Berlin, DOB: LADY MACBETH VON MZENSK, 31.01.2015
Oper in neun Bildern | Musik: Dmitry Schostakowitsch | Libretto: Alexander G.Preis und vom Komponisten, nach einer Novelle von Leskow | Uraufführung: 22.Januar 1934 in Leningrad | Aufführungen in Berlin: 25.1. | 29.1. | 31.1. | 5.2. | 14.2.2015
Kritik:
So muss Oper sein: Packend, von nie nachlassender szenischer und musikalischer Spannung geprägt, atmosphärisch dicht, von herausragender musikalischer Qualität und exzellent besetzt von den Hauptrollen bis in die Nebenrollen, mit einem spielfreudig agierenden und herrlich präzise singenden Chor (Eindstudierung: William Spaulding) und einem hervorragend spielenden Orchester. Dies alles schafft die Neuproduktion von Schostakowitschs LADY MACBETH VON MZENSK an der Deutschen Oper Berlin (in Koproduktion mit Den Norske Opera, Oslo).
Erlend Birkeland hat eine auf den ersten Blick simple, aber ungemein stimmige Lösung für das Bühnenbild gefunden: Auf einer norwegischen Schäre steht ein Haus (nur aus zwei Wänden bestehend, dadurch wird durch das Drehen auch ein „Innenraum“ bespielbar). Auf dieser Insel ist Katerina Ismailowa (Evelyn Herlitzius) wie gefangen, ausweglos der Langeweile und den despotischen Launen ihres Schwiegervaters (SirJohn Tomlinson) ausgesetzt. Als ihr schwächlicher Ehemann (Thomas Blondelle) wegen eines Dammbruchs zu einem entfernten Lagerhaus geschickt wird, sieht Katerina im vor Testosteron nur so strotzenden neuen Arbeiter Sergej (Maxim Aksenov) ihre letzte Chance zu sexueller Erfüllung. Doch der Schwiegervater erwischt Sergej nach dem Sexualakt, peitscht ihn halbtot und sperrt ihn ein. Daraufhin vergiftet Katerina ihren Schwiegervater, ermordet den später zurückkehrenden Ehemann und heiratet Sergej. Doch das Glück ist von kurzer Dauer: Die Leiche wird entdeckt, Sergej und Katerina kommen ins Straflager. Dort fängt Sergej ein Verhältnis mit einer anderen Gefangenen an (Dana Beth Miller). Katerina reißt diese mit in ihren Freitod. Regisseur Ole Anders Tandberg bringt uns diese tragische Handlung mit plastischem Realismus nahe. Die Story erträgt auch die Verpflanzung der Handlung von der russischen in die norwegische Abgeschiedenheit. Die brutale, rohe Geilheit dieser Männer, welche in der Einsamkeit der Landschaft und durch ihren harten Job abstumpfen, wird dem Publikum drastisch vorgeführt. Symbolhaft werden die riesigen, omnipräsenten Dorsche für erstarkende und erschlaffende männliche Glieder oder als Zeichen von Gefühlskälte eingesetzt. Auch für die grotesk-sarkastischen Szenen findet Tandberg überaus adäquate Lösungen: So für die Polizisten, welche sich im Synchronbügeln ihrer Uniformhosen üben und dabei den Strom fürs Bügeleisen aus ihren Lenden beziehen. Herrlich! Die aus 14 Blechbläsern bestehende Banda, welche an entscheidenden Stellen über die Bühne marschiert und mit ihren grellen Klängen dem Geschehen besondere, eindringliche Effekte verleiht, lässt der Regisseur als Mädchenkapelle (Kostüme: Maria Geber) auftreten. Auch Katerina wird in ihrer Jugend wohl einmal Mitglied einer solchen Kapelle gewesen sein. Grandios gelingt auch der vierte Akt, der Weg ins Straflager: In einer Mischung aus Endzeitstimmung und beinahe biblischer Szenerie wird das unendliche Leiden fühlbar. Auch in dieser Szene beeindruckt die klug durchdachte, stimmungsvolle Lichtdramaturgie (Ellen Ruge).
