Zürich, Tonhalle: CONDUCTORS`ACADEMY, Abschlusskonzert, 18.11.2022
(Leider gestrichen: Béla Bartók: Tanz-Suite Sz 77 für Orchester | Uraufführung: 19. November 1923 in Budapest |)
Johann Strauss (Sohn):«Rosen aus dem Süden» op. 388 | Uraufführung: 7. November 1880 in Wien |
Carl Maria von Weber: Fagottkonzert F-Dur op. 75 | Uraufführung: 19. Februar 1813 in Prag |
Robert Schumann: Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 38 «Frühlingssinfonie» | Uraufführung: 31. März 1841 in Leipzig
Kritik:
Es kommt ja selten vor, dass das Konzertpublikum vom Podium herab dazu aufgefordert wird, sein Smartphone EINZUSCHALTEN! So geschehen gestern Abend in der Tonhalle Zürich anlässlich des Abschlusskonzerts von Paavo Järvis CONDUCTORS' ACADEMY - aus gutem Grund, denn das Publikum durfte mittels des auf dem Programmzettel aufgedruckten QR-Codes den Gewinner/die Gewinnerin des Publikumspreises im Wert von CHF 1000 bestimmen. Zur Wahl standen zwei Dirigentinnen und vier Dirigenten, welche aus über 280 Bewerber*innen ausgewählt worden waren, während einiger Tage zusammen mit Music Director Paavo Järvi und dem Tonhalle-Orchester Zürich vier Werke einzustudieren und in einem Abschlusskonzert vor Publikum aufzuführen, mit weltweiter Übertragung auf YouTube. Bereits die Proben waren öffentlich und frei zugänglich und ebenfalls auf YouTube mitzuerleben. Für den Besuch des Abschlusskonzerts wurde ein bescheidener Einheitspreis von 40 Franken erhoben. Trotzdem blieben sehr viele Plätze leer (das Zürcher Publikum setzt bei seinen Präferenzen leider allzu oft einfach nur auf "grosse" Namen ...), obwohl das zusammengestellte Programm sehr gefällig war (schade, dass Bartóks Tanz-Suite, an der während der vorangegangen Tage fleissig gearbeitet worden war, kommentarlos gestrichen wurde).
Durch den Abend führte die Journalistin, Regisseurin und bekannte Moderatorin Andrea Thilo äuserst sympathisch, eloquent und ohne Anbiederung in englischer Sprache, da mittels YouTube ein internationales Publikum für diese Ereignis anvisiert wurde.
Eröffnet wurde das Konzert mit dem von der polnischen Dirigentin Agata Zając geleiteten Konzertwalzer ROSEN AUS DEM SÜDEN von Johann Strauss(Sohn). Agata Zając achtete auf eine subtile Dynamik, klug gesetzte Accelerandi und fulminante, berauschende Klangexplosionen. Ganz wunderbar! Beim nächsten Werk zeigte sich die Problematik der ganzen Veranstaltung: Da es mehr Dirigent*innen als Werke waren, mussten die verbleibenden beiden Werke auf zwei (Webers Fagottkonzert) und gar drei Dirigent*innen aufgeteilt werden (Schumanns Frühlingssinfonie). Die Unterbrüche nach den Sätzen (natürlich mit dem jeweils mehr als verdienten Zwischenapplaus) erschwerten für das Publikum am Ende die Beurteilung der Leistung der Dirigenten, denn natürlich macht beim ersten Anhören ein effektvolles, finales Allegro animato des vollen Orchesters mehr Eindruck als ein verhaltenes Larghetto oder ein fast kammermusikalisch besetztes Solistenkonzert. Ich nehme mal an, dass der Chef, Paavo Järvi, den einzelnen TeilnehmerInnen die jeweilige Aufgabe übertragen hat und nicht gelost wurde. Wie dem auch sei, die exzellenten Kandidat*innen überzeugten sowohl beim Fagottkonzert aus der Feder des zur Zeit der ersten