Zürich, Opernhaus: ELIAS; 09.06.2025
Andreas Homokis letzte eigene Inszenierung seiner Intendanz; musikalische Leitung: Gianandrea Noseda
Oratorium | Musik: Felix Mendeslssohn Bartholdy | Text: Julius Schubring, nach der Heiligen Schrift (Elias Erzählung aus dem 1. Buch der Könige | Uraufführung: 26. August 1846 in Birmingham, erste Aufführung in deutscher Sprache: 27. November 1847 in Berlin | Aufführungen in Zürich: 9.6. | 13.6. | 17.6. | 19.6. | 21.6. | 24.6. | 26.6. | 29.6. | 27.6. und 6.7.2025
Kritik:
Zuerst einmal gilt es einen Dank auszusprechen, einen Dank an den scheidenden Intendanten und Regisseur Andreas Homoki, der dem Zürcher Publikum 13 Jahre lang packende, mitreissende und ja, manchmal auch leicht verstörende musiktheatralische Erlebnisse beschert hat. Man kann gut und gerne von seiner Direktionszeit als einer Ära sprechen, der Ära Homoki. Mit der gestrigen Premiere von Mendelssohns Oratorium ELIAS beendete er nun seine erfolgreiche Zeit als Regisseur am Opernhaus Zürich (wobei das nicht ganz stimmt, denn noch steht die Premiere von LES CONTES D'HOFFMANN bevor, welche coronabedingt „nur“ als Live-Stream ausgestrahlt worden war und nun am 28. Juni erstmals vor Publikum gezeigt werden wird). Als Intendant bleibt Andreas Homoki selbstverständlich noch bis zum 13. Juli im Amt.
Der Jubel des Premierenpublikums gestern Abend war gross, sehr gross, dauerte gut zehn Minuten, was für eine Zürcher Premiere eher an der oberen Grenze liegen dürfte. Und er war verdient! Mendelssohns ELIAS ist ein gewaltiges Werk, vor allem für den Chor sehr fordernd, aber auch sehr dankbar zu singen. Im Konzertsaal oder in einer Kathedrale aufgeführt singt der Chor ein Oratorium meist mit dem Klavierauszug in den Händen. Hier nun agierte er auf einer Bühne, selbstredend ohne Noten vor sich. Das alleine schon ist eine riesige Leistung. Aber wie der Chor der Oper Zürich und der Zusatzchor der Oper Zürich diese Aufgabe meisterten, verdient allergrössten Respekt. Ernst Raffelsberger hatte die Einstudierung der Chorpartien übernommen und das Resultat konnte sich hören lassen: Ein Wunderwerk an Kraft, Gestaltung, Sicherheit der Intonation und der Disposition der Klangblöcke – und an szenischer Präsenz, denn Andreas Homoki hat es hervorragend verstanden, den Chor darstellerisch so subtil zu führen, dass im grandiosen Bühnenbild von Hartmut Meyer Tableaus von überwältigender Suggestivkraft entstanden, ohne uns Zuschauern das Auge und den Sinn allzusehr einzuschränken, so dass doch Zeit und Raum blieb für eigene Assoziationen zum alttestamentarischen (doch ziemlich blutrünstigen) Handlungsfaden rund um den Propheten Elias. Mechthild Seipel hatte für den Chor Alltagskostüme in Blau- und Beigetönen entworfen, wobei die Kleidung jeweils für eine Gruppe identisch war, die Gruppen sich aber durchmischten. Das entspricht genau dem, was Homoki im Programmheft sagt: „Die Menschen auf der Bühne sind wir“! Andreas Homoki wollte also einerseits mit dieser Produktion eines Oratoriums (Mendelssohn hatte ja nie eine Oper komponiert) dem so überaus klangstarken Chor der Oper Zürich Referenz erweisen, andererseits auch Solisten mit einbeziehen, mit denen er in den vergangenen dreizehn Jahren intensiv zusammenarbeiten durfte. Die Titelrolle vertraute er Christian Gerhaher an, der auf der Zürcher Bühne bereits in den Homoki-Inszenierungen von Alban Bergs WOZZECK, Heinz Holligers LUNEA und Giuseppe Verdis SIMON BOCCANEGRA tief beeindruckt hatte. Krankheitsbedingt konnte Christian Gerhaher erst zwei Wochen vor der Premiere in die Produktion einsteigen, doch das merkte man natürlich nicht. Mit seinem farbenreichen Bariton vermochte er