Zürich: PALESTRINA, 10.12.2011 & 12.01.2012
Musikalische Legende in drei Akten | Musik: Hans Pfitzner | Libretto: vom Komponisten | Uraufführung: 12. Juni 1917 in München (Dirigent: Bruno Walter) | Aufführungen in Zürich: 10.12. | 15.12. | 18.12. | 21.12. | 30.12. 2011 | 6.1. | 12.1.2012
Kritik:
Achtung: Pfitzners Musik ist gefährlich, sehr gefährlich. Sie birgt nämlich ein nicht zu unterschätzendes Suchtpotential. Das Ohr macht sich schnell einmal mit dem Wunsch nach „mehr“ bemerkbar, mehr von dieser orchestralen, ab und zu gar schwülstigen Üppigkeit, der Lautmalerei (Eselsgeschirr, Glocken, Kaiserhymnen, Vogelgezwitscher), den melodisch eigentlich simpel gehaltenen, oft punktierten Leitmotiven, welche aber so glänzend orchestriert und kunstvoll in den berauschenden Klangteppich eingewoben sind. Für die grossen Bögen (trotz einiger mit etwas verschwommener Präzision angegangener Stellen, vor allem im zweiten Akt) und die differenziert zum Erklingen gebrachte Pracht sind Ingo Metzmacher und das Orchester der Oper Zürich verantwortlich. Doch schon bald ertappt man sich auch beim Wunsch nach „weniger“: Weniger anstrengende, sprachlastige und profan gereimte Monologe, Dialoge und verbale Auseinandersetzungen, die letztlich kaum zu interessieren vermögen. Ja, wir haben's verstanden: Ein alternder Musikus mag nicht mehr komponieren, auch Drohungen und Zwang, oder päpstliche Stasi-Schergen, die seine Wohnung durchwühlen und aus verschiedenen Schöpfungen grosser Meister aus seiner Bibliothek einen Scheiterhaufen errichten, schaffen es nicht, ihn aus seinem Relax-Sessel an den Flügel zu locken. Ja, mei, denkt man, dann soll er halt abdanken und andere (zum Beispiel seinen von jugendlichem Elan nur so strotzenden Schüler Silla, grandios gesungen von Judith Schmid) die zur Zeit angesagten Ohrwürmer schreiben lassen. Auch Regisseur Jens-Daniel Herzog schien dem historisierenden, autobiographisch geprägten Künstlerdrama nicht ganz zu trauen und verlegte es in die Jetztzeit. Der schon im ersten Akt alte Komponist (er sieht dem Fritz im FERNEN KLANG, der Oper von Schreker, welche 2010 vom selben Leitungsteam in Zürich präsentiert worden war, zum Verwechseln ähnlich) schlurft durch seine miefige Mietwohnung (die mit viel Liebe zum Detail gestaltete Bühne stammt von Mathis Neidhardt) und lauscht den wunderschönen Klängen der Ouvertüre. Seine schöpferische Impotenz wird im Traum behoben, die Meister der Vergangenheit – um die Nähe zu Pfitzner zu betonen sind es hier Wagner, Brahms, Schumann, Beethoven ... - versichern ihm, dass auch sein Stein noch einmal hell strahlen, er der Retter der (deutschen) Tonkunst sein werde. So beginnt er dann zu schreiben, inspiriert auch durch plakative Engelsstimmen, in die auch seine verstorbene Gemahlin (mit sattem Mezzosopran Irène Friedli) einstimmt. Doch entgegen dem Libretto lässt das Inszenierungsteam den Traum auch im zweiten Akt weiterlaufen. Das Konzil von Trient findet in Palestrinas Wohnung statt, die raffiniert gebaute Drehbühne erlaubt Einblicke in die verborgensten Winkel und der Hausherr schlurft weiter sprach- und fassungslos durch seine Räume. Zur Gaudi des Publikums erlaubt sich der Regisseur allerlei billige Spässchen auf Kosten des Klerus: Kardinal Borromeo (manchmal etwas forciert gestaltend: Thomas Jesatko) darf in der Abstellkammer seinen homoerotischen Tendenzen frönen, einen jungen Priester vernaschen und sich danach süffisant von Kardinal Novagerio (hervorragend: Rudolf Schasching) fragen lassen, wie denn der anstrengende „Ritt“ gewesen sei. Fürstbischof Madruscht (auch vokal kräftig zulangend: Alfred Muff) und Novagerio geben sich indessen eher lukullischen Genüssen hin. Daneben erfahren wir auch ganz wichtige Dinge, z.B. dass Borromeo ein Stehpinkler ist, oder dass ein anderer Legat an Verstopfung leidet. Der voyeuristische Einblick ins Klo verbirgt halt nichts. Auch nicht, dass der Bischof von Prag (Krešimir Stražanac) sich zum Duschen eine Haube aufsetzt. Haha. Der geckenhafte Graf Luna (Oliver Widmer) indes ist nichts anderes als eine notorische Quasselstrippe und beschäftigt sich selbst beim Gebet des Morone (sehr einnehmend gesungen von Martin Gantner) ununterbrochen mit seinem Handy. So geht dann also der boulvardeske zweite Akt auch vorüber, Severolus (Reinhard Mayr) unterbricht die Verhandlung, die Legaten grapschen