Zürich: DER FREISCHÜTZ, 18.09.2016
Romantische Oper in drei Aufzügen | Musik: Carl Maria von Weber | Libretto : Friedrich Kind | Uraufführung: 21. Juni 1821 in Berlin | Aufführungen in Zürich: 18.9. | 21.9. | 25.9. | 2.10. | 5.10. | 9.10. | 13.10. | 16.10. | 19.10. | 22.10.2016
Kritik:
Musikalisch gelang an diesem Abend vieles gut, manches gar ausgezeichnet. Die Balance zwischen Bühne und Graben stimmte aber oft nicht. Zwar war das Orchester hochgefahren und sass nicht ganz tief im Graben. Trotzdem dominierten die teils gewaltigen Stimmvolumina auf der Bühne das Orchester und deckten manch interessanten Interpretationsansatz des Dirigenten zu, und dies obwohl Marc Albrecht am Pult der Philharmonia Zürich eine dramatisch aufgepeitschte, vorwärtsdrängende Lesart der Partitur zur Diskussion stellte, das Zukunftsweisende von Webers Meisterwerk betonte. Viele der wunderschön gespielten solistischen Aufgaben im Orchester gingen leider etwas unter, sobald die Sänger zu ihren Szenen ansetzten. Nur bei den Vorspielen und bei der Ouvertüre konnte man sich am exzellenten Klang des Orchesters (wobei die Hörner leider im Vorspiel nicht den besten Tag hatten) und den kraftstrotzenden, prägnanten Akzenten erfreuen. Christopher Ventris sang einen imponierenden Max, ohne jedwelche Larmoyanz. Sein strahlender und mit bestechender Sicherheit kraftvoll geführter Heldentenor scheint allerdings für die Grösse des Zürcher Hauses in dieser Partie bereits etwas überdimensioniert zu sein. Dies gilt auch für die gewaltige stimmliche Kraft von Lise Davidsens Agathe – eine überaus imponierende Erscheinung und ein stimmliches Versprechen für Aufgaben, welche ins Wagner- und Strauss-Repertoire zielen. Ihr leicht abgedunkelt timbrierter Sopran verfügt über eine stupende Sicherheit in der Höhe, in der Mittellage braucht die junge Künstlerin noch etwas Zeit zur Reife. Allerdings geriet die erste Arie, die ausgerechnet mit den Worten „Leise, leise“ (!) beginnt, viel zu laut. Selbst Max hielt sich die Ohren zu, als Lise Davidsen wie eine Domina auf Speed dermassen vokal auftrumpfte. Aber die Zürcher Debütantin erhielt nach dieser Szene einen Riesenapplaus – die Zürcher mögens anscheinend möglichst laut. Um Welten besser dann die Kavatine im dritten Akt Und ob die Wolke sie verhülle. Hier zeigte Frau Davidsen, dass sie sehr wohl über eine wunderbar tragfähige Pianokultur verfügt. Das Ännchen, oft eine Sympathieträgerin einer Freischütz-Aufführung, wurde von Mélissa Petit mit wunderbar lyrisch grundierter Tongebung gesungen, ihr hing in der musikalischen Gestaltung nichts Soubrettenhaftes an. Die Arie mit der Erzählung von ihrer Base Einst träumte meiner sel'gen Base klang schon fast ein bisschen zu ernsthaft, da hätte man den Witz noch etwas pointierter herausarbeiten können. Ausgezeichnet und mit hervorragender Diktion klang der agile, prächtige Bass von Christof Fischesser als Kaspar, und dies obwohl er sich – eben erst von einer Bronchitis genesen – durch den Intendanten ansagen liess. Für alle Eventualitäten hatte man auch einen Ersatzsänger in der Loge sitzen, doch der wurde nicht benötigt und konnte den Abend als Zuschauer geniessen. Die kleineren sängerischen Rollen waren adäquat besetzt. Wenwei Zhang liess mit seinem balsamischen Bass die mahnenden Worte des Eremiten (er schwebt als Robinson Crusoe verkleidet wie ein Deus ex machina vom Bühnenhimmel) effektvoll in den Saal strömen. Seinem Gebot musste sich dann auch der dauermümmelnde Indianerhäuptling (Fürst Ottokar alias Oliver Widmer) fügen. Der teuflische Samiel war omnipräsent: Florian Anderer hatte die Aufgabe, das ganze Geschehen durch diabolische Häme zu kommentieren, aufzulockern und durfte manch ernste Stelle durch dauergrinsende Mimik, Nachäfferei und sich wiederholende, überaus akrobatische Slapstick-Einlagen konterkarieren. Ein Effort, der einerseits grosse Bewunderung für den Akteur auslöste, andererseits aber nur beschränkt lustig war, und schon gar nicht das Grauen erregte, welchem der Regisseur Herbert Fritsch doch eigentlich hinter der