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Berlin, Staatsoper: DAS RHEINGOLD, 15.10.2022

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Das Rheingold

copyright: Monika Rittershaus, mit freundlicher Genehmigung Staatsoper Berlin

Vorabend zum Ring des Nibelungen | Musik: Richard Wagner | Textdichtung vom Komponisten | Uraufführung: 22. September 1869 im Nationaltheater, München | Aufführungen in Berlin: 15.10. | 29.10.2022 | 4.4.2023

Kritik:

Bereits nach zwei von vier Ring-Abenden ist für mich klar: Dieser neue RING DES NIBELUNGEN an der Staatsoper Berlin darf, ja MUSS Rezeptionsgeschichte schreiben!

DIE INSZENIERUNG

Der Regisseur Dmitri Tcherniakov dringt mit seiner Arbeit tief in die psychologische und solzialkritische Kernaussage dieses Mammutwerks ein, sieht diese Parabel auf das Walten des Menschen, diese Konflikte zwischen politischer Gebundenheit und das Streben nach dem freien Menschen als ein letztendlich zum Scheitern verdammtes gesellschaftliches Experiment. Und wo finden Experimente statt? Natürlich in Laboren. Der Zwischenvorhang zeigt uns den Plan eines solchen, eines riesigen Komplexes mit dem Namen E.S.C.H.E. Im Innenhof eines der vielen Bühnenbilder, die der Regisseur selbst für diese vier Abende konzipiert hat, steht denn auch eine Esche, Wotans Weltensche, unter deren Zweigen sich die (Labor-) Götter immer wieder zur Beratung treffen. Zum 136 Takte währenden Es-Dur Akkord des Vorspiels sehen wir auf der Leinwand in einem Hörsaal des Laborkomplexes einen Eingriff am Hirn, eine Blutbahn wird verletzt. Wie in Schichten eines MRI wird das Hirn untersucht. einmal meint man gar die Physiognomie Wagners in den sich verändernden Hirnschichten zu erkennen. Aber da kann ich mich auch täuschen, die Idee jedoch wäre gar nicht so schlecht. Die Bühne ist ein ganz besonders eindrückliches Erlebnis. Da fahren die verschiedenen Räume der Forschungsanstalt nicht nur horizontal, sondern auch vertikal auf und über die Bühne. Mal sind wir in einem Raum mit Exponaten, mal in einem marmorverkleideten Sitzungszimmer mit Büsten von Koryphäen, mal erhalten wir Einblicke in Untersuchungsräume, wie zu Beginn, wo Alberich mit diversen Schläuchen an Apparaturen gefesselt ist und die Rheintöchter in Arztkitteln über den Patienten lästern, wie wenn er nicht anwesend wäre. (Kommt uns das bekannt vor aus der Realität?) Alberich reisst sich schliesslich in diesem Schlaflabor von allen Schläuchen los und haut mit dem Schatz der Rheintöchter ab. Dabei handelt es sich nicht um Gold, sondern um wissenschaftliche Aufzeichnungen. ein grosser Verlust für die Firma E.S.C.H.E., denn Wissen ist Macht! Im Nibelheim arbeiten Mime und die anderen nummerierten Nibelungen an Schreibtischen, werden von Alberich bei Erschöpfung oder geahntem Verrat von Geheimnissen brutalst zum Zwangsexerzieren verdonnert. Die Verwandlungen Alberichs zum Riesenwurm oder zur Kröte werden nicht physisch vollzogen, sondern sind erzwungene Illusion. Das ist alles mit fantastischer Präzision bis auf das letzte Lämpchen am Aufzug, der zu Nibelheim runterführt, in Szene gesetzt. Schlicht perfekt! Da ausser dem goldenen Ring ansonsten kein Gold da ist, wird Freias Lösegeld an die Riesen Fasolt und Fafner mit Verträgen bezahlt. Nach dem Brudermord (Fafner ermordet im Streit um den verfluchten Ring seinen Bruder Fasolt) ergötzen sich die Götter unter der Esche an pseudowissenschaftlichen Experimenten (Zaubereien mit viel Pyrotechnik), so wie sie gerade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als Wagner an seinem RING DES NIBELUNGEN arbeitete, gerne in Gesellschaften vorgeführt wurden. Am Ende, wenn sie gemäss Wagners Anweisungen über den Regenbogen nach Walhall schreiten sollten, zaubert der Gott Froh aus einer Stoffblume lange Bahnen in den Farben des Regenbogens. Die Inszenierung Tcherniakovs, in den 60er Jahre Kostümen von Elena Zaytseva, ist in keinem Moment langatmig und so verständlich gemacht, dass man nicht vor lauter Nachdenken über den Sinn von der Musik abgelenkt ist ...

DIE MUSIKALISCHE UMSETZUNG

... denn diese ist so absolut grossartig, dass die Ausführenden am Ende zu Recht in Jubelstürmen baden konnten. Das beginnt mit dem herausragenden Klang der Staatskapelle Berlin unter der Leitung des Dirigenten Thomas Guggeis, der bereits mit seinem kurzfristigen Einspringen für Christoph von Dohnány (Salome) für Furore gesorgt hatte. Sein Dirigat des RHEINGOLDS war von soghafter Kraft und transparentem Gestaltungswillen geprägt - und ausgesprochen sängerfreundlich. Die Durchhörbarkeit des motivischen Materials war exzellent, die Dynamik einfach grossartig. Von diesem jungen Mann wird man noch viel hören, ab 2023 wird er als Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt zu erleben sein.

