Zürich, Opernhaus: LESSONS IN LOVE AND VIOLENCE, 21.05.2023
Oper in zwei Teilen | Musik: George Benjamin | Libretto: Martin Crimp, nach Christopher Marlowes EDWARD II | Uraufführung: 10. Mai 2018 in London | Aufführungen in Zürich: 21.5. | 25.5. | 27.5. | 2.6. | 4.6. | 8.6. | 11.6.2023
Kritik:
DIE MUSIK - KEINE "BOUILLABAISSE"
"Keine Angst vor neuen Tönen" hatte der Dirigent Ingo Metzmacher einst sein lesenswertes Buch über zeitgenössische Musik betitelt. "Angst" vor Tönen braucht man auch beim Anhören von George Benjamins Oper LESSONS IN LOVE AND VIOLENCE nicht zu haben. Das Werk des Engländers war 2018 als Koproduktion von gleich sieben bedeutenden Bühnen (Royal Opera House, Staatsoper Hamburg, Opéra de Lyon, Teatro Real Madrid, Liceu Barcelona, Lyric Opera Chicago, Amsterdam) uraufgeführt worden und erklang gestern Abend in Zürich sowohl als Schweizer Erstaufführung - die geplante Aufführung in St.Gallen fiel leider Corona zum Opfer - als auch als erste Aufführung in einer anderen Inszenierung als derjenigen von Katie Mitchell in der Uraufführungsserie. George Benjamins Musik ist von transparenter Klarheit geprägt, atmet licht und meistens in hellen Farben, ist nie überinstrumentiert und schwer - Benjamin selbst erklärte, dass er bei aller Komplexität der Partitur keine musikalische "Bouillabaisse " komponieren wolle - und trotzdem von faszinierender Dichte, dazu ist sie äusserst sängerfreundlich (wenigstens von der Dynamik, weniger vom komplexen Kontrapunkt her, denn Gesangslinien werden nie vom Orchester verdoppelt). Allerdings kann Benjamin das Orchester natürlich auch aufbrausen lassen, aber das eigentlich nur in den sechs Interludes. Diese hochdramatischen, aufpeitschenden und stimmungsvollen Zwischenspiele allein lohnen den Besuch der Aufführung, die krassen Wechsel in der Dynamik, von beinahe unhörbaren, filigranen Momenten zu abgründiger Ekstase führen zu unentrinnbaren Gänsehaut-Gefühlen. Sie allein wären es wert, in eine Orchestersuite gefasst zu werden. (Und tatsächlich: Als ich auf der Premierenfeier den anwesenden Komponisten darauf ansprach, zeigete er sich hocherfreut über meinen Vorschlag, der allerdings Wasser auf seine Mühle war, denn er befasse sich bereits damit. Gut so!) Die Philharmonia Zürich brachte diese Musik mit überwältigender Kraft und Souplesse zum Klingen, liess ungewohnte, aber faszinierende Klangschichten erklingen. Der Dirigent des Abends, Ilan Volkov, lenkte die Ströme in präzise, nie überbordende Bahnen, sorgte für eine atemberaubende Transparenz, die das Ohr zwar forderte, aber nie überforderte, liess die 90 Minuten ununterbrochene Spieldauer wie im Flug vorbeigehen.