Maske des Schrillen, Grotesken nachspüren wollte. Man kennt sie ja, die Grausamkeiten, welche sich hinter der Schminke der Clowns verstecken, spätestens seit der Figur des Joker in BATMAN, dem Clown in Stephen Kings ES, dem Serienmörder John Wayne Gacy, welcher als Clown Pogo sein bestialisches Treiben kaschierte. Doch davon war diese Inszenierung des Freischütz weit entfernt. Das doch eingeschränkte Bewegungsrepertoire der Truppe auf der Bühne wurde schnell etwas gar läppisch und langweilte zusehends. Es mag ja angehen und durchaus lustig sein, in einem kurzen Videoclip auf youtube Opernarien durch Spässe und Blödelei als Persiflage zu unterlaufen, einen ganzen Abend lang ist es fast nicht auszuhalten und auch ein wenig respektlos gegenüber den Sängern, welche durch die Musik Gefühle und Seelenzustände transportieren sollen und dabei das Gelächter des Publikums hören, weil irgend ein Hampelmann seine mehr oder weniger lustigen Faxen oder akrobatischen Übungen im Hintergrund macht. Das ging schon bei Fritschs KING ARTHUR in der letzten Saison schief, beim FREISCHÜTZ schmerzte es noch mehr. Vielleicht sollte man diesem Regisseur Ligetis LE GRAND MACABRE anvertrauen, um seinen unbändigen kindlichen Spieltrieb auszuleben. Die Bühne, welche Fritsch für diese Inszenierung entworfen hatte, war allerdings grosse Klasse. Sie bestand aus drei Elementen: Kirchturm, Turmspitze und Kirchenschiff. Diese Elemente konnten getrennt und auch in schwebenden Zustand versetz werden und schafften auf der spiegelglatten, giftgrünen Drehbühne eindringliche Situationen und fliessende Szenenwechsel. Ganz toll. Auch die wie immer ausgesprochen bunten und mit unglaublich phantasievoller Detailverliebtheit gearbeiteten Kostüme von Victoria Behr waren einmal mehr eine Augenweide. Erwartet hätte man, dass die vielen gesprochenen Dialoge neu geschrieben würden. Doch Fritsch behielt sie praktisch alle im Original bei, liess sie einfach „neu“ betonen, mit sich überschlagenden, falsettierenden Stimmen. So wurde zum Beispiel aus dem Bösewicht Kaspar in den Dialogen eine affektierte Tunte. Selbstverständlich liess sich Fritsch keine Gelegenheiten im Text entgehen, um deren schlüpfrige Doppeldeutigkeiten dick aufzutragen („Leid oder Wonne, beides ruht in deinem Rohr ...“). Die gross gewachsene Sängerin der Agathe wurde in Riesenröcke gesteckt und zog als dominantes Überweib, als keifende Matrone oder gigantische Zuckerfee alle an ihren Busen (bei der Kavatine im dritten Akt musste sie herumtänzeln, wie wenn sie unter starkem Harndrang leiden würde). Manchmal wirkten Agathe und Ännchen wie Elisabeth Volkmann und Ingrid Steeger, die eine Szene aus KLIMBIM spielen. Am Ende verkroch sich auch der Teufel Samiel unter ihrem Rock, Agathe begrüsste dies mit verzücktem Lächeln. Doch als die Brautjungfern den Rock hochhoben, entwich nur weisser Rauch. Agathe stiess ein dämonisches Lachen aus – die von Samiel infizierte Frau als neuer Teufel? Das hatte immerhin was ... . Erstaunlich harmlos und schon fast etwas unbeholfen ging die Wolfsschluchtszene über die Bühne. Und dann war da noch das von Fritsch selbst gestaltete psychedelische Video, welches zur Ouvertüre auf den weissen Zwischenvorhang projiziert wurde: Eine farblich changierende und im an die Musik angepassten Tempo schneller oder langsamer sich auf- und abbauende Zielscheibe, deren Mittelpunkt zusehends herumzuirren begann, bis man selbst vom Zusehen irre wurde. Wie gesagt, auch dies als Videoclip oder Kunstinstallation durchaus angebracht, als Einstimmung auf Webers DER FREISCHÜTZ für mich ungeeignet. Und so waren denn auch die Meinungen im Publikum am Ende geteilt: Nur Applaus für die musikalisch Verantwortlichen, die Sängerinnen und Sänger, den sich voll und mit gestalterischer Verve auf das Konzept einlassenden Chor der Oper Zürich und ein Gemisch aus Jubel und Entrüstung für das Inszenierungsteam. Dass diese Art von Humor nicht jedermanns Sache ist, war deutlich spürbar, dass es vielen aber ausgesprochen gut gefallen hat auch. Und das ist dann auch gut so!
