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Zürich, Opernhaus: LAKMÉ (konzertant), 15.04.2023

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Lakmé

copyright: Toni Suter, mit freundlicher Genehmigung opernhaus Zürich

Oper in drei Akten | Musik: Léo Delibes | Libretto: Edmond Gondinet und Philippe Gille, nach dem Roman «Rarahu ou Le Mariage de Loti» von Pierre Loti | Uraufführung: 14. April 1883 in Paris | Aufführungen in Zürich: 2.4. | 8.4. | 15.4.2023

Kritik:

DIE HÜTTE TOBTE

Weit, weit muss ich zurückdenken, lange, lange habe ich im Opernhaus Zürich nicht mehr einen derart immensen Ausbruch eines Begeisterungssturms erlebt wie nach der von Sabine Devieilhe so unfassbar überwältigend vorgetragenen "Glöckchenarie" in Léo Delibes LAKMÉ. Aus gefühlt 1000 Kehlen erschollen Brava-Rufe für eine Darbietung, die nicht von dieser Welt schien. Sabine Devieilhe begann mit dem Rücken zum Publikum gewandt mit ihrer a capella so wunderbar die exotische Stimmung einfangenden Vokalise, begann mit fantastischer, reiner und wunderbar lyrischer Tongebung die Erzählung Où va la jeune indoue, fille des parias, setzte an zur Perlenkette der Koloraturen, von kristalliner Klarheit und doch mit warmer Tongebung. Ein Wunder! Ohne jeglichen Druck auf der Stimme, weich fliessend, ja himmlisch schwebend und eine Pianokultur, ja gar Pianissmokultur pflegend, die sowohl zutiefst rührte als auch verblüffte. Besser geht das nicht. Dabei blieb immer klar, dass die Arie kein oberflächliches Bravour-Vehikel für eine Primadonna oder Stimmakrobatin ist, sondern dass sie zu diesem Gesang durch ihren Vater Nilakantha gezwungen wurde, weil er damit hoffte, den Engländer Gérald aus seinem Versteck zu locken, der verbotenerweise in das Heiligtum der Brahmanen eingedrungen war und seine Tochter verführt hatte. Obwohl dies eine konzertante Aufführung war, kam durch die halbszenische Einrichtung von Natascha Ursuliak und das ausdrucksstarke, darstellerische Engagement aller Beteiligten eine Vorstellung zustande, der man mit nie nachlassendem Interesse folgte. Das Faszinierende war, dass nicht nur die Lamké von Sabine Devieilhe im Zentrum der Aufmerksamkeit stand, sondern dass alle neun Sänger*innen, der Chor der Oper Zürich und die Philharmonia Zürich unter der Leitung von Alexander Joel zu einem packenden musiklaischen Erlebnis beitrugen. Edgardo Rocha sang einen zutiefst beeindruckenden Gérald, dieser kolonialistische Engländer, der fern der Heimat der Doppelmoral frönt, sich hier in der Fremde Bedürfnissen hingibt (Liebe zu einem jungfräulichen, blutjungen Mädchen), welchen er in seiner gewohnten Umgebung nie sich traute nachzugeben. Rochas Stimme klingt wunderbar gerundet, fein austariert in der Dynamik, sich aufs Schönste mit seinen Partner*innen verschmelzend. Sein schwärmerischer Ton, das wunderschöne Legato in der Arie des ersten Aktes (Fuyez chimères!) und die wunderbaren Phrasen im anschliessenden Duett mit Lakmé waren wahrlich exquisit, ein Verschmelzen zweier grandioser Stimmen. Der kanadische Bassbariton Philippe Sly als Lakmés Vater Nakanthila beeindruckte mit einer der schönsten tiefen Männerstimmen, die ich in letzter Zeit gehört habe. Was für eine fantastische Rundung des Klangs, welch eine Dynamik, von stupender Sonorität und problemloser Höhe. Schon fast zu schön für den rachsüchtigen Brahmanenpriester, der durch Philippe Slys Gestaltung mehr die fürsorgliche väterliche Seite zeigte, als die des rebellischen, geächteten Priesters. Siena Licht Miller sang als Mallika zusammen mit Sabine Devieilhe das berühmte Blumenduett. Ihre wunderbar präsente, samtene Mezzosopranstimme kontrastierte aufs Schönste mit Devieilhes lichtem, lyrischen Sopran. Das Blumenduett ist ja neben der Glöckchenarie der zweite "Hit" der Oper, bekannt aus Werbespots (Doritos, Air France, T-Mobile), Filmen ( Meet the parents mit Robert de Niro und Ben Stiller, The Hunger mit Catherine Deneuve, Susan Sarandon und David Bowie) und TV-Serien (The Simpsons, How I met your mother, Smalville). Aber hier in Zürich klang diese Blumenduett in keinem Moment abgedroschen, sondern frisch und einfach wunderschön. Wie überhaupt die ganze, leider so selten gespielte Oper von Léo Delibes keinen einzigen schwachen Moment hat, jede Phrase ist von gefühlsintensiver Schönheit. Eine Schönheit, die auch in den mittleren und kleineren Partien zum Ausdruck kam: Sandra Hamaoui lies ihr herausragend schönes Timbre als Ellen (Géralds Verlobte) bezaubernd aufblitzen, Björn Bürger gestaltete den Frédéric mit hinreissender stimmlicher Eleganz (wie gerne möchte man diesem wunderbaren Bariton öfters mal wieder auf der Zürcher Bühne begegnen!), Božena Bujnicka liess als Rose (Cousine von Ellen) aufhorchen (sie hat eindeutige grössere Rollen in Zürich verdient!) und Irène Friedli machte die Mistress Benson (Gouvernante von Rose und Ellen) dank ihres wie stets untrüglichen Bühneninstinkts und der musikalischen Gestaltung zur prallen Figur. Das Quintett Hamaoui, Bujnicka, Friedli, Bürger und Rocha im ersten Akt war hinreissend. Saveliy Andreev schliesslich gestaltete mit seinem traumhaft schönen Timbre einen berührend sensiblen Hadji.