Als Interpretin der Titelpartie erlebt man Evelyn Herlitzius mit einer wahrlich unter die Haut gehenden Leistung. Mit jeder Faser ihres Körpers, mit jeder Phrase ihres überaus biegsamen Soprans gestaltet sie die anspruchsvolle Rolle. Äußerst differenziert in ihrer Dynamik, vom melancholischen Sehnen nach einem besseren Leben, nach sexueller Erfüllung bis zur ekstatisch ihre Selbstbestimmung einfordernden Frau. Sie schafft es mit großer Eindringlichkeit, den Intentionen des Komponisten gerecht zu werden, nämlich dass man einfach Sympathie für die dreifache Mörderin empfinden muss. Fantastisch gestaltet sie ihre heuchlerische Totenklage über den Tod des Boris, mit Tönen, die durch Mark und Bein gehen, um gleich darauf mit liebevoll zärtlichem Gesang ihrem Sergej in einer Art Pietà-Pose die Wunden zu waschen. Maxim Aksenov ist ein sehr glaubwürdiger Sergej, dem es (neben all seinen unsympathischen Charakterzügen) auch gelingt, den weichen Kern, die sensible Seite dieses Womanizers auszudrücken. Vom Publikum zu Recht besonders gefeiert wurde Sir John Tomlinson für seine großartige Gestaltung des grausamen und altersgeilen Schwiegervaters Boris Ismailow. Sein ganz unter der Fuchtel des Vaters stehender Sohn Sinowij wird von Thomas Blondelle mit hellem, schön timbriertem Tenor gesungen. Wie erwähnt sind auch die Nebenrollen mit herausragenden Kräften besetzt: So der mit profundem Bass (welch prachtvolle Stimme) aufwartende Pope von Tobias Kehrer, die mit spitzen Schreien aufwartende Aksanja von Nadine Secunde, welche auch noch die Zwangsarbeiterin im letzten Bild singt. Eindrücklich auch der der Polizeichef von Seth Carico, der Schäbige von Edward Mout und die einfühlsame Interpretation des Alten Zwangsarbeiters durch Stephen Bronk. Dana Beth Miller lässt mit ihrem interessant timbrierten Mezzosopran als Sonjetka aufhorchen.
Donald Runnicles am Pult des Orchesters der Deutschen Oper Berlin führt mit einem ausgeprägten Gespür für die Stimmungswechsel und eine ausgeklügelte Disposition des Klangs durch die Partitur. Die Introduktion zum vierten Akt beispielsweise ist eine Wucht. Die farbenreiche Instrumentierung Schostakowitschs wird vom Orchester hervorragend umgesetzt, da hat Schrilles, Komisch-Groteskes aber auch Melancholisches und Rührendes seinen Platz.
Fazit: Nicht verpassen, spannungsgeladenes Musiktheater!
Inhalt:
Die junge, lebenslustige Katerina langweilt sich an der Seite ihres Ehemanns Sinowi, welcher seinem despotischen Vater hörig ist, der ebenfalls im gemeinsamen Haushalt lebt. Während einer Abwesenheit ihres Ehemanns lässt sich Katerina mit dem attraktiven, ruchlosen Protz Sergej ein, einem primitiven Schürzenjäger. Katerinas Schwiegervater Boris erwischt Sergej, als er quasi mit heruntergelassener Hose Katerinas Zimmer verlässt. Boris prügelt Sergej fast zu Tode. Davon hat Boris Hunger gekriegt und Katerina muss ihm noch ein Mahl zubereiten. Sie mischt Rattengift ins Pilzgericht. Boris stirbt. Noch fällt kein Verdacht auf Katerina. Sergej verbringt von nun an die Nächte in Katerinas Bett. Als Sinowi unerwartet zurückkehrt, wird er von Sergej und Katerina umgebracht. Die Leiche verstecken sie im Keller. Katerina wäre nun frei, Sergej zu heiraten. Aber noch während das Aufgebot bestellt wird, entdeckt ein betrunkener Bauer auf der Suche nach mehr Wodka die Leiche Sinowis im