Berlin, Philharmonie: BERG | SCHOSTAKOWITSCH, 14.10.2010
Berg: Violinkonzert „Dem Andenken eines Engels“ |
Uraufführung: 19. April 1936 in Barcelona |
Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 8 in c-Moll, op. 65 |
Uraufführung: 3. November 1943 in Moskau |
Berliner Philharmoniker |
Dirigent: Andris Nelsons |
Violine: Baiba Skride
Kritik:
Zwei Werke von Komponisten des 20. Jahrhunderts standen auf dem Programm dieses Konzerts in der Philharmonie Berlin. Zwei Komponisten, die sich in ihrer Ausrichtung stark unterscheiden: Berg, der Zwölftontechniker der „Zweiten Wiener Schule“ und Schostakowitsch, der letzte grosse Sinfoniker. Und doch zeigen die aufgeführten Werke Gemeinsamkeiten, beide handeln von der Trauer, vom Leid. Bei Berg ist es die individuelle Trauer über den frühen Tod von Manon Gropius, bei Schostakowitsch ist es die kollektive Trauer über den Schrecken des Krieges.
Andris Nelsons, der Shooting Star unter den jungen Dirigenten (LOHENGRIN in Bayreuth), debütierte ebenso bei den Philharmonikern wie seine Landsfrau, die Lettin Baiba Skride. Mit zartem, berückend reinem Ton spielte sie Bergs von immenser Trauer erfülltes Violinkonzert. Selbst in den „beschwingteren“ Teilen mit ihren Anklängen an Walzer und Volkslied, blieb sie wohltuend zurückhaltend, die Kadenz erklang wie natürlich eingebettet in den brutaleren Ausbruch des Orchesters und der Schluss, mit dem Aufstieg in transzendentale Höhen geriet zur wahren „Himmelsleiter“. Je öfter man dieses Konzert hört, umso bewegter ist man von der tief empfundenen Trauer, welche in Bergs letztem vollendeten Werk steckt. Andris Nelsons und die Berliner Philharmoniker brachten Bergs Musik mit einfühlsam ausbalanciertem, transparentem Klang dar und obwohl Berg das Konzert so geschrieben hatte, dass die Violine in den Gesamtklang integriert sein sollte, schwebte der beglückende Ton von Baiba Skribes Stradivari leicht über dem Orchester. Oft wandte sie sich beim Spiel dem Publikum ab und dem Orchester zu – und gerade dies führte zu einem perfekten Mischklang. Mit einem Solostück von Bach, welches stimmig an den im Violinkonzert eingearbeiteten Choral „Es ist genug“ anschloss, schenkte die Violinisten dem begeisterten Publikum eine wunderbare Zugabe.
Ebenso sanft begann nach der Pause Schostakowitschs Sinfonie Nr. 8. Das streng symmetrisch aufgebaute Werk (der erste Satz dauert gleich lang wie die Sätze 3-5, dazwischen liegt ein kurzes Allegretto) erzählt im ersten Teil vom Leid, welches der Krieg über Land und Menschen gebracht hat. Die Berliner Philharmoniker glänzten mit beeindruckenden Einzelleistungen (Englischhorn, Fagott, Pauken, Blechbläser), schilderten melancholisch die Weite der russischen Landschaft und die hereinbrechenden, grotesken Fratzen des Krieges. Andris Nelsons ist kein Dirigent, welcher mit ruhiger Hand das Orchester führt, er ist ein Tänzer und Gestalter, die Musik fliesst durch ihn durch, die Spannung baut sich sichtbar in seinem gesamten Körper auf und entlädt sich mit ausgreifenden Bewegungen, wenn nötig springt er auch mal hoch, wiegt sich dann wieder wie eine Pappel im Wind. Wenn man ihm zuschaut, erlebt man die Kraft der Musik beinahe körperlich mit. Das Ergebnis ist überwältigend: Der lange erste Satz lässt an Spannung nie nach, das Martialische des dritten erklingt laut, sehr laut, aber nicht lärmig, das anschliessende Largo ist wiederum geprägt von einer dumpfen Traurigkeit, bevor dann leise Hoffnung auf eine bessere Welt im gedämpften C-Dur – Finale aufkeimt. Schostakowitsch hat, obwohl 1943 die Sowjetarmee erste Erfolge feiern konnte (Stalingrad), kein Jubelwerk mit schmetterndem Finale geschrieben, wie es die Sowjetführung erwartet hatte, sondern eine stellenweise beinahe intime Sinfonie, welche den Krieg nicht verklärt, sondern in den Mittelsätzen die hässliche, banale Seite aufdeckt und in den Ecksätzen Trauer und bescheidene Hoffnung abbildet. Diese Stimmungen zu transportieren ist dem Orchester und dem Dirigenten vortrefflich gelungen.