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Zürich, Tonhalle: BERNSTEIN, BARBER, ELGAR, 12.11.2021

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Barber, Violinkonzert

Samuel Barber, fotografiert von Carl Van Vechten, 1944

Bernstein: DIVERTIMENTO FOR ORCHESTRA | Uraufführung: 25. September 1980 in Boston, unter Seiji Ozawa | Samuel Barber: Violinkonzert, op. 14 | Uraufführung: 7. Februar 1941 in Philadelphia, mit Albert Spalding unter der Leitung von Eugene Ormandy | Edward Elgar: ENIGMA VARIATIONEN, op.36 | Uraufführung: 19. Juni 1899 in London | Dieses Konzert in Zürich: 11. und 12. 11.2021

Kritik:

Es ist seltsam, dass es die angelsächsischen Komponisten auf dem Kontinent eher schwer haben, sich wirklich durchzusetzen. Nur vereinzelt tauchen ihre Werke auf den Spielplänen der Konzert- und Opernhäuser auf. Dabei haben sie im 20 Jahrhundert ganz wunderbare Musik geschrieben, die um einiges näher an den Hörgewohnheiten des Publikums war und ist, als es die Kompositionen in der Nachfolge von Schönberg, Berg und Webern in Kontinentaleuropa je waren. Vom gehaltvollen Wert angelsächsischer Kompositionen konnte man sich gestern Abend in der Tonhalle Zürich begeistern und mitreissen lassen, und - gemessen an der Lautstärke des enthusiastischen Applauses-  wäre auch hierzulande das Publikum durchaus bereit und dankbar für weitere Begegnungen mit Werken aus Grossbritannien und den Vereinigten Staaten.

Den Abend eröffnete das überaus unterhaltsame, schmissig-kokette DIVERTIMENTO FOR ORCHESTERA von Leonard Bernstein. Fulminante Fortissimi wechselten mit schrägen, sanft wiegenden Walzern, eine Mazurka nur von den Doppelrohrblattinstrumenten gespielt, ein Samba, ein schmerzhafter Trauermarsch der Flöten und gleissendes Blech, das einen Marsch im Stil von Sousa spielte, sorgten für witzige, jazzige Schmunzelmomente und ermöglichten es dem Tonhalle-Orchester Zürich, sich in allen Instrumentengruppen von seiner allerbesten musikantischen Seite zu präsentieren. Man spürte förmlich die Lust am Musizieren, welche vom Dirigenten Paavo Järvi zu den einzelnen Musier*innen und von da wieder zu ihm zurückfloss. Klasse!

Wunderschön intonierte darauf Alena Baeva auf ihrer Guarneri del Gesù Violine die Solointroduktion zu Samuel Barbers eindringlichem Violinkonzert. Sanft fliessend und mit traumhaft sich dem Ohr einschmeichelnder Tongebung beglückte Alena Baeva in diesem ersten Satz, überirdisch schön setzte sie nach dem tröstlich-entrückten Oboensolo (gespielt von Simon Fuchs) im zweiten Satz ein, der ganze Satz ein purer Cantabile-Traum. Das sanfte Verklingen dieses Satzes gelang dem Tonhalle-Orchester mit einer Piano-Klangkultur, die nicht von dieser Welt zu stammen schien. In den ersten beiden, eher elegisch gehaltenen Sätzen konnte Alena Baeva mit ihrer exquisiten Klangkultur und der Reinheit der Intonation glänzen, im Schlusssatz hingegen brillierte sie mit rasanter Virtuosität, raste mit dem Bogen treffgenau über die Saiten. Denn dieses Perpetuum mobile mit seiner nie erlahmenden Motorik, das Barber hier entwarf, lässt die Solistin keinen Augenblick zur Ruhe kommen. Alena Baeva gelang das Kuststück, den Satz dank präziser Rhythmik und sublimen klanglichen Schattierungen jeglicher Einförmigkeit zu berauben.

Den Schlusspunkt setzten Paavo Järvi und das Tonhalle-Orchester Zürich mit einer rundum beglückenden, fulminanten Interpretation von Edward Elgars wohl populärsten Werk, seinen ENIGMA VARIATIONEN. Natürlich begeisterte das Tonhalle-Orchester mit seinem überragenden Gesamtklang, doch Järvi legte auch grossen Wert auf das Hervorheben einzelner Stimmen, die immer wieder organisch aus dem Orchester hochstiegen, wunderbare Kantilenen der Celli, der Bratsche, fein ziselierte Phrasen der Klarinette. Eindringlich gelangen die dynamischen Abstufungen, Ruhephasen wechselten mit aufbäumenden Pointierungen durch strahlendes Blech. Am Ergreifendsten glückte der Übergang von der Variation 8 in die Variation 9 (Nimrod). Als dann die Nimrod-Variation im Pianissimo anhob, sich aus der vollkommenen Ruhe zur gigantischen, Mark und Bein durchdringenden Kulmination steigerte, schien sich der Himmel zu öffnen. Järvi scheute die Effekte nicht, ja er setzte Ritardandi und Accelerandi, Crescendi und Decrescendi sehr genau kalkuliert ein und erzielte so eine Wirkung, die direkt ins Herz der Zuhörer*innen zu zielen wusste. Glasklare Transparenz in beinahe (trotz des Riesenorchesters) kammermusikalischen Passagen wechselte mit aufrüttelnden Sforzati des Orchesters, am Ende durfte man eintauchen in eine sich stetig steigernde Klangflut, die süchtig nach dieser Musik machte. Verdienter Jubel für das Orchester und seinen Chefdirigenten nach diesem mitreissenden musikalischen Ereignis.

