Stuttgart: I PURITANI, 08.07.2016
Romantische Oper in drei Akten | Musik: Vincenzo Bellini | Libretto: Carlo Graf Pepoli, nach Têtes rondes et Cavaliers von Ancelot/Saintine | Uraufführung: 25. Januar 1835 in Paris | Aufführungen in Stuttgart: 8.7. | 11.7. | 14.7. | 17.7. | 27.7.2016
Kritik:
Auch in Stuttgart wird Elvira und Arturo das vom Komponisten und Librettisten vorgesehene gemeinsame Happyend versagt – wenn auch weniger drastisch als vor gut drei Wochen in Zürich, wo in Andreas Homokis Regie Arturo trotz der Amnestie brutal enthauptet wurde. Gestern Abend in Stuttgart lief das Ende etwas subtiler, aber nicht minder desillusionierend ab: Der gebrochen und blind aus dem Krieg heimgekehrte Arturo wird am Ende von den religiösen Eiferern der Puritaner vereinnahmt und wendet sich - von deren Ideologie geblendet - von Elvira ab. Sie bleibt alleine, vom Wahnsinn geheilt und emanzipiert auf der linken Bühnenseite zurück, während alle andern, selbst der sie lange Zeit unterstützende Onkel Giorgio, ihr den Rücken zuwenden und verzückt ihre Gebetsbücher recken. Sicher, ein starkes Bild - und doch fragt man sich, ob es denn wirklich nie mehr einen Hauch von Optimismus, von Utopie und Versöhnung, eben ein lieto fine, auf der Opernbühne geben kann. Der Abend war lang, sehr lang (für diese Stuttgarter Erstaufführung des Werks wurde alle Musik, die Bellini für Paris komponiert hatte, verwendet) und lange wusste man auch nicht so genau, wohin die Regisseure Jossi Wieler und Sergio Morabito zielen wollen, einerseits ist da die träumerisch-naive Welt der Elvira, andererseit harsche Kritik an der sie umgebenden Gesellschaft der fanatisierten Puritaner, alles angereichert mit etwas Augenzwinkern - und doch bleibt das Ganze seltsam disparat, auch diese Auslegung vermag die eklatanten Schwächen des Librettos nicht zu kaschieren. Anna Viebrock hat einen Raum auf die Bühne stellen lassen, der das klaustrophobische Gefühl der belagerten Festung sehr eindringlich evoziert. Im Hintergrund sieht man Teile einer Kapelle mit Empore und enthaupteten Heiligenstatuen, die rahmenlosen Gemälde sind mit der Bildseite zur Wand hin gelehnt, die Stühle (moderne Freischwinger) mit Packpapier und Paketklebeband umwickelt, jeglicher Pomp und Luxus ist aus dieser puritanisch rigiden Welt verbannt und der gesamte Raum wird erdrückt durch eine wuchtige, rostige Eisenbrücke. Die Frauen tragen weisse Hauben zu ihren schlichten Kleidern, die Männer fuchteln stets mit ihren Gebetsbüchern, tragen Bärte, Hüte, schlichte Anzüge in dunklen Farben, sehen aus wie Quäker oder Amish. Die gefangene Stuart-Königin Enrichetta trägt ein verschmutztes, pompöses weisses Kleid, Arturo kommt wie ein Musketier aus einem billigen Historienschinken daher, genau wie ihn sich Elvira aus ihrem Comicheftchen als Retter aus dieser abgeschirmten, weltfremden und lustfeindlichen Gesellschaft herbeisehnt (die Kostüme stammen ebenfalls von Anna Viebrock). Von der Decke spenden Leuchtröhren kaltes Licht – ein weiterer Hinweis auf intendierte Allgemeingültigkeit der Interpretation durch Wieler/Morabito: Vieles ist historisierend angelegt, aber nicht historisch genau fixiert. So zum Beispiel der dandyhafte Gaukler Sir Giorgio, den sich Elvira quasi als Ersatzvater „erträumt“, der als Puppenspieler die Fäden zieht und am Ende die Gepeinigte dann doch im Stich lässt. Vieles scheint überzeichnet, so der stets sein Henkersbeil schwingende Sir Riccardo Forth, der wie eine Karikatur eines irren Bösewichts daherkommt. Blass bleibt hingegen die Ausgestaltung der Rolle von Elviras leiblichem Vater Gualtiero. Oftmals gibt es Aktionen, welche zum Schmunzeln anregen, dann wieder Bilder, die betroffen machen: Zu Beginn des zweiten Aktes müssen die Frauen unter den gestrengen Blicken der Männer auf den Knien den Fussboden schrubben, während die Männer im Bibelkreis sitzen und in ihren Gebetsbüchern lesen. Trotz Gelächters im Saal musste man unwillkürlich an Kulturen denken, die wir heute als rückständig kritisieren, doch diese Verhaltensweisen sind bei uns auch noch nicht allzu lange verpönt. Im dritten Akt ist Elvira in eine Miniaturvilla eingesperrt (der Rückzug ins Puppen(Schnecken)haus oder eine private Klinik für Geisteskranke?), wirft dann dem blinden Arturo die Köpfe der Heiligenstatuen vor die Füsse, später ist Arturo in diesem Asyl gefangen. Vieles bleibt etwas undurchsichtig, auch langfädig, immer mal wieder wünscht man sich bei dieser Anlage eine doch etwas radikalere Regiehandschrift herbei, um dem Abend die Zähflüssigkeit zu nehmen.
