Zürich, Tonhalle: RUNNICLES/HARTEROS, 27.10.2016
Anton Webern: IM SOMMERWIND, Idylle für grosses Orchester | Uraufführung: Mai 1962 durch das Philadelphia Orchestra unter Eugene Ormandy in Seattle | Richard Strauss: ausgewählte Orchesterlieder | Richard Wagner: Auszüge aus GÖTTERDÄMMERUNG | Uraufführung: 17. August 1876 in Bayreuth | Dieses Konzert in der Tonhalle Zürich: 27.10. | 28.10.2016
Kritik:
Einen gewaltigen Orchesterapparat hat der 20jährige Anton Webern für seine Idylle für grosses Orchester IM SOMMERWIND aufgeboten, u.a. fünf Klarinetten, sechs Hörner, zwei Harfen, die ganz grosse Streicherbesetzung – und doch wurde man in diesem wunderbaren Werk nicht von Klangfluten überschwemmt oder gar bedrängt. Im Gegenteil: Das Tonhalle-Orchester Zürich unter der einfühlsamen Leitung von Donald Runnicles evozierte einen sanft säuselnden Sommerwind, es wurde auf eine ausgefeilte Durchhörbarkeit geachtet, die solistischen Passagen waren differenziert herausgearbeitet und eine dünne Schicht an spätromantischem Zuckerguss wurde der Komposition übergestülpt, ohne dabei die schon hörbaren „Minimalismen“ und die „Modernität“ des jungen Komponisten zu überdecken. Die wenigen eruptiven Crescendi waren zurückhaltend und mit Feingefühl eingesetzt, so dass die liebliche Grundstimmung, die oftmals lautmalerische Struktur der „Tondichtung“ erhalten blieb. Ein lichter Einstieg voller Liebreiz (besonders die Solovioline des Konzertmeisters Andreas Janke sorgte dafür) in ein Programm mit dem Schwerpunkt Spätromantik.
Auch Richard Strauss war natürlich ein Meister der Orchestrierung, der um effetvolles Hineingreifen in den Kessel der Orchesterfarben Bescheid wusste wie kaum ein anderer. Sechs Lieder von Richard Strauss hat die Sopranistin Anja Harteros für diesen Abend ausgewählt: Die heiligen drei Könige aus dem Morgenland, Meinem Kinde, Waldseligkeit, Ruhe meine Seele, Morgen, Zueignung. Ihr bernsteinfarbener Sopran funkelte mit seinem kostbaren Timbre, verlieh den Liedern eine tief in die Seele lotende Kraft. Wie grandios vermochte sie aufschwingende Phrasen auszukosten („...die heiligen drei Könige sangen“), expressiv der Seele Ruhe zu gebieten, die celestialen, tröstlichen Sphären in MORGEN problemlos zu erreichen und in ZUEIGNUNG in der dritten Strophe mit „... heilig, heilig ans Herz dir sank“ einen unter die Haut gehenden Kulminationspunkt zu beschwören. Als Zugabe bereitete sie mit dem wiederholten Lied MORGEN immense Freude. Denn bei der Wiederholung klang es noch inniger, noch tiefer empfunden. Und Andreas Jankes himmlisch schön intoniertem Violinsolo zuzuhören, war wiederum ein Hochgenuss. (P.S.: Bei der Wiederholung störten auch weniger rücksichtslose Huster im Publikum ...)
Nach der Pause erklangen Orchesterzwischenspiele aus Richard Wagners Opus maximum GÖTTERDÄMMERUNG. Wagner selbst hatte ja die Tradition, dass orchestrale Auszüge aus seinen Opern im Konzertsaal gespielt werden, in seiner Zeit in Zürich begründet. Herrlich und mit der Wagnerschen Sogwirkung der strahlende Sonnenaufgang aus dem Vorspiel, die sauberen Rufe der Hörner in SIEGFRIEDS RHEINFAHRT, die explodierenden, schmerzhaften Schläge von SIEGFRIEDS TOD und die alles erlösende Rückgabe des verfluchten Rings an die Rheintöchter, mit Weltenbrand und dem schönsten aller Ring-Motive, Sieglindes Hehrstes Wunder, das vom Tonhalle-Orchester Zürich unter Donald Runnicles so fantastisch satt mit erlösender Kraft gespielt wurde und hoch emotional seine Gänsehaut-Wirkung entfalten durfte.
