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Winterthur: ZAR UND ZIMMERMANN, 03.11.2016

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Zar und Zimmermann

copyright: Jochen Quast, mit freundlicher Genehmigung Theater Winterthur

Komische Oper in drei Akten | Musik: albert Lortzing | Libretto: vom Komponisten | Uraufführung: 22. Dezember 1837 in Leipzig | Aufführungen in Winterthur: 3.11. | 4.11. | 5.11. | 6.11.2016 (Gastspiel des Landestheaters Detmold)

Kritik:

Als Albert Lortzing am 24. Januar 1851 auf dem Sophien-Friedhof in Berlin beigesetzt wurde, sprach der Schauspieler und Regisseur Anton Ascher am Grab die folgenden Worte: „Selten ist eine so begabte Natur, ein so grosses Talent so wenig nach Verdienst gewürdigt worden! Während seine Schöpfungen Tausende entzückten, seine Melodien in den entferntesten Ländern erklangen, seine Lieder im Munde des Volkes lebten, lebte er kümmerlich ein sorgenvolles Dasein ... Und doch wird dein Name den von Tausenden deiner Zeitgenossen überleben!“ Und in der Tat, lange Zeit waren Lortzings Bühnenwerke ein Renner, zumindest auf den deutschsprachigen Bühnen. Erst in den letzten 50 Jahren machten viele Bühnen (zumindest die grossen ...) eher einen Bogen um die deutsche Spieloper. Umso verdienstvoller stellen sich die kleineren Bühnen immer wieder der Aufgabe, diese Werke am Leben zu erhalten. Zu Recht, wie das Gastspiel des Landestheaters Detmold gestern Abend in Winterthur bewies. Denn die zündenden Melodien Lortzings, diese regelrechten (doch nie billigen) Gassenhauer, verfehlen auch heute noch ihre mit Glücks- und Schmunzelgefühlen verbundene Wirkung nicht. Spritzig und aufgeweckt intonierte das Symphonieorchester des Landestheaters Detmold unter der vorwärtsdrängenden (aber nie überhasteten) Leitung von György Mészáros die erfrischende Partitur, vom interessanten Andante in Moll zu Beginn der Ouvertüre, über deren Allegro-Freuden gegen Ende der Exposition bis zum Finale mit dem berühmten Wunschkonzert-Hit des Holzschuhtanzes. Auch dazwischen blitzten immer wieder ausgefeilt gestaltete Einzelleistungen der Musikerinnen und Musiker im Graben auf. Wichtige Glanzpunkte setzte auch der nicht sehr grosse, aber ausgesprochen klangschön intonierende Chor und Extrachor des Landestheaters Detmold (Einstudierung: Marbod Kaiser), der auch durch treffliche Mimik im Spiel zu erfreuen wusste, so zum Beispiel in der köstlichen „Chorprobe“ mit dem blasierten Bürgermeister van Bett im dritten Aufzug. Zu den Rollen in ZAR UND ZIMMERMANN bemerkte Lortzing einmal selbst: „...Partien, die nicht totd zu machen sind, die sich von selbst spielen, wie der Bürgermeister (van Bett) und Peter der Grosse. Mit der ersteren Rolle ist noch keiner durchgefallen, und ebenso kann als Zar keiner durchfallen, wenn er nur sein Lied (im dritten Aufzug) tonvoll herauszuschmachten vermag ...“ . Und genau so war es auch anlässlich dieser Aufführung in Winterthur. Christoph Stephinger setzte seine Pointen als dümmlicher, selbstgefälliger „Schwachkopf“ van Bett gekonnt, setzte seinen Bass wirkungsvoll ein. Herrlich komisch in seiner Auftrittsarie O sancta Justitia, wo ihm das Fagott erst den tiefsten Ton vorgeben musste und er ihn dann dankend übernahm, sich als Cäsar in die Toga „einwickeln“ liess und den Lorbeerkranz entgegennahm, eine Selbstüberschätzung eines „kleinen“ Politikers sondergleichen (welche aber nichts von ihrer Aktualität eingebüsst hat ...). Wunderbar auch die rasanten, wortreichen