Zürich: DIE NASE, 17.09.2011
Oper in drei Akten und einem Epilog |
Musik: Dmitri Schostakowitsch |
Libretto: vom Komponisten, nach einer Novelle von Gogol |
Uraufführung: 18. Januar 1930 in Leningrad |
Aufführungen in Zürich: 17.9. | 21.9. | 23.9. |27.9. | 30.9. | 4.10. | 6.10. | 8.10.2011
Kritik:
Gestern Abend konnte eine der stimmigsten, präzisesten und gelungensten Produktionen der letzten Jahre im Opernhaus Zürich gefeiert werden. Ingo Metzmacher (musikalische Leitung) und Peter Stein (Inszenierung) entpuppten sich als dreamteam für Schostakowitschs turbulent-sarkastisch-freches Jugendwerk!
Noch bevor der Dirigent auftritt, kreisen gleissende Suchscheinwerferkegel im Rund des Zuschauerraums. Und dann, gleich bei den ersten Takten des Vorspiels, denkt man unweigerlich an einen störrischen Juckreiz in der Nase – das surrealistische Spiel nimmt seinen Lauf, zieht einen in seinen Bann. Man lacht, leidet mit, staunt über sorgfältig herausgearbeitete Details, bewundert die gekonnten, technisch vorzüglich und reibungslos ablaufenden szenischen Verwandlungen (Kompliment an die Bühnentechniker!), öffnet erstaunt die Ohren für Schostakowitschs witzig-freche Instrumentation und ist schlicht überwältigt von der Geschlossenheit der Leistung des riesigen Ensembles auf und hinter der Bühne und im Orchestergraben.
Ingo Metzmacher und das fantastische Orchester der Oper Zürich sind die Garanten für die ungemein präzise und doch eine spassige Lockerheit vermittelnde Umsetzung von Schostakowitschs komplexer Partitur, in welcher er mit jugendlicher Unbekümmertheit scheinbar alles durcheinanderwirbelte, was ihm gerade so zuflog: Schräge Märsche, Polkas, atonale Reibereien, geistliche Gesänge, folkloristische Einschübe, ständige Taktwechsel, waghalsige Instrumentationen, konkrete Lautmalereien und natürlich das erste ausgedehnte reine Schlagzeug-Intermezzo der Opernliteratur!
Mit eben solch stimmiger Präzision setzt Regisseur Peter Stein die 16 grotesken Szenen im Bühnenbild von Ferdinand Wögerbauer um. Wögerbauer hat sich mit seinem Bühnenbild am Kunststil der Entstehungszeit der Oper (Zwischenkriegszeit, Expressionismus, Surrealismus) orientiert und hervorragend bespielbare und sich abwechslungsreich verwandelnde Räume geschaffen. Anna Maria Heinreich kleidete die unzähligen Menschen auf der Bühne in wunderschön gearbeitete Kostüme aus der russischen Biedermeierzeit, der Entstehungszeit von Gogols Novelle. Die Maskenbildnerei wiederum schien sich an den Figuren eines Otto Dix oder George Grosz zu orientieren und steht somit im Einklang mit der unglaublich subtilen Personenführung und Charakterzeichnung durch Peter Stein. An die 60 Partien umfasst Schostakowitschs Oper und die herausragenden, allesamt in ihren Rollen debütierenden Sänger-Darsteller des Zürcher Ensembles (verstärkt durch einige Gäste und Mitglieder des Opernstudios) schaffen das Kunststück, all diesen mehr oder weniger skurrilen Charakteren eigenständiges Profil zu verleihen. Einige Sängerinnen und Sänger dieses grandiosen Ensembles verdienen besondere Erwähnung: Allen voran natürlich Lauri Vasar als Kowaljow, welcher mit seinem wohlklingenden Bariton und darstellerisch wahrlich Mitleid erregend seine verzweifelte, albtraumhafte Suche nach dem abhanden gekommenen Organ aufnehmen muss. Dass er darob aber trotzdem sein ständiges erotisches Verlangen kaum zügeln kann, war einfach herrlich herausgearbeitet. Michael Laurenz spielt und singt einen wunderbar komischen Diener Iwan (und glänzt mit seinem Liebslied), Eva Liebau gestaltet das Sopran-Solo in der Kathedrale ergreifend schön und ist auch als Karten legende Tochter der Podotschina köstlich. Valeriy Murgu als besoffener (und auch verzweifelter) Barbier ist ebenso komisch wie seine keifende Gattin (Liuba Chuchrova). Ganz hervorragend sind auch Alexej Sulimov als Wachtmeister, Leonid Bomstein als Nase und der imponierende Pavel Daniluk als Arzt. Einen grossartigen Auftritt hat Cornelia Kallisch als Matrone. Das exzellente Ensemble wurde vom beeindruckten Premierenpublikum zu Recht kräftig gefeiert – und dieses Publikum bedankte sich mit lautstarken Bravi bei Regisseur Peter Stein, welcher vor vierzig Jahren (Ära Löffler) nach einer zu kurzen und heftigen Zeit am Schauspielhaus aus der Zwingli-Stadt verjagt wurde.
