Basel: WOZZECK, 19.09.2011
Oper in drei Akten mit 15 Szenen | Musik und Text: Alban Berg, nach Büchners Dramenfragment WOYZECK | Uraufführung: 14. Dezember 1925 in Berlin | Aufführungen in Basel: 17.9. | 19.9. | 23.9. | 25.9. | 9.10. | 12.10. | 15.10. | 1.11. | 3.11. | 26.11 | 3.12. | 17.12. | 19.12 | 27.12.2011 | 3.1.2012
Kritik:
Wie sagte doch Alban Berg 1928 über seine Oper WOZZECK (Zitat): „ ... darf es im Publikum keinen geben, der etwas merkt (von den ausgeklügelten musikalischen Formen [Anmerkung des Verfassers]) - keinen, der von etwas anderem erfüllt ist, als von der weit über das Einzelschicksal Wozzecks hinausgehenden Idee dieser Oper. Und das – glaube ich – ist mir gelungen!“
Nun, dies ist nicht nur Alban Berg mit seiner komplexen und doch so stringenten Vertonung des Büchner Textes so vortrefflich gelungen, sondern auch den Künstlerinnen und Künstlern des Theaters Basel. Die pausenlosen 110 Minuten bieten packendes, aufrüttelndes Musiktheater. Das fängt im Orchestergraben an, wo das Sinfonieorchester Basel unter Dennis Russell Davies Bergs äusserst anspruchsvolle Partitur mit einer transparenten Natürlichkeit und einer subtil nuancierten Dynamik wiedergibt. Gerade in den zahlreichen orchestralen Zwischenspielen bietet das Orchester (mit der präzisen Zeichengebung des Dirigenten) tiefgründige Einblicke in die Seelenlandschaft des Protagonisten, kann mit wunderschön herausgearbeiteten Soli ebenso faszinieren wie mit beinahe spätromantisch-pastosem, sattem Klang und unheimlichem, lautmalerischem Surren. Fortgesetzt wird die spannungsreiche Wiedergabe auf der Bühne: Silvia Merlo und Ulf Stengl haben weisse, leere, fenster- und türlose Räume geschaffen, geteilt von einem kalten Treppenhaus, das nirgendwo hinführt. Diese Räume funktionieren als Einsichten in die Gefühlswelt des Protagonisten Wozzeck , die Handlung läuft wie vor seinem inneren Auge ab (was auch mittels dezenter Projektionen noch verdeutlicht wird): Ausweglos, kalt und trist (die einzige Pflanze ist verdorrt, nur der Knabe Mariens kümmert sich liebevoll, doch vergeblich, um sie). Ein Zimmer jedoch ist grün gestrichen, die Farbe der Hoffnung. Darin taucht in der Wirtshausszene ein Tanzpaar in glitzerndem Kostüm auf, in der Szene beim Doktor warten darin halbnackte Frauen und Kinder auf eine Behandlung. Lydia Kirchleitner hat die Menschen, welche dieses Haus bewohnen in Kostüme gesteckt, welche die Schwere des Alltags, die seelische Verkümmerung der Bewohner betonen, die Farben scheinen unter einem Grauschleier verborgen. Dem Regisseur Elmar Goerden steht für das intensive Spiel ein herausragendes Ensemble zur Verfügung, welches die sängerisch so anspruchsvollen Partien mit einer bewundernswerten Selbstverständlichkeit meistert, stets auf genaue Textverständlichkeit achtet und die kaputten Charaktere einfühlsam und ohne jegliches Chargieren transportiert:
Thomas J. Mayer in der Titelpartie erfüllt die enormen Anforderungen an die Rolle trefflich. Sein warm timbrierter Bariton zeichnet den Weg dieses underdogs Mitleid erregend nach. Von seiner stoischen Ruhe bei den Anwürfen seitens des Hauptmanns oder des Doktors, über seine selbst von Marie ausgenützte Gutmütigkeit zum zornigen Aufbegehren, zu Halluzinationen und Wahn. Edith Haller als Marie setzt ihre grosse, voll und ausgesprochen rund klingende Stimme wunderbar kontrolliert ein. Sie vermag ihren Gemütsverfassungen (Gier nach Lebenslust und Vergessen, Schuldbewusstsein, mütterliche Instinkte) mit einer bewegenden Eindringlichkeit Ausdruck zu verschaffen. Rolf Romei ist ein vorzüglicher Andres (gewollt oder ungewollt erinnert er bei seinem Auftritt mit den Bierkisten in der Wirtshausszene gar an Jürgen Drews). Der Tambourmajor ist mit dem bekannten Wagner-Tenor Stefan Vinke luxuriös besetzt; er gibt den selbstbewussten, von seinen trivialen Männerritualen überzeugten Macho mit differenziert geführter, aber doch durchschlagskräftiger Stimme. Karl-Heinz Brandt und Andrew Murphy meistern ihre heiklen Aufgaben als unsympathische Fieslinge (Hauptmann, respektive Doktor) bemerkenswert. Denn gerade diese Figuren werden in anderen Inszenierungen oft als Karikaturen überzeichnet. Besondere Erwähnung verdient auch Julian Schmidli in der Rolle von Mariens Knaben: Mit seinen stummen Hilferufen, seinem nach innen gewandten Spiel und seiner Schutzbedürftigkeit macht er deutlich, dass die Leid tragenden einer auf Unterdrückung der Seelen ausgelegten Gesellschaftsordnung vor allem auch die Kinder sind.
