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Zürich: DON PASQUALE, 08.12.2019

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Don Pasquale

copyright: Monika Rittershaus, mit freundlicher Genehmigung Opernhaus Zürich

Komische Oper in drei Akten | Musik: Gaetano Donizetti | Libretto: vom Komponisten und von Giovanni Domenico Ruffini, nach Angelo Anelli | Uraufführung: 3. Januar 1843 in Paris | Aufführungen in Zürich: 8.12. | 12.12. | 15.12. | 21.12. | 26.12. | 29.12. 2019 | 1.1. | 4.1. | 9.1.2020

Kritik:

Mit der Ohrfeige im dritten Akt kam die Wende: Was vorher als mehr oder minder lustiger Schwank mit Kalauern und running gags - einfach im neuen Gewande, sprich in den eng geschnittenen dunklen Anzügen, die der Regisseur Christoph Loy so zu lieben scheint, dahergekommen war, bekam nun plötzlich eine berührende Tiefe in der Auslotung der Gefühle. Was war passiert? Sofronia (Norina) will noch in der Hochzeitsnacht den Ehemann Don Pasquale alleine lassen, in der eben erst für sündhaft teures Geld erstandenen schicken Abendrobe ausgehen. Als Pasquale ihr das untersagen will, schlägt sie ihn ins Gesicht. Was nun folgte, war ein kurzer Moment des Innehaltens (allerdings lacht das Publikum ausgerechnet in diesem Moment, der eigentlich sehr tragische Erkenntnisse und mixed emotions für Norina und Pasquale provoziert). Gerade in dieser Szene ist die ungemein präzise und tiefsinnige Detailarbeit des Regisseurs und seiner Protagonisten zu spüren. Was da (und auch schon in den ersten beiden Akten) an köstlicher und tragischer, scharfsinnig beobachteter Mimik und Gestik zu erleben ist, hat Ausnahmecharakter. Sowohl Johannes Martin Kränzle (Don Pasquale) als auch Julie Fuchs als Norina (beide übrigens mit Rollendebüts) faszinieren mit ihrem unendlich variantenreichen Spiel, mit Ausdrucksnuancen, die man nur ganz selten so intensiv auf der grossen Opernbühne erleben darf. Diese beiden allein schon lohnen den Besuch der Aufführung. Selbstredend gestalten sie auch musikalisch ihre Partien mit Verve, Furor und begeisternder Virtuosität. Johannes Martin Kränzle bleibt der Titelfigur nichts an differenzierter Ausdruckskraft schuldig. Er kann sich lausbübisch über seine vermeintlichen Finten freuen, sich mit rasender Präzision in das Ratter-Duett mit Dr. Malatesta (Konstantin Shushakov) stürzen, wo die beiden sich die Textzeilen in schwindelerregenden Tempo nur so um die Ohren hauen. Zum „bis“ kam es an diesem heftig applaudierten Abend allerdings nicht. (Kränzle wird übrigens nur noch in vier der verbleibenden acht Vorstellungen zu erleben sein, die restlichen übernimmt Dimitris Tiliakos.) Julie Fuchs ist eine köstlich schelmische – und auch moralisch sehr verkommene – Norina, ein männerverzehrender Vamp aus der Vorstadt, sexy, neckisch und stellenweise wirklich urkomisch. Doch dann – nach der erwähnten Ohrfeige – kommt dieses zitternde Innehalten, dieses grandios gespielte kurze Zögern, dieses Aufwallen von Empathie für den ältlichen Ehemann, das bei Julie Fuchs körperlich spür- und erlebbar ist. Bravourös steigt sie an diesem Abend in ihre Auftrittskavatine ein, ihre an vielen Partien von Rameau, Mozart, Rossini und französischer Operetten gereifte und geschulte Stimme bleibt dieser Norina nichts an Virtuosität und glücklicherweise auch nichts an Sentiment schuldig.

