Zürich: POLIUTO, 06.05.2012
Oper in drei Akten | Musik: Gaetano Donizetti | Libretto: Salvatore Cammarano | Uraufführung: 30. November 1848 in Neapel | Aufführungen in Zürich (Schweizer Erstaufführung!): 6.5. | 10.5. | 13.5. | 15.5. | 20.5. | 23.5. | 3.6. | 6.6. | 9.6.2012
Kritik:
Hoch spannend klingende, dumpfe Kantilenen der vier Fagotte, begleitet von Celli und Pauke, lassen zu Beginn der Ouvertüre aufhorchen und stimmen ein– zusammen mit dem in die Ouvertüre integrierten Gebetschor - auf ein Drama um Meinungs- und Glaubensfreiheit, Enttäuschung von Lebensentwürfen und (Märtyrer-)tod. Bald schon jedoch dreht sich die Ouvertüre zum damals üblichen Potpourri, welches vom Orchester der Oper Zürich unter der Leitung von Nello Santi noch nicht ganz mit letzter Präzision gespielt wird. Auch den Protagonisten und dem durchschlagskräftigen Chor lässt Santi an diesem Premierenabend erstaunlich viel an freiem, dynamischem Gestalten durchgehen, so dass eine Aufführung entsteht, welche zwar praktisch durchgehend mit imponierender Lautstärke aufwarten kann, dadurch jedoch an Spannung zunehmend verliert. Zumal vor allem dem Sopran von Fiorenza Cedolins das ständige Forcieren nicht bekommt. Die in den Piani wirklich schöne, geschmeidige und tragfähige Stimme von Frau Cedolins wird unter Druck schnell scharf und eng in der Höhe und verliert an Farbe. Das mit dieser unangenehm klingenden Produktion der Töne verbundene Schrille bekommt der Figur der Paolina leider nicht. Die in sie verliebten beiden Männer haben es da mit ihren breiteren stimmlichen Volumina etwas einfacher. Doch auch sie klingen durchwegs zu laut, zu eindimensional, stellen ihre stimmliche Potenz überbordend zur Schau. Das alles ist zwar durchaus beeindruckend, sowohl die saubere, ungetrübte Höhe des Tenors von Massimiliano Pisapia als Poliuto, als auch der raumfüllend sonore und ebenmässig timbrierte Bariton von Massimo Cavalletti. Doch auf Dauer wirkt dieses ständig im Bereich von forte und fortissimo Singen für das Ohr ermüdend und ist dem Aufbau von Spannung nicht gerade zuträglich. Die drei Protagonisten durften jedoch am Ende grossen Beifall einheimsen – so ganz nach dem Motto: Je lauter gesungen wird, desto besser muss es sein. Wie man es auch machen kann, zeigt Jan Rusko mit seiner differenzierten Gestaltung des Nearco – ein eindringlich klingender und agierender Sänger mit grossem Potential. Riccardo Zanellato singt mit milder Bassstimme den eigentlich ziemlich bösartigen und intriganten Jupiterpriester Callistene.
Das Regieteam (Damiano Michieletto, Regie; Paolo Fantin, Bühne; Carla Teti, Kostüme) musste am Ende einige, ziemlich vehemente Missfallenskundgebungen des Premierenpublikums über sich ergehen lassen – meines Erachtens nicht ganz gerechtfertigt. Denn der Grundgedanke, der Konflikt zwischen individuellen Sehnsüchten der Menschen und dem Interesse des Staates nach folgsamen, stromlinienförmigen und bis auf die Unterwäsche kontrollierbaren Bürgern, ist im Werk durchaus angelegt. Es ist auch geradezu die Aufgabe eines Regisseurs, Werke auf ihre Gültigkeit jenseits der im Opus fixierten Epoche hin zu durchleuchten und in einen für unsere Zeit gültigen Kontext zu stellen. Genau das hat Michieletto gemacht, hat zum Teil eindringliche Bilder und Metaphern gefunden, gegen Ende hin jedoch überbordet und das Allgemeingültige den persönlichen Dramen der Protagonisten vorangestellt, die Geschichte damit ihrer Nachvollziehbarkeit beraubt und die Handlungsträger an die Wand gefahren. Das Interesse an den menschlichen Schicksalen wurde quasi im Laboratorium Frankensteins, wo aus den Gliedmassen der Märtyrer (Damnatio ad bestias) Retortenmenschen für eine Art Raffinerie zusammengebaut wurden, im Blutrausch der sich den Mächtigen anbiedernden Masse erstickt. Es ist ein grundlegender Fehler einer Regiearbeit, wenn sich szenische Rätsel (eben z.B. die herumliegenden Puppen) erst im dritten Akt aufzulösen beginnen. Denn die waghalsigen Gedankenspielereien, welche die Zuschauer dann anzustellen sich leider genötigt sehen, lenken von der eigentlich durchaus hörenswerten Musik Donizettis ab, lassen sie in den Hintergrund treten. Also – und das ist in diesem Fall sehr zu bedauern - nichts mehr mit „prima la musica ...“.
