Zürich: IL RE PASTORE, 04.07.2011
Serenata in zwei Akten | Musik: Wolfgang Amadeus Mozart | Libretto: nach einem Textbuch von Pietro Metastasio | Uraufführung : 23. April 1775 in Salzburg | Aufführungen in Zürich: 4.7. | 7.7. | 9.7.2011 und Wiederaufnahme in der Spielzeit 2011/12
Kritik:
Wie ein laues, angenehm wohliges Sommerlüftchen kommt sie daher, die 17. und letzte Premiere dieser Spielzeit am Opernhaus Zürich. Das Auge delektiert sich an den prachtvollen, auf Gemäldevorlagen von Rokkoko-Malern fussenden Kostümen und der dazu passenden Bühne von Luigi Perego. Das Ohr erfreut sich am Klang des Orchestra La Scintilla, welches Mozarts frühe Partitur unter der vorwärtsdrängenden Leitung von William Christie auf Originalinstrumenten darbietet und vor allem an den zauberhaften, wunderbar differenziert gestaltenden Sopranstimmen von Martina Janková (Aminta), Malin Hartelius (Elisa) und Sandra Trattnigg (Tamiri), welche einmal mehr unter Beweis stellen, über welch herausragende Mozart-Sängerinnen das Zürcher Ensemble verfügt. Benjamin Bernheim als Agenore löst das Versprechen, welches er in diversen Partien in dieser Spielzeit schon mehrfach abgelegt hat, mehr als ein.
Bleibt der "Star" des Abends, Rolando Villazón, in der Rolle Alexanders des Grossen. Man stellt mit grosser Freude fest, dass er seine Stimme wieder gefunden hat, die Mittellage erstrahlt kernig und sicher. Die Koloraturen jedoch verfügen nicht über den geforderten brillanten Schliff, er singt auf Nummer sicher, etwas gleichförmig, meidet jegliches Risiko. Dem enormen Umfang der Partie wird er in den tiefen Lagen nicht ganz gerecht, viele Töne werden nur leicht angestupst oder bleiben gänzlich unhörbar. In seinem Spiel wirkt er überkandidelt; er legt die Rolle beinahe wie eine Buffo-Partie von Rossini oder Donizetti an. Oder war dies Absicht von Regisseur Grischa Asagaroff, um eine gewisse Brechung der pastoralen Idylle und der Glorifizierung der clemenza des Herrschers zu erreichen?
Wie dem auch sei: Nach den schweren und aufwühlenden Brocken, welche die letzten drei Premieren darstellten und kaum eine Besucherin, einen Besucher gleichgültig liessen (MOSES UND ARON, AUS EINEM TOTENHAUS und PARSIFAL), stellt Mozarts Serenata etwas gar leichte Kost dar, gut verdaulich, angenehm im Abgang - und doch verlässt man das Haus nicht ganz gesättigt.
Doch bevor sich dieser leichte Hunger nach einem Quäntchen mehr an geistiger Nahrung und musikalischer Erfüllung einstellt, erfreut man sich erst einmal an den wirklich wunderschön und originell gearbeiteten Kostümen, am barocken Brunnenambiente mit seiner Überraschungen bergenden Vertiefung, am locker-leidenschaftlichen Spiel der Protagonisten und der unterschwellig durchschimmernden Ironie in der Charakterisierung der fünf Figuren. Grischa Asagaroff hat die Konstellationen sehr sorgfältig herausgearbeitet. Begonnen wird (während des Vorspiels) mit einem Klassenausflug an die "Fontana del re pastore". Eine Nonne versucht ihre Schäfchen mit eher weniger als mehr Erfolg zusammenzuhalten. Die Kinder sind weder an der barocken Architektur (sofern sie denn nicht zum Fangen und Verstecken spielen einlädt) noch an der Historie interessiert. Eis schlecken, einander necken und billige Zeitschriften lesen ist ihnen wichtiger. So nehmen sie denn auch nicht mehr wahr, dass der König Hirte Aminta hinter der Brunnenfigur aufsteigt und das Spiel beginnt. Wie der Regisseur dann im allerletzten Moment am Ende des Stücks gerade noch die Kurve zu dieser Rahmenhandlung findet, sei hier nicht verraten. Dies jedenfalls ist recht gekonnt gemacht. Ansonsten hat er zu Recht dem Stück nichts Fremdes oder Eigenwilliges aufoktroyiert, die pastorale Idylle und Huldigung an die Milde des Herrschers nur mit ganz dezentem Augenzwinkern versehen. Musikalisch bietet die Serenata einige wirklich hörenswerte Arien (die wären allerdings auch konzertant mit weniger kostspieligem Aufwand zu geniessen gewesen). Besonders das berühmte Rondo L'amerò, sarò costante des Aminta im 2. Akt gerät nach dem fast atemlos durchgepeitschten ersten Akt zu einem veritablen, berührenden Showstopper. Hier dehnt William Christie dann das Tempo allerdings zu einer beinahe schmerzlichen Langsamkeit. Martina Janková gestaltet diese Szene mit hinreissender Intensität des Ausdrucks und wunderschön