Werke:
Anton Weberns (1883-1945) Orchester-Idylle „Im Sommerwind“ entstand 1904, kurz bevor er Schüler von Arnold Schönberg wurde. Die Komposition trägt keine Opuszahl, da sie zu den Werken zählt, von denen er sich später etwas distanziert hatte. Doch vernichten wollte er die Komposition auch nicht, obwohl sie zu seinen Lebzeiten nie aufgeführt wurde. Kurz vor seiner Flucht vor der in Wien einmarschierenden Sowjetarmee verbuddelte er einige Noten und Skizzen in seinem Garten und begab sich in die vermeintliche Sicherheit des abgelegenen Salzburgerlandes. Bei einer Razzia in seinem Haus dort (sein Schwiegersohn stand unter dem Verdacht des Schwarzhandels) wurde er von einem US – Soldaten erschossen. De vergrabenen Erinnerungsstücke gerieten in die Hände seiner Schwiegertochter in Wien, welche sie dem deutsch-amerikanischen Musikologen Hans Moldenhauer übergab. So fand das ganz dem spätromantischen Klangbild verpflichtete und an die Tradition der sinfonischen Dichtung anknüpfende Werk doch noch den Weg in den Konzertsaal. Bei genauem Hinhören entdeckt man aber auch in dieser Komposition des knapp 20 Jährigen die später im Vordergrund stehenden Minimalismen, die Hervorhebung von Soloinstrumenten für ultrakurze Einsprengsel, isolierte Sequenzen und Momente der Stille. Die Initiation für die Komposition erhielt Anton (von) Webern von der gleichnamigen Dichtung des populärphilosophischen Schriftstellers Bruno Wille. Webern nahm dabei nicht eine Wort für Wort Umsetzung in die Musik vor, sondern versuchte, grundlegende atmosphärische Stimmungen in seine Komposition einfliessen zu lassen. Später wurde Anton Webern bekanntermassen einer der radikalsten Schüler Schönbergs, dessen Zwölftontechnik er ebefalls anwandte.Seine Komprimierungen wurden zum Ausgangspunkt der seriellen Kompositionsweise der 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts.
Richard Strauss (1864-1949) hat neben seinen Opern, den sinfonischen Dichtungen, den Konzerten und der Kammermusik auch ungefähr 220 Lieder hinterlassen, einige davon sind original als Orchesterlieder konzipiert worden, andere haben er selbst oder andere Musiker für Singstimme und Orchester eingerichtet. Am bekanntesten und häufigsten im Konzertsaal anzutreffen sind wohl die VIER LETZTEN LIEDER. Aber auch ZUEIGNUNG, MORGEN, CÄCILIE, RUHE MEINE SEELE u.v.a.m. erfreuen sich bei Publikum und Künstlern ungebrochener Popularität.
Richard Wagner (1813-1883)
Die GÖTTERDÄMMERUNG bildet den monumentalen Schlussteil von Wagners Tetralogie DER RING DES NIBELUNGEN, ein Werk von ungeheurem Ausmass und ebensolchen Anforderungen an die Ausführenden. Nach aussen stellt dieses Werk – mit einer Aufführungsdauer von sechs Stunden – den opernhaftesten Teil der vier Abende dar, mit grossen arienhaften Szenen und dem Chor, der hier zum einzigen Mal im gesamten RING auftaucht. Daneben kommt das sinfonische Element, als orchestrales Intermezzo, ausgiebig zum Tragen (Siegfrieds Rheinfahrt, Trauermusik, Weltenbrand). Trotz des gewaltigen Umfangs der Partitur herrscht nach dem ruhigen Beginn (Szene der Nornen) eine nie nachlassende Spannung und eine geballte, hochdramatische Erregung. Wagner hat die Charakterzeichnungen der Personen noch weiter verfeinert, die Motive werden kunstvoll verwoben und zu einem eruptiven Schluss gebracht.
Das aussergewöhnliche Drama um Liebe, Macht und gebrochene Verträge findet mit der Rückgabe des fluchbeladenen Rings an die Rheintöchter sein Ende.