Fazit:
Ein pralles, farbenfrohes, spritzig-groteskes Musiktheater, welches trotz allen Witzes nie platt wirkt. Ein unterhaltender, spannender Opernabend ist garantiert und man ergötzt sich gar am Amtsschimmel, welcher als running gag kräftig wiehern darf.
Inhalt:
Eines Morgens erwacht der Petersburger Kollegienassessor Kowaljow ohne seine Nase. Mit der Suche nach seinem Organ beginnt ein burlesker Albtraum. Sein Barbier hat dieses nämlich fast gleichzeitig in seinem Brot gefunden und schleunigst in die Newa geworfen. Kowaljew begegnet seiner Nase in der Gestalt eines hochgestellten Beamten in der Kirche. Doch er kann ihrer nicht habhaft werden. Eine Suchannonce in der Zeitung wird von den Verantwortlichen abgelehnt. Unterdessen ist auch die Polizei auf das sich verselbständigende Organ Kowaljows aufmerksam geworden. Doch die Nase führt selbst die Behörden an der Nase herum. Die Folgen sind Prügeleien, Missverständnisse, ja selbst missverstandene Heiratsanträge. Endlich schrumpft die Nase wieder auf ihre ursprüngliche Grösse, doch gelingt es dem verstörten Kowaljow nicht, sie an ihrem dafür vorgesehenen Platz zu befestigen. Zum Glück erwacht er aus seinem Traum und findet die Nase ganz normal an ihrem anatomisch korrekten Ort vor. Sein Leben als "womanizer" nimmt wieder seinen gewohnten Gang.
Werk:
Der russische Titel von Gogols satirischer Novelle „NOS“ ist eine Umkehr des Wortes „SON“ (Traum). Doch Gogol bezweckte mit seiner Erzählung natürlich weit mehr als die blosse Schilderung eines Albtraums. Mit Humor und Sarkasmus beschrieb er die Absurditäten der (nicht nur russischen) Bürokratie, die Ängste vor dem Verwaltungsapparat und den Auswüchsen der Staatsgewalt. Gogols Novelle von 1836 gilt als erstes surrealistisches Prosastück von Bedeutung. Auch 90 Jahre nach ihrer Entstehung vermochte das Werk in der Bearbeitung Schostakowitschs die Autoritäten noch zu verstören. Deshalb wohl verschwand die Oper kurz nach ihrer Uraufführung von den sowjetischen Spielplänen. Erst 1974 setzte Gennadi Rozhdestvensky weitere Aufführungen dieses frühen Meisterwerks Schostakowitschs in Moskau durch. Schostakowitschs einfallsreiche Montage von Volksmelodien, vokaler Akrobatik und Atonalität wird ähnlich wie Bergs WOZZECK durch formale Formen wie Quartett, Fuge oder Kanon zusammengehalten. Diese Oper passt wunderbar in die Zeit des künstlerischen Aufbruchs zu neuen Ufern der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Das Werk garantiert einen äusserst unterhaltsamen und anregenden Abend in der Oper.