all die Abgründe der seelischen Befindlichkeiten dieses (nicht sehr sympathischen) Propheten auszuloten, sein Wüten, sein Rasen, sein religiöses Eifern, aber auch seine Selbstzweifel bis hin zur Depression (ganz grossartig ausgedrückt in der Arie Es ist genug). Die Sopranistin Julia Kleiter (war in Zürich u.a. in IDOMENEO, DON GIOVANNI, DAS PARADIES UND DIE PERI und in Homokis Inszenierung von DAS LAND DES LÄCHELNS zu erleben gewesen) sang mit ihrer so wunderbar timbrierten Stimme die Witwe und die Sopranpartie, Wiebke Lehmkuhl (auch sie war in DAS PARADIES UND DIE PERI zu hören gewesen und in Vivaldis LA VERITÀ IN CIMENTO) bestach einmal mehr mit ihrer hervorragend geführten Altstimme als Engel, sowie in den Arien und den Ensembles. Mauro Peter als Obadjah und für die Tenorarien (am Opernhaus u.a. als Andres in WOZZECK, als Joaquino in FIDELIO, als Tamino in DIE ZAUBERFLÖTE zu erleben gewesen) setzte seinen wunderschön sanft intonierenden Tenor wirkungsvoll für Ruhepunkte in der doch streckenweise sehr lautstarken Aufführung ein. Dafür verantwortlich war Gianandrea Noseda, welcher zusammen mit der unter seiner Leitung exzellent spielenden Philharmonia Zürich ein alle Sinne mitreissendes musikalisches Drama schuf, ein akustisches Hörerlebnis der Extraklasse. Die von Mendelssohn selbst als mit „recht dicken, starken, vollen Chören“ beschriebene Partitur erhielt durch diese Klangballung aus dem Graben seitens des Orchesters so die passende Balance.
In einer Einspielung oder einem Konzert kommt man bei ELIAS meistens mit einem Solistenquartett und einem Knabensopran aus. Hier in dieser szenischen Aufführung wäre das zu verwirrend gewesen, deshalb hat man klugerweise den König Ahab (wunderbar Raúl Gutiérrez, er sang auch Tenor 2), die Königin (grossartig Indyana Schneider, sie sang auch Alt 2) mit Mitgliedern des IOS besetzt und zusätzlich Flavia Stricker als Sopran 2 und Max Bell als Bass 2 eingesetzt. Sylwia Salamońska sang die Erscheinung des Knaben. Sie machte das gut, doch irgendwie gefällt mir in diesen Passagen ein echter Knabensopran besser.
Andreas Homoki verzichtete in seiner szenischen Umsetzung klugerweise auf Videoclips oder anderes Brimborium, er wollte keinen biblischen Historienschinken im Stile Hollywoods auf die Bühne hieven, sondern Menschen in all ihren Widersprüchen, ihrer Verführbarkeit, ihren Ängsten und ihrer Zuversicht zeigen. So gab es eigentlich nur zwei Stellen im zweiten Teil, die mit szenischen Effekten überraschten: Zur Erscheinung Gottes, der sich ja weder im Sturm, noch im Erdbeben oder im Feuer Elias und den Menschen offenbarte, sondern in einem „stillen, sanften Sausen“, flogen Papierflieger vom Bühnenhimmel als Botschaften des göttlichen Universums. Manchmal landeten sie sanft kreisend auf dem Bühnenboden, dann wieder stürzten sie wie Kamikaze-Flieger praktisch senkrecht hinunter, unberechenbar, wie Papierflieger es so an sich haben. Das führte natürlich auch zu Lachern im Publikum. Der zweite Effekt war die orange Stichflamme, mittels derer Elias zum Himmel fuhr. Das war's dann aber auch schon an Bühnenzauber, die restliche Magie des Abends ging allein von den innen in Anthrazitfarben und aussen in Sandfarben gehaltenen, verschiebbaren, halbrunden Wänden auf der Drehbühne von Hartmut Meyer und vom atmosphärisch so exzellenten Lichdesign von Franck Evin aus – und natürlich vom genialen geometrischen Objekt, das mitten auf der Drehbühne platziert war: Ein halber Brückenbogen der quasi ins Nichts oder in die Mystik der Unendlichkeit führte, durch sein Drehen Schauplätze für die Auftritte der Engel und des Königspaares schuf und Menschenmassen teilte oder verdrängte.
