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Zürich: I CAPULETI E I MONTECCHI, 21.06. & 09.07.2015

Erstellt von Kaspar Sannemann | | I Capuleti e i Montecchi

copyright: Monika Rittershaus, mit freundlicher Genehmigung Opernhaus Zürich

Tragedia lirica in zwei Akten | Musik: Vincenzo Bellini | Libretto: Felice Romani | Uraufführung: 11. März 1830 in Venedig | Aufführungen in Zürich: 21.6. | 24.6. | 27.6. | 30.6. | 5.7. | 7.7. | 9.7. | 12.7.2015

Kritik:

Wie in einer alptraumhaften Karussellfahrt spult sich Giuliettas Leben während der von der Philharmonie Zürich rasant gespielten Ouvertüre vor ihrem inneren Auge ab. Ein beklemmender Einstieg in Bellinis relativ selten auf der Opernbühne anzutreffende lyrische Tragödie ist hier dem Inszenierungsteam (Regie: Christof Loy, Bühne und Kostüme: Christian Schmidt) gelungen. Denn diese Rückblende erklärt die beinahe unverständliche Passivität Giuliettas während der Oper, ihre Bindung zum Vater (von dem sie als Kind missbraucht wurde), ihre Angst und ihre Abneigung gegenüber  körperlicher Nähe. Loy schlägt mit dieser Auslegung einen Bogen zum Fall Kampusch und auch zum sogenannten Stockholm-Syndrom, bei welchem die Opfer (und als solches wird Giulietta hier dargestellt) unter einer Wahrnehmungsverzerrung leiden. Bellinis doch ziemlich schmissig und fröhlich daherkommende Ouvertüre, die eigentlich gar nicht so recht zum tragischen Stoff passen will, erhält durch diese szenische Auslegung einen Zug ins Groteske. Die vor der Räumung stehende Villa der Capuleti mit ihren schmucklosen, vergilbten Wänden und der dunklen Holztäfelung welche Christian Schmidt auf die Drehbühne gestellt hat, tut ein Übriges, um die depressive seelische Verfassung Giuliettas zu erklären. Ein androgynes, amorphes Wesen (mit unheimlicher Präsenz: Giorgij Puchalski) dient als Begleiter, Orakel und Führer, als schwarzer Todesengel, aber auch als Projektion des Traumprinzen, eine Art schwarzer Lohengrin.

Die Fehde zwischen den beiden Familien, den Capuleti und den Montecchi, sehen Loy und Schmidt eher als Klassenkampf: Die einen in dunklen Anzügen, weissen Hemden und Fliegen (Capuleti), die andern in blutbespritzten Arbeiterklamotten (Montecchi). Dazwischen der Romeo, ebenfalls im schwarzen Anzug, doch die Hosen stecken in Reiterstiefeln, was optisch eher unvorteilhaft wirkt. Diese gespenstische Ausgangslage würde eigentlich sehr gut zu Bellinis lyrischer, melancholisch gefärbter Musik passen – wenn nicht über weite Strecken viel zu laut und zu diesseitig auftrumpfend gesungen würde. Natürlich verfügen sämtliche Protagonisten über die notwendigen Ressourcen und verfehlen mit der stimmlichen Kraftentfaltung die Wirkung auf das begeistert applaudierende Premierenpublikum nicht. Vor allem die junge Olga Kulchynska als Giulietta schien sich noch nicht ganz an die Akustik des nicht übergrossen Zürcher Hauses gewöhnt zu haben und verfiel sehr schnell ins fortissimo. Allerdings blieb sie dabei stets auf Linie, sang mit grossem Atem und sauberer Intonation. Beeindruckend war ihr Spiel: Ihre Unentschlossenheit, die Todessehnsucht, die Scham. Sinnbildlich auch immer wieder ihr Verharren am Waschbecken, über dem der Spiegel fehlte, da sie sich vor lauter Ekel über den vorgefallenen Übergriff ihres Vaters nicht anschauen kann. Über die makellose Gesangskunst von Joyce DiDonato kann man nur staunen. Die subtile Gestaltungskraft, die einzigartig schöne Tongebung, die traumhaft sichere Linienführung, die feinsinnige Dynamik, welche sich wohltuend von der überlauten Tongebung ihrer Partnerin abhob. Auch Benjamin Bernheim als Tebaldo neigte stellenweise zu sehr lautem Singen, doch sein ebenmässig timbrierter und durchschlagskräftiger Tenor litt darunter nicht. Immer wieder fand er zu feinfühlig interpretierten Kantilenen und begeisterte mit seiner  Phrasierungskunst und der klaren Diktion. Sehr gut besetzt waren die beiden Basspartien: Alexei Botnarciuc als schleimig-brutaler Vater Capellio und Roberto Lorenzi mit seinem sonor strömenden Bass als sich seiner Mitschuld durchaus bewusster Arzt Lorenzo.

