peter Solomon begleitet ihn am Cembalo - berückend schön! Die Ballett-Pantomime hingegen ist etwas gewöhnungsbedürftig: Man weiss nicht so recht, ob sie als komödiantisches Intermezzo oder als (schlechte) Parodie auf die antiken Geschichten gemeint ist. Von zwei Tänzern des Balletts werden alle Namen von Actaeons Hunden heruntergebetet, mit Verlaub, es ist nicht lustig. Der Gruppentanz und das Solo der Göttin Diana (Marieke Monquil) mit dem goldenen Bogen hingegen sind mit reichhaltigem Bewegungsvokabular choreographiert. Auch die tödlichen Verletzungen des Actaeon stellt der Tänzer Indar Carmona Viñas mit virtuoser Körperlichkeit (gewagte Hechtsprünge und Rollen) dar.
Evgenia Asanova singt eine herausragende Dido; ihr biegsamer, warmer Mezzosopran vermag mit bestechender Eindringlichkeit die Gefühle von Liebe, Zerrissenheit und Trauer auszudrücken. Ihre Finalarie zum Dahinschmelzen schön. Patricia Westley begeistert mit ihrem hell timbrierten, agilen Sopran, der so wunderbar mit Evgenia Asanovas Mezzo verschmilzt. Es ist eine pure Freude, den beiden zu lauschen. Als Aeneas setzt Jonathan McGovern wunderbare baritonale Akzente. Leider wurde ihm als Kostüm eine blaue, Pyjama artige Dreiviertelhose verpasst (komisch, auf den Fotos im Programmheft ist diese Hose noch lang), das wohl hässlichste, unkleidsamste Kleidungsstück, das je für Männer entworfen wurde. Sollte der trojanische Held damit lächerlich gemacht werden? Braucht es nicht, denn seine Zerrissenheit zwischen falsch verstandenem Pflichtgefühl (bezüglich der Gebote Jupiters) und dem individuellen Recht, dem Streben nach Liebe und Glück, vermag der Sänger eindringlich zu gestalten. In den kleineren Partien glänzt vor allem der Countertenor Elmar Hauser als Zauberin und Geist Merkurs mit makelloser Stimmführung. Maria Giuliana Seguine singt die Erste Hexe und Alexandra Lewis die Zweite Hexe, beide mit fantastisch passendem, dramatisch-spöttischem, lebhaftem Klang. Schade, dass gegen das Ende hin oftmals Parallelhandlungen auf der Bühne stattfinden. Gerade bei den ergreifenden Abschiedsszenen zwischen Dido und Aeneas wird neben dem Protagonisten-Paar und dahinter getanzt. In solchen Momenten will man nicht Multitasking fähig sein. Da will ich mich ganz und gar auf die Gefühle der beiden Liebenden einlassen, mit ihnen leiden. Da brauche ich keine verdoppelnden Verrenkungen im Hintergrund oder neben dem Paar. Das Ende kommt wie ein Requiem daher, der Chor der Bühnen Bern (einstudiert von Zsolt Czetner) singt With drooping wings ye cupids come, and scatter roses on her tomb, Didos Leiche wird niedergelegt, andere Opfer legen sich dazu. Ein ergreifendes Ende für alle vergeblich Liebenden. Im Hintergrund färbt sich der Himmel blutrot (Christian Aufderstroth zeichnet für das stimmungsvolle Lichtdesign verantwortlich), bevor das Licht total erlischt und man einen Augenblick ergriffen im Dunkel verhallt. Dann brandet der begeisterte und verdiente Applaus des Premierenpublikums für das gesamt Ensemble auf.
Werk:
Henry Purcell (1659-1695) zählt zu den bedeutendsten Komponisten Grossbritanniens, obwohl er nur 36 Jahre alt wurde. Sein umfangreiches und verdienstvolles Schaffen im Bereich der Vokalmusik trug ihm den Titel ORPHEUS BRITANNICUS ein. DIDO & AENEAS ist seine einzige Oper, die restlichen Vokalwerke wie THE FAIRY QUEEN, KING ARTHUR oder THE INDIAN QUEEN sind Mischformen von Sprech- und Musiktheater. DIDO & AENEAS entstand als Auftragswerk des Tanzlehrers und Leiters eines Mädchenpensionats, Josias Priest. Auffallend ist die extreme Kürze des Werks: Die drei Akte dauern insgesamt nur eine knappe Stunde. Doch diese Komprimierung hat das Beste aus Purcells Kunst hervorgelockt. Der Dirigent Raymond Leppard fasst Purcells wundersame Partitur im Begleitheft zu seiner Schallplatteneinspielung so zusammen: “All this happens in less than an hour, and the intensity with which Purcell expresses the enormously wide spectrum of emotions contained within the story is worthy of Monteverdi himself. Nothing lasts for more than a few minutes, and all is concentrated toward the profound expression of the meanings of the text.” Kurz gesagt: Schönheit und Tiefe! Aufsehenerregend ist Purcells Spiel mit den Tonarten, die Wechsel der Dur- und Moll- Tonarten, um grösstmögliche Differenzierung zu erreichen. Die Arie der Dido am Ende When I'm laid in earth ist nicht nur umwerfend schön, sie scheint Didos Botschaft (gemäss Ulrich Schreiber in seinem ersten Band des OPERNFÜHRERS FÜR FORTGESCHRITTENE geradezu dem Weltgedächtnis einzuhämmern: Nicht Rache ist es, sondern Gedenken (Remember me, but ah! forget my fate.)
Inhalt:
Die Königin von Karthago, Dido, hat nach dem Tod ihres Mannes geschworen, nie mehr zu heiraten und sich nur noch um das Wohl ihres Staates zu kümmern. Doch nun ist Aeneas nach Karthago gekommen, der Held, der nach dem Fall Trojas Richtung Westen geflüchtet war. Dido hat sich in ihn verliebt und leidet nun wegen ihres Schwurs unter Gewissensbissen. Ihre Vertraute Belinda und der Chor versuchen, die Königin aufzuheitern. Schliesslich gibt Dido Aeneas Werben nach.
Die Zauberin hat sich mit den Hexen verschworen, um Dido zu stürzen. Ein Geist in der Verkleidung des Götterboten Merkur soll Aeneas an seine Pflicht erinnern, nach Italien zu segeln und die Stadt Rom zu gründen.
Dido und Aeneas werden auf einem Jagdausflug von einem Gewittersturm überrascht und getrennt. Aeneas trifft auf den von der Zauberin gesandten Geist Merkurs. Aeneas verspricht, sofort nach Italien aufzubrechen. Er weiss aber nicht, wie er das Dido sagen soll.
Die Matrosen machen die Schiffe abfahrbereit - und die Zauberin und die Hexen freuen sich.
Aeneas erklärt Dido unter Tränen, dass er sie verlassen müsse. Doch Dido sagt ihm, das seien bloss Krokodilstränen. Auch als Aeneas verspricht, bleiben zu wollen, schickt sie ihn fort. Allein schon der Gedanke, sie zu verlassen, sei ein Treuebruch gewesen, den sie nicht verzeiht. An Belindas Brust gelehnt fasst sie den Entschluss zur Selbsttötung: Death is now a welcome guest. Die Liebesgötter bestreuen ihr Grab mit Rosen.