Alexander Joel hielt die Fäden der Aufführung mit klarer, aufmerksamer Zeichengebung zusammen, die Musik schien aus seinem ganzen Körper zu strömen, er erzielte durch weit ausholende Armbewegungen und oft gar tänzelnde Schritte auf dem Dirigentenpodest eine dymanisch und rhythmisch wunderbar präzise Wiedergabe. Die Philharmonia Zürich blieb der Partitur Delibes nichts an interessantem Kolorit schuldig. Der Chor der Oper Zürich (Einstudierung: Janko Kostelic) erweckte insbesondere das Genrebild der indischen Marktszene zu farbenprächtigem Leben.

Drei restlos ausverkaufte, umjubelte Vorstellungen konnte das Opernhaus Zürich mit dieser konzertanten Produktion feiern - vielleicht liesse sich auch einmal über eine szenische Produktion nachdenken?

Inhalt:

Ort: In einer indischen Stadt zur Zeit der britischen Kolonialherrschaft, 19. Jahrhundert

Der Brahmanenpriester Nilakantha beklagt die Einschränkungen der Religionsausübung durch die britischen Besatzer. Als er sich entfernt, wollen seine Tochter Lakmé und ihre Aufpasserin Mallika baden gehen. Lakmé legt ihren Schmuck ab und fährt zusammen mit Mallika in einem Boot davon. Die britischen Offiziere Frederick und Gerald steigen über den Zaun und dringen verbotenerweise auf das Gelände der Brahmanen ein. Frederick zieht sich jedoch bald zurück, Gerald hingegen, der von der Schönheit Lakmés gehört hat, versteckt sich. Als Lakmé zurückkkehrt, offenbart sich Gerald und Lakmé erwidert erstaunlicherweise sofort seine Liebesgefühle. Doch der Priester Nilakantha kommt zurück. Lakmé hat die Gefahr gewittert und Gerald kann sich noch rechtzeitig verstecken. Aber Nilakantha hat eine Ahnung, dass einer der verhasstten Briten anwesend sein könnte ... .

Nilakantha geht als Bettler verkleidet auf den Markt. Er nimmt Lakmé mit. Dort soll sie singen und so hofft Nilakantha, dass sich der britische Ubeltäter erkenntlich machen würde. Das klappt tatsächlich: Gerald nähert sich Lakmé und Nilakantha kann ihm von hinten ein Messer in den Rücken stossen. Lakmé stellt fest, dass Gerald nicht allzu schwer verletzt ist und lässt ihn durch ihren Vertrauten Hadji in einsicheres Versteck bringen.

In einer Waldhütte versteckt, wird Gerald von Lakmé gesund gepflegt. Von einer heiligen Quelle in der Nähe trinken Liebespaare aus einer geweihten Schale Wasser. Damit sind sie lebenslang vereint. Lakmé geht zur Quelle, um das Wasser in die Waldhütte zu bringen und sich so mit Gerald zu vereinen. Während ihrer Abwesenheit kommt Frederick und will Gerald von der Desertation abbringen. Gerald lässt sich überzeugen, sich wieder der Kolonialarmee anzuschliessen (er ist im Übrigen ja auch noch mit einer Weissen verlobt ...). Die zurückkehrende Lakmé bemerkt Geralds Veränderung. Sie nimmt Stechapfelgift zu sich, teilt daraufhin mit Gerald noch das heilige Wasser der Liebe. Lakmé stirbt. Allerdings ist Gerald nun für den herbeieilenden Nilakantha unantastbar geworden, da er vom heiligen Wasser getrunken hat. Gerald wirft sich fassungslos über die Leiche Lakmés, Nilakantha ist jedoch zufrieden, dass seine Tochter vor der irdischen Schmach einer Beziehung zu einem Feind verschont geblieben ist.

Werk:

Léo Delibes (1836-1891) verdankt sein Renommee vor allem seinen Kompositionen im Bereich des Balletts. COPPÉLIA und SYLVIA waren und sind Welterfolge. Auch die Oper LAKMÉ wurde ein grosser Erfolg, wird heutzutage noch vereinzelt aufgeführt. Immerhin gehört die Glöckchenarie der Lakmé zum Repertoire einer jeden Koloratursopranistin. Diese Arie ist etwas ganz Besonderes, weicht sie doch von der Periodenstruktur europäischer Tradition ab, wird durch eine taktlose, schwebende Vokalise eingeleitet und setzt additive Rhythmen indischer Harmonik ein. Ulrich Schreiber merkt in seinem Opernführer für Fortgeschrittene an, dass wohl niemand diese Normabweichungen (unbewusst) besser erfasst habe, als ausgerechnet die sich selbst "begnadet" fühlende Koloratursängerin und amerikanische Millionärin Florence Foster Jenkins. Zitat: "Ihre Schallplatte mit der Glöckchenarie ist ein Dokument der erfüllten Normabweichung: da stimmt nicht ein Ton mit dem Notierten überein."

Delibes LAKMÉ reiht sich in die Folge französischer Opern mit exotischen Sujets ein, welche sich von Rameaus LES INDES GALANTES zur Meyerbeers L'AFRICAINE zu Bizets LES PÊCHEURS DE PERLES und Massenets LE ROI DE LAHORE und ESCLARMONDE zieht, Opern, in denen die exotische Frau der bessere Mensch ist.

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