Zürich, Opernhaus: RACHMANINOW | TSCHAIKOWSKY, 22.12.2013
Rachmaninow: Klavierkonzert Nr. 2 c-moll | Uraufführung: 9. November 1901 in Moskau | Tschaikowsky: Sinfonie Nr. 6 h-moll | Uraufführung: 28. Oktober 1893 in St. Petersburg
Kritik:
Musik für die Seele, komponiert von aufgewühlten Seelen, welche ihr Innenleben auf unnachahmliche Weise durch ihre Musik zu sublimieren vermochten – so könnte man das Konzert der Philharmonia Zürich unter der Leitung ihres Chefs, Fabio Luisi, übertiteln.
Die Ansetzung von gleich zwei „Blockbustern“ des klassischen Repertoires innerhalb eines Konzerts könnte man eventuell als etwas mutlos kritisieren, andererseits garantierten diese natürlich ein ausverkauftes Haus und dem Orchester eine wirkungsvolle Plattform, um sein Können auch im Konzertrepertoire zu demonstrieren. Dies tat es sowohl im eröffnenden Klavierkonzert Nr. 2 in c-moll von Sergej Rachmaninow, als auch in Tschaikowskys Sinfonie Nr. 6 in h-moll. In Rachmaninows Klavierkonzert breitete das Orchester einen wunderbar satten Klangteppich für die Solistin Lise de la Salle aus. Die Pianistin eröffnete das Konzert mit den geheimnisvoll bassgrundierten, sich dynamisch und Gänsehaut erregend steigernden Glockenschlag-Akkorden. Aus ihren kraftvoll und mit stupender Geläufigkeit gespielten Arpeggien und Kaskaden entwickelten sich die Motive wie glitzernde Wassertropfen, steigerten sich ekstatisch ausgelotet zu sinnlicher Emphase im ersten Satz. Sehr intim gestaltete Lise de la Salle das Adagio, den sanften Diskurs mit der Flöte, der nie ins rein Süssliche abglitt. Luisi und die Philharmonia Zürich untermalten mit einem ruhig fliessenden Streicherklang, schafften perfekte, organische Übergänge zum Seitenthema und zurück zur Reprise und zur zauberhaft gestalteten Auflösung. Pure Virtuosität charakterisiert den dritten Satz: Grossartig, wie sich nach der Orchesterintroduktion das Klavier mit geschmeidigen, von Lise de la Salle atemberaubend gespielten Läufen wieder in den Vordergrund schiebt. Fantastische Intensität verbreiteten die Bratschen mit ihrem Thema, energiegeladen das folgende Wechselspiel, bei welchem die Musiker und die Pianistin das Kunststück fertig brachten, präzise und doch musikantisch zu spielen. Rasend schliesslich der Übergang in den Schlussteil, auch hier erlebte man wieder das Kunststück der Verschmelzung von stürmischem Aufbrausen mit ruhevollem Glockenklang. Mit einem von ruhiger Empfindsamkeit geprägten und mit bestechender Schlichtheit und Ehrlichkeit vorgetragenen Choral von Bach bedankte sich Lise de la Salle für den begeisterten Applaus beim Publikum. Ein klug gewählter Kontrast zur klangfetischistischen Opulenz im Schlusssatz von Rachmaninows Konzert.