DIE GESANGSLINIEN - KEIN "ZICKZACK"
Eigentlich hat nur die Partie der Königin Isabel so etwas wie ariose Momente in einem ausgedehnten Tonumfang, findet zu - seltenen, aber eindrucksvollen - Fiorituren (Szene mit der Perle). Jeanine de Bique erfüllt die Partie mit ihrem farbenreichen Sopran aufs Allerschönste, lotet durch ihren Gesang und ihre intensive Darstellungskraft die wenigen einnehmenden und die vielen abgründigen Facetten des komplexen Charakters aus. Hervorzuheben ist, dass George Benjamin für die Sänger*innen keine hysterischen Zickzacklinien mit hässlichen, unmotivierten Intervallsprüngen schreibt. Dieser gepflegte, leicht monoton in einem relativ eng umfassten Tonbereich angesiedelte Gesang tritt vor allem bei den vier männlichen Protagonisten (König, Gaveston, Mortimer, Junge) auf und kommt ab und an etwas gar leidenschaftslos daher. Lang gezogene Noten, wenig wahrnehmbare Rhythmen, sehr nahe am Deklamieren. Da hätte man sich vom Komponisten etwas mehr an leidenschaftlichem Ausdruck gewünscht. Der Vorteil ist natürlich, dass das Gesamtklangbild sehr transparent bleibt, auch wenn viele Personen gleichzeitig wie in einem Concertato singen. Dadurch kann man auch dem intelligenten, ab und an etwas zu kopflastigen Text von Martin Crimp ausgezeichnet folgen. Ivan Ludlow zeigt die Gebrochenheit des Königs mit wunderbar warmem Bariton - er ist erst wenige Tage vor der Premiere in die Produktion eingestiegen, da Lauri Vasar erkrankt war, trotzdem hatte man das Gefühl, die Rolle des schwulen Königs sei ihm auf den Leib geschrieben worden. Björn Bürger als sein Geliebter Gaveston verströmte nicht nur optischen, sondern auch stimmmlichen Sex Appeal. Sein etwas heller timbrierter Bariton, dem George Benjamin einen etwas weiteren Tonumfang komponiert hatte als für den König, führt in den Szenen mit dem König von Ivan Ludlow zu reizvollen klanglichen Verschmelzungen. Björn Bürgers u.a. von der Flöte exquisit begleiteter Monolog Here - look - is my baby king in der Szene III war fantastisch gestaltet, mit kontrollierten Ausflügen in die Kopfstimme. Der Gegenspieler des männlichen Liebespaars ist Mortimer. Mark Milhofer singt ihn mit heller, aber nie hysterisch schrill klingender Tenorstimme, ein wunderbar differenziert gestaltetes Porträt des komplizierten Charakters, das wie alle anderen Charaktere vom Regisseur Evgeny Titov sehr subtil herausgearbeitet worden war (mehr dazu im nächsten Abschnitt). Milhofer hat auch einen der wenigen vokalen Ausbrüche zu singen: Sein hasserfüllter Aufruf an die Zeugen im Bild VI Write - write this down - that lechery - that sodomy - have decayed his mind geht wahrlich unter die Haut. Solche Passagen auf der vokalen Seite der Partitur hätte man sich noch vermehrt gewünscht. Der zweite Tenor, der Junge und Thronfolger, wird mit sehr schöner Stimmführung von Sunnyboy Dladla gestaltet. Er versteht es wunderbar, seine Grausamkeit (die er in den vorangehenden "Lessons in love and violence" kapiert hat) in seinem naiven Tonfall so zu verbergen, dass diese Grausamkeit am Ende umso brutaler zuschlägt. Isabelle Haile und Josy Santos bereichern das Ensemble als Zeuginnen und Frauen (Szene II und VI) und als Sängerinnen zur Pantomime von Jonathan, David und Saul (Szene III). Ihre hoch interessanten stimmlichen Schattierungen lassen aufhorchen. Andrew Moore hat zwei ganz starke Auftritte, zuerst als Zeuge 3 und dann als Verrückter, der vom Jungen auf Anweisung Mortimers getötet werden soll. Der Junge hat seine Lektionen zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht vollständig gelernt, also übernimmt die Tötungsmaschine Mortimer dessen Erdrosselung.