Michael Volle ist ein Wotan der Spitzenklasse, ein Bariton mit exemplarischer Textgestaltung, einer Phrasierungskunst und einer Tongebung ohne jegliche Ermüdungserscheinungen, schlicht eine WUCHT! Einen besseren Wotan habe ich noch nie gehört.

Seine Gemahlin Fricka, die in der Inszenierung quasi als Ethikbeauftragte des Konzerns angestellt ist (so nannte sie der Dramaturg bei der hörenswerten Einführung im Apollosaal), wurde von Claudia Mahnke mit eindringlicher Bestimmtheit und ohne Keifen interpretiert.

Ich werde und kann nicht in das Villazón - Bashing einiger Kritiker und Blogger einstimmen, die sich ziemlich abschätzig über das Rollendebüt Rolando Villazóns als Loge (seine erste Wagnerpartie) geäussert haben. Ein vereinzeltes Buh aus der Anonymität beim Einzelvorhang ist kein Gradmesser. Villazón agierte diesmal nicht als überkandidelter Clown, sonder gestaltete den Loge mit augenzwinkerndem Humor und akurater stimmlicher Präsenz. Kleinere Ermüdungserscheinungen der Stimme gegen Ende des Abends vermochten den positiven Eindruck nicht zu trüben.

Aber natürlich lag der überwältigende Schwerpunkt der bravourösen Sänger*innengarde bei den tiefen Männerstimmen. Neben Michael Volle brillierten der wunderbare Johannes Martin Kränzle als umwerfend gut singender und gestaltender Alberich und Mika Kares als bassgewaltiger Fasolt (der ein bisschen hergerichtet war wie Guildo Horn), sowie Peter Rose als Fafner. Lauri Vasars Donner war für mich mit ein wenig zu viel Vibrato und Druck gesungen, der helle, wunderschön timbrierte Tenor von Siyabonga Maqungo als Froh machte das Ohr sehr glücklich und froh. Hervorragend gestaltete Stephan Rügamer den Mime (und man freut sich auf SIEGFRIED, wo der Mime dann richtig wichtig wird). Annett Fritsch sang die Göttin Freia mit einer wunderschön aufblühenden Stimme und Evelin Novak, Natalia Skrycka und Anna Lapovskaja begeisterten als klangprächtige, exakt intonierende Rheintöchter. Und last but not least haute einen die Erda von Anna Kissjudit vom Sessel. Was für ein herrlich und voluminös strömender Alt von klanglicher dunkelsamtenen Fülle, kein Wunder, dass Wotan von ihr so beeindruckt ist, dass er den Ring hergeben muss.

Werk:

Richard Wagner beschäftigte sich über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren mit dem Nibelungenstoff. Entstanden ist ein zeitloses, gigantisches Gesamtkunstwerk, mit beinahe 20 Stunden Spieldauer, welches sich über vier Abende erstreckt. Über hundert meisterhaft verarbeitete Leitmotive prägen die Partitur, welche an die Solisten und das Orchester höchste Anforderungen stellt.

Den RING DES NIBELUNGEN kann man immer wieder neu sehen und interpretieren. Er kann eine Apotheose auf das Menschentum sein, eine Kritik an der industrialisierten Gesellschaft, eine politisch-soziale Kritik, eine Entsagung im Sinne Schopenhauers; man kann darin eine Vorwegnahme von Freuds Deutung des Unbewussten erkennen oder andere tiefenpsychologische Exkurse.

Im RING geht es um Machtstreben, Machtmissbrauch, List, Betrug, Entführung, Vergewaltigung, Inzest, Verträge und deren Brüche – und um Liebe.

Wagner hat den Text im konsequent angewandten Stabreim selbst verfasst. Er benutzte als Quelle seiner Inspiration weniger das mittelalterliche Nibelungenlied, sondern griff auf ältere nordisch-germanische Sagen zurück.

Inhalt des Vorabends:

Mit einem Fluch auf die Liebe raubt der Zwerg Alberich den Rheintöchtern das Gold. Daraus lässt er sich von den Nibelungen unter der Leitung seines Bruders Mime einen Tarnhelm sowie einen Ring schmieden, der ihm unermessliche Macht bescheren wird.

Die Riesen Fafner und Fasolt haben den Göttern eine gewaltige Burg gebaut – Walhall. Als Lohn haben sie sich die Göttin Freia ausgehandelt, die ewige Jugend verspricht. Göttervater Wotan jedoch weigert sich, Freie herauszugeben. Loge, der listige Feuergott, bietet den Riesen das Gold des Nibelungen an.

Auf betrügerische Art und Weise bemächtigen sich Wotan und Loge des Goldes und des Ringes. Allerdings heftet Alberich einen fürchterlichen Fluch an den Ring, welcher jeden, der sich seiner bemächtigt, vernichten soll. Der Fluch wirkt: Fafner erschlägt bei der Teilung des Goldschatzes seinen Bruder Fasolt.

Die Erdgöttin Erda prophezeit Wotan das Ende der Götter.

Wotan – voller Sorge über die Prophezeiung – und die Götter schreiten über eine Regenbogenbrücke zur Burg.

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