Berlin, Konzerthaus: WIENER PHILHARMONIKER | MUTI, 18.12.2018
Wolfgang Amadeus Mozart: Konzert für Flöte und Orchester in G-Dur, KV 313 | Komponiert im Januar 1778 in Mannheim | Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 7 in E-Dur | Uraufführung: 30. Dezember 1884 in Leipzig | Dieses Konzert in Berlin: 18.12.2018
Kritik:
In einer 10 Tage dauernden Hommage an die Wiener Philharmoniker (14. bis 23. Dezember) würdigt das Konzerthaus Berlin die Zusammenarbeit mit diesem weltberühmten Orchester. 1842 vom Komponisten Otto Nicolai (u.a. DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR) gegründet, gelangte das Orchester bald zu einem einzigartigen Ruf und erreichte dann Kultstatus, nicht nur wegen der weltweit übertragenen Neujahrskonzerte. 1984 gastierten die Wiener Philharmoniker erstmals im wiedereröffneten Konzerthaus am Gendarmenmarkt (damals noch Schauspielhaus) unter Leonard Bernstein, dessen 100. Geburtstag dieses Jahr begangen wird. Er hatte darauf bestanden, die Generalprobe für die Bürger der DDR zu öffnen. Seither gastierten die Wiener 14 mal am Gendarmenmarkt, dreimal davon unter Maestro Riccardo Muti, der auch das gestrige Programm leitete und mit Werken von Mozart und Bruckner zwei Säulen des Repertoires der Wiener Philharmoniker dirigierte. Während Mozart von Anfang an einen wichtigen Platz in den Konzerten der Wiener einnahm, hatte es Anton Bruckner bedeutend schwieriger, sich in Wien durchzusetzen. So verließ zum Beispiel das Publikum geradezu reihenweise den Saal, während Bruckner seine dritte Sinfonie mit den „Wienern“ dirigierte. Nach der erfolgreichen Uraufführung der siebten Sinfonie in Leipzig allerdings wendete sich das Blatt zugunsten des nun schon über 60jährigen Meisters. Trotzdem blieb die Aufführungszahl von Bruckners Werken in den Abonnementskonzerten der Wiener Philharmoniker deutlich hinter der seines Antipoden Johannes Brahms zurück. Heutzutage jedoch erntet eine Brahms Sinfonie kaum je solche Jubelstürme, wie sie sich nach den meist Apotheose artigen Steigerungen am Ende einer Brucknerschen einstellen. So auch gestern Abend im Konzerthaus, wo die Wiener Philharmoniker und Maestro Muti euphorisch gefeiert wurden. Dabei hatte Riccardo Muti bei dieser „spirituellen Reise“ (so charakterisiert er selbst im Programmheft das Dirigieren einer Bruckner-Sinfonie) in seiner gewohnt sehr analytischen und genauen Art der Interpretation überhaupt nicht auf Effekthascherei spielen lassen. Er nahm sich Zeit für Bruckner (beinahe 72 Minuten), mehr Zeit als Dirigenten wie Karajan, Haitink oder Bruno Walter, die so bei 65 Minuten liegen. Nur Celibidache nahm sich in seiner Aufnahme mit beinahe 80 Minuten noch mehr Zeit. Doch trotz der eher langsamen Gangart riss der Spannungsbogen nicht ab, im Gegenteil. Da war alles ganz genau ausgehorcht, die Musiker*innen hatte Raum, die Phrasen auszumusizieren, die wunderbaren Crescendi erklangen mit begeisternder Transparenz des Gesamtklangs, wirkten nie fett oder überhastet. Und das Ohr wurde ihrer dank der subtil abgestuften Dynamik auch nicht müde. Herrlich der Einstieg in den ersten Satz zum Beispiel, wo die Celli über den tremolierenden Geigen mit satter Wärme das Hauptthema intonieren. Oder die wunderbar genau gespielte Überleitung von der Durchführung in die Reprise mit dem durch Doppelpaukenwirbel unterstützten Kulminationspunkt, der wahrlich erhebend klang. Phantastisch darauf die Intonationsgenauigkeit der vier Wagnertuben im Adagio. Hier setzte Muti eine