Niederschrift noch relativ jungen Carl Maria von Weber als auch bei Robert Schumanns mitreissender und vor Freude und Emphase nur so sprudelnder 1. Sinfonie. Der italienisch/schweizerische Dirigent Mauro Mariani leitete wunderbar phrasierend, mit grosser Präsenz und stilistisch einwandfrei den Atem der Frühromantik evozierend den ersten Satz von Webers Fagottkonzert. Der Solist war Matthias Rácz, Solofagottist beim Tonhalle-Orchester Zürich und beim Lucerne Festival Orchestra. Sein Spiel war berückend, mit unglaublich grossem Atem schaffte er atemberaubende Phrasen und ausdrucksstarke Intervallsprünge. Für den zweiten und den dritten Satz übernahm der ukrainische Dirigent Sasha Yankevych die Leitung, transportierte sehr einnehmend die elegische Stimmung des zweiten Satzes, verlieh ihr gar einen mystischen Touch. Auffallend war, dass er eigentlich sehr wenig Blickkontakt mit dem exzellenten Solisten Matthias Ràcz suchte und trotzdem die Koordination mit dem Orchester im Griff hatte. Leider hatte ein Idiot im Publikum das mit den Smartphones nicht kapiert und liess sein Gerät mitten in die feine, berührend zart intonierte Solokadenz des Fagottisten Matthias Rácz im zweiten Satz klingeln. Shame on you!
Als Abschluss des relativ kurzen Konzerts (wie gesagt, das Werk von Bartók hätte noch gut ins Programm gepasst) erklang Schumanns erste seiner vier Sinfonien, die so genannte FRÜHLINGSSINFONIE. Der koreanische Dirigent und bereits bekannte Komponist Jaehyuck Choi leitete mit ausgefeilter Dynamik den ersten Satz, ein junger Mann, der genaue Klangvorstellungen hat und diese präzise umsetzen kann. Das war dosiert stürmisch, jugendlich frisch, mit schön herausgehörten Soli (Flöte!). Für das Larghetto, diesen liedhaften, wunderbar friedvollen Satz, trat die Griechin Eleni Kotsmanidou vor das Tonhalle-Orchester. Sie achtete ausgezeichnet auf die klangliche Transparenz und beachtete die Quintessenz dessen, was Järvi den jungen Dirigent*innen während des Meisterkurses immer wieder eingebläut hatte, nicht einzelne Takte zu dirigieren, sondern in Phrasen zu denken und dem Orchester immer wieder Raum zu geben, nicht wild herumzufuchteln, sondern Vertrauen in das überragende Können des Orchesters zu haben. So erklangen die herrlichen Passagen der Bratschen, der Flöte, der Oboe und der Celli wunderschön herausgehört und die fantastisch spielenden Posaunen erhielten den erforderlichen Raum. Die letzten beiden Sätze der Sinfonie, das Scherzo und das Allegro wurden dem Georgier Mirian Khukhunaishvili anvertraut. Ihm gelang es grossartig, die kontrastierenden Hauptthemen des Scherzos gegeneinander abzusetzen, das robuste, bodenständige erste Thema und das anmutige zweite. Die neckischen Wechsel der Instrumentengruppen im ersten Trio und die tonleiterhaften Bewegungen im zweiten Trio brachte er mit sparsamen, aber präzisen Armbewegungen und Zeichensetzungen zum Klingen. Beim Finalsatz dann wurden seine Armbewegungen ausgreifender, so erreichte er die gewollten klanglichen Kulminationspunkte. Ganz fantastisch intonierten zwei Hörner und die Flöte die wunderbare Überleitung zur Reprise, erneut begeisterte die in dieser Sinfonie ganz besonders wichtige Gruppe der Blechbläser mit ihrem strahlenden Klang.
