Zürich: DONIZETTI-EINAKTER/CONVENIENZE/PAZZI, 27.12.2011
Farse in einem Akt | Musik: Gaetano Donizetti | Uraufführung Convenienze ed inconvenienze teatrali: 21. November 1827 in Neapel | Libretto: Domenico Gilardoni | Uraufführung I pazzi per progetto: 7. Februar 1830 in Neapel | Libretto: Domenico Gilardoni | Aufführungen in Zürich: 27.12. | 29.12.2011 | 1.1. |2.1. | 4.1. | 7.1. | 8.5. | 3.6.2012
Kritik:
Eigentlich hätte man ja zwischen den beiden gewichtigen Premieren von PALESTRINA und den MEISTERSINGERN VON NÜRNBERG darauf gehofft, etwas durchatmen, sich einen leichtfüssigen, unterhaltsamen und unbeschwerten Opernabend gönnen zu können.
Viel versprechend und locker ging der Abend dann auch los: Das Orchester sass in Alltagskleidern im Graben, auf der Bühne trudelten nach und nach die Beteiligten ein, pflegten ihre Mätzchen, heischten nach Aufmerksamkeit oder blödelten herum. Selbst der Maestro (Paolo Carignani) erschien im orangen T-Shirt, Jeans und knallroten Turnschuhen. Der Komponist warf den Sängern die Klavierauszüge zu und die turbulente Probe konnte beginnen. Die Primadonna (mit umwerfend ordinärem Prahlgesang und strahlkräftiger Höhe: Jessica Nuccio) lieferte sich schon einmal einen kleinen Divenkrieg (Striptease gegen Hermelinmantel) mit dem Kastraten (herrlich burschikos und mit satter Klangfarbe: Thomas Lichtenecker), der Ehemann der Primadonna, Procolo, setzte sich mit stets mit Vehemenz, Schosshündchen und wunderbar schrägem Gesang (erneut ein starker Auftritt von Massimo Cavaletti) für die Vorrechte seiner Gemahlin ein. Zusammen mit dem Komponisten (Gezim Myshketa), dem stets kompromissbereiten Poeten (mit stoischer Gelassenheit: Morgan Moody), der untalentierten Seconda Donna (Mariana Carnovali), dem Impresario (Davide Fersini) und dem aussichtslos gegen den Kaffevollautomaten kämpfenden Tenor (umwerfend akzentreich parlierend und eitel: Christoph Strehl) schwang sich die auserlesene Sängerschar schon mal zu einem Ensemble erster Güte auf, dieser Beginn war sowohl musikalisch als auch inszenatorisch grandios. Dann folgte der Auftritt der Mamm´Agata, der Mutter der Seconda Donna: Anton Scharinger war kaum zu erkennen, eine derbe Proletin mit strähnig-fettigem Haar, schwarzen Strümpfen, Jeans Hotpants und Lederjacke. Da haben die Maske und die Kostümabteilung (Kostüme: Heide Kastler) aus dem Vollen geschöpft und wunderbare Arbeit geleistet. Viele Gags sollten noch folgen, doch irgendwie schien die Luft nach dem fulminanten Beginn draussen zu sein. Trotz spritzigen Musizierens und Agierens sprang der Funke nicht, die Farce lief sich tot. Scharinger offenbarte zwar sein komödiantisches Talent, vermochte jedoch sein unterdessen etwas dünn gewordenes Volumen nicht zu kaschieren. So blieb einiges der humorigen Auftrittsarie, die spassige Lautmalerei, mit der er dem Komponisten die Instrumente schildert, auf der Strecke. Sehr einnehmend gestaltete er hingegen die aus Rossinis OTELLO zitierte Romanze der Desdemona, bei der er den Text so herrlich verdrehte.
Es folgte noch der Coup der kitschigen Folies-Bergère Revuenummer und danach waren die Zuschauer doch spürbar erleichtert, dass die ganze Chose vom Impresario abgeblasen wurde: Ohne Tenor und Sopran war an eine Opernaufführung nicht mehr zu denken, es blieb nur die Flucht des verbliebenen Ensembles (unter Wehklagen über die entgangenen Einnahmen – und einigen Buhrufen aus dem Publikum). Flugs verwandelte sich die Probebühne in ein Irrenhaus, in welchem dann die zweite Farce spielte, I PAZZI PER PROGETTO. Während sich das neue Personal dieses Einakters nach und nach auf der Bühne präsentierte, schlurften die Sängerinnen und Sänger aus dem ersten Stück im Hintergrund durchs Irrenhaus. Im Graben hatte sich nun das wunderbar erfrischend musizierende Orchester der Oper Zürich in seiner „normalen“ Konzertgarderobe eingefunden und der engagiert und mit Humor führende MaestroPaolo Carignani trat elegant im Frack auf. Das Libretto hätte mit all seinen Unsinnigkeiten und Absurditäten von Ionesco stammen können. Regisseur Martin Kušej setzte auf umtriebige Personenführung, herrliche running gags (köstlich der schlurfende Frank von Paolo Rumetz und sein Kampf mit der Bewässerung der Zimmerpflanze) und erlaubte den Akteuren nach Herzenslust zu chargieren, was vor allem bei Ruben Drole als Eustachio zu wahren Exzessen führte. Aber auch Katharina Peetz als selbstbewusste, sexy Cristina und die wunderschön leicht und sauber singende, mit geschliffenen, perlenden Koloraturen aufwartenden und dynamisch subtil gestaltende Eva Liebau als Norina liessen ihr komödiantisches Talent mehr als aufblitzen. Beide waren sie umgeben von tiefen Männerstimmen: Cheyne Davidson begeisterte mit seinem runden, warmen Bariton als Blinval und Davide Fersini war ein smarter Direktor der Nervenheilanstalt. Das quirlige, unsinnige Treiben liess die Protagonisten kurz vor Schluss erschöpft zu Boden sinken und in der Dunkelheit innere Monologe der Läuterung von sich geben (und wenn man sich die tristen Mienen einiger Besucher im Zuschauerraum anschaute, dann waren doch etliche auch der Erschöpfung nahe). Zur wunderschönen Schlussarie der Norina öffnete sich das Gittertor, die Natur drang in den sterilen Raum (Bühne: Martin Zehetgruber) und die irre Operntruppe schlich sich aus dem Irrenhaus. So kam der zunehmend zäher dahinfliessende Abend zu seinem ersehnten Ende. Es gab freundlichen Applaus für die Sängerinnen und Sänger und eher verhaltenen Beifall für das Inszenierungsteam.