Parlando-Passagen, welche an Rossini gemahnten und später von Donizetti in seiner letzten Buffa DON PASQUALE nochmals aufgegriffen wurden. Insu Hwang sang den Zaren Peter I. mit schön geführtem, leicht herb timbriertem Bariton. Erfreulich, dass man ihm auch die oft gestrichene Arie im ersten Aufzug liess, welche eben auch die „dunkleren“ Seiten des Potentaten zeigt, wo er das Henkersbeil gefärbt vom Blut der Verräter sehen will. Hier evozierte Insu Hwang die absolutistischen Machtansprüche des sich sonst so volkstümlich gebenden Zaren mit Vehemenz in der Gestaltung. Aber eben, daneben gibt es auch noch die empfindsamen Aspekte seines Charakters, und denen verlieh er in den drei Strophen seines Liedes im dritten Akt Ausdruck: Sonst spielt ich mit Zepter und Krone und Stern mit der refrainartig wiederholten Phrase (und einer der trefflichsten, gefühlsbetontesten Melodien der Oper) O selig, o selig, ein Kind noch zu sein. Insu Hwang sang diese Arie nicht allzu schmachtend und deshalb bestand die Gefahr auch nicht, dass das Stück in kitschige Gefühlsduselei abglitt. Anlässlich der Generalprobe in Leipzig 1837 hatte sich ja ein wahrer Disput um diese berühmte Arie, die heutzutage alle lyrischen Baritone im Repertoire haben, entwickelt. Der Sänger, der Dirigent, der Theaterdirektor machten sich gemeinsam über das Lied lustig, der Bariton verlangte zumindest noch ein paar Koloraturen in diesem schlichten Lied, diesem „Schmachtfetzen“, wie der Theaterdirektor ausrief. Doch Lortzing mit seinem untrüglichen Instinkt beharrte auf seiner ursprünglichen Komposition, und erwiderte: „Jagt nur eure allgemeinen Ideen zum Teufel und dringt ins wirkliche Leben ein, wie Shakespeare und Goethe ... . Der Mensch soll noch geboren werden, der niemals eine weiche, wehmütige Stunde hatte.“ Wie immer behielt er Recht, diese Arie wurde zu einem Welterfolg und verfehlte auch in der Interpretation von Insu Hwang ihre sentimentale Wirkung nicht. Der „andere“ Peter, nämlich Iwanow, wurde gestern von Markus Gruber mit wunderschön gefärbtem Tenor gegeben, lyrisch, verspielt und dann doch in den Eifersuchtsszenen mit seiner Marie wunderbar kraftvoll und intonationssicher aufschwingend. Ganz vortrefflich geriet das a capella Sextett der sechs Männer (Iwanow, Peter I., van Bett, Lord Syndham, Marquis von Chateauneuf, Admiral Lefort) im zweiten Akt. Chateauneuf (Stephen Chambers) hatte zuvor schon mit seinem „Flandrischen Mädchen“ punkten können, mit dem er sich mit seiner auffallend samtenen, einschmeichelnden Stimme als Womanizer profilierte. Sehr komisch auch Michael Zehe als Lord Syndham, gekleidet wie Captain Hook und seinen Haken wie einen Fingernagel feilend während van Bett seiner lächerlichen Inquisition frönte. Ergänzt wurde das prächtige Sextett der Männer durch Kyung-Won Yu als um das Wohl Russlands besorgter Admiral Lefort. Die Frauen sind von Lortzing (leider) nur mit zwei Rollen bedacht worden, Marie und die Witwe Browe. Simone Krampe sang eine wunderbar spritzige Marie, ein wunderschönes stimmliches Timbre gepaart mit einnehmender Spielfreude, köstlich zum Beispiel wie sie mit der Eifersucht Iwanows umging. Die liedhafte Melodik Lortzings war in ihrer Stimme bestens aufgehoben, wie ihre wunderschöne Interpretation des Brautliedes im zweiten Akt bewies. Brigitte Bauma machte aus der kleinen Rolle der Witwe Browe ein darstellerisches Kabinettsstückchen und bewies, dass kleine Rollen, wenn sie mit Bühnenpräsenz gefüllt werden, eben nie klein bleiben.