Konstantin Shushakov (Dr.Maletesta) und Mingjie Lei (Ernesto) haben ihre Rollen schon andernorts gesungen. Shushakovs schöner Bariton fügt sich fantastisch in die Ensembles ein, sein Spiel ist erfrischend durchtrieben, denn zusammen mit Norina und dem blendend aussehenden und dauergrinsenden Carlotto (Dean Murphy) bilden die drei ein diabolisches Trio, das sich eine Riesengaudi daraus macht, den eingefleischten Junggesellen Pasquale auszunehmen und vorzuführen. Und man ist sich gar nicht so sicher, ob Norina „ihren“ Ernesto wirklich so sehr liebt. Denn der Strahlemann Carlotto treibt sich auch gerne in ihrem Schlafzimmer rum, sie gibt ihm auch mal einen Klaps auf seinen knackigen Hintern und man fragt sich, ob das mit dem schmachtenden Ernesto und ihr wirlich gut gehen wird. Minhjie Lei singt diesen am Geldhahn seines Onkels Pasquale hängenden Loser mit angenehm und einschmeidchelnd timbriertem Tenor. Seine mit berührendem Piano intonierte Serenade aus dem Off, Com'è gentil la notte, lässt die turbulente Handlung stoppen, Norina, Pasquale, Malatesta und Carlotto bewegen sich in Zeitlupe wie Zombies, lassen ungeahnte Zärtlichkeiten zu, eine Verwirrung der Gefühle, der Pasquale mit seinem Rückzug aus dem Eheabenteuer ein Ende bereitet. Nun kann er wieder genüsslich seinen Pudding löffeln.

Donizetti hatte mit DON PASQUALE quasi einen exquisiten Schlusspunkt unter die Gattung der opera buffa gesetzt, das zeigt sich auch in der Instrumentierung und den Accompagnati der Rezitative. Unter der Leitung von Enrique Mazzola spielte die Philharmonia Zürich mit wunderbarem Drive und viel Spritzigkeit, ab und an vielleicht eine Spur zu laut. Am Premierenerfolg hatten auch der Chor der Oper Zürich und die drei Schauspieler (R.A. Günther, David Földszin, Ursula Deuker) für die köstlichen Dienerrollen ihren verdienten Anteil. Ausgestattet wurde das Werk von Johannes Leiacker (Bühne) und Barbara Drosihn (Kostüme). Norinas Welt war ein blumig tapeziertes Schlafzimmer, sie wohnt in Pasquales Nachbarschaft und so kann der Alte des nachts während der Ouvertüre Pudding löffelnd Voyeur spielen. Sein eigenes Heim ist ganz spärlich eingerichtet, schlichte grau-weiss gestreifte Tapete, kaum Möbel. Das ändert sich natürlich nach der fingierten Hochzeit, wenn Sofronia (Norina) das Zepter übernimmt, ihre zuvor gespielte klösterliche Züchtigkeit schnell ablegt, neue Möbel und eine Schar neuer Diener (in auberginefarbigen Uniformen, genau in der Farbe ihres Unterrocks) herbeischaffen lässt, rauschende Parties feiert, wo der Champagner in Strömen fliesst und die Papierschlangen alles zumüllen. Ja, zugegeben, es ist ein über weite Strecken unterhaltsamer Abend geworden, man hat geschickt nach Tiefgang gebohrt und ist fündig geworden. Allerdings lohnt es sich, ganz nahe an der Bühne zu sitzen (oder einen Operngucker dabei zu haben) um von der umwerfenden Mimik von Johannes Martin Kränzle und von Julie Fuchs nichts zu verpassen.

Inhalt:

Der alte, wohlhabende Junggeselle Don Pasquale möchte seinen Neffen Ernesto reich verheiraten. Geld soll zu Geld kommen ... . Aber Ernesto liebt die arme Witwe Norina. Pasquales Hausarzt, Dr.Malatesta, weiss Rat: Pasquale soll selbst heiraten und damit Ernesto um sein Erbe bringen. Als Braut schlägt Malatesta seine jungfräuliche Schwester Sofronia vor. Ernesto ist bestürzt, dass er um sein Erbe gebracht werden soll.

