Zürich, Kulturmarkt: SCH.NEE, 29.10.2022
Tanz-Kreation der NUNZIO IMPELLIZZERI DANCE COMPANY | Uraufführung: 27.Oktober 2022 in Zürich | Weitere Aufführungen im Kulturmarkt Zürich: 29.10. | 30.10. | 1.11. | 2.11.2022
Teatro ai Colli, Padova, IT: 6.11.2022
Teatro Arcimboldi, Milano: 5.3.2023
Kritik:
Nur schon der Einlass in die Aufführung von SCH.NEE ist ganz besonders: In kleinen Gruppen von maximal sechs Personen wird man in den Saal gelassen, kommt den Tänzer*innen, die bereits am performen sind, dabei ganz nahe, da man quer über die Bühne gehen muss, um zu seinem Sitzplatz zu gelangen. Es kommt zu intensiven Blickkontakten mit den drei Tänzern und den drei Tänzerinnen, Blickkontakte, die auch später den Abend prägen werden, die während der einstündigen Performance kaum je abreissen und uns, das Publikum, so in den Bann einer ganz aussergewöhnlichen unglaublich intensiven Choreografie ziehen. Wenn dann alle Zuschauer*innen im Saal sind (praktisch ausverkauft!), sitzen die sechs Tänzerinnen in einer Reihe vor uns, ganz nahe, blicken uns an. Alle sind barfuss und man kommt nicht umhin, die exzellente und ausserordentlich ausdrucksstarke "Fussarbeit" zu bewundern, die hier geleistet wird. Das ist hochspannend umgesetzt. Im ersten Teil kommt es kaum zu Berührungen zwischen den Tänzer*innen, dafür zu Spiegel- und Parallelaktionen, alles sehr ruhig, untermalt von der wunderbaren elektronischen "minimal music" von Tarek Schmidt. Ganz hervorragend ist auch das Lichtdesign von Victoras Zemeckas und Nunzio Impellizzeri, ein Licht, das meist von oben fällt, eine atmosphärische Dichte und Konzentration auf die Körperlichkeit der Choreografie wirft. Der Choreograf Nunzio Impellizzeri geht dabei der "Stille" nach, wie ist sie individuell aushaltbar - für die Ausführenden und das Publikum. Die einzelnen Abschnitte der Aufführung werden durch vollkommene Dunkelheit und Stille voneinander abgetrennt - die immense Wirkung bleibt nicht aus, man hat Zeit zu reflektieren und die Tänzer"innen haben ein bisschen Zeit zum Durchatmen, denn was von ihnen in diesen 60 Minuten an Kondition, Konzentration und Athletik verlangt wird, ist beinahe unfassbar. Doch Federica Avantaggiato, Lionel Ah-Sou, Claudio Constantina, Clémentine Dumas, Ioar Labat Berrio und Katharina Ludwig meistern die komplexen Szenen mit einer verblüffenden Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, sie reissen uns mit in einen ganz besonderen Gefühlsstrudel. Keine Szene ist zu lang oder zu kurz, das Timing ist schlicht perfekt. Es werden Fragen aufgeworfen, wie z.B. wie reagieren wir auf Geräusche (Bohrmaschine, Stampfen von zwei Füssen) oder auf Vibrationen (wir werden einer geradezu körperlichen Erfahrung ausgesetzt!). Aus Individualität wird Kollektivität, wir beobachten in der faszinierendsten Szene des Abends quasi die Evolution eines einäugigen Urwesens in der Gebärmutter mystischer ozeanischer Tiefen (der Sound hier phänomenal!) zu einem Mann. Wir verfolgen die wunderbare Kostümdramaturgie, die sich Nunzio Impellizzeri ausgedacht hat, von farbenreicher, sportlicher Freizeitbekleidung zu hautfarbenen, netzartigen Kostümen. Wie Fischmäuler öffnen und schliessen die Tänzer*innen den Mund, stopfen ihn gar mit weissen Kugeln (Schneebälle?). Eine Tänzerin bewegt sich lange Zeit sirenenhaft wie ein Wilis in ihrem lachsfarbenen Trikot zwischen den bereits in den hellen, luftigen Kleidungsstücken tanzenden Kolleg*innen, sie agiert zwischen Aggression, Verführung und Panik. Wunderbar!
Diese Tanzperformance sollte man nicht verpassen, temporeich, intensiv, faszinierend, soghaft, eine geradezu körperliche Erfahrung - auch als Zuschauer! Es gibt noch drei Vorstellungen im Kulturmarkt in Zürich, heute Sonntag 30. Oktober und am 1. und am 2. November.
SCH.NEE
Kreation 2022 I Länge 60 min
Wie verhalten wir uns in der Gegenwart von Klängen und Geräuschen?
Und wie, umgekehrt, erfahren wir die Stille?
Nunzio Impellizzeris neue Choreografie geht dem Verhältnis von Stille und heutiger Gesellschaft nach – wie beeinflusst das eine das andere? Stille wird oft gerade in Bezug auf den Lärm und Laut definiert, ist aber nicht nur die Absenz desselben, sondern eine viel komplexere eigene Realität. SCH.NEE bietet Gelegenheit zum Nachdenken und zum Wertschätzen der Stille in einer zunehmend beschleunigten Gesellschaft auf unruhigem Fundament. Laut zu sein, scheint geradezu Bedingung, um identifiziert und erkannt zu werden. Akustische Vibrationen können uns beruhigen oder in einen Zustand der Unruhe versetzen. Doch was geschieht in ihrer gänzlichen Abwesenheit?
Geräusche, Klänge, Stille: Über die Metapher des Schnees und seine eigene artistische Sprache, zwischen Balance und Konzentration, nimmt uns der Choreograf mit auf eine weitere Reise und erkundet ebenso grundlegende wie ungewöhnliche Aspekte unserer Zeit.
Die NUNZIO IMPELLIZZERI DANCE COMPANY aus Zürich wurde 2014 mit dem Ziel gegründet, die Arbeit des künstlerischen Leiters und Choreografen Nunzio Impellizzeri zu produzieren und zu verbreiten. Das Ziel der Kompanie ist es, zu überraschen, herauszufordern, das Publikum zu bewegen und dazu anzuregen, soziale Verhaltensweisen zu hinterfragen. Nunzio Impellizzeri ist als Choreograf für seine unverwechselbare Handschrift, eindrucksvolle Dynamik und überzeugende Bildsprache bekannt. Als Beobachter des menschlichen Verhaltens im sozialen Umfeld, vereint er sowohl physische als auch konzeptuelle Aspekte, um damit die Atmosphäre des Raumes zu transformieren. Die Kompanie arbeitet eng mit international renommierten Tänzer*innen und künstlerischen Akteur*innen zusammen. Applaudiert für die Exzellenz der Darsteller*innen und die Vielfalt der Choreografien, werden die Werke der Company an internationalen Theatern und Festivals in der Schweiz, Deutschland, Russland, Italien, Finnland, Dänemark, Chile, Spanien und Panama präsentiert.
Künstlerische Leitung, Konzept und Choreografie Nunzio Impellizzeri, Originalmusik Tarek Schmidt, Lichtdesign Viktoras Zemeckas, Nunzio Impellizzeri, Tanz Federica Aventaggiato, Lionel Ah-Sou, Claudio Costantino, Clémentine Dumas, Loar Labat Berrio, Katharina Ludwig, Bühnenbild und Kostümdesign Nunzio Impellizzeri, Kostümproduktion Theama for Dance, Probenleitung Irene Andreetto, Outside Eye Silvia Scipilliti, Technische Leitung Viktoras Zemeckas, Produktionsmanagement Manfred Dachs
Text: Nunzio Impellizzeri Dance Company