zarte Sachlichkeit der Interpretation durch, drückte nicht auf die emotionale Drüse, was dieser wunderschönen, tieftraurigen Musik sehr gut bekam. Man hätte erwarten können, dass Muti den Beckenschlag (den Bruckner ja nur auf Anraten eines Freundes einsetzte, dann mehrmals wieder strich und wieder einfügte) auf dem Höhepunkt des langsamen Satzes vielleicht nicht spielen lässt. Doch gefehlt: Der Beckenschlag war da. Und er gehört auch dahin. Erstaunlich bei Muti, dass er auch in dieser komplexen Sinfonie, die so viel an Koordination erfordert, immer mal wieder auf Zeichengebung verzichten konnte (wie zuvor bei Mozart), so vertraut sind Orchester und Stardirigent unterdessen miteinander. Muti ist auch Ehrenmitglied der Wiener Philharmoniker. Nach diesem erschütternden Kulminationspunkt folgte die Beruhigung in der erneut von den Wagnertuben geprägten Coda. Zu den Wagnertuben gesellte sich auch das ebenso exzellent und sauber intonierende Hornquartett. Auch das Scherzo wirkte unter Mutis Leitung in keinem Moment überhastet, die gleißenden Trompeten, die Posaunen und die rasenden Pauken donnerten trotzdem fulminant in den Saal. Wunderbar wiegend das eingefügte Trio, bevor dann das rhythmisch prägnante Scherzomotiv den Satz zum Abschluss brachte. Sehr schön gelang den Wiener Philharmonikern die Wendung der Themen ins Bejahende im Finale, auch da wurde die Satzbezeichnung Bruckners (Bewegt, doch nicht schnell) sehr ernst genommen, die zarten Streicherpassagen kontrastierten phantastisch mit den schneidenden Einschüben des Blechs. In Bruckners Sinfonie war es oft die Flöte, welche das aufgewühlte Orchester wieder in ruhigere Bahnen lenkte. Die Flöte stand dann auch im Zentrum des Werks, das vor der Pause gespielt wurde, nämlich Mozarts einziges original für Flöte komponiertes Konzert, das in G-Dur KV 313, mit dem Soloflötisten der Wiener Philharmoniker, Karl-Heinz Schütz. Faszinierend waren die Klangschattierungen, welche er seinem Instrument entlockte. Mit fein gesetzten Staccati, wunderbaren Echowirkungen, glanzvoll virtuosen Läufen und sauberen Trillern zeigte er die Möglichkeiten des Instruments. Ausgesprochen harmonisch klang das Zusammenspiel, das Dialogisieren mit seinen Kollegen im langsamen Satz, in dem auch die Zartheit der sordierten Streicher aufhorchen ließ. Betörend sicher gelangen die absteigenden Läufe in der kleinen Kadenz dieses Satzes, traumhaft schön verklang er. Perfekt war die Einbettung der Soloflöte im dritten Satz, einem hübschen Rondo.
Mozart überzeugt auch in seinem Flötenkonzert mit seinem melodischen Einfallsreichtum und seiner Stilsicherheit. Viele Dirigenten wählen ja gefälligen Mozart als Einstieg in einen Abend, in dem eine Bruckner-Sinfonie im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Meines Erachtens eine zwiespältige Angelegenheit. Mit seiner Zugabe zeigte der Flötist, welchen etwas mutigeren, spannenderen Weg man eben auch einschlagen könnte: Karl-Heinz Schütz spielte nämlich Arthur Honeggers Danse de la chèvre. Und wie! Da kam er, der WOW Effekt, den man selbst nach dem Gigantismus von Bruckners Siebenter noch im Ohr hatte. Gerade im Umkreis von Kompositionen des 20. Jahrhunderts ließen sich Alternativen für den ersten Konzertteil finden.
Die Wiener Philharmoniker sind im Rahmen dieser Hommage noch kommenden Freitag im Konzerthaus zu erleben, dann spielen sie unter der Leitung von Franz Welser-Möst ein reines Brahms-Programm, das Doppelkonzert und die zweite Sinfonie des Antipoden Bruckners.