weichem, silbernen Timbre, dezent begleitet von der Solovioline (Ada Pesch). Einzig beim Beginn schien nicht allen Beteiligten das sehr langsame Tempo klar zu sein. Malin Hartelius zeichnet innerhalb der Möglichkeiten des Librettos eine subtil gestaltende Elisa, eine junge Frau, die mutig (aber auch mit leicht ironischer Distanz) für ihre Liebe kämpft. Dank der beiden Sängerinnen gerät das den ersten Akt abschliessende Duett - in kitschigem Licht, - zu einem vokalen Höhepunkt: Enthusiastische Treueschwüre mit blitzenden Koloraturketten (Aminta) und von Traurigkeit umflorte Liebesbezeugungen (Elisa) stehen in wirkungsvollem Kontrast. Das zweite Paar ist mit der subtil gestaltenden Sandra Trattnigg (Tamiri) und dem dynamisch vielschichtig sein prachtvolles Stimmmaterial zur Schau stellenden Benjamin Bernheim ebenso ideal besetzt. Rolando Villazón gewinnt die Herzen durch seine sympathische, fast kumpelhafte Ausstrahlung. Das ist kein absolutistischer Herrscher, sondern ein lustiger Geselle, dem man jeden Schabernack zutraut. Stimmlich überzeugt seine markige, männlich-kernige Mittellage, während Töne in den höheren Lagen gekonnt umschifft und die Tiefen nicht ganz erreicht werden. Auch die Dynamik wirkt eher eindimensional, bewegt sich zwischen mezzoforte und forte. Aber: Die Stimme scheint wieder richtig fokussiert zu sein, die Intonation sitzt, seine Bühnenpräsenz ist zweifellos einnehmend.
Das Opernhaus Zürich hat keinen Aufwand gescheut, um diese szenische Erstaufführung in der Schweiz auf einem beachtlichen Niveau zu präsentieren. Das ist durchaus verdienstvoll, auch wenn sich das Werk kaum auf den Bühnen wird etablieren können.
Inhalt:
Phönizien, 334 v.Chr.
Der Hirte Aminta freut sich auf die Heirat mit seiner Geliebten Elisa. Da zieht Alexander der Grosse vorbei, welcher soeben die Stadt Sidon von einem Tyrannen befreit hat. Agenore, ein phönizischer Freund Alexanders, teilt diesem mit, dass der rechtmässige König von Sidon niemand anders sei als Aminta, welcher nichts ahnend sein Schäferdasein lebt. Alexander will Aminta nicht nur auf den Thron hieven, sondern ihn auch noch mit der Tochter des gestürzten Strato, Tamiri, vermählen. Die ist aber bereits die Geliebte von Agenore ... Tamiri und Agenore beschliessen aus Vernunftsgründen, dem Gebot Alexanders Folge zu leisten. Doch Aminta widersetzt sich. Er teilt Alexander mit, dass er lieber auf den Thron verzichte, als seine Geliebte Elisa aufzugeben. Alexander ist gerührt und stimmt der Vermählung Amintas mit Elisa zu. Für Agenore und Tamiri wird der grosse Eroberer ein anderes Königreich finden ... .
Werk:
IL RE PASTORE war ein Auftragswerk des Erzbischofs Colloredo, welches der junge Mozart aus Anlass des Besuchs des Erzherzogs Maximilian beim Erzbischof komponieren musste. Entstanden ist eine konventionelle Serenata, welche auch nicht auf einer Bühne aufgeführt wurde, da Salzburg zu der Zeit gar nicht über ein Theater verfügte. Doch bereits in diesem Jugendwerk beweist Mozart (neben viel Konventionellem und Gefälligem) seine spritzige Frische und seinen melodischen Einfallsreichtum. Die Ouvertüre erweiterte er später zu einer durchkomponierten Sinfonie, Teile der Arie Amintas aus dem ersten Akt flossen in sein Violinkonzert in G-Dur ein.
Bei der Uraufführung sang vermutlich der berühmte Kastrat Consoli die Rolle des Aminta.
Metastasios Dreiakter wurde für Mozarts Serenata auf zwei Akte verkürzt. Am christlich geprägten Gleichnis „Guter Hirte = Guter Herrscher“ hatte auch Kaiserin Maria Theresia Gefallen gefunden, welche Metastasio den Auftrag zur Niederschrift des Librettos erteilt hatte. Dieses wurde dann zuerst von Giuseppe Bonno vertont. Ein Jahr später schrieb Giuseppe Sarti eine Oper auf Metastasios Libretto, dann folgten Hasse, Gluck und Giardini mit ihren gleichnamigen Werken. Schäferidyllen waren zu der Zeit in der adeligen Welt en vogue … . Man darf gespannt darauf sein, ob uns diese Geschichte, welche die Liebe und ihre Erfüllung weit über das weltliche Streben nach Einfluss und Macht stellt, auch heute noch anspricht.
Musikalische Höhepunkte:
Alla selva, al prato, Arie der Elisa, Akt I
Aer tranquilo, Arie des Aminta Akt I
Se vincendo vi rendo felici, Arie des Alessandro, Akt II
L’amerò, sarò costante, Rondo des Aminta, Akt II
Voi che fausti ognor donati, Alessandro, Akt II