Aber wie inszeniert man eine solche Oper, deren historischer Hintergrund ja gegeben ist? Nun, der Regisseur Wolf Widder ersann einen interessanten Trick, um von der Gegenwart in die Vergangenheit des 17. Jahrhunderts zu führen. Er erfand einen heutigen Stadtführer der Stadt Zaandam (in der Oper Saardam), Cornelius (gespielt von Mathias Eysen), welcher das Publikum quasi mit der Historie betraut machte. Ausgehend vor dem Prospekt einer heutigen, kleinen Werft, wo Plastikboote hergestellt werden, hob sich dieser Zwischenvorhang und wir schlüpften in einer Art Dokumentarspiel in die Vergangenheit. Die gesprochenen Dialoge waren weitestgehend gestrichen, der Stadtführer im Regenmantel und mit holländischem Akzent übernahm die Conférance und führte als Spiritus Rector durch die Handlung. Dabei streute er zwar immer wieder auch aktuelle Anspielungen ein, die aber leider oft etwas untergingen. Auch das Spiel auf der Bühne blieb oft erstaunlich bieder und brav. Hier hätte man sich etwas mehr Mut und Frechheit zum Hervorstreichen der durchaus relevanten sozialpolitischen Stellungnahmen Lortzings gewünscht. Immerhin, hübsch anzusehen war die Produktion mit witzigen, farbenfrohen historischen Kostümen und einem adäquaten Bühnenbild (beides von Petra Mollérus) allemal.

Alles in allem ein dann doch noch recht kurzweiliger, vergnüglicher Abend, der eindeutig mehr Lust auf Lortzing machte.

Werk:

Als Albert Lortzing (1801-18151) am 21. Januar 1851 in Berlin starb, war er hochverschuldet, überarbeitet und verhungerte regelrecht ohne jegliche ärztliche Betreuung. Ein überaus tragisches Ende eines Künstlers und Komponisten, der die Gattung des Deutschen Singspiels zu ihrer Blüte geführt hatte. Begonnen hatte Lortzings Karriere als Schauspieler, und damit trat er quasi in die Schuhe seiner Eltern, welche als Wanderschauspieler viel unterwegs waren. Später avancierte der talentierte Albert auch zum Sänger, Komponisten, Librettisten und Dirigenten. Immer wieder stach er durch freie und von liberalem Gedankengut geprägte Improvisationen hervor und geriet in Zwist mit den Zensurbehörden. Seine heiteren Spielopern sind eben unter der Oberfläche gar nicht so harmlos, wie sie scheinen: In ZAR UND ZIMMERMANN preist er einen aufklärerischen Fürsten (Zar Peter I.) und mokiert sich über die selbstgefällige, trottelige Obrigkeit (Bürgermeister van Bett). Im WAFFENSCHMIED stichelt er gegen die adelige Gesellschaft, im WILDSCHÜTZ wird Kritik an feudalen Jagdpriviliegien laut und sein zu seinen Lebzeiten nicht mehr aufgeführtes Werk REGINA thematisiert offen den Klassenkampf. Diese Oper wurde immer wieder durch Regimes verunstaltet, vom Wilhelminischen Kaiserreich als Hurra-Jubel Oper arrangiert, vom Dritten Reich wurde die beste Musik daraus in einen belanglosen CASANOVA integriert, um die Massen bei Stimmung zu halten und in der DDR wurde REGINA als Jubellied auf die proletarische Revolution gespielt. Erst nach nun nach finden partiturgetreuere Einstudierungen den Weg auf die Bühne.

ZAR UND ZIMMERMANN gehört zu den bekanntesten Opern Lortzings. In der Uraufführung sang Lortzing selbst die Partie des Peter Iwanow, seine Mutter spielte und sang die Rolle der Witwe Browe.