Doch muss die Frage erlaubt sein: Gehören diese beiden Gelegenheitskompositionen, welche zwar musikalisch nett und gefällig sind, aber in den Rezitativen doch unsägliche Längen aufweisen, wirklich auf die hoch subventionierte Hauptbühne des Opernhauses? Eine Aufführung des Opernstudios auf der Probebühne hätte wahrscheinlich gereicht. Mit dem wunderbaren Ensemble dieser Produktion und einer pfiffigen Regie hätte man geradesogut wieder einmal eine schöne Operette spielen können und damit bestimmt mehr Menschen eine grosse Freude bereitet, als mit diesen beiden unbedeutenden farse, zumal dieses Genre ja bereits zu Beginn der Saison mit Rossinis ungleich besserer SCALA DI SETA bedient worden war.
Werke:
Geatano Donizetti war der Vielschreiber unter den Komponisten Italiens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Neben grossartigen Standardwerken sowohl im Bereich der opera seria (LUCIA DI LAMMERMOOR, die Dramen der Tudor Königinnen ANNA BOLENA, MARIA STUARDA, ROBERTO DEVEREUX oder LUCREZIA BORGIA) wie auch der opera buffa (L'ELISIR D'AMORE, DON PASQUALE) schrieb er auch viele Gelegenheitskompositionen oder Auftragswerke. So entstanden im Verlauf seines relativ kurzen Lebens (1797 - 1848) ungefähr 70 Bühnenwerke. Neben Rossini und Bellini gehört er zur Trias der Belcanto-Komponisten und inspirierte mit seiner Musik auch seinen grossen Nachfolger Giuseppe Verdi.
Diese nun in Zürich zu erlebenden Einakter sprühen nur so von musikalischen Einfällen, perlenden Koloraturen und fulminanten Rouladen, ganz im Stil eines Rossini (aus dessen Werken zitiert Donizetti auch unverfroren, der "Schwan von Pesaro" hatte sich zu der Zeit gerade in Paris vom Komponieren verabschiedet). Es ist Gebrauchsmusik, die zwar selten nachhaltig haften bleibt und doch im Moment des Anhörens unglaublich viel Freude und Spass bereitet. Spannend ist die Besetzung: Im ersten Stück wird die vulgäre Mamma der seconda donna von einem Bassbariton gesungen, eine dankbare Transvestitenrolle für grosse Sängerdarsteller. (Donizetti hat das Werk kurz ach der Uraufführung mit Rezitativen versehen und zu einem Zweiakter ausgebaut. Unter dem Titel VIVA LA MAMMA war es vor knapp 30 Jahren auch in Zürich zu sehen, mit Günther von Kannen als Mamma Agata.) Im zweiten Einakter I PAZZI PER PROGETTO müssen sich zwei Damen fünf Bassbaritonen gegenüber behaupten - für einmal fehlt der tenorale Liebhaber! Bestimmt war das den Zwängen des damaligen Theaterbetriebs zuzuschreiben. Donizetti musste für die dem Theater gerade zur Verfügung stehenden Künstler komponieren. Gerade darin und im ungebrochen dahinfliessenden melodischen Einfallsreichtum zeigt sich der wahre Könner.
Inhalt:
LE CONVENIENZE ED INCONVENIENZE TEATRALI:
Bei einer Probe für die Oper ROMULUS UND ERSILIA kommt es zu allerlei Zwischenfällen: Zwistigkeiten zwischen Komponist und Librettist, schmollende Primadonnen, die Mutter der Seconda Donna (Agata), die sich lautstark in die Produktion einmischt, Probleme mit Chor und Tänzern, Streichung von Subventionen. Als die Aufführung zu platzen droht, versetzt Agata ihren Schmuck, bedingt sich dafür aus, auf der Bühne stehen zu dürfen und schanzt so ihrer mittelmässig begabten Tochter die Primadonnenrolle zu. Die Premiere scheint gerettet ...
I PAZZI PER PROGETTO:
Der Leiter eines Irrenhauses, Darlemont, sieht einem turbulenten Tag entgegen: Sein Mündel Christina (auf deren Mitgift es Darlemont abgesehen hat) hat nach einer Liebesnacht mit dem Lebemann Blinval scheinbar den Verstand verloren, Eustacchio (welcher vorgibt ein Arzt zu sein) sucht im Irrenhaus nach seiner Desertation Zuflucht, Blinvals Gattin Norina besucht ihren Onkel Darlemont und berichtet vom Seitensprung ihres Gatten. In diesem Irrenhaus erkennen sich die Patienten nach und nach und jeder spielt dem anderen vor, dem Wahnsinn verfallen zu sein, um die echten Gefühle der Partner zu ergründen. So beginnt sich ein abstruses Karussell von Verdächtigungen, Enttäuschungen und Missverständnissen zu drehen. Am Ende werden die moralischen Grundätze wieder hergestellt und die richtigen Paare finden sich in Harmonie .. oder doch nicht?