Fabio Luisi bevorzugte schnelle, zupackende Tempi, was dem Werk den etwas zähflüssigen, aber auch den melancholisch-lyrischen Charakter nahm, es näher an die Opern des jungen Verdi heranrücken liess. Im Orchester liessen die wunderschön gespielten Soli der Klarinette und des Cello aufhorchen. Stimmgewaltig agierte der Chor der Oper Zürich, die Männer hatten weit mehr zu tun als die Frauen, bei der unterbrochenen Hochzeit zwischen Tebaldo und Giulietta mussten einige Chorsänger in Frauenkleidern auftreten, was der Szenerie einen zusätzlichen (etwas tuntenhaften) Touch einer Groteske verlieh.

Fazit: Szenisch beklemmend, stringent und alptraumhaft psychologisierend (wenngleich in einer Ästhetik, mit der man auf dieser Bühne in letzter Zeit vielleicht allzu häufig konfrontiert worden ist), musikalisch mit beeindruckenden, wenn auch stellenweise überlauten Stimmen besetzt. Joyce DiDonato machte es exemplarisch vor, wie man dieses Repertoire auch singen könnte. Das Premierenpublikum zeigte sich begeistert.

Vorstellung vom 9.7.2015

Es war wiederum erstaunlich, wie konzentriert und gebannt das Publikum die Aufführung verfolgte. Insbesondere beim Sterben Romeos (mit herausragender Intensität gestaltet von Joyce DiDonato) herrschte eine Ruhe im Saal, die man sich öfters mal herbeisehnt. Aus einem anderen Blickwinkel (vom 2. Rang her) wirkt die Inszenierung ebenfalls sehr beklemmend und auf ihre spezielle Art schlüssig. Das an den PATEN erinnernde Ambiente, die Maske des Capellio (Marlon Brando), das Geisterhafte der sich drehenden Räume der rätselhaften Erinnerungen, das alles ist schon sehr gut gemacht. Nach wie vor bin ich jedoch der Ansicht, dass all diese Aspekte auch ein einem mehr lyrisch geprägten musikalischen Gewand sehr gut hätten transportiert werden können. Olga Kulchiynskas (Giulietta) stimmliche Kraft ist natürlich überwältigend, doch in meinen Ohren klingt das alles zu metallisch ins gleissende fortissmo abdriftend. Nichtsdestotrotz: Lohnenswert!

Inhalt:

Verona, 13. Jahrhundert, mitten in den Machtkämpfen zwischen den Guelfen (welche von den Montecchi unterstützt werden) und den Ghibellinen (welchen die Capuleti nahe stehen).

Romeo Montecchi hat Giulietta Capuletis Bruder in einem Kampf getötet. Der Vater, Capellio, schwört Rache. Tebaldo, der Giulietta heiraten soll, stimmt in den Racheschwur ein. Der Arzt Giuliettas, Lorenzo, erwirkt einen Aufschub der Hochzeit. Romeo erscheint verkleidet und unterbreitet Capellio ein Friedensangebot: Romeo soll Giuletta heiraten und so die verfeindeten Familien versöhnen. Capellio lehnt entrüstet ab. Giulietta bereitet sich auf die Zwangsheirat mit Tebaldo vor. Heimlich liebt sie Romeo, welcher von Lorenzo in ihr Gemach geschleust wird. Romeo will nun Giulietta zur gemeinsamen Flucht überreden. Giuletta zögert aus Rücksicht auf die Familenbande. Die Hochzeitsfeier beginnt. Romeo hat sich unter die Gäste geschlichen, Lorenzo mahnt ihn zur Vorsicht. Romeos Getreue planen mit ihm die Entführung Giuliettas, doch sie werden von Tebaldo und Capellio überrascht. Der Plan misslingt. Tumulte und Verwirrung.

