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Zürich: FORSYTHE, CLUG, LIGHTFOOT/LEÓN, 16.02.2013&30.5.13

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Forsythe, Clug, Lightfoot/León

copyright: Bettina Stöss, mit freundlicher Genehmigung Opernhaus Zürich

NEW SLEEP: Choreographie: William Forsythe | Musik: Tom Willems | Uraufführung: 1. Februar 1987 in San Farancisco | HILL HARPER´S DREAM: Choreographie: Edward Clug | Musik Milko Lazar | Uraufführung: 16.2.2013 in Zürich | SLEIGHT OF HAND: Choreographie: Paul Lightfoot/Sol León | Musik: Philipp Glass | Uraufführung: 15. März 2007 in Den Haag | Aufführungen dieses Ballettabends in Zürich: 16.2. | 20.2. | 22.2. | 23.2. | 16.3. | 20.3. | 22.3. | 21.5. | 24.5. | 30.5. | 31.5. | 2.6.2013

Kritik:

 

Drei kurze Ballette zeigt das BALLETT ZÜRICH in seinem neuesten Programm, drei unterschiedliche choreografische Handschriften, entstanden in den letzten 26 Jahren, prägen den Abend. Die Uraufführung (HILL HARPER'S DREAM von Edward Clug) wird eingerahmt von Forsythes NEW SLEEP aus dem Jahr 1987 und Lightfoot/Leóns SLEIGHT OF HAND aus dem Jahr 2007. Die Compagnie von Christian Spuck lässt sich mit ansteckender Freude an irrwitzigem Tanz (Forsythe), mit poetischer Verspieltheit (Clug) und mit der geforderten bedrohlich-mysteriösen Ausdruckskraft (Lightfoot/León) auf die verschiedenen Tanzsprachen ein, vollbringt eine grossartige Leistung, sowohl in den solistischen als auch in den halbsolistischen, äusserst anforderungsreichen Aufgaben.

In William Forsythes NEW SLEEP geraten drei clowneske, schwarze Figurinen (mit profiliertem Witz und hintersinnigem Spass am Abstrusen getanzt von Eva Dewaele, Daniel Mulligan und Manuel Renard) in den Bann alltäglicher Gegenstände (Messlatte, Zimmerpflanze, Bowlingkugeln), nähern sich diesen an, versuchen sie durch Zauberei und Witz zu verändern (dabei taucht auch der rätselhafte Käfer kurz auf, welcher das Plakat des Ballettabends ziert). Forsythe verwendet dazu eine elektronische Collagen-Musik des renommierten Komponisten Thom Willems, welche aus zuerst isoliert wirkenden Geräuschen eine fesselnde, rhythmisch prägnante Kraft entwickelt. Das Ballett ist ganz in Schwarz gehalten, nur die grüne Pflanze und die schwarz-weissen Bowlingkugeln sowie die ein flirrendes und flimmerndes Eigenleben entwickelnde schwarz-weisse, biegsame Latte (die mal Trinkrohr, Zauberstab, Armbrust, Queue oder Querflöte sein kann) stechen heraus. Dazu kommen unzählige, genau auf die Musik abgestimmte Lichtakzente, die zusammen mit der tänzerischen Präzision für wirkungsvolle und slapstickartige Effekte sorgen. Das Bewegungsvokabular ist immens, reicht von einer Art verfremdeten, hinkenden Spitzentanzes über flinke Paartänze zu rasant fugiert vorgetragenen Gruppentänzen. (Sarah-Jane Brodbeck, Cristian Alex Assis, Samantha Mednick, Filipe Portugal, Nora Dürig, Irmina Kopaczynska, Mélissa Ligurgo, Galina Mihaylova, Jan Casier, Egor Menshikov, Tigran Mkrtchyan und Christopher Parker verdienen es wahrlich, namentlich erwähnt zu werden – allesamt erstklassige Tänzerinnen und Tänzer!)

Ganz anders dann das zweite Stück, HILL HARPER'S DREAM, welches seinen Namen wohl nicht vom Komiker Hill Harper (Klassenkamerad von Barack Obama und Teil der Yes, we can-Kampagne) bekam. Der Name ist programmatisch für die Bühne und die Musik, welche Edward Clug für sein Stück verwendet. Das grell weisse, schräg gelegte Rechteck (Bühne: Marko Japelj) wölbt sich nämlich im Verlauf des Stücks hinten leicht an (daher der hill) und bildet so ein für die Wintersportler im Schnee unüberwindliches Hindernis, von welchem sie immer wieder in weichen Verformungen des Körpers heruntergleiten (dream). Die musikalische Begleitung übernehmen zwei Harfen (harper), welche in exzellentem Spiel die aus repetitiven Elementen und absteigenden Tonfolgen eine suggestive, kristalline Kraft entwickelnde Musik von Milko Lazar interpretieren. (Julie Palloc und Anne-Sophie Vandebogaerde-Vrignaud erhalten für diese Leistung einen verdienten Sonderapplaus.) Edward Clug ist ja Ballettdirektor des Slowenischen Staatsballetts in Maribor – und welche Assoziationen hat ein durchschnittlicher Schweizer mit Maribor? Natürlich Weltcup-Skirennen. Das nimmt Clug auf – und die Überwindung des Hügels gelingt schliesslich mit (... wird hier natürlich nicht verraten, ist aber echt spassig). Die in eng geschnittenen Rollkragenpullovern auftretenden Tänzerinnen und Tänzer verbleiben meist in engem Kontakt mit dem Schnee (Boden), tanzen vorwiegend auf der Sohle, zwingen einander Bewegungen auf, lassen sich fallen, geraten in Abhängigkeiten, erschlaffen. Durch das Licht ergeben sich auf der weissen Fläche interessante Schattenspiele, die Choreografie hat mal Ansätze von kindlicher Verspieltheit, dann aber auch von Ermüdung und rätselhafter Erstarrung. Zu einigen der bereits erwähnten Tänzerinnen und Tänzern gesellen sich nun noch Juliette Brunner, Katja Wünsche, William Moore und Andrei Cozlac, welche sich mit weich fliessendem Elan auf diese poetische, aber auch komplexe Tanzsprache einlassen.