sich noch schnell ein Lunchpaket, erkundigen sich nach den Diäten (witzig Martin Zysset als Bischof von Budoja), bugsieren den Patriarchen von Assyrien (mit hellem, tenoralem Glanz: Michael Laurenz) im Rollstuhl aus dem Wohnzimmer und schauen, dass sie nicht erschossen werden, was jedoch nicht allen gelingt. Palestrina erwacht im dritten Akt aus seinem Traum. Roberto Saccà gibt den Meister von Beginn weg mit leicht gebrochen klingender Stimme, mag mit gepflegter Pianokultur zu gefallen und gestaltet die Inspirationsszene Allein in dunkler Tiefe im ersten Akt mit bewegender Intensität. Sein Sohn Ighino (die Hosenrolle darstellerisch überzeugender ausfüllend als gesanglich: Martina Janková) denkt, der Alte sei senil geworden und inszeniert dessen angeblichen Triumph in einer Art Good bye Lenin – Nachahmung, z.B. mit „Eviva“-Rufen, die ab Schallplatte ertönen. Doch Palestrina durchschaut das krude Spiel, lässt sich selbst vom grobschlächtig singenden Papst (Alfred Muff, als Mann von der Strasse, der in üppigste Gewänder gesteckt wird und seinen Text von Ighino vorgesetzt kriegt) nichts vorgaukeln. Er durchforstet seine Partitur und findet darin natürlich viele Stellen, die nicht von ihm stammen. Palestrina erkennt, dass sein Werk missbraucht und verunstaltet wurde. Lange spielt er mit dem Revolver und dem Gedanken an Suizid – schafft diesen letzten Schritt dann aber (noch?) nicht. Gebrochen und entwürdigt sinkt er am Flügel nieder. Da ist dem Regisseur zum Schluss ein starkes, eindringliches Bild gelungen. Nun ist es plötzlich präsent, das innere Drama des nicht mehr zeitgemässen Künstlers.
Das Premierenpublikum hat den langen Abend (beinahe vier Stunden dauerte die Aufführung) erstaunlich konzentriert mitverfolgt und sich bei allen Beteiligten mit herzlichem, einhelligem Applaus für die künstlerischen Leistungen bedankt.
Vorstellung vom 12. Januar 2012
Vieles erschien in dieser Vorstellung gelungener als anlässlich der Premiere. Die Sängerinnen und Sänger vertrauter mit ihren Rollen, das Orchester noch präziser. (Obwohl der Fürstbischof am Ende des zweiten Aktes nicht mehr erschien, um den Schiessbefehl zu erteilen und der Akt so szenisch ziemlich verworren endete ...). Sängerisch blieben nun überhaupt keine Wünsche mehr offen. Der neue Palestrina, Peter Bronder, fügte sich exzeptionell in das Regiekonzept und das hochkarätige Ensemble ein und begeisterte mit subtil geführter und wenn nötig durchschlagskräftiger, doch stets kontrolliert geführter Stimme und sicherer Höhe. Martina Janková fand zu ihrer gewohnt überzeugenden Form zurück und sang nun einen exzellenten Ighino, wirkte stimmlich viel gelöster als in der Premiere und begeisterte mit frei schwingendem, unforciertem Klang und apartem Timbre. Auch Thomas Jesatko als Borromeo wirkte differenzierter und überzeugte restlos. Herausragend nach wie vor Rudolf Schasching als herrlich komödiantisch agierender und hervorragend gestaltender Novagerio. Martin Gantner liess sich nichts von seiner Indisposition anmerken und gestaltete wiederum einen eindrucksvollen, prägnant singenden Morone.
Trotzdem verliess man die Vorstellung in leicht melancholischer Stimmung: Es war dies nämlich der (hoffentlich vorläufig) letzte Abend in diesem Haus mit Ingo Metzmacher am Pult dieses erstklassigen Orchesters. Grazie Maestro, für viele bereichernde und begeisternde Opernabende!
Inhalt:
Es ist die Zeit der Gegenreformation und des Abschlusses des Konzils von Trient im Jahre 1563
Der Komponist Giovanni Pierluigi (nach seinem Herkunftsort Palestrina genannt) leidet an einem Burnout. Sein polyphoner Kompositionsstil ist der neuen Zeit nicht mehr angemessen, die Monodie der Florentiner Schule scheint sich auch in der Kirchenmusik durchzusetzen (verkörpert durch Paestrinas Schüler Silla). Kardinal Borromeo kritisiert diesen neuen Musikstil und bittet Palestrina um eine Messe im alten Stil. Doch Palestrina lehnt ab. Seit dem Tod seiner Frau fühlt er sich am Ende seiner Eingebungskraft. Allein im Zimmer hat er eine Vision: Grosse Meister der Vergangenheit tauchen vor ihm auf und fordern ihn auf, sein Lebenswerk mit einer neuen Arbeit zu krönen. Ein Chor von Engeln und seine verstorbene Frau Lucrezia diktieren ihm die neue Messe in Windeseile in die Hand. Silla und Palestrinas Sohn sammeln am Morgen die vollgeschriebenen Notenblätter ein.