Fazit:
Es zeichnet sich bereits zu Beginn der Opernspielzeit 2011/12 in der Schweiz ab, dass man mindestens zwei herausragende Aufführungen von Opern des 20.Jahrhunderts gesehen haben muss: WOZZECK in Basel und DIE NASE in Zürich!
Inhalt:
Der einfache Soldat Wozzeck ist ein Getriebener. Er wird mit vielerlei Aggressionen seitens des Hauptmanns, des Doktors und des Tambourmajors konfrontiert, für Versuche am lebenden Menschen missbraucht (um seinen kümmerlichen Sold aufzubessern). Seine Frau Marie (sie hat ein uneheliches Kind mit in die Beziehung zu Wozzeck gebracht) betrügt ihn mit dem Tambourmajor. Wozzeck verfällt immer mehr ins Brüten, wird wahnsinnig. Während eines Spaziergangs bringt er Marie um. Nachdem er sich in einer Kneipe betrunken hat, kehrt er an den Tatort am Weiher zurück. Das Wasser erscheint ihm als Blut. Er watet hinein, bis er ertrinkt. Einige Kinder berichten Maries Knaben vom Tod seiner Mutter, doch dieser spielt stumpf mit seinem Steckenpferd weiter.
Werk:
Alban Berg (1885-1935) lernte Büchners Dramenfragment 1914 in Wien kennen. Bereits während seiner Soldatenzeit (1915-18) arbeitete er am Text und vollendete das Werk 1921. Die Uraufführung unter Erich Kleiber wurde geteilt aufgenommen. Begeisterung und radikale Ablehnung der atonalen Tonsprache hielten sich die Waage. 1933 wurde das Werk in Deutschland verboten. Erst nach 1945 tauchte es wieder auf den Spielplänen auf und gehört heute zum Standardrepertoire des Opernbetriebs.
Das bewegende Seelendrama wird von formalen Gestaltungsmitteln sorgfältig musikdramaturgisch zusammengehalten: Im ersten Akt findet man Elemente wie Passacaglia, Tanzsuiten, Wiegenlied und Rondo. Den zweiten Akt konzipierte Berg als eine Art Sinfonie in fünf Sätzen, mit Fuge, Largo, Scherzo, Ländler und Walzer. Den Schlussakt baut er auf so genannten Inventionen auf: Maries Tod z.B. ist eine Invention, welche um einen einzigen Ton kreist, der Schluss der Oper entwickelt sich aus einer endlosen Achtelbewegung. All diese Elemente sollen der über weite Strecken atonalen Tonsprache einen formalen Rahmen und Halt geben.
Um ein möglichst breites Spektrum an musikalischen Mitteln zu schaffen, setzt der Komponist neben dem grossen Orchester im Graben (mit mehrfach besetzten Bläsern, grossem Schlagzeugapparat und unüblichen zusätzlichen Instrumenten wie Rute und Bombardon) ein zweites Orchester als Bühnenmusik ein. Die Singstimmen durchschreiten verschiedene Stufen, vom rhythmisch fixierten Sprechgesang zu beinahe belkantesken Ariosi, wobei es Berg jedoch - ganz im Sinne der Zwölftontechnik - vermieden hat, Töne oder Tonfolgen zu wiederholen, sondern auf Variationen setzte.