Berlin, Deutsche Oper: LA GIOCONDA, 01.07.2018
Oper in vier Akten | Musik: Amilcare Ponchielli | Libretto: Arrigo Boito, unter dem Anagramm Tobia Gorria, nach Victor Hugos ANGELO, TYRAN DE PADOUE | Uraufführung: 8 April 1876 in Mailand | Aufführungen in Berlin: 28.6. | 1.7. | 4.7. | 7.7.2018
Kritik:
Von Amilcare Ponchiellis knapp einem Dutzend Opern hat sich nur eine einzige wirklich durchgesetzt, nämlich LA GIOCONDA. Doch auch sie wird (aus welchen Gründen auch immer) nicht mehr allzu häufig aufgeführt. Deshalb ist man immer dankbar, wenn dieses Werk der brodelnden Leidenschaften auf einem Spielplan erscheint. Und wenn die zwar etwas hanebüchene, aber durchaus spannende Geschichte dann auch noch in einem an originale Dekorationen aus der Uraufführungszeit angelehnten Bühnenbild präsentiert wird, könnte das Glück der aficionados der italienischen Oper kaum vollkommener sein. Zu diesen vollkommenen Glücksgefühlen bräuchte es allerdings eine Besetzung der Hauptpartien, welcher es auch in einer sehr statischen, dekorativen Inszenierung gelänge, in die Charaktere einzutauchen, mit vokalem Glanz und engagiertem Spiel die dem Werk inhärenten Emotionen zu transportieren. Dies war an diesem Abend in der Deutschen Oper Berlin leider nur sehr eingeschränkt der Fall. Die Interpretin der Titelpartie, die chinesische Sopranistin Hui He, hat die Partie bereits vor vier Jahren in Berlin gesungen und stand nun auch für diese Wiederaufnahme zur Verfügung. Leider schien das diesmal nicht so ganz ihr Abend gewesen zu sein, darstellerisch blieb sie (wie eigentlich alle Protagonisten) ausserordentlich steif und unbeteiligt, gesanglich zeigten sich zwar immer wieder schöne, herrlich gerundete Passagen und die Kraft, über den Ensembles zu strahlen, daneben aber auch Unausgeglichenheiten in der Linienführung, schwankende Intonationsgenauigkeit. Ihre Gegenspielerin (der sie dann jedoch das Leben rettet) um die Gunst von Enzo, Laura, konnte auch nicht überzeugen. Daniela Barcellonas lauter Mezzosopran war für die Partie ungeeignet, da die Stimme viel zu reif, stellenweise zu brüchig, zu vordergründig und viel zu wenig verführerisch klang. Auch sie darstellerisch trotz ihrer Körpergrösse mit wenig Präsenz agierend. Noch schlimmer stand es um den tenoralen Liebhaber, den Enzo von Alfred Kim: Er spulte die Rolle in einem Einheitsforte ab, höhensicher und bruchlos zwar, jedoch auch er mit einem stellenweise sehr unangenehm schnarrenden Timbre. Viel Kraftprotzerei, zwar effektvoll, aber ohne wirklich den Charakter der Partie zu durchdringen. Entschieden besser war es um die tieferen Stimmen bestellt: Judit Kutasi war eine beeindruckende Cieca, das Arioso Voce di donna mit viel Gefühl berührend intoniert, schlicht, unforciert und gerade dadurch den verlangten Effekt erzielend. George Gagnidze sang einen wunderbar fiesen Barnaba, er zeigte auch darstellerisch in Ansätzen, was in dieser museal anmutenden Produktion an Charakterzeichnung möglich gewesen wäre. Musikalisch überzeugte auch Nicolas Testé als Lauras gehörnter und rachsüchtiger Gemahl Alvise mit elegantem Bass, aber auch er kam kaum über traditionelle Operngestik hinaus. Die kleineren Partien waren solide mit Mitgliedern des Ensembles besetzt.
Die Aufführung in diesen gemalten, das Lokalkolorit Venedigs genau einfangenden vier Bühnenbildern erfordert drei lange Umbaupausen. Die auf Papier gemalten Kulissen sind äusserst empfindlich und müssen deshalb mit allergrösster Sorgfalt behandelt werden. Dies ist dann halt die Kehrseite des Ausstattungstheaters – der Abend dauerte beinahe fünf Stunden. Zum Teil lag die Länge wahrscheinlich auch am Dirigenten Pinchas Steinberg, der oft sehr breite Tempi wählte. Dadurch vernahm man zwar einige Finessen der Orchestration, doch wurde dem Werk auch etwas an Drive vorenthalten. Herrlich allerdings spielte das Orchester der Deutschen Oper Berlin, so z.B. in der Balletteinlage, dem berühmten Tanz der Stunden. Das perlte und glitzerte, da war ein präzises Zusammenspiel zu erleben, eine Präzision, die man gerne auf die Ballerinen auf der Bühne überschwappen gesehen hätte. Im Tanz der Stunden hatte die für diese Choreographie verantwortliche Gudrun Leben ja versucht, die Dreiecksgeschichte um Laura den Gästen in der Ca'd'Oro zu präsentieren.
Nun, die Inszenierung hat 44 Jahre auf dem Buckel und das Publikum scheint sich nach wie vor an den sehr detailreichen Kulissenmalereien mit ihren fantastischen Tiefeneffekten zu erfreuen. Es gab häufig Szenenapplaus, wenn der Vorhang sich öffnete, man musste den Sitznachbarn berichten, was man alles sieht und sichtet, das Smartphone zücken und gar mit Blitzlicht fotografieren ... Ausserdem schien wieder einmal die Sommergrippe gnadenlos zugeschlagen zu haben, was dem Operngenuss auch nicht eben förderlich war.