Keller. Die Gendarmen sind erbost darüber, dass sie von Katerina nicht zur bevorstehenden Hochzeit eingeladen wurden. Aus Langeweile verprügeln sie schon mal einen vermeintlichen Nihilisten. Der betrunkene Bauer erscheint auf dem Revier und schreckt die Gendarmen mit seinem Bericht auf. Während des Hochzeitsfestes bemerkt Katerina, dass die Kellertüre offen steht. Für eine Flucht ist es zu spät. Katerina gesteht die Tat und wird ebenso abgeführt wie der zuvor von den Gendarmen misshandelte Sergej. Katerina und Sergej sind auf dem Weg ins Strafgefangenenlager in Sibirien. Sergej hat sich längst von Katerina ab- und der schönen Sonjetka zugewandt. Beide verspotten Katerina. Diese reisst bei ihrem Selbstmord Sonjetka mit in die Fluten des Sees. Die Oper endet mit der Frage des alten Gefangenen: „Warum ist unser Leben so düster? Sind wir für ein solches Leben geboren?“
Werk:
Leskows Schauerstück war den stalinistischen Machthabern eigentlich ein Dorn im Auge, denn die weibliche Selbstbestimmung in sexuellen Fragen war (nach kurzem Tauwetter zur Zeit der Revolution) wieder auf den Stand des zaristischen Regimes zurückgekehrt. Deshalb wurde schon von Anbeginn weg Schostakowitschs Wahl des Stoffes kritisiert. Schostakowitsch selbst begründete die Wahl folgendermassen: „Sie [die Oper] handelt auch davon, wie Liebe sein könnte, wenn nicht ringsum Schlechtigkeit herrschte. An diesen Schlechtigkeiten ringsum geht die Liebe zugrunde. An den Gesetzen, am Besitzdenken, an der Geldgier, an der Polizeimaschinerie. Wären die Verhältnisse anders, wäre auch die Liebe eine andere.“ (Aus seinen Memoiren, Hg.S. Wolkow)
Die Zensurbehörde liess das Werk schliesslich zu, es kam gar zu zwei (äusserst erfolgreichen!) Uraufführungen, in Leningrad und zwei Tage später in Moskau. Als Stalin allerdings zwei Jahre später, 1938, im Bolschoi eine Aufführung besuchte und diese wutentbrannt verliess, erschien tags darauf in der Prawda ein unsäglicher Verriss. Daraufhin wurden alle Aufführungen gestoppt, die Oper verschwand von sämtlichen Spielplänen in der Sowjetunion. Schostakowitsch selbst musste um sein Leben fürchten, schrieb nie wieder eine Oper und passte sich (vermeintlich) mit seinen Kompositionen den Erfordernissen der sowjetischen Kulturpolitik an. Erst unter Chruschtschow überarbeitete er im Jahre 1963 seine Partitur, entschärfte anrüchige Textpassagen und zuvor kritisierte musikalische Schärfen. Diese quasi weichgespülte Fassung erklang im Opernhaus Zürich während der Intendanz Pereira im Jahr 2005. Nun kehrt man richtigerweise wieder zur Originalversion von 1934 zurück.
Die Oper richtet den Fokus zwar stark auf die Titelfigur (und gibt dieser auch empfindsame Ariosi zu singen, in denen sie ihrer Langeweile und der Sehnsucht nach körperlicher Liebe Ausdruck zu geben vermag). Daneben ist jedoch auch die lange Szene, in welcher der korrupte Polizei- und Beamtenapparat karikiert wird, erwähnenswert. Diese Szene könnte für Stalin und seine Schergen ebenfalls Anlass für ihren Ärger gewesen sein.
Schostakowitsch zeichnet mit grellen, kühnen, grotesk-faszinierenden und expressiven musikalischen Mitteln das Portrait einer Frau (und ihrem Umfeld), welche zwar Täterin aber vor allem auch Opfer ist, ein Opfer der Langeweile, der Dumpfheit und Brutalität ihrer Umgebung. Quasi die russische Antwort auf den italienischen Verismo.