Giulietta wartet auf Nachrichten von Romeo. Lorenzo weiss ihn in Sicherheit. Er rät Giulietta, einen Gifttrank zu sich zu nehmen, der sie in einen todesähnlichen Schlaf versetzen werde. Sie werde dann aus der Familiengruft von ihm und Romeo befreit werden. Giulietta nimmt den Trank zu sich. Capellio misstraut Lorenzo und lässt den Arzt von seinen Getreuen beobachten. Romeo wartet auf Lorenzo, doch Tebaldo erscheint an Lorenzos Stelle und fordert Romeo zum Duell. Der Zweikampf wird kurz durch den Trauerzug mit Giulettas (vermeintlichem) Leichnam unterbrochen und dann erbittert fortgeführt. Danach stürmt Romeo in die Gruft, um sich von der Totgeglaubten zu verabschieden. Er trinkt Gift, um im Tod mit ihr vereint zu sein. Giulietta erwacht und Romeo erkennt seinen Irrtum. Romeo stirbt und Giulietta bricht entseelt über seinem leblosen Kprper zusammen. Als Capellio, Lorenzo und die Anhänger der beiden Familien die Gruft betreten, finden sie zwei Leichen – unschuldige Opfer einer grausamen Familienfehde.

Werk:

Die Geschichte des wohl berühmtesten Liebespaares der Welt geht auf Masuccio von Salerno zurück, wurde im Laufe der Jahrhunderte oft bearbeitet, von Shakespeare über Gottfried Keller bis hin zu Filmversionen im Drogenmilieu oder Musicals (Bernsteins WEST SIDE STORY). Auch auf der Musiktheaterbühne wurde das Sujet verschiedentlich aufgegriffen: Komponisten wie Benda, Vaccai, Gounod, Berlioz, Delius, Sutermeister, Blacher, Prokofiev, Tschaikowsky oder Zandonai komponierten Opern, Ballette und sinfonische Dichtungen mit dem Thema der unglücklich Liebenden.

Felice Romani, der vielbeschäftigte Librettist der italienischen Romantik, griff in seiner Version nicht auf Shakespeare zurück, sondern entlehnte die Handlung der Oper GIULIETTA E ROMEO von Nicola Vaccai, zu der er einige Jahre zuvor das Textbuch verfasst hatte. Bellini musste (wie es damals üblich war) die Musik unter erheblichem Zeitdruck liefern (Pacini war zunächst als Komponist vorgesehen gewesen, hatte dann jedoch keine Zeit). So entnahm Bellini einige Nummer aus seinen Werken ZAIRA und ADELSON E SALVINI. Solche Selbstanleihen (und auch so genannte Kofferarien der Sängerinnen und Sänger) waren damals gang und gäbe und stellten nur in den Augen der germanischen Musikkritik etwas Ehrenrühriges dar. Auch nach der (erfolgreichen) Premiere wurden immer wieder Änderungen an den Musiknummern vorgenommen, ganz auf die jeweiligen Möglichkeiten der Theater abgestimmt. So kam es, dass die Partien des Liebespaares von zwei Mezzosopranen gesungen wurden, oder dass Maria Malibran für den Romeo in einer Art Pasticcio den Schluss aus Vaccais Oper übernahm, um sich mehr Applaus zu sichern. Selbst Marilyn Horne bestand bei ihrem Rollendebüt als Romeo 1978 in Dallas noch auf dem Vaccai-Finale! Dabei ist Bellini mit seinem originalen, introvertiert ausgestalteten Finale, in welchem er anscheinend bewusst auf eine effektvolle Finalcabaletta verzichtet hatte, seiner Zeit weit voraus gewesen und hat damit selbst Richard Wagner beeindruckt.

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