Fazit:
Wer italienische Oper zügellos laut, vordergründig und plakativ mag, wir mit dieser Produktion auf seine Kosten kommen. Wem Donizetti und sein POLIUTO am Herzen liegen, wird sich wohl weiterhin an die Mittschnitte der Live-Aufführungen mit Maria Callas (Corelli, Bastianini/Votto) oder Leyla Gencer (Zambon, Sardinero/Morelli) halten müssen.
Werk:
Gaetano Donizetti (1797-1848) vollendete das Märtyrerdrama bereits 1838. Es war als Turbo-Vehikel für die schlingernde Karriere des bekannten Tenors Adolphe Nourrit gedacht. Donizetti konnte die Oper aber wegen eines königlichen Verbots (König Ferdinand II. war ein devoter Katholik und widersetzte sich jeglicher religiöser Handlungen auf der Bühne) nicht zur Uraufführung bringen. In einer Umarbeitung in französischer Sprache erlebte die Oper 1840 unter dem Titel LES MARTYRS ihre Uraufführung in Paris. Nourrit beging unterdessen in Neapel Selbstmord. Erst nach Donizettis Tod wurde das Werk unter dem originalen Titel dann doch in Neapel uraufgeführt. Der bekannte Librettist Cammarano (LUCIA DI LAMMERMOOR; ROBERTO DEVEUREUX; LUISA MILLER; IL TROVATORE u.a.m.) benutzte als Quelle Corneilles Drama POLYEUCTE.
Giuseppe Verdi muss POLIUTO gekannt haben – im Finale des 2. Aktes der Aida (mit dem Triumphmarsch) sind deutliche Anklänge an das Finale II aus Donizettis POLIUTO nicht zu überhören!)
Die Rolle der Paolina war die letzte neue Rolle, welche Maria Callas für die Bühne einstudierte. Ihr umjubelter Auftritt ist als Aufnahme verfügbar (mit Franco Corelli, Ettore Bastianini unter der Leitung von Antonio Votto). In den siebziger und achtziger Jahren des 20.Jahrhunderts spielten Leyla Gencer, Adriana Maliponte, Katia Ricciarelli sowie José Carreras oder Giorgio Lamberti das konventionell gearbeitete, jedoch sehr effektvoll komponierte Werk ein.
Inhalt:
Armenien, zur Zeit der römischen Besatzung, um 250 n.Chr.
Paolina wird heimlich Zeugin von der christlichen Taufe ihres Gemahls Poliuto. Sie wird von den Christen überrascht und es wird ihr klargemacht, dass sie durch die Enthüllung dieses Geheimnisses ihren Gemahl in Lebensgefahr bringt.
Ein neuer Prokonsul erscheint. Es ist Severo, der ehemalige Geliebte Paolinas, den sie jedoch tot geglaubt hatte. Für Severo bricht eine Welt zusammen, als er erfährt, dass Paolina einen anderen geheiratet hat.
Der römische Oberpriester Callistene vermittelt ein heimliches Treffen Severos mit Paolina. Diese will jedoch (obwohl sie Severo immer noch liebt) Poliuto treu bleiben.
Nearco, der Anführer der armenischen Christen wird verhaftet und soll die Namen der neu Getauften preisgeben. Poliute bekennt sich zu seiner neuen Religion. Alle sind empört. Paolina bittet um Gnade für ihren Gatten.
Die verhafteten Christen weigern sich, ihrem Glauben abzuschwören und wollen den Märtyrertod sterben. Paolina ist überwältigt von der Standhaftigkeit ihres Gatten und nimmt selbst die christliche Religion an. Severo kann es nicht mit ansehen, dass seine geliebte Paolina hingerichtet werden soll und versucht sich zu erstechen, wird jedoch entwaffnet. Paolina und Poliuto begeben sich gemeinsam auf den letzten Weg, während die römischen Priester und das Volk triumphieren.