Mit ihrer kapriziösen Auftrittsarie führt Norina in ihren Charakter ein und träumt von Liebesabenteuern. Ihr Bruder Malatesta tritt ein und weiht sie in seinen Plan ein, Pasquale zu verarschen. Sie soll also als Sofronia zum Schein Don Pasquale heiraten und ihm dann das Eheleben zur Hölle machen. Leider vergessen die beiden zunächst, auch Ernesto in ihren Plan einzuweihen. So gibt sich die Möglichkeit zu einem grossartigen Lamento Ernestos zu Beginn des zweiten Aktes, der sich verraten fühlt und am liebsten das Land verlassen würde. Unterdessen stellt Malatesta Don Pasquale seine Schwester vor. Pasquale ist entzückt von der Tugendhaftigkeit seiner Zukünftigen. Die Trauung wird mit falschem Notar und falschem Trauzeugen (Ernesto, der unterdessen in den Plan eingeweiht wurde) vollzogen. Kaum hat sich Sofronia alias Norina durch den Ehevertrag das halbe Vermögen Pasquales gesichert, legt sie ihre Schüchternheit ab und entwickelt sich zum verschwendungssüchtigen Drachen, frönt dem Luxus und dem Vergnügen – zum Entsetzen Pasquales. Als er sie daran hindern will, versetzt sie ihm eine veritable Ohrfeige. Pasquale ist am Boden zerstört. Zudem findet er noch einen Zettel, auf dem Sofronia zu einem nächtlichen Tête à tête bestellt wird. Er will nun Sofronia des Ehebruchs überführen und dann verstossen. Ernesto singt seine berühmte Serenade, Norina (Sofronia) kommt dazu, die beiden verschmelzen im Liebesglück. Pasquale hat dies alles belauscht und will die ungetreue Gattin aus dem Haus jagen, doch die pocht auf ihre Rechte. Erneut macht Malatesta einen Vermittlungsvorschlag: Pasquale soll seine Einwilligung zu Ernestos Vermählung mit Norina geben und Ernesto Abfindung überschreiben, dann würde Sofronia aus seinem Leben verschwinden. Pasquale willigt ein und macht auch dann noch gute Miene zum bösen Spiel, als er erfährt, dass Norina und Sofronia ein und dieselbe Person sind.

Werk:

Gaetano Donizetti (1797-1848) teilte das Schicksal des jungen Verdi: Galeerenjahre als Komponist. Er schrieb in seinem relativ kurzen Leben nicht weniger als 64 Opern, die verschollenen nicht eingerechnet. Manchmal lieferte er bis zu fünf komplette Opernpartituren pro Jahr ab, um einigermassen überleben zu können. Seine Sänger*innen kriegten übrigens bis zu fünfmal höhere Gagen als er als Komponist. Angesichts dieser Flut an Opern aus seiner Feder ist natürlich nicht jedes seiner Werke als Meisterwerk zu betrachten. Vor allem in seiner späteren Phase, wo er oft von Krankheitsschüben gezeichnet war (die Syphilistheorie hält sich hartnäckig, ist aber nicht zu beweisen) gibt es schwächere Partituren. Doch aus diesen ragt DON PASQUALE als unbestrittenens Meisterwerk heraus, ein triumphaler Endpunkt der Gattung der Opere Buffe. Die Partitur ist von umwerfendem melodischem Einfallsreichtum, die Rezitative orchesteral und nicht mehr von einem Tasteninstrument begeleitet. Zwar verwendet Donizetti noch immer die Typen der Commedia dell'arte, doch verfeinert und differenziert er ihre Charaktere, die nun zu echten, ergreifenden Gefühlsregungen fähig sind, ihre Phrasen bekommen eine Gefühlstiefe, wie sie zuvor nur Mozart in LE NOZZE DI FIGARO erreicht hatte. „So sichert bei Donizetti die Musik den Bühnenfiguren ein Humanpotential in seiner ganzen Tiefe und Widersprüchlichkeit.“ (Ulrich Schreiber)

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