Nun war also das Publikum gefordert und musste (durfte) den Publikumspreisträger bestimmen. Es kam wie es kommen musste, der Georgier Mirian Khukhunaishvili gewann ihn. Die Anzahl der abgegebenen Stimmen und die Verteilung der Stimmen auf die einzelnen Bewerber*innen wurden nicht kommuniziert. Paavo Järvi verlieh selber auch einen Preis: Mit seiner Paavo Järvi Scholarship lud er einen der sechs Kandidat*innen zum Pärnu Music Festival 2023 ein. Der Gewinner war (keine wirkliche Überraschung) ebenfalls Mirian Khukhunaishvili, mit seinen 33 Jahren auch der älteste der Teilnehmer*innen. Unter seiner Leitung erklangen am Ende nochmals die ROSEN AUS DEM SÜDEN. Irgendwie erschien mir das persönlich gegenüber der ersten Dirigentin ungerecht. Vielleicht hätte an dieser Stelle doch der Bartók gepasst?
Werke:
Béla Bartók (1881-1945) schuf die Tanz-Suite für ein Festkonzert anlässlich des 50 Jahrestags der Vereinigung der beiden Städte Buda und Pest 1923. Die Suite besteht aus sechs Teilen, fünf Tänze und Finale und dauert etwa 16 Minuten. Bartóks Leitgedanke war eine Verbrüderung der Völker zu evozieren, er verarbeitet selbst erfundene Themen mit ungarischem, rumänischem, slowakischem und arabischem Einschlag. Ritornelle verbinden die attaca gespielten Sätze. Im Finale werden die Themen bunt durcheinandergewirgbelt.
Johann Strauss, (Sohn), der "Walzerkönig") lebte von 1825-1899. Er war als Mensch und Musiker hoch geschätzt. Am treffendsten liest sich das Urteil des Schriftstellers Émile Zola über Strauss: "Wir Schriftsteller zeigen der Welt, wie elend sie ist – Strauss zeigt uns, wie schön sie sein kann." Der Konzertwalzer ROSEN AUS DEM SÜDEN enthält Motive aus Strauss'Operette DAS SPITZENTUCH DER KÖNIGIN. Der Walzer ist dem italienischen König Umberto I. gewidmet. Deshalb wohl das Wort "Süden" im Titel.
Carl Maria von Weber (1786-1826) komponierte neben seinen berühmten Opern (DER FREISCHÜTZ, OBERON, EURYANTHE) auch diverse Instrumentalkonzerte, so auch ein Konzert für Fagott, das sich durchaus mit demjenigen Mozarts messen kann. Der Komponist überarbeitete das dreisätzige, im Alter von 25 Jahren komponierte Werk, zehn Jahre nach der Entstehung für die Drucklegung 1823. Der Weber-Biograf Friedrich Wilhelm Jähns schrieb 1871, der erste Satz zeige das Soloinstrument „in seinem Ernst, seiner Würde und Kraft, im Adagio in seiner Eigenschaft zu singen, im Rondo in der Humoristik, derer es fähig ist.“
Robert Schumann (1810-1856) wagte sich relativ spät in seinem viel zu kurzen Leben an die Komposition von Sinfonien. Seine erste entstand in einer sinfonischen "Sturm- und-Drang-Phase" seines Lebens 1841. Innerhalb von nur vier Tagen war die Sinfonie Ende Januar 1841 skizziert, bereits Ende Februar orchestriert und einen Monat später wurde sie unter der Leitung von Felix Mendelssohn-Bartholdy am Leiziger Gewandhaus uraufgeführt und vom Publikum enthusiastisch aufgenommen. Nur schon die einleitende Blechbläser-Fanfare ist ein Wucht und reisst die Zuhörer*innen in einen erhebenden Klangstrudel. Schumann überschrieb die vier Sätze ursprünglich mit FRÜHLINGSBEGINN - ABENDS - FROHE GESPIELEN - VOLLER FRÜHLING und so erhielt sie ihren Namen: FRÜHLINGSSINFONIE.