Natürlich kann man sich fragen, ob Mendelssohns Oratorium wirklich einer szenischen Aufführung bedarf. Gerade gestern habe ich am Radio einen Schriftsteller gehört, der die mangelnde Konzentrationsfähigkeit der Menschen heutzutage bemängelte. Die Aufmerksamkeitsspanne bei seinen Lesungen betrage höchstens zehn Minuten; Bücher werden immer seltener ganz gelesen. Das Hirn der Generationen, die sich nur mit kurzen Clips auf Tik Tok und anderen Medienkanälen beschäftigen, verlangt immer mehr nach zusätzlichen Reizen, das Ohr alleine reicht zur Aufnahme von Informationen nicht mehr aus, es braucht optische Unterstützung. Der Produktion von Mendeslssohns ELIAS am Opernhaus Zürich ist es dank der intelligent zurückhaltenden, gedanklich nicht einengenden Beschränkung der optischen Reize gelungen, die Konzentration auf die Musik an erste Stelle zu setzen! Grossartig!
Werk:
Felix Mendelssohns Vater war stets darauf bedacht, dass sein Felix nichts allzu “Leichtgewichtiges” komponierte. So nahm Felix Mendeslssohn sein Oratorium PAULUS in Angriff, stellte es jedoch erst nach des Vaters Tod fertig. Der PAULUS fand bei den seit Händels Zeiten von der Form des Oratoriums begeisterten Briten grossen Anklang. Deshalb brachte Mendeslssohn schliesslich knapp 10 Jahre später den ELIAS ebenfalls in England heraus. Mendelssohn hatte sich jedoch schon lange mit dem Gedanken, einen ELIAS zu komponieren befasst. Obwohl Mendelssohn ein glühender Verehrer Johann Sebastian Bachs war und Händel gegenüber eine eher kritische Distanz bewahrte, erinnert sein ELIAS mit der ihm innewohnenden Dramatik eher an Händels Oratorien. Vor allem die gewaltigen Chorpassagen sind eindrücklich und gehören zu den stärksten ihrer Zeit. Die Uraufführung geriet zu einem Riesenerfolg und festigte die Beliebtheit Mendelssohns auf der Insel.
Im ersten, sehr dramatisch ausgeprägten Teil des Oratoriums erleben wir Elias, wie er gegen den Baalskult der Königin im Nordreich wettert, dem Volk eine Zeit der Dürre voraussagt. Auf dem Berg Karmel soll ein Gottesurteil zeigen, wer der wahre Gott ist. Ein Feuerblitz vom Himmel mäht die Anhänger des Baalskults nieder. Den Abschluss des ersten Teils bildet das so genannte “Regenwunder”. Der zweite Teil enthält mehr lyrische Momente, unter anderem die bekannte Sopranarie Höre Israel (ursprünglich für Jenny Lind komponiert) und Elias' Arie Es ist genug. In diesem Teil erleben wir die Niederlage Elias' gegen die Königin, die zum Mord an ihm aufhetzt. Elias wird von Engeln auf den Berg Horeb geleitet, hat die Begegnung mit dem unsichtbaren Gott und zieht zurück in den Kampf gegen den Baalskult. Im Feuerwagen fährt er gegen Himmel. Am Ende kündigt der Chor die Ankunft des Messias an.