Das Sujet des (historisch verbürgten) Aufenthalts des Zaren Peter I. in Holland im Jahr1698 haben übrigens noch viele andere Komponisten aufgegriffen und vertont, darunter finden sich so prominente Namen wie Grétry, Donizetti, Meyerbeer und von Flotow. Doch einzig Lortzings ZAR UND ZIMMERMANN hat sich durchgesetzt und wird immer noch gespielt und gerne gehört, einige Arien und Szenen sind regelrechte Hits geworden! Dies spricht eindeutig für die Qualität und den ausgeprägten Theaterinstinkt von Lortzings Arbeit.

In Berlin, seiner letzten Wirkungsstätte, erinnern ein Standbild im Tiergarten, eine Gedenktafel am Haus in der Luisenstrasse und sein Ehrengrabmal auf dem Sophien-Friedhof an den noch immer etwas unterschätzten Tonsetzer.

Inhalt:

Unter dem falschen Namen Peter Michailow arbeitet der russische Zar Peter der Erste im niederländischen Saardam als Zimmermannsgeselle, um sich die Technik des Schiffbaus anzueignen. Er freundet sich mit Peter Iwanow, einem russischen Deserteur an, der sich mit der Nichte des Bürgermeisters van Bett verlobt hat. Van Bett erfährt, dass sich der Zar in seinem Städtchen aufhalten soll, geht aber davon aus, dass es Iwanow ist. Als der Zar von Unruhen in Russland erfährt, trifft er Vorbereitungen zur Rückkehr. Die Gesandten Englands und Frankreichs, Lord Syndham und der Marquis de Chateauneuf, versuchen ebenfalls, den „echten“ Zaren ausfindig zu machen und ihn für ihre Ziele zu gewinnen.

Anlässlich der Hochtzeit des Sohnes der Werftbesitzerin Browe unterbreitet Lord Syndham (incognito) dem „falschen“ Zaren, nämlich Iwanow, den Vorschlag zu einem Bündnis beider Nationen. Natürlich stösst er auf Unverständnis und Ablehnung. Die Holländer vermuten unterdessen einen Spion unter den Werftarbeitern, welcher die besten Leute für fremde Firmen abwerbe. Van Bett mischt sich wichtigtuerisch ein und bezichtigt nacheinander alle fremden Gesandten dieser Machenschaften. Diese können jedoch ihre Unschuld beweisen. Am Ende bleibt nur noch Michailow als Abwerber übrig. Es kommt zu einer Rangelei zwischen van Bett und dem Zaren, den aber noch niemand erkannt hat.

Marie ist betrübt, dass Iwanow, ihr Verlobter, der Zar sei. Denn damit erscheint eine Verbindung aus Gründen des Standesunterschieds als unmöglich. Sie schüttet, ohne es zu ahnen, dem richtigen Zaren ihr Herz aus. Dieser verspricht ihr einen glücklichen Ausgang. Doch die Ereignisse überstürzen sich vorerst: Die holländische Regierung hat alle Häfen sperren lassen, die Ausreise des Zaren ist also unmöglich geworden. Da übergibt ihm Iwanow einen Diplomatenpass, den er bei seinen „Verhandlungen“ mit dem englischen Gesandten erhalten hat. Der Zar überreicht Iwanow dafür einen versiegelten Brief, den dieser aber erst in einer Stunde öffnen dürfe. Van Bett erscheint und will mit einer Kantate den Zaren ehren. Iwanow lässt die Ehrung über sich ergehen, ohne mit der Wimper zu zucken. Nun trifft die Meldung ein, der Zar hätte die Stadt an Bord eines russischen Schiffes verlassen. Iwanow kann nun endlich das Schreiben des Zaren öffnen und liest vor: „Ich, Zar Peter I., gebe hiermit meine Zustimmung zur Heirat des Kaiserlichen Oberaufsehers Peter Iwanow mit der Nichte des schwachköpfigen Bürgermeisters!“

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