Musikalisch jedoch wird diese Premiere zu einem triumphalen Erfolg für alle Beteiligten. Ana Durlovski singt und spielt sich mit wunderbaren Koloraturen und warmstimmig intonierten Phrasen in die Herzen des Publikums, zeigt die hier verlangte Wandlung vom schwärmerischen Backfisch zur reifen, emanzipierten Frau mit grossartiger Gestaltungskraft. Edgardo Rocha bewältigt die schwierige, hohe Tessitura des Arturo ohne jegliche Probleme, mit einer bewundernswerten und überaus kultivierten Leichtigkeit, hellem (aber nie quäkendem!) Timbre. Wunderbar auch Adam Palka als Sir Giorgio, dem Bellini seine wohl schönsten Kantilenen gewidmet hat. Palkas Bass strömt mit fantastischer Weichheit, regelrecht bezirzend und manipulierend, genau wie die Regisseure seinen Part angelegt haben. Ihm in der Gestaltungskraft ebenbürtig ist der Bariton Gezim Myshketa als „Bösewicht“ Riccardo: Kraftvoll, hämisch, brutal (Vergewaltigung Elviras am Ende des ersten Aktes), dann auch wieder einen Hauch von Feinfühligkeit offenbarend – ein durch und durch zwiespältiger, irrer und unter etwas Schizophrenie leidender Charakter. Diana Haller gibt eine sehr präsente, mit farbenreichem Mezzo auftrumpfende Enrichetta (immer wieder bedaure ich, dass sie nur im ersten Akt auftritt). Roland Bracht als Gualtiero und Heinz Göhrig als Sir Bruno ergänzen das hervorragende Ensemble. Starke szenische Auftritte hat der Staatsopernchor Stuttgart, welcher auch unter gequälten spastischen Verrenkungen noch klangprächtig singen kann (Einstudierung: Johannes Knecht). Giuliano Carella führt Solisten, Chor und das ausgezeichnet spielende Staatsorchester Stuttgart (die Hörner, ein Traum!) mit sicherer, überlegener und zupackender Führung durch den beinahe vierstündigen Abend. Frenetischer Applaus für alle am Ende!
Inhalt:
Die Oper spielt zur Zeit des Aufstandes der Puritaner unter Oliver Cromwell gegen die Monarchie der Stuarts in Südwestengland um 1648.
Arturo Talbo, Anhänger der Stuarts, und Riccardo Forth, Kämpfer auf Seiten der aufständischen Puritaner, lieben beide die Puritanertochter Elvira. Diese jedoch liebt nur Arturo. Als Arturo jedoch der Witwe des hingerichteten Königs Charles I., Enrichetta, zur Flucht verhilft und somit vorübergehend landesabwesend ist, sieht Riccardo darin seine Chance, um durch intrigante Verunglimpfung seines Rivalen bei Elvira zu punkten. Elvira ist schnell überzeugt vom vermeintlichen Treuebruch ihres geliebten Arturo und verfällt zunehmend dem Wahnsinn. Arturo wird von den Puritanern in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Elviras Onkel, Sir Giorgio, will Riccardo dazu überreden, Arturo nach einer allfälligen Gefangennahme zu begnadigen, um damit seine Tochter von ihrer geistigen Umnachtung zu erlösen, denn seit Arturos Verschwinden irrt sie wie ein Gespenst durch die Festung. Arturo kehrt zurück und kann Elvira gerade noch von seiner ungebrochenen Treue überzeugen. Sie kommt wieder zu Verstand, doch das Glück ist von kurzer Dauer, denn Arturo wird sogleich festgenommen. Er harrt der Hinrichtung. Da überbringt Riccardo das Begnadigungsschreiben Cromwells. Lieto fine - allgemeiner Jubel!
Werk:
Der viel zu früh verstorbene Vincenzo Bellini (1801-1835) war der bedeutendste Opernkomponist der italienischen Romantik. Er schuf in seinem kurzen Leben so unsterbliche Repertoirepfeiler wie LA SONNAMBULA, NORMA und I CAPULETI E I MONTECCHI. I PURITANI war seine letzte Oper; der Sizilianer Bellini starb nur wenige Monate nach der triumphalen Uraufführung des Werks in der Nähe von Paris. Nach einem Streit mit seinem bisherigen Librettisten Felice Romani, wählte Bellini für I PURITANI auf Empfehlung Rossinis den Grafen Pepoli. Dessen etwas ungeschicktes, wenig plausibles Libretto gilt als eines der schwächsten der Opernliteratur. Doch Bellinis zauberhafte, weit ausschwingende Kantilenen machen diese dramaturgischen Schwächen der konventionellen Liebesgeschichte mehr als wett. Für die Pariser Uraufführung standen ihm herausragende Sänger zur Verfügung - die damaligen Spitzenvertreter ihres Fachs - Giulia Grisi und der Tenor Giovanni Battista Rubini. Vom Tenor werden Töne weit über dem hohen C gefordert, bis zum dreigestrichenen F. Mitte des 20. Jahrhunderts führten Aufführungen mit Maria Callas (sie sang die Elvira jedoch nur 17 Mal auf einer Bühne) zu einer Rennaissance des Werks. Joan Sutherland, Mariella Devia und Edita Gruberova avancierten später zu bedeutenden Interpretinnen der Elvira. Also Arturo brillierten u.a. Luciano Pavarotti, Alfredo Kraus und Nicolai Gedda.