Mit Assoziationen (hier zum Kartenspiel) arbeiten auch Paul Lightfoot und Sol León in SLEIGHT OF HAND: Ein Junge (Bube: William Moore) wird von übermächtigen Figuren bewacht und quasi in Schach gehalten (Dame: Juliette Brunner/ König: Jan Casier, beide grossartig agierend in gefährlicher Höhe). Ein zutiefst verunsichertes weibliches Wesen (Destiny: Katja Wünsche) gesellt sich zum Buben, ein quirliger Joker (Arman Grigoryan) und drei bedrohliche schwarze Männer (Egor Menshikov, Daniel Mulligan, Ty Gurfein) intervenieren. Die ganze Anlage hat etwas unheimlich Bedrohliches: Das gedämpfte Licht, die schwarzen Türme und Riesenmäntel für das Paar Dame/König, die schwarze Treppe, welch in den Graben, ins Unterbewusstsein führt, die mit schwarzen Vorhängen verhüllten Wände, welche den Buben und seine Freundin immer wieder zu verschlucken scheinen. Am Ende bleibt nur Hoffnung für das Mädchen: Sie emanzipiert sich und lässt die dunkle, abgründige Welt hinter sich. Die mit vielschichtiger Polytonalität (aber nicht Atonalität!) aufwartende, soghafte Musik von Philipp Glass (2. Satz aus seiner 2. Sinfonie von 1994) eröffnet den beiden Choreografen die Möglichkeit für eine mysteriöse, fesselnde Erzählung von schon beinahe beängstigender Phantastik.

Fazit: Witzig, verquer, fesselnd und ein bisschen unheimlich. Tänzerisch exzellent!

Werke:

William Forsythe gehört seit über 30 Jahren zu den renommiertesten Choreographen der Gegenwart. Viele seiner Arbeiten sind in der Vergangenheit auch vom Zürcher Ballett präsentiert worden und choreographische Installationen seiner Forsythe Company waren im Schiffbau zu sehen. In NEW SLEEP geraten drei clowneske Figuren in den Bann einer Messlatte, einer Zimmerpflanze und nähern sich Bowlingkugeln an. Dazu erklingt elektronische Musik von Tom Willems.

Der rumänische Tanzschöpfer Edward Clug choreographiert zum ersten Mal für das Ballett Zürich. Er war Leiter des Maribor Balletts, führte diese Compagnie zu weltweiter Anerkennung. Für die bedeutendsten Balletttruppen schuf er vielbeachtete Werke. Für die Uraufführung von HILL HARPER´S DREAM wurde er nun von Christian Spuck zum ersten Mal ans Opernhaus Zürich eingeladen. Seine Choreographien zeichnen sich oft durch aberwitzige Tempi und musikalische Snesibilität aus.

Das spanisch/britische Choreografenpaar Sol León/Paul Lightfoot ist als „resident choreographers“ am Nederlands Dans Theater tätig (Lightfoot ist auch künstlerischer Direktor). Für diese Compagnie haben sie über 40 Werke geschaffen. SLEIGHT OF HAND (Taschenspielerei) ist nicht nur eine Reverenz ans Kartenspiel, sondern beinhaltet auch eine düstere Familiengeschichte zur soghaften Musik von Philipp Glass, der zusammen mit Steve Reich und John Adams zu den wichtigsten amerikanischen Komponisten der Gegenwart zählt. Er ist ein Vertreter der so genannten „Minimal Music“, einem hypnotisch-repetitiven Kompositionsstil. Sein Einfluss auf die Alltagsmusik ist enorm. Viele Soundtracks und Werbe-Jingles ahmen den Stil von Philipp Glass nach, den Peter Sellers einmal treffend so beschrieben hat: „Bei Phil ist es ein bisschen wie bei einer Zugfahrt einmal quer durch Amerika: Wenn Sie aus dem Fenster sehen, scheint sich stundenlang nichts zu verändern, doch wenn Sie genau hinsehen, bemerken Sie, dass sich die Landschaft sehr wohl verändert – langsam, fast unmerklich.“

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