Winterthur: LA SCALA DI SETA, 07.09.2011
Farsa comica in einem Akt |
Musik: Gioachino Rossini |
Libretto: Giuseppe Maria Foppa |
Uraufführung: 9. Mai 1812 in Venedig |
Aufführungen in Winterthur: 7.9. | 9.9. | 11.9. | 13.9. | 17.9.2011
Kritik:
Vor 200 Jahren ergötzte sich das venezianische Publikum an den rossinischen farse, heutzutage sitzt es vor den Bildschirmen (leider immer weniger im Theater) und lässt sich von mehr oder weniger seichten amerikanischen sitcoms im Stile von TWO AND A HALF MEN, KING OF QUEENS oder DIE NANNY unterhalten - so dachten sich wohl der Regisseur Damiano Michieletto und sein Ausstatter Paolo Fantin. Also versetzten sie die komisch-unsinnige Handlung flugs in ein modernes Studio, wo eine Truppe eine Folge für eine solche Serie probt. Entstanden ist ein quirliges, vor lauter szenischen Gags geradezu überschäumendes Stück. Die zwei Sängerinnen und vier Sänger der sechs Partien erweisen sich sowohl darstellerisch als auch musikalisch als grosser Glücksfall. Einziger Einwand: Bei soviel Klamauk und Bewegung auf der Bühne muss man seine auditiven Sinne ganz gewaltig aktivieren, um nicht vom Auge von der herrlich dargebotenen Musik abgelenkt zu werden. Diesem herausragenden Ensemble auf der Bühne legt das Musikkollegium Winterthur unter Zsolt Hamar einen fantastisch federnden orchestralen Teppich aus.
Bereits nach den ersten, vom Musikkollegium Winterthur so herrlich ziseliert gespielten Takten der Ouvertüre öffnet sich der Vorhang. Der leere Bühnenboden zeigt einen Wohnungsgrundriss, der Achitekt koordiniert dessen Möblierung. Nach und nach lernt man die Personen dieser frivolen WG kennen: Da ist Giulia (Sen Guo), die moderne, selbstbewusste junge Frau; sportlich durch und durch dreht sie ihre morgendlichen Joggingrunden mit iPod und pinkfarbenem Adidas Trainingsanzug, macht Aerobic und singt mit grosser Selbstverständlichkeit dazu ihre koloraturverzierten Arien. Mit im Haushalt ihr trotteliger asiatischer Diener Germano (Ruben Drole), bei dem nie ganz klar ist, wen er mehr ins Herz geschlossen hat, seine „Herrin“ Giulia oder deren Goldfisch Tognetta. Ruben Drole erledigt seine Hausarbeiten mit umwerfender Komik, führt mit Akkustaubsauger, Saftpresse oder Bügeleisen wahre Choreographien auf und muss auch mal ganz erschrocken von seiner grossen Sitzung auf dem Klo aufspringen. Sein Spiel gehört zu den darstellerischen Höhepunkten des Abends, auch wenn er ab und an nur haarscharf am Chargieren vorbeidriftet. Davide Fersini gibt einen geckenhaft schmachtenden Blansac, der dermassen tuntig agiert, dass man ihm seine Vorliebe für die Frauen nicht so richtig abnehmen kann. Er kriegt am Ende die gar nicht so sittsam gestrenge Lucilla (Christina Daletska), welche unter der biederen Schale den lüsternen Vamp offenbart. Als Liebhaber Giulias darf sich der junge Tenor Edgardo Rocha in Ledermontur und mit Tatoos übersät präsentieren. Raimund Wiederkehr als Giulias Vormund Dormont bewegt sich, wie dies Vormunde seit Jahrhunderten auf der Opernbühne tun: Von Rheuma, Gicht und Arthrose gezeichnet. Sängerisch bleiben trotz des pausenlosen Herumhüpfens und Rennens auf der Bühne keine Wünsche offen. Sen Guos Koloraturen perlen wie stets mit phänomenaler Präzision und Sicherheit. Edgardo Rocha offenbart einen wunderbar biegsamen, hell timbrierten und höhensicheren tenore di grazia. Davide Fersini begeistert mit lang gehaltenen Fermaten, dem herrlich sonoren Timbre seines Bassbaritons und gekonnter Phrasierungskunst. Ruben Drole ist schlichtweg ein Ereignis für sich; seine warme, einschmeichelnde Stimme und seine unvergleichliche Mimik verleihen dieser urkomischen Rolle einen Hauch von Slapstick. Christina Daletska entzückt mit ihrem leichten, zauberhaft sauber geführten Mezzosopran. Musikalischer Höhepunkt ist das turbulente, fugierte Quartett am Ende des ersten Teils mit Sen Guo, Davide Fersini, Edgardo Rocha und Ruben Drole.
Paolo Fantin hat eine modernistisch gestylte Innenausstattung entworfen und alle Figuren in sie passend charakterisierende Kostüme gesteckt. Den schrägen Riesenspiegel als Decke hat man aus der CORSARO Inszenierung des selben Teams am Opernhaus Zürich entlehnt. Er erlaubt heimliche Einblicke in die Auftritte und Verstecke der Komödianten.
Aber aufgepasst: Trotz aller Ausgelassenheit auf der Bühne muss man unbedingt auch auf die Musik und ihre Qualitäten achten. Das Jugendwerk Rossinis braucht sich nämlich nicht zu verstecken und auch die Interpretation des Musikkollegiums Winterthur unter Zsolt Hamar verdient höchste Anerkennung: So gerieten die vielen, für Rossinis Schaffen so charakteristischen solistischen Bläserpassagen wunderschön sauber, mal karikierend, mal die seltenen melancholischen Stimmungen aufgreifend. Die flinken Figuren der Streicher wurden ebenso spritzig prägnant dargeboten wie die witzigen Einwürfe des Continuos (Jeffrey Smith).
Fazit:
Ein Riesenspass! Nicht verpassen, nur noch vier Aufführungen!!!
Inhalt:
Die kecke Giulia hat gegen den Willen ihres Vormunds Dormont heimlich ihren Liebhaber Dorvil geheiratet, welcher jede Nacht über eine seidene Leiter in ihr Gemach steigt. Dormont aber bestimmt Dorvils Freund Blansac zu Giulias Ehemann. Mit Hilfe des etwas einfältigen Dieners Germano verkuppelt Giulia ihre Cousine Lucilla mit Blancas und nach etlichen Turbulenzen und Versteckspielen muss Dormont den beiden Paaren seinen Segen erteilen.
Werk:
Zwischen 1810 und 1813 komponierte der junge Rossini vier der damals vor allem in Venedig sehr populären Possen (farse), musikalischen Einaktern mit einem Liebespaar und einigen komischen Rollen.(IL CAMBIALE DI MATRIMONIO, L´INGANNO FELICE, LA SCALA DI SETA, IL SIGNOR BRUSCHINO) Die Partien verlangen von den SängerInnen neben gesanglicher Virtuosität vor allem viel komödiantisches Talent und Improvisationskunst. Zu den Merkmalen von Rossinis Farcen gehören eine fulminante Ouvertüre, Einschübe von sentimentaler Melodik, prickelnd schäumende Arien und Ensembles und ein ausgedehntes Räderwerk-Finale.