Es gibt ein musikalische Welt aus englischsprachiger Komponisten-Feder, die eine Entdeckung und/oder häufigere Wiederbegegnung lohnt!

Werke:

Leonard Bernstein (1918 - 1990) schrieb sein DIVERTIMENTO FOR ORCHESTRA als Auftragskomposition für die 100 -Jahr -Feier des Boston Symphony Orchestra. Das rund 15 Minuten dauernde Stück besteht aus 8 sehr knapp gehaltenen Sätzen, in denen die Tonfolge H - C (englisch B - C, für Boston Centenary) eine grosse Rolle spielt. In den Sätzen sind auch Referenzen an Tschaikowski (6. Sinfonie) oder Beethoven (Oboensolo der 5. Sinfonie) hörbar. Beim letzten Satz schreibt die Partitur vor, dass sich die Bläsergruppen für ihre Soli von den Sitzen erheben.

Kompliziert ist die Entstehungsgeschichte von Samuel Barbers (1910 - 1981) Violinkonzert, op. 14. Barber bekam den Kompositionsauftrag vom Seifenfabrikanten Fels, der ein Konzert für seinen Ziehsohn, den Geiger Iso Briselli bestellte. Er übergab Barber einen Vorschuss von 500 US Dollar. Barber reiste 1939 nach Europa und komponierte die ersten beiden Sätze vornehmlich in der Schweiz. Da der Krieg immer näher rückte, wurden die Amerikaner aufgefordert, in die Heimat zurückzukehren. Barber reiste über Paris nach New York und traf Anfang Oktober dort ein. Inzwischen war von Briselli und Eugene Ormandy vereinbart worden, dass die Uraufführung des Konzerts Anfang Januar stattfinden sollte. Barber übergab Briselli die ersten beiden fertig komponierten Sätze und machte sich auf den Weg in die Pocona Mountains (Pennsylvania), um den dritten Satz fertigzustellen. Briselli war damit aber gar nicht zufrieden (die ersten beiden Sätze hatte er wegen ihrer Schönheit noch gelobt), er wollte einen Finalsatz haben, in welchem er seine Virtuosität effektvoll zur Schau stellen konnte und verlangte von Barber eine Umarbeitung (Brisellis Violin-Coach Albert Meiff wäre bereit gewesen, die Umarbeitung oder Neufassung des dritten Satzes zu begleiten). Doch Barber war in seinem Komponistenstolz verletzt und überzeugt von seiner Komposition. Daraufhin zog sich Briselli zurück, die Uraufführung kam im Januar 1940 nicht zustande und Briselli spielte anstelle von Barbers Violinkozert dasjenige von Dvořák. Barber fürchtete um seinen Vorschusss, den er bereits ausgegeben hatte. Er konnt sich jedoch mit dem Seifenfabrikanten einigen und musste die 500 Dollar nicht zurückzahlen. Nach wie vor war er überzeugt von seinem Konzert. Er legte es einem Studenten des Curtis Institute, Herbert Baumel, vor, der es begutachtete und in einer Privataufführung unter der Leitung von Fritz Reiner mit dem Orchester des Curtis Institute aufführte. Davon bekam dann auch Eugen Ormandy Wind und schliesslich wurde die Uraufführung auf den 7. Februar 1941 angesetzt, mit Albert Spalding als Solisten. Von da an setzte sich das Konzert schnell durch, avancierte zu einem der meistgespielten Violinkonzerte des 20. Jahrhunderts und wurde von vielen der grossen Geigern eingespielt, so von Isaac Stern (unter Bernsteins Leitung), Itzhak Perlman, Leonid Kogan, Ruggero Ricci, Joshua Bell, Gil Shaham, Hillary Hahn u.a.m.

Seinen Durchbruch als einer der meist verehrten Komponisten Grossbritanniens verdankte Sir Edward Elgar (1857-1934) den Enigma-Variationen, op 36, deren Komposition er im Jahr 1899 abschloss. Angeblich basieren die 14 Variations on an original theme auf einer von Elgar zufällig gespielten Melodie, welche seiner Frau sehr gut gefiel. Die einzelnen Variationen lassen sich aufgrund der von Elgar angefügten Initialen engen Freunden des Komponisten zuordnen. Das Rätsel um das Hauptthema ist jedoch noch nicht restlos geklärt, da es im Stück nicht explizit vorkommt. Elgar nahm zu all den Spekulationen um das Hauptthema nie Stellung. Viele Musikwissenschaftler weltweit stellten Theorien dazu auf, doch Elgar nahm sein Geheimnis wohl mit ins Grab. Wie dem auch sei, das Werk gehört zu den Klassikern der Orchesterliteratur und erfreut sich auch ausserhalb der Konzertsäle grosser Beliebtheit. Manch eine der Variationen wurde als Filmmusik "missbraucht", besonders die Variation Nr. 9 mit dem Untertitel Nimrod bot sich wegen ihrer berückenden, erhabenen Schönheit dazu an.

Karten

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