Zürich: DIE KLEINE NIEDERDORFOPER, 15.12.2013
Musik: Paul Burkhard | Text: Walter Lesch, Werner Wollenberger, Max Rüeger | Uraufführung: 31.12.1951 im Schauspielhaus Zürich | Aufführungen diese Produktion: Bernhard Theater Zürich, bis 02.03.14, meist Mi -So
Kritik:
A huge step back in time - und ein höchst amüsanter dazu. Denn was man hier während gut zweieinhalb Stunden erleben und geniessen kann, ist tatsächlich ein liebevoller Blick zurück auf die 50er Jahre, als Liebeswirren noch ein Happyend hatten, die Gauner gar nicht so durchtrieben waren, die Pornohefte verschämt hinter und unter dem Ladentisch getauscht wurden, es politisch korrekt war, dem Alkohol eine Hymne zu widmen, die Huren Humor hatten (und nicht blosse Abzockerinnen und Kreditkartenbetrügerinnen oder Zwangsprostituierte waren) und billige Variétékünstler ihre Beziehungskisten vor Publikum auslebten. Max Sieber hat die altvertraute Geschichte um den Landbauern Heiri im liebevollen, detailgenauen Bühnenbild von René Ander-Huber und Simon Schmidmeister und den zeitlich genau verorteten, ebenso liebevollen Kostümen von Regina Staiger und Bettina Steiner punktgenau inszeniert. Es dauert zwar (stückbedingt) eine Weile, bis die Sache in Fahrt kommt und alle wichtigen Personen eingeführt sind, doch spätestens mit dem Auftritt von Erich Vock als Heiri gewinnt die Chose an Drive. Vock tritt dabei in die Fussstapfen des legendären Ruedi Walter - und diese Fussabdrücke sind für ihn nicht zu gross, denn Vock ist eine echte (und das ist positiv gemeint) Rampensau, der den Bauer mit Leib und Seele gibt. Als Irmeli überzeugt Maja Brunner mit warmherzig, aber robust vorgetragenem Chanson (Mys Chind) und perfekt getimter Alkohol-Arie (Ich mag nicht Rosenkohl ...). Die übrigen Charaktere sind genau und stimmig gezeichnet, aus dem Ensemble ragen Sabine Schneebeli als Nachtclubsängerin Olly Moreen, Yvonne Kupper als hauchdeutsch palavernde Lämmli-Wirtin, Peter Fischli, Gabriela Steinmann und Viola Tami als Familie Baumann und Peter Zgraggen als hoffnungslos verklemmter Ignatius hervor. Sentimentale Erinnerungen wecken Radiolegende Elisabeth Schnell als Frau Wipf und Vincenzo Biagi als Hagenbuch.
Fazit: Nicht nur für Nostalgiker (ihr Rezensent ... ), die sich an den unsterblichen Melodien nicht satt hören können, empfehlenswert, sondern auch für Menschen, welche die "gute, alte Zeit" des Schweizer Musicals nicht selbst erlebt haben.
Werk:
DIE KLEINE NIEDERDORFOPER ist eine Hommage an das gute, alte Rotlichtviertel der Stadt Zürich, das Niederdorf, in den biederen 50er Jahren des 20. Jahrhundert. Der Ort war nie so verrucht wie St.Pauli, nie so mondän wie Montmartre. Typisch Schweiz halt, klein (-bürgerlich), nur leicht anrüchig, verklemmt. Aber die Musik, welche Paul Burkhard (1911-1977) dazu geschrieben hat, ist unsterblich geworden und vor allem die Generation, welche die InterpretInnen der Uraufführung und diverser Folgeproduktionen noch erlebt hat (die Volksschauspieler Ruedi Walter, Margrit Rainer, Zarli Carigiet, Traute Carlsen, Inigo Gallo Elsbeth von Lüdinghausen etc.) garantiert auch der Neuproduktion ungeschmälerte Popularität und ausverkaufte Vorstellungen.
Angesichts der Qualität der Komposition ist der Titel "kleine Oper" durchaus gerechtfertigt, denn Burkhard (Komponist der Operette FEUERWERK [DER SCHWARZE HECHT] oder von Oratorien wie EIN STERN GEHT AUF AUS JAAKOB, ZÄLLER WIEHNACHT), war ein begnadetet Melodiker.
Inhalt:
Bauer Heiri hat ein Kalb verkauft (De Heiri hät es Chalb verchauft) und will den Handel in der Stadt feiern. Er stürzt sich ins Nachtleben im Niederdorf. In einem heruntergekommenen Varietélokal, dem Lämmli, kehrt er ein. Dort macht sich die Serviertochter Irmeli Sorgen um ihre Freundin Ruth, welche zwar die Verlobung mit dem Polizisten Bruno plant, doch nun vom Sänger André schwärmt (Mys Chind). Das Ensembel vereinigt sich in der Klage um die Unerreichbarkeit des grossen Glücks (Quand on a pas ce qu'on aime). Heiri tinkt immer mehr, gerät in Hochstimmung (Jässodu) und spendiert eine Lokalrunde nach der andern. Ruth verschwindet mit André, ihr Vater ist entsetzt, dass sowas im sauberen Zürich möglich ist (I dere suubere Stadt). Leichte Damen rechtfertigen ihr Gewerbe, die Heilsarmee tritt auf und Ganoven mischen sich unter die Gäste. Auf dem Höhepunkt der Ausgelassenheit stimmt Irmeli den Choral vom Alkohol an (Ich mag nicht Rosenkohl).
Heiri hat bald sein ganzes Geld verprasst, die leichten Damen und die anderen Gäste wenden sich von ihm ab. Zu später Stunde steht er allein und verlassen vor dem Lokal und ergeht sich in Selbstmitleid (Mir mag halt niemert öppis gunne).