In Trient bereiten die Kardinäle die nächste Sitzung des Konzils vor. Es geht auch um die Rettung der Kirchenmusik vor den neuen Einflüssen. Dabei geraten sich die Bischöfe, Kardinäle und kaiserlichen Gesandten und vor allem auch deren Diener in die Haare. Sogar Schüsse fallen. Auch Folterungen bleiben nicht aus.
Palestrina wurde in Rom zwischenzeitlich verhaftet und gegen Auslieferung der neuen Partitur wieder frei gelassen. Er ist deutlich gealtert. Auf der Strasse hört man plötzlich „Evviva“-Rufe. Die neue Messe des alten Meisters wird bejubelt. Papst Pius IV. erscheint persönlich, um Palestrina zu gratulieren. Doch Palestrina bleibt ob all des Trubels seltsam unbeteiligt und in Gedanken versunken. Er setzt sich an die Hausorgel und beginnt leise zu improvisieren ... .
Werk:
Der Fall Pfitzner: Bei kaum einem anderen Komponisten fällt die Trennung zwischen Charakter und Schaffen ähnlich schwer. Hans Pfitzner (1869 -1949) provozierte schon als junger Mann mit ausgesprochen niederträchtigen, antisemitischen Äusserungen. Auch als alter Mann war er keineswegs weiser oder einsichtiger geworden. So lobte er selbst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch Hitlers Intentionen der Judenvernichtung: „„Das Weltjudentum ist ein Problem & zwar ein Rassenproblem, aber nicht nur ein solches, & es wird noch einmal aufgegriffen werden, wobei man sich Hitlers erinnern wird & ihn anders sehen, als jetzt, ... „ (Juni 1945) Dies zum Menschen Pfitzner, dem fleissigen Verfasser von Schmähschriften nicht nur gegen Kollegen wie Busoni oder Schönberg, sondern auch gegen seiner Musik eigentlich wohlgesonnene Persönlichkeiten wie den Schriftsteller Thomas Mann. Interessant auch, dass Pfitzners Werke in der Zeit der ihm verhassten Weimarer Republik häufiger aufgeführt wurden als während dem von ihm herbeigesehnten Dritten Reich. Seine eher unschwülstige, nach innen gekehrte und auf plakative Oberflächlichkeiten weitgehend verzichtende Musik eignete sich halt nicht zur Untermalung von demagogischen Massenaufmärschen oder indoktrinierenden Wochenschau-Berichten.
Als Komponisten kann man Pfitzner jedoch durchaus würdigen. Er ist der letzte grosse Romantiker unter den Komponisten zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Sein Hauptwerk, die Oper PALESTRINA, gilt als Künstlerdrama und steht damit in einer Linie von Berlioz' BENVENUTO CELLINI, Wagners MEISTERSINGERN, Offenbachs HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN zu Schrekers DER FERNE KLANG und Hindemiths MATHIS DER MALER. (All diese Opern wurden oder werden noch während Pereiras Intendanz in Zürich aufgeführt.)
Pfitzner hat im PALESTRINA ganz dem „Inspirationsmythos“ das Wort geredet, das heisst: Kunst ist ein schon beinahe mythologischer Schaffensakt, beruht auf überirdischer Inspiration. (Szene der Visionen). Interessant ist auch der autobiographische und geschichtsbezogene Verweis auf den Namen Giovanni: Damit ist nicht nur Giovanni Palestrina gemeint, auch der Heilige Johannes (Papst Pius erwähnt ihn im Zusammenhang mit Palestrinas Messe), Hans Sachs und Hans Pfitzner tragen diesen Namen ... .
Beim Verfassen des sprachgewaltigen Librettos hat sich Pfitzner nicht an die historischen Fakten gehalten, sondern den Schaffensprozess des alternden Künstlers Palestrina, welcher sich den neuen, von der Gesellschaft geforderten Strömungen, nicht gewachsen sieht, als Metapher für sein eigenes Verständnis von Künstlertum genommen. Der kreative Prozess zwischen Tradition und Aufbruch stürzt den Schaffenden in ein Dilemma und führt zu Selbstzweifeln.
Musikalisch ist eine gewisse Archaik auszumachen, viele Quint-/Quartmotive, wenig Chromatik, alles sehr getragen, in gewissen Szenen beinahe spielopernhaft, daneben sind jedoch immer wieder beinahe berauschende Sogwirkungen erzeugende Sequenzen auszumachen. Wirklich bewegende Höhepunkte muss man bei dem langen Werk allerdings regelrecht durch viel Durchhaltewillen „erdauern“ und aussitzen, wird dann aber mit Musik von erhabener Schönheit und beglückender Intensität belohnt.