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St.Gallen, Theater: LES MISÉRABLES, 09.12.2023

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Les Misérables

copyright: Ludwig Olah, mit freundlicher Genehmigung Theater St.Gallen

Nach der Schweizer Erstaufführung von LES MISÉRABLES im Jahr 2007 in St.Gallen ist es erneut das Theater St.Gallen, das eine Neuproduktion präsentiert (koproduziert mit dem Gärtnerplatztheater in München, Premiere dort im März 2024).

Musical in einem Prolog, 2 Akten und einem Epilog | Musik: Claude-Michel Schönberg | Libretto: Alain Boubil, nach dem Roman von Victor Hugo | Uraufführung: 17. September 1980 in Paris, Uraufführung der revidierten Fassung: 8. Oktober 1985 in London | Aufführungen in St.Gallen: 9.12. | 10.12. | 16.12. | 18.12. | 20.12. | 21.12. | 26.12. | 30.12. | 31.12. 2023 | 5.1. | 6.1. | 13.1. | 14.1. | 23.1. | 29.1. | 2.2. | 11.2. | 23.2.2024

Kritik: 

TOTALE ERGRIFFENHEIT

Man verlässt das Theater St.Gallen gepackt, berührt und zutiefst ergriffen. Was für ein bewegendes Erlebnis!

Der Regisseur Josef E. Köpplinger hat das Stück im einfachen, aber grandios funktionalen Bühnenbild von Rainer Sinell und mit den stimmigen Kostümen von Uta Meenen geradezu soghaft und mit herausragender Personenführung umgesetzt. Das Lichtdesign von Andreas Enzler ist phänomenal, indem es mittels Spotlights von oben den Blick auf die Handelnden fokussiert. Und da lohnt es sich, genau hinzuschauen, denn Regisseur und Cast entwickeln die Figuren mit bestechender Genauigkeit, da stimmt schlicht und einfach jede Geste, jede Regung der Gesichtszüge und jeder Blick - bei allen, inklusive den Mitgliedern des stilbewusst singenden und packend agierenden Chors des Theaters St.Gallen (Choreografie und Co-Regie: Regina Ludigkeit, Choreinstudierung: Franz Obermair). Auch wenn das Bühnenbild nicht überladen ist, entsteht eine bezwingende atmosphärische Dichte und die technisch komplexen Abläufe der schnellen Szenenwechsel mittels Drehscheibe, Zwischenwänden und der verschiebbaren, multifunktionalen Passarelle funktionieren mit bestechender Perfektion. Diese Produktion ist einfach der HAMMER!

Wie vor 16 Jahren in St.Gallen steht erneut Koen Schoots am Pult des Sinfonieorchesters St.Gallen. Es ist natürlich wunderbar, ja geradezu ein Luxus, diese unsterblichen Melodien und die kunstvolle Orchestrierung Schönbergs von einem ausgezeichneten, aufeinander eingespielten Orchester zu erleben. Schoets lässt nach eigenen Aussagen im Programmheft die Musik viel geduldiger atmen als bei seinem Dirigat vor 16 Jahren. Zu Recht vertraut er auf die fantastischen Bögen und die kunstvollen Ensembles, welche Schönberg konzipiert hatte. Als Beispiel soll nur das Finale I erwähnt werden: Wie Claude Schönberg dieses Finale aus einem opernhaften Concertato (Jean Valjean, Cosette, Marius, Éponine) aufbaut, die diversen Erinnerungsmotive in einen überwältigenden Tutti-Chor aufgehen und aufblühen lässt, ist ein Kulminationspunkt musiktheatralischen Schaffens.

Dies alles entfaltet selbstredend nur dank eines exzellenten Ensembles seine volle Wirkungskraft. Gesungen und agiert wird auf allerhöchstem gesangstechnischen Niveau und einem totalen darstellerischen Aufgehen in der jeweiligen Rolle - und zwar von den Hauptpartien bis zu den Statisten der Statisterie des Gärtnerplatztheaters München. Die Rolle des Jean Valjean ist wohl eine der umfangreichsten und gesanglich anspruchsvollsten der gesamten Musicalliteratur. Armin Kahl bewältigt sie mit unfassbar vielschichtiger und bis ins Falsett wunderbar sicher geführten Stimme - ereignishaft. Filippo Strocchi als sein ihn über Jahrzehnte verfolgender Gegenspieler Javert begeistert mit tiefgründiger Ausdruckskraft und sehr angenehmem Timbre, hinter dem er seinen unerbittlichen Verfolgungswahn versteckt. Seine Szene vor dem Suizid, wo er sein Innerstes preigibt und sein Scheitern eingesteht, geht unter die Haut. Wietske van Tongeren ist eine anrührende Fantine; wie von ähnlich armen Menschen ihre Notlage ausgenützt wird, sie in die Prostitution gezwungen (man erlebt in dieser Szene auch männliche Prostituierte, die ihren Körper den Matrosen anbieten) und zutiefst gedemütigt wird, macht betroffen. Jogi Kaiser und Dagmar Hellberg machen aus dem Wirtepaar Thénadier ein darstellerisches und gesangliches Kabinettstück: Wie herrlich ordinär sind die beiden; durchtriebene, gemeine und abgrundtief charakterlich "hässliche" Figuren - und doch umwerfend komisch. Kristine Emde (Cosette) und Barbara Obermeier (Éponine) gestalten ihre grossen Partien mit anrührenden, wunderschönen Sopranstimmen. Thomas Hohler singt den Marius mit herrlich reinem Tenor. Merlin Fargel ist ein charismatischer Anführer der Studenten; ein mitreissend singender und blendend aussehender Enjolras (er verkörpert auch weitere Rollen, wie Sträfling, Matrose, betrunkener Majordomus) Der Knabe Gavroche, Bruder Éponines und Sohn der Thénadiers, wird vom 6. Klässler Kio Bruderer mit stupender Selbstverständlichkeit und faszinierender Bühnenpräsenz dargestllt und gesungen. Das gilt auch für die beiden Mädchen Sofia Cecchini (Kleine Cosette) und Charlotte Auerbach (Kleine Éponine). Ein ganz besonderes Lob gilt Jeremy Boulton, der als Bischof Myriel und in mindestens fünf weiteren Rollen aufhorchen lässt.

Ein ganz grosses Lob verdient auch die Tontechnik (Marko Siegmