Zum Hauptinhalt springen Skip to page footer

Zürich: ROTE LATERNE, 08.03. & 25.3.2015

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Rote Laterne

copyright: Monika Rittershaus, mit freundlicher Genehmigung Opernhaus Zürich

Oper in einem Akt | Musik: Christian Jost | Libretto vom Komponisten, nach dem gleichnamigen Roman von Su Tong | Uraufführung: 8. März 2015 in Zürich | weitere Aufführungen in Zürich: 11.3. | 14.3. | 18.3. | 21.3. | 25.3. | 27.3.2015

Kritik:

Durch das Premierenpublikum (zu Recht) überaus wohlwollend aufgenommene Uraufführung von Christian Josts neuer Oper ROTE LATERNE am Opernhaus Zürich. Endlich ein zeitgenössischer Komponist, der es neben der spannenden Behandlung des Orchesterapparats auch versteht, Melismen und Kantilenen für die Sängerinnen (etwas weniger für die Sänger) zu schreiben. Vor allem eben für die Rollen der Frauen fand der Komponist eine differenziert ausgestaltete und  die seelischen Befindlichkeiten ausdrucksstark charakterisierend komponierte musikalische Sprache. Die feinfühlige Inszenierung von Nadja Loschky in der Ausstattung von Reinhard von der Thannen mit ihren poetischen und geheimisvoll düsteren Aspekten machte den Abend auch sehenswert und beeindruckte tief. Mit grossartigen Sängerpersönlichkeiten besetzt!

Eine lange Introduktion des reichhaltig besetzten Schlagwerks (u.a. Marimba, Vibraphon, Röhrenglocken, verschiedene Becken und Trommeln, Tom-toms, Holzblöcke) stimmt auf die Oper ein, und dieses auch im weiteren Verlauf des Stücks ausgiebig zu Wort kommende Schlagwerk stellt gleichzeitig auch das einzige exotisch anmutende Element der Oper dar. Denn dem Komponisten Christian Jost ging es trotz der stofflichen Vorlage aus China nicht darum, mit seiner Musik noch zusätzlich fernöstliches Flair zu evozieren (z.B. mit Pentatonik), sondern mit seiner direkt ansprechenden, oft auch sehr emotionalen Musik eine auch westliche und allgemeingültige Sicht auf die Handlung zu werfen.

Schon mit dem ersten Bild wird klar, worum es in der Oper geht, um qualvolle Ausgrenzung und verlorene Selbstbestimmung: Eine junge Frau (die vierte Herrin, die blutjunge Song-Lian) klettert aus der in der Mitte der Bühne eingelassenen Zisterne (und erinnert in ihrem Schicksal auch ein bisschen an die Rusalka); in einer strengen Choreographie treten Master Chen und seine drei Frauen auf, die neu angekommene vierte Herrin findet keine Aufnahme in der bestehenden Gruppe, sie wird eine Aussenseiterin bleiben, obwohl sie alles unternehmen wird, um dazuzugehören. Während Chen und die anderen Frauen ins „Heart Sutra“ der ersten Herrin einstimmen, verfolgt Son-Liang eine eigene Gesangslinie. Das neue Zuhause für Song-Lian entpuppt sich als klaustrophobisches Labyrinth (die Bühne und die wunderbar genau charakterisierenden Kostüme stammen von Reinhard von der Thannen), aus dem es kein Entkommen für sie gibt. So ist sie den Intrigen und hierarchischen Machtkämpfen der anderen Frauen und den mysteriösen und bösartigen  Voodoo-Zaubereien der ihr zugeteilten Dienerin Yen-Er vollkommen schutzlos ausgeliefert. Einzig im schwulen Sohn der ersten Herrin, Fay-Pu, findet sie einen Vertrauten. Immer wieder gehen die toten Ahnen in mausgrauen Negligées und mit roten Lampions über die Bühne, stumm und mit unheimlicher Präsenz das Surrealistische, Albtraumhafte des Geschehens veranschaulichend. Spiralen artig spitzt sich dieses Drama der Ausweglosigkeit zu, verdichtet sich in poetischem Schneegestöber, die Gefühle erkalten, schlagen um in blanken Hohn und Hass, in Mord und Wahn. Aus dem Brunnen steigen in einer beklemmenden Szene lauter Alter Egos Song-Lians, mit denen sie auf geheimnisvolle Art Zwiesprache hält. In diesen Szenen ist auch der technischen Tonabteilung des Opernhauses eine grandiose und eindrückliche Leistung gelungen, indem sie die von Tonträger kommende Stimme Song-Lians, mit der  die Bühnengestalt der Song-Lian ein mysteriöses Duett über Leben und Tod singt, aus allen Ecken des Saals ertönen liess. Der Regisseurin Nadja Loschky gelingt es vortrefflich, die Geschichte mit Poesie, Mystik und dem inhärentem Drama der unterdrückten Frau zu verbinden. 

Christian Jost hat für alle Frauenfiguren eine eindringliche und individuelle Musiksprache gefunden. Die Hauptperson der vierten Herrin Song-Lian wirkt zu Beginn suchend, wird im Verlauf der ausweglosen Situation immer expressiver und vielschichtiger. Die Sopranistin Shelley Jackson meistert diese Anforderungen stimmlich und darstellerisch mit beklemmender und berührender Intensität. Ihr apartes Timbre wird von Szene zu Szene selbstbewusster und dramatischer, ohne je die sichere Gesangslinie zu verlassen. Die streng religiöse erste Herrin Yu-Ru und Mutter des schwulen Sohns ist mit der wunderbar dunkel timbrierten Stimme von Liliana Niketeanu glänzend besetzt. Unheimlich in ihren in extrem tiefer Lage komponierten Sutras, in ihren selbstgerechten Ausbrüchen. Nora Gubisch als vor hinterhältiger Bosheit und Arroganz nur so strotzende zweite Herrin Zhuo-Yun erinnert mit ihrem giftgrünen Kleid und den roten Haaren an Bette Midler. Ihre Darstellung gepaart mit dem klangvollen Mezzosopran verdient höchste Beachtung. Ihr zur Seite (und noch viel böser als das Ebenbild der Mutter) ihre beiden Töchter Yi-Rong und Yi-Yun (in perfekter, bösartiger Harmonie: Livia da Costa und Olivia Gilfry). Zu Recht viel Applaus durfte Claudia Boyle als dritte Herrin May-Shan entgegennehmen. May-Shan, die ehemalige Sängerin der Peking-Oper, flüchtet sich in verträumte Koloraturen, von wunderschöner Geschmeidigkeit und Raffinesse. Sie wagt auch einen verhängnisvollen Seitensprung mit dem Doktor (Federico Ituarte). Und dann ist da noch die „fünfte Frau“, die Dienerin Yen-Er, welcher Anna Goryachova geradezu beängstigende Bühnenpräsenz verleiht. Yen-Er hat für die neu angekommene Song-Lian nur Verachtung und Spott übrig und macht sich auch mit unverblümt zur Schau getragener Geilheit an Master Chen heran. Anna Goryachova singt die Partie mit ungemein starker und dabei stets rund bleibender Tongebung und phänomenalem Ausdruck.

Rod Gilfry gibt den Master Chen mit seinem wunderbar ausgeglichen und warm gefärbten Bariton. Christian Jost hat die Partie nicht so vordergründig despotisch komponiert, wie man das hätte erwarten können. Der homosexuelle Fay-Pu wurde Spencer Lang anvertraut, der den Wechsel von normaler Singstimme zum Falsettieren gekonnt beherrscht.