DIE AKTION - KEINE SYMPATHIETRÄGER, TROTZDEM BEWEGEND
Evgeny Titov hat mit seiner ersten Regiearbeit für das Opernhaus Zürich eine restlos begeisternde und mit fantastischer Genauigkeit die seelischen Abgründe der Personen auslotende Inszenierung geschaffen. Im smaragdgrünen (im Libretto kommen Smaragde vor in Gavestons Monolog: His rattle is a box of emeralds!), leicht an barocke Fassaden erinnernden Einheitsraum, den Rufus Didwiszus entworfen hatte, entfesselt Titov ein spannungsgeladenes, intensives und unter die Haut gehendes Drama um Liebe und Gewalt. Jeder Figur lässt Titov ein genau gezeichnetes Profil angedeihen. Die Zwiespälte der Königin zwischen Macht und Liebe, die sich näher bei ihrem Mann fühlt, wenn sie während der Theateraufführung neben dem Geliebten des Mannes sitzt, als wenn sie direkt neben ihrem Gatten sitzen würde, werden bis in kleinste Gesten herausgearbeitet, und Jeanine de Bique setzt dies alles bestechend um. Die wunderschönen, stimmigen Haute Couture Kleider, welche Falk Bauer für sie entworfen hatte, unterstreichen die Persönlickkeit Isabels. Auch Gaveston wird als vielschichtiger Charakter gezeigt: Zu Beginn ist er die männliche, gekonnt mit seinen Reizen spielende, sexbesessene Schlampe, bei der Theateraufführung neigt er dann eher zur androgynen Ledertunte, wird philosophisch und kehrt dann in Szene VI als rätselhafter Fremder zum König (Edward II.) ins Gefängnis zurück. Björn Bürger schlüpft mit bewundernswerter Selbstverständlichkeit in die Rolle Gavestons. Mortimer tritt als ganz biederer Mann auf, mit Brille und etwas zu weit geschnittenem Doppelreiher. Evgeny Titov zeigt eindringlich, wie sich Mortimer zur hasserfüllten Mordmaschine wandelt: Gaveston weckt in Mortimer nämlich verdrängte und unterdrückte homosexuellen Begierden; bereits bevor die Musik einsetzt, entflieht Mortimer mit erstickten Schreien und Schnappatmung dem angedeuteten Liebesspiel Gavestons und des Königs unter der Bettdecke. Später drückt Gaveston dann auch noch Mortimers Kopf in seinen Schoss, was Mortimer endgültig zum Negierer jeglicher Liebe treibt. Mark Milhofer ist phänomenal als Biedermannn und Brandstifter. Den König zeichnet Titov als von inneren Zwängen zerfressenen Mann, die Liebe zu Gaveston und zu allem Schönen ist ihm das Wichtigste: Love makes us human, singt er schon in der ersten Szene. Schliesslich zerbricht er am Anspruch des Regierens, fällt politische Fehlentscheidungen, sein Gegner Mortimer nutzt das gnadenlos aus. Ivan Ludlow hat sich der Figur einfühlsam angenähert - es gibt tatsächlich Momente, wo man Mitleid mit dem König hat und sich ein Happyend für das gutaussehende männliche Liebespaar wünscht. Doch dem ist nicht so. Titov scheut sich auch nicht, krasse Szenen zu zeigen. So zum Beispiel die Zeugin in Szene zwei, welche die Überreste ihres verbrannten Kindes der Königin vor die Füsse wirft, während auf der gedeckten Tafel ein Oktopus darauf wartet, verspiesen zu werden. Oder die mit aller Brutalität dargestellte Ermordung des Verrückten durch Mortimer, der dann im letzten Bild selbst mit ausgestochenen Augen und von Folter gebrochen auf die Bühne kriecht. Die smaragdgrüne Bühne wird auf faszinierende Art ausgeleuchtet (Martin Gebhardt, Video: Tieni Burkhalter), das ist technisch dermassen raffiniert gemacht, dass man glaubt, die Fassade bewege sich (Szene VI). Das in sieben prägnanten Szenen packend ablaufende Drama kommt mit wenigen Requisiten und Möbeln aus: Ein grosses Bett mit schwarz-seidenem Überwurf, Tribünen und Vorhang für die Theaterszene, der erwähnte Esstisch mit dem Oktopus, arenaartige Bestuhlung für das Ende. Ja dieses Ende hat es in sich: Während des ganzen Abends begleitete eine "weisse" Dame, bleich und mit mystischer Präsenz dargestellt von Nini Vlatković, die familiären Szenen. Wenn dann der Junge am Ende König ist und verkündet: With a scene then of a human being broken and broken by rational application of human justice our entertainment begins beginnt sich die Frau vollkommen zu entkleiden. Man denkt: "Muss das nun wirklich auch noch sein?" Glauben Sie mir, verehrte Leser*innen: ES MUSS! Mehr sei an dieser Stelle über diesen veritablen Coup de Théâtre, der Evgeny Titov hier gelungen ist, nicht verraten. Hingehen!
