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Zürich: DREI SCHWESTERN, 09.03.2013

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Drei Schwestern

copyright: Hans Jörg Michel, mit freundlicher Genehmigung Opernhaus Zürich

Oper in drei Sequenzen | Musik: Peter Eötvös | Text: Claus Henneberg, Peter Eötvös (nach Tschechows Drama) | Uraufführung: 13. März 1998 in Lyon | Aufführungen in Zürich: 9.3. | 15.3. | 24.3. | 3.4. | 5.4. | 11.4. | 14.4.2013

Kritik:

 

Endlich ist sie auch in Zürich angekommen, die wohl populärste zeitgenössische Oper der letzten 15 Jahre, Eötvös' DREI SCHWESTERN. Und auch das Zürcher Premierenpublikum reagierte mit begeistertem, warmem Applaus auf die Aufführung und das Werk. Doch weshalb sich ausgerechnet diese Oper bei Publikum und Intendanten so erfolgreich durchsetzte, wird wohl (wie so oft im Opernbetrieb) ein Rätsel bleiben. Denn Eötvös/Henneberg haben sich (wie andere auch) einer allseits bekannten literarischen Vorlage bedient und der Komponist hat dazu eine die Dramaturgie der Personen geschickt untermalende, leicht verdauliche, das an tonale Klangsprache gewöhnte Ohr nicht allzu sehr verstörende oder verschreckende Musik geschrieben (machen andere auch). Allerdings bietet der vom Librettisten und vom Komponisten quasi atomisierte und in einer fast filmischen Collagetechnik neu zusammengesetzte Stoff mit dem Prolog und den drei Sequenzen einem Inszenierungsteam vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten. Und da vermag das Opernhaus Zürich entscheidend zu punkten, denn Andreas Homoki hat für diese Produktion den zur Zeit wohl begehrtesten Regisseur des deutschen Theaters, Herbert Fritsch, für dessen erste Opernregie verpflichten können. Dies erweist sich als ausgesprochen amüsanter Glücksfall. Fritsch legt das Stück als gigantische Groteske ganz im Stil eines Gogol aus. Alles ist überzeichnet, kein (russisches) Klischee wird ausgelassen, am Ende fällt gar etwas künstlicher Schnee. Die wunderbar detailliert gearbeiteten und herrlich kitschig-folkloristischen Kostüme von Victoria Behr bedienen die Erwartungen, welche man an ein Bilderbuch-Russland hat. Sie kommen im faszinierend simplen Bühnenbild des Regisseurs und dank der fantastischen Lichtdramaturgie (Franck Evin) prächtig zur Geltung. Fritsch hat sich seine Bühne selbst entworfen: Sie besteht aus von Zauber-, nein Menschenhand (!), mit ungeheuerlicher Präzision bewegten Bretterwänden in verschiedenen Holzstrukturen, von billigstem Pressspan bis zu rustikalen Holzverkleidungen. Diese magischen Wände öffnen und schliessen Räume, bringen Personen zum Verschwinden und machen sie ebenso schnell wieder fürs Publikum sichtbar. Passend zur Groteske führt Fritsch die DarstellerInnen slapstickartig, mit übertrieben unnatürlicher und oft dem Duktus der Musik angenäherter (und doch oft etwas alkoholisiert daneben liegender) Bewegungssprache und viel Theaterschminke. Alles wirkt leicht schräg und komisch, eine Art russischer Commedia dell'arte. Und wie in der Commedia dell'arte geht es auch in Eötvös' Oper um Dreiecksbeziehungen: Irina zwischen Tusenbach und Soljony, Mascha zwischen ihrem Ehemann Kulygin und Werschinin, Andrej zwischen seiner biestigen Frau Natascha und seinen drei frustrierten Schwestern, Natascha wiederum zwischen Familie und Geliebtem (dem nicht auftretenden, aber durch die Einwürfe der Amme stets präsenten Protopopow). Eötvös' Musik kreist denn auch um Dreiklänge, die sich gerne überlagern, changierend zwischen Dur und Moll, auch ein diabolischer Tritonus kann sich mal dazwischen schleichen. Das zweigeteilte Orchester (im Graben ein feinfühlig und mit wunderbarer Transparenz des Klangs intonierendes Kammermusikensemble unter der Leitung von Michael Boder, auf der Bühne ein wie ein gigantisches Schattenspiel wirkendes grosses Orchester mit umfangreichem Schlagwerk unter der Leitung von Peter Sommerer) spielt mit sehr sängerfreundlicher Dezenz. Sämtliche Rollen (mit Ausnahme des kurzfristig eingesprungenen Daniel Eggert aus Hannover als Soljony) sind mit den hervorragenden Kräften des Zürcher Ensembles besetzt – und man kann eindrücklich feststellen, dass diese Sängerinnen und Sänger leider oft unter ihrem eigentlichen Wert in anderen Produktionen in eher kleinen Nebenrollen eingesetzt werden. Die drei Stimmen von Ivana Rusko (Irina), Anna Goryachova (Mascha) und Irène Friedli (Olga) lassen bereits im Prolog aufhorchen, vereinigen sich in wunderschönen, beinahe madrigal klingenden, vor Selbstmitleid nur so triefend klagenden Terzetten. Die erste Sequenz ist Irina gewidmet: Mit vollem, ausdrucksstarkem Sopran äussert Ivana Rusko die Angst vor dem Älterwerden, das Bedürfnis nach Liebe (die beiden Buhler Krešimir Stražanac und Daniel Eggert zelebrieren mit Leidenschaft und Komik das Nichtstun und die leeren Floskeln). Die Mascha von Anna Goryachova tut es Irina in der dritten Sequenz gleich, wendet sich (vergeblich) angewidert von ihrem Mann im hässlich senfgelben Dandyanzug (vortrefflich: Erik Anstine) ab und gibt sich Werschinin (Cheyne Davidson mit baritonalem Wohlklang) in einem berückend schönen Duett hin. Doch auch dieser Traum zerplatzt, da sich Werschinins Frau umbringen will und er zur sofortigen Abreise gezwungen ist. Irène Friedli versucht als älteste der Schwestern die anderen zur fatalistischen Genügsamkeit zu zwingen und zerfällt selbst wie eine welkende Blume. Grossartig macht sie das! Ihr schwacher, unglücklicher Bruder Andrej (Elliot Madore), welchem die mittlere Sequenz gewidmet ist, beeindruckt mit einer darstellerischen und gesanglichen Glanzleistung: Immer wenn seine keifende Gemahlin Natascha (umwerfend Rebeca Olvera) auf der Bühne neben ihm steht, wird er von psychosomatischen Krätze-Schüben geplagt, sieht seinen tristen, grauen Alltag. Sobald sie jedoch verschwindet, wirkt Andrej frei und hängt in seinem grossen Monolog mit eindrucksvoller stimmlicher Gestaltungskraft seiner verlorenen Jugend und seinen unerfüllt gebliebenen künstlerischen Ambitionen nach. Die zusätzliche Würze erlangt die Aufführung durch die Nebenfiguren, die eigentlich gar keine Nebenfiguren sind: Die im wahrsten Sinn des Wortes als running gag durch die Aufführung schwebende Amme (mit sonorem Bass und Rauschebart: Dimitri Pkhaladze), der ständig alkoholisierte Arzt, welcher jedoch als einziger die wahre Tragik erkennt und einen Lösungsweg offenbart, auf den keine(r) eingehen will (eine Paraderolle für Martin Zysset: herrlich) und die beiden Zwillings-Kosaken (mit schön timbrierten, lyrischen Tenorstimmen Andreas Winkler und Dmitry Ivanchey).