Fazit:
Optisch und musikalisch in satten Farben gemalt (einzig der Philharmonia Zürich unter der Leitung von Marc Albrecht blieben manchmal Zwischentöne und wenige Pastellfarben vorbehalten), die Stimmen der Sängerinnen ebenfalls kräftig und oft zu laut, die Regie übertraf die Erwartungen (leider im negativen Sinne). Wenn man sich diesen FREISCHÜTZ antut, bitte keinesfalls romantisch glotzen wollen! Es ist ja eigentlich toll, dass eine Inszenierung (Herbert Fritsch: Regie, Video und Bühne, Victoria Behr: Kostüme) bunt und schrill und grotesk daherkommt und die mausgrauen Anzüge und Betonmauern, die gestylten Lounges für einmal im Fundus bleiben können. Aber wenn sich die running gags zu Tode rennen, wird es auf Dauer trotzdem dröge. Diese Art von Humor gefiel vielleicht knapp der Hälfte des Publikums, immerhin.
Inhalt:
Der Jägerbursche Max möchte Agathe, die Tochter des Erbförsters heiraten. Nach altem Brauch muss er dazu einen Probeschuss ablegen. Doch im Vorfeld des grossen Tages hält er dem Erwartungsdruck nicht stand. Von Versagensängsten geplagt, lässt er sich vom Werkzeug des Teufels (dem Jägerburschen Kaspar) zum Giessen von Freikugeln überreden. In der grossartig schauerlichen Wolfsschluchtszene findet um Mitternacht dieses Kugelgiessen statt.
Am Tag des Probeschusses ist nur noch eine Freikugel übrig, und diese siebente Kugel gehört dem Teufel, der sie auf ein Opfer seiner Wahl lenkt. In diesem Fall auf Agathe. Ein Kranz von gesegneten, weissen Rosen des Eremiten schützt jedoch die Braut, die Kugel wird auf Kaspar gelenkt. Der Eremit brummt Max ein Probejahr auf und mit der Tradition des Probeschusses soll gebrochen werden.
Werk:
DER FREISCHÜTZ wird als erste deutsche Nationaloper bezeichnet, das Werk markiert aber auch den Beginn der deutschen Romantik. Die Thematisierung des Übersinnlichen, Irrationalen, welches Einzug ins Alltagsleben hält und in der Musik auch in den volksliedhaften Szenen unterschwellig ständig präsent ist, wurde von Weber mit grossartigem Einfühlungsvermögen in die Seelenzustände seiner Protagonisten komponiert. Der "Wald" ist in dieser Oper mit seinen Licht- (Eremit, fröhliche Jägerszenen) und Schattenseiten (Samiel, Wolfsschlucht) ungeheuer präsent. Mit der Gestaltung der zentralen, durchkomponierten Wolfsschluchtszene weist Weber weit in die Zukunft, dringt mit der Gänsehaut erregenden Musik tief vor zu den dunklen Seiten und den Abgründen der menschlichen Psyche.
Die textliche Anregung erhielten Librettist und Komponist aus dem Gespensterbuch von August Apel.
Musikalische Höhepunkte:
Ouvertüre
Nein,länger trag’ ich nicht die Qualen, Arie des Max, Akt I
Schweig, damit dich niemand warnt, Arie des Kaspar, Akt I
Kommt ein schlanker Bursch’ , Ariette des Ännchen, Akt II
Wie naht mir der Schlummer, Szene und Arie der Agathe, Akt II
Wie? Was? Entsetzen!, Terzett, Akt II
Wolfsschluchtszene, Finale Akt II
Und ob die Wolke …, Cavatine der Agathe, Akt III
Brautchor und Jägerchor, Akt III