Kleine perönliche Anmerkung:
Ein Jahr vor der Uraufführung von LESSONS IN LOVE AND VIOLENCE kam an der Deutschen Oper Berlin die Oper EDWARD II. des Schweizer Komponisten Andrea Lorenzo Scartazzini zur begeistert aufgenommenen Uraufführung. Die beiden Komponisten haben also praktisch gleichzeitig am Thema des schwulen Königs Edward II. gearbeitet. Wohlverstanden, LESSONS IN LOVE AND VIOLENCE ist tolles zeitgenössisches Musiktheater, EDWARD II. aber auch. Als mit Schweizer Steuergeldern hoch subventioniertes Haus hätte man vielleicht auch die Unterstützung einheimischen Schaffens in Betracht ziehen können - oder besser noch: Das eine tun und das andere nicht lassen. Gerade die Gegenüberstellung der beiden Opern, z.B. in aufeinanderfolgenden Spielzeiten, wäre doch spannend und wertvoll gewesen.
Inhalt:
Die Handlung dreht sich um den König Edward den II. (in der Oper nicht namentlich genannt), der seinen Günstling Gaveston liebt, sich treiben lässt und dabei die Staatsgeschäft vernachlässigt, was seinem Konkurrenten (und Liebhaber von Ewards Gemahlin Isabel), dem Armeeführer Mortimer, in die Hände spielt. Dieser lässt nämlich Gaveston hinrichten und zwingt König Edward zur Abdankung, damit er dessen Sohn, Edward III. als seine Marionette auf den Thron setzen kann. Der König stirbt. Seine Kinder werden Zeugen dieser Intrigen und haben die „Lektionen“ um Macht, Liebe und Gewalt gelernt. Der Knabe Edward III. lässt Mortimer vor den Augen seiner Mutter ermorden.
Werk:
GEORGE BENJAMIN wurde 1960 in Grossbritannien geboren. Er war ein Schüler von Olivier Messiaen. Grossen Erfolg feierte er mit seiner Oper WRITTEN ON SKIN (2012), ebenfalls mit dem Text von Martin Crimp. Sie ist eine Parabel über die Grenzen der Macht und kreist so um eine ähnliche Thematik wie sein neustes Werk für das Musiktheater, LESSONS IN LOVE AND VIOLENCE. Benjamins musikalische Sprache erinnert in ihrem lyrischen Grundton und dem Konversationsstil manchmal leicht an Debussys PÉLLEAS ET MÉLISANDE oder an die Musikdramen Brittens.
Historischer Hintergrund:
Edward II. lebte von 1284 bis 1327. Vielleicht wäre er eine unbedeutende Fussnote der Geschichte geblieben, hätte er nicht durch die besondere Art seiner Günstlingswirtschaft je nach Standpunkt Interesse, Anteilnahme oder Abscheu erregt. Erziehung durch seine Eltern hat er wenig genossen, seine Mutter starb, als Edward sechs Jahre alt war, sein Vater, König Edward I., weilte oft auf Kriegszügen im Ausland und kümmerte sich nicht um seinen Sohn. Schon früh wurde Edward allerdings zum ersten Prinzen von Wales ernannt, sein Vater übertrug ihm die Regentschaft während seiner Abwesenheiten. Als Edward I. 1307 starb, stieg der Prinz of Wales als Edward II. auf den englischen Thron. Aus politischen Gründen war bereits 1299 eine Heirat mit Isabelle de France, der Tochter Philipps IV. vereinbart worden, welche dann 1308 vollzogen wurde. Eine der ersten Amtshandlungen Edwards II. war, seinen Vertrauten Piers de Gaveston aus dem Exil zurückzuholen, in welches ihn Edward I. (dem die enge Verbindung Gavestons und seines Sohnes nicht behagt hatte) geschickt hatte. Edward II. überhäufte seinen Schützling Gaveston mit Ämtern und Einfluss. Das war den Magnaten im Reich ein Dorn im Auge, zumal Gaveston sehr selbstherrlich, überheblich und machtgierig agierte. Der Zwist zwischen Adel (welcher dem König eigentlich zu Gehorsam verpflichtet war) und den Kreisen um Edward II. und Gaveston brach offen aus. Schliesslich geriet Edward dermassen unter Druck, dass er der erneuten Verbannung Gavestons zustimmen musste. Doch