Fazit: Leicht verdauliches zeitgenössisches Musiktheater: Äussert unterhaltsam und mit viel Augenzwinkern inszeniert und wirklich grossartig gesungen und gespielt.

Inhalt:

Drei Schwestern hat es in die langweilige Provinz, fern vom glanzvollen Treiben Moskaus, verschlagen. Ihr Bruder Andrej hat das Erbe verspielt und eine spiessige Frau – Natasha – geheiratet. Die drei träumen von einer Rückkehr nach Moskau, einer Flucht aus der öden Provinzialität. Olga, die älteste, ist eine warmherzige, aber beruflich (Lehrerin) unzufriedene, unbemannte Frau. Mascha, die mittlere der Schwestern, ist kapriziös, träumt von der romantischen Liebe, wirft sich einem Offizier (Werschinin) an den Hals. Der aber lässt sie zurück, als seine Frau sich umzubringen droht und sein Regiment die Stadt verlässt. Irina, die jüngste, hat mehrere Verehrer. Doch kaum hat sie den Heiratsantrag des Barons Tusenbach angenommen, fällt er in einem Duell mit einem anderen ihrer Verehrer. Die Träume der drei Schwestern haben sich nicht erfüllt.

Werk:

Peter Eötvös wurde 1944 in Ungarn geboren. Im Alter von 14 Jahren wurde er von Zoltán Kodály an der Musikakademie Budapest aufgenommen. Er arbeitete später mit dem Ensemble von Karlheiz Stockhausen zusammen, war Mitarbeiter am Studo für Elektronische Musik des WDR und Leiter des Ensemble intercontemporain von Pierre Boulez und besetzte Professuren in Köln und Karslruhe. Für seine Kompositionen erhielt er mehrere renommierte Auszeichnungen (Biennale Venezia, Officier de l'Ordre des Arts et des Lettres, Bartók Preis).

Seine Oper TRI SESTRI (DREI SCHWESTERN) nach Tschechow gehört zu den am meisten gespielten zeitgenössischen Opern. Seit der Premiere in Lyon unter Kent Nagano erlebte sie beinahe 20 Einstudierungen an Häusern auf der ganzen Welt. Anton Tschechows gleichnamiges Drama über die drei Schwestern wird bei Eötvös nicht chronologisch nacherzählt; das macht insofern Sinn, als es sich bei der Vorlage nicht um ein Stück im aristotelischen Sinn handelt (Einheit von Zeit und Handlung). Bei Tschechow wirkt die Zeit extrem gedehnt und wird damit zum eigentlichen Thema des Stücks. Eötvös und Henneberg erzählen in drei neuen Sequenzen dieselben Ereignisse aus unterschiedlichen Blickwinkeln: Irina, Andrej und Mascha. Andrejs Abschnitt wird jedoch von dessen Frau Natascha beherrscht, so dass eigentlich doch drei weibliche Perspektiven vorherrschen. Jede Sequenz reflektiert dabei die Situation der verhassten Einöde in der Provinz, Träume und Realitäten verwischen sich. Eötvös setzt zwei Orchester ein: Im Graben ein Kammermusikensemble, hinter den Sängern platziert er ein zusätzliches Orchester. Die Musik ist von einer faszinierenden, beinahe schwebenden Transparenz und verschliesst sich auch klangsinnlichen Aufwallungen und Dreiklängen nicht. Ursprünglich hatte Eötvös alle Frauenfiguren mit Countertenören besetzt haben wollen, da er den Inhalt nicht allzu sehr an den Frau-Mann Beziehungen ausgerichtet haben wollte. Seit der Aufführung in Freiburg liess er sich jedoch auch von der Besetzung mit Frauenstimmen überzeugen.

Karten

Opernhaus MAG, mit weiteren Hintergrundinformationen

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