Werke:
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) hegte bekanntermassen eine gewisse Abneigung gegen die Flöte. So schrieb der 22jährige in einem Brief an seinen Vater: „ ... Dann bin ich auch, wie Sie wissen, gleich stuff, wenn ich immer für ein Instrument (das ich nicht leiden kann) schreiben muss.“
Trotzdem (und natürlich auch, weil im dafür 2000 Gulden versprochen worden waren) schrieb er für den Amateur De Jean zwei Flötenkonzerte und Kammermusik, wobei nur KV 313 original für die Flöte geschrieben wurde und KV 314 ein für die Flöte umgearbeitetes Oboenkonzert war. Aber den beiden Konzerten ist die Abneigung des Komponisten gegen das Instrument überhaupt nicht anzumerken, da zu war Mozart natürlich auch zu stolz, denn er wollte nicht einfach 0815 Gebrauchsmusik schreiben. An seinen Vater schrieb er: „ Hinschmieren könnte ich freylich den ganzen Tag fort, aber so eine Sach kommt in die Welt hinaus und da will ich halt, dass ich mich nicht schämen darf, wenn mein Name darauf steht.“ Für den langsamen Satz, das Adagio non troppo, schrieb er übrigens mit KV 315 eine Alternativversion.
Das Flötenkonzert in G-Dur ist von einer fröhlichen Grundstimmung geprägt. Munter werden die Melodien zwischen Soloinstrument und Orchester hin- und hergeworfen. Beseelt tritt das Adagio dazwischen, bevor dann im finalen Rondo auch ab und an Couplets in Moll aufscheinen, die dann aber schnell vom bejahenden G-Dur verdrängt werden.
Anton Bruckner (1824-1896) bekam seine verdiente Anerkennung als Komponist erst in seinen letzten Lebensjahren. Die siebte Sinfonie war die erste, welche zu seinen Lebzeiten einen durchschlagenden Erfolg erzielte und die bösen konservativen Kritiker um den scharfzüngigen Eduard Hanslick endlich etwas zum Verstummen brachte, obwohl Hanslick auch weiterhin über Bruckner lästerte. Bruckners Siebente gehört heute zu den am häufigsten aufgeführten Sinfonien des Meisters aus St.Florian. Nach der Uraufführung verbreitete sich dieses grandiose Werk bald in den musikalischen Zentren Europas und in Übersee. Die Beliebtheit dieser Sinfonie erklärt sich nicht aus ihrer Architektur, denn in ihren gigantischen Ausmassen unterscheidet sie sich kaum von Bruckners anderen Werken. Doch muten die Motive einprägsamer an, der Fluss ist kaum durch die von Bruckner so gern eingefügten Generalpausen unterbrochen, die Melodien erscheinen oft sehr hell, beinahe ätherisch und lieblich. Dadurch liegt sie nahe bei seiner vierten Sinfonie, der romantischen. Im Gegensatz zu seinen anderen Sinfonien liegt die siebente nur in einer Fassung vor.
Erwähnenswert ist insbesondere das wunderbare Adagio: Hier hat Bruckner seine Vorahnung des Todes seines Idols Richard Wagner in Töne gesetzt. Und tatsächlich erreichte ihn die Nachricht vom Tode Wagners mitten in der Komposition dieses Satzes. In der Coda mit ihren Tuben- und Hörnerklängen hat er dieses „Andenken an des Meisters Hinscheiden“ verarbeitet. Was Hanslick noch als „krankhafte Übersteigerung des Ausdrucks“ und als „unnatürlich und aufgeblasen“ bezeichnete, hören wir heute ganz anders: Der Brucknersche Klangkosmos mit seiner Intensität, seiner aufwallenden Ekstatik, seiner gewagten Harmonik, seiner weihevollen Feierlichkeit und den jubelnden und erhabenen Schlüssen löst in den Konzertsälen rund um die Welt stets Begeisterungsstürme aus.