Edward hielt sich nicht an die Vereinbarung, er holte Gavestonkurze Zeit später zurück. Dies brachte den Bischof von Coventry auf die Palme, welcher nun den Adel dazu überredete, Gaveston gefangen zu nehmen. Gerüchte um eine sexuelle Beziehung zwischen dem König und Gaveston machten nun offen die Runde. Gaveston wurde schliesslich gestellt und auf Betreiben des Erzbischofs und des Earls of Lancaster hingerichtet. Zudem wurde der Earl of Lancaster Vorsitzender des königlichen Rats. In der Folge arrangierte sich Edward mit dem Adel, vergab ihnen gar die Ermordung seines Geliebten Gaveston– scheinbar. Denn Edward holte sich schon bald weitere Günstlinge und Einflüsterer an seinen Hof, vor allem die Despensers, Vater und Sohn. Hugh le Despenser (Spencer) der Jüngere, übte eine ganz besondere Anziehungskraft auf den König aus und schaffte sich durch Anhäufung von Ländereien Einfluss und Macht. Es kam zu den „Despenser Wars“, einem Angriff des alten Adels auf die Despensers. Schliesslich musste der König erneut der Abschiebung ins Exil eines Günstlings und vermutlichen Liebhabers zustimmen. Doch auch diesmal hielt er sich nicht an die Vereinbarung und holte Hugh le Despenser schon bald wieder zurück. Dies führte zum Bürgerkrieg, den Edwards Truppen gewannen und Lancaster gefangen nahmen und hinrichteten. Edward und die Despensers herrschten nun beinahe absolutistisch und tyrannisch, die Adelsopposition fiel in sich zusammen. Doch nach einem Konflikt mit Frankreich schickte Edward seine Gattin Isabelle dahin, um einen Frieden auszuhandeln. Gleichzeitig entkam Roger Mortimer (einer der aufständischen Adligen) aus dem Tower und gesellte sich zu Isabelle (mit der er ein Verhältnis hatte). Der Sohn Edwards, der spätere König Edward III., befand sich ebenfalls in Frankreich und weigerte sich, zu seinem Vater zurückzukehren. Mortimer und Isabelle scharten Truppen um sich und beauftragten Henry von Lancaster, den Bruder des hingerichteten Thomas von Lancaster, Edward II. und seinen Günstling Hugh le Despenser zu verhaften. Despenser wurde hingerichtet, Edward auf Berkeley Castle inhaftiert und zur Abdankung gezwungen, u.a. wegen Unfähigkeit, Habgier, Grausamkeit und „unwürdigen Tätigkeiten“, was eine klare Anspielung auf seine Sexualität darstellte. Am 21. September 1327 wurde berichtet, Edward II. sei gestorben. Es wird kolportiert, man habe ihm eine glühende Eisenstange durch ein abgesägtes Kuhhorn in den After gestossen, um so erstens auf grausame Weise seine Homosexualität zu verspotten und um zweitens äusserliche Gewaltanwendung zu vertuschen.
Der Sohn Edwards II., Edward III., regierte übrigens 50 Jahre lang (beinahe so lange wie Victoria oder Elisabeth II.) und machte aus England eine bestens organisierte militärische und politische Macht. Nach Edward III. kam dessen Enkel Richard II. auf den Thron, doch nach der Ermordung Richards II. brachen die Rosenkriege aus, welche erst 100 Jahre später mit dem ersten Tudor auf dem Thron zu Ende gingen. Der Dominikanerorden und Richard II. hatten beim Papst gar noch eine Heiligsprechung von Edward II. angeregt, die jedoch nie vollzogen wurde.
1592 schrieb der Dichter Christopher Marlowe das Drama EDWARD II., in welchem er für die damalige Zeit ungewöhnlich deutlich die homosexuelle Komponente des Verhältnisses Edwards zu Gaveston und Despenser herausstrich. Bertolt Brecht bearbeitete das Stück 1923 und der Filmemacher Derek Jarman verfilmte es in einer eigenwilligen, schwül-morbiden Adaption 1991 und förderte damit den Status Edwards II. als Ikone der Schwulenbewegung.