Und weshalb der Titel ROTE LATERNE? Im Film hängt Master Chen jeweils eine rote Laterne an die Gemächer derjenigen Frau, welche er in dieser Nacht beglücken will. Die Farbe Rot bedeutet ja für die fernöstliche Kultur Glück und Wohlstand. Hier, in der  Familie Chens, mit dem wirtschaftlich verheerend agierenden Sohn und den missgünstigen und frustrierten drei ersten Frauen, wirken die roten Laternen wie ein Hohn.

Am Pult der Philharmonia Zürich hält Alain Altinoglu die Fäden souverän in der Hand, arbeitet die prägnanten Rhythmen und lautmalerischen Streicherkantilenen des transparent gehaltenen Orchesterspiels sorgfältig heraus. Besonders erwähnenswert ist das zauberhafte Spiel der Soloviolinistin Wen-Chun Lin, welche in den Brunnenszenen mit Song-Lian aus der Proszeniumsloge heraus in einen einfühlsamen Dialog tritt.

Mit einer Spieldauer von rund 100 schnell vergehenden Minuten besitzt diese Oper genau die richtigen Ausmasse. Und vor den neuen Klängen braucht sich niemand zu fürchten, denn Jost arbeitet mit nachvollziehbaren Emotionen des Ausdrucks, ohne hysterische und „schräge“ Intervallsprünge in den Gesangslinien.

Vorstellung vom 25.3.2015:

Wiederum mit viel Applaus für die Ausführenden bedacht, leider nur spärlich besucht. Zeitgenössische Musik scheint nach wie vor in Zürich einen schweren Stand zu haben, obwohl dieses Werk nun wahrhaftig für die Ohren ohne Schmerz zu ertragen ist. Erstaunlich, dass beim zweiten Anhören doch einige Melismen in den Ohren haften bleiben. Tolle Leistungen der Sängerinnen und Sänger!

Werk und Komponist:

Die Oper Rote Laterne erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die als vierte und jüngste Gattin in eine traditionelle chinesische Familie verheiratet wird und dort an den rückständigen Verhältnissen zugrunde geht. Vier Ehefrauen verschiedener Generationen und ihr gemeinsamer Mann Master Chen leben unter einem Dach und bilden ein ausweglos katastrophisches Beziehungs-Fünfeck. Das Stück handelt von weiblichem Begehren und gesellschaftlichem Zwang, von Traumvisionen, emotionaler Selbstbestimmung, Herrschsucht, Missgunst, Eifersucht und Tod. Die literarische Vorlage zu der Oper stammt von dem chinesischen Schriftsteller Su Tong und wurde weltberühmt, als der Filmregisseur Zhang Yimou sie 1991 für seinen preisgekrönten Kinoklassiker Rote Laterne adaptierte.

Komponiert wird das Werk von dem Deutschen Christian Jost, der zu den gefragtesten Komponisten der Gegenwart zählt. Der in Berlin lebende Jost hat bereits sieben Werke für das Musiktheater geschrieben, unter anderem für die Komische Oper in Berlin und die Vlaamse Opera in Antwerpen. Seine Oper Hamlet wurde 2009 von Kritikern zur «Uraufführung des Jahres» gekürt. Jost, der sich mit den musikalischen Mitteln eines westlichen Komponisten einem fernöstlichen Sujet nähert, interessiert sich für die somnambule Atmosphäre, die bedrohlich fluktuierende Traumlogik und die fragilen, geheimnisvollen Charaktere, die der Stoff zu Rote Laterne entwickelt.

In zentralen Rollen sind international renommierte und im Umgang mit moderner Musik hochkompetente Sänger wie die Sopranistin Claudia Boyle und der Bariton Rod Gilfry zu erleben. Am Dirigentenpult steht der Franzose Alain Altinoglu, der in der Spielzeit 2012/13 in Der fliegende Holländer sein viel beachtetes Debüt am Opernhaus Zürich gab. Es inszeniert die junge deutsche Regisseurin Nadja Loschky. (copyright des Textes: Opernhaus Zürich)

Karten

Zurück