Inhalt:
Hochdramatisches Liebeskarussell: Barnaba liebt Gioconda, Gioconda aber liebt Enzo, doch Enzo liebt Laura, aber Laura ist mit Alvise verheiratet ...
Der Spitzel der Inquisition, Barnaba, begehrt die schöne Strassensängerin Gioconda, wird von ihr jedoch zurückgewiesen. Aus Rache verleumdet er Giocondas blinde Mutter als Hexe. Die Meute wittert Blut und will die alte Frau auf dem Scheiterhaufen sehen. Der Inquisitor Alvise erscheint mit seiner Frau Laura, welche in der Hand der blinden Alten einen Rosenkranz entdeckt und so die Freilassung von Giocondas Mutter erwirkt. Laura erhält von der Blinden den Rosenkranz. Barnaba schmiedet bereits neue Rachepläne. Er erkennt in Giocondas Begleiter den aus Venedig verbannten Fürsten Enzo Grimaldo aus Genua, welcher Lauras Geliebter war, bevor diese mit Alvise zwangsverheiratet wurde. Barnaba macht sich an Enzo heran und verspricht ihm ein Rendezvous mit Laura zu arrangieren. Gleich danach schreibt Barnabo einen Denunziatonsbrief, in welchem er Laura und Enzo des Staatsverrats bezichtigt. Gioconda hat alles mitangehört. Sie ist verzweifelt über Enzos Untreue.
Enzo und Laura treffen sich auf Enzos Schiff und beschliessen die gemeinsame Flucht. Gioconda taucht auf und liefert sich mit Laura ein aufpeitschendes Eifersuchtsduett. Alvise nähert sich ebenfalls. Laura nimmt den Rosenkranz hervor, Gioconda erkennt in ihr die Frau, welche ihrer Mutter das Leben gerettet hat und verhilft ihr zur Flucht. Enzo zündet sein Schiff an und rettet sich mit einem Sprung in die Fluten.
In Alvises Palast wird gefeiert und getanzt (Tanz der Stunden). Alvise fordert Laura auf, sich mit Gift selbst zu töten. Gioconda vertauscht die Flacons, Laura sinkt in einen tiefen Schlaf. Barnaba zerrt die blinde Alte in den Raum, welche für Lauras Seele beten soll. Die Totenglöcke läutet. Alvise bestätigt Lauras Treuebruch und ihren Tod. Enzo will sich auf Alvise stürzen, wird jedoch festgenommen. Gioconda will sich Barnaba hingeben, wenn dieser hilft, Enzo zu befreien.
Gioconda hat sich auf die Insel Giudecca zurückgezogen. Die scheintote Laura wird zu ihr gebracht. Gioconda kann der Versuchung widerstehen, die Rivalin ins Jenseits zu befördern. Enzo wurde befreit. Er macht Gioconda Vorwürfe, dass sie den Leichnam Lauras durch die Exhumierung entehrt habe. Als Laura jedoch erwacht, erkennt Enzo Giocondas Selbstlosigkeit. Laura und Enzo können endlich gemeinsam aus Venedig fliehen. Barnaba will seinen „Lohn“ erhalten, doch Gioconda wählt lieber den Freitod durch den Dolch. Zum Glück kann sie die letzten Worte Barnabas nicht mehr hören: Ier tua madre m' ha offeso! Io l' ho affogata! (Deine Mutter hat mich gestern beleidigt, ich habe sie ersäuft!)
Werk:
Amilcare Ponchielli (1834-1886) kennt man heute nur noch dank seiner Oper LA GIOCONDA, aus welcher die Balletteinlage DER TANZ DER STUNDEN ein Wunschkonzert-Hit wurde. Er schrieb insgesamt jedoch ein gutes Dutzend Opern und war auch der Lehrer Puccinis und Mascagnis am Mailänder Konservatorium.
Die Operntauglichkeit von Victor Hugos Schauerdramen hatten schon Komponisten wie Donizetti (LUCREZIA BORGIA) und Giuseppe Verdi (ERNANI, RIGOLETTO) erkannt. Interessant ist, dass der renommierte Arrigo Boito (der Komponist des MEFISTOFELE und Librettist für Verdis OTELLO und FALSTAFF) das Textbuch für Ponchiellis Oper unter einem Pseudonym schrieb. Vielleicht war ihm als aufgeschlossenem Intellektuellen die Anlehnung an die opulente Ausstattungsoper im Stile eines Eugene Scribe peinlich.
LA GIOCONDA wird von Musikkritikern oft ignoriert oder höchstens in Nebensätzen abgehandelt und eher belächelt. Dabei ist die Musik von einer ungeheuren Wucht. Mitreissende, hochdramatische Szenen peitschen die Handlung voran, erzeugen einen packenden Klangstrudel von sprühender Italianità. Die Oper erfordert opulente Stimmen und bietet dankbare Partien. Die Titelrolle erfreute und erfreut sich bei vielen Sopranistinnen des spinto-Fachs grösster Beliebtheit: Callas, Tebaldi, Cerquetti, Caballé, Scotto, Bumbry, Marton, Urmana ... Die grosse Tenorarie Cielo e mar gehörte zu Carusos Paradestücken. Walt Disney hat dem TANZ DER STUNDEN durch seinen Zeichentrickfilm FANTASIA zu zusätzlicher Popularität verholfen.