Tief und düster (Fagotte, Bratschen) beginnt Tschaikowskys letzte Sinfonie. Dieses einleitende Adagio intonierten die MusikerInnen der Philharmonia Zürich mit geradezu bedrückender Intensität. Luisi disponierte den Klang subtil abgestimmt, das Unfassbare, Davonhuschende des Themas wurde feinsinnig und geheimnisvoll angegangen, genauso wie das Zurücksinken in Ruhe und Trost. Auch hier erwies sich der Dirigent wieder als Meister der organischen Übergänge. Aufwühlend dann die Attacke in den schnelleren Teil des Satzes, gleissendes Blech, choralartige Einwürfe von Posaune und Tuba und ein Zurücksinken in die Melancholie des Beginns – meisterhaft gestaltet durch den Dirigenten. Das tänzerische Allegro des zweiten Satzes klang elegant, ohne übertriebene Folkloristik, sehr diesseitig nach den Abgründen im ersten Satz. Mit bestechender Spritzigkeit gelang dem Orchester der Beginn des dritten Satzes mit dem Wechsel von Pizzicati und schnellen Begleitfiguren in den Streichern, das Aufgehen dieses flatterhaften Motivs im immer stärker dominierenden Marsch, welcher trotz aller Klangballungen bis zur Höllenfahrt der Coda mit beeindruckender Transparenz gespielt wurde. Ein grosses Kompliment gebührt auch dem Publikum, welches die Sinfonie nach diesem mitreissenden Strudel nicht durch Applaus unterbrach, sondern sich von Tschaikowskys Lamentoso im vierten Satz bannen liess. Mit enormer Expressivität wurde dieser traurige Abgesang gestaltet, kulminierte in einem zerreissenden Klimax, schmerzhaften Einschüben der gestopften Hörner und verklang tief berührend in den Bässen. Sekundenlange Stille, bevor Orchester und Dirigent gefeiert wurden.
Werke:
Sergej Rachmaninow (Komponist, gefeierter Klaviervirtuose, Dirigent, 1873-1943), der grosse Spätromantiker, spielte bei der Uraufführung seines wohl berühmtesten Werkes den Solopart selbst. Das Werk - entstanden in einer von Rückschlägen geprägten Phase seines Komponistendaseins und während er in psychotherapeutischer Behandlung war (bei Nikolaj Dahl, dem das Konzert auch gewidmet ist) - begründete den weltweiten Ruhm des Komponisten. Dieses Klavierkonzert ist seit seiner Uraufführung ein Zugpferd des Klavierrepertoires, kaum einer der grossen Pianisten hat es nicht auf Tonträger eingespielt, es diente als Filmmusik (Das verflixte siebente Jahr mit Marylin Monroe, Menschen im Hotel mit Greta Garbo, Symphonie des Herzens mit Elizabeth Taylor, Partir et Revenir mit Annie Girardot u.a.m.) und dank seiner Erotik, Leidenschaft und Emphase ist es zum Lieblingsstück romantischer Liebespaare avanciert. Genau wie Tschaikowsky hat Rachmaninow seine russische Herkunft und seine Wurzeln nie verleugnet, in seiner Musik schimmern die Melancholie der russischen Seele, der pompöse Glanz, die Sehnsucht und die unendliche Weite des Landes immer wieder durch. Was Rachmaninows Kompositionen - und insbesondere seine Klavierkonzerte auszeichnet - sind neben dem hochvirtuosen Solopart die kunstvolle Verarbeitung der Motive und die reichhaltige, ausdrucksstarke Harmonik.
Pjotr Illjitsch Tschaikowskis ((1840 - 1893) sechste und letzte Sinfonie, die Pathétique, war zugleich sein Schwanengesang. Sie stellt den Kulminationspunkt seines sinfonischen Schaffens dar, ist von der Aussage her seine persönlichste und formal seine mutigste, weil unkonventionellste Sinfonie. Schmerzhalfte persönliche Empfindungen und Schicksalsschläge (seine unterdrückte Homosexualität, die Trennung von seiner langjährigen Mäzenin Nadesha von Meck, das Scheitern seiner Ehe) sind darin genauso berührend und ergreifend verarbeitet wie die Sehnsucht nach unbeschwertem Leben, nach militärischer Kameradschaft und Erfüllung in der Liebe. Das Auffälligste an dieser Sinfonie ist, dass sie nicht in einem martialisch-mitreissendem Kehraus endet, sondern mit einem schmerzerfüllten Adagio lamentoso aus- und verklingt. Der Komponist dirigierte die Uraufführung selbst - neun Tage später war er tot; er erlag der Cholera, mit der er sich wahrscheinlich wissentlich infiziert hatte. Das "Programm" seines letzten Werks sollte nach eigener Aussage "stets ein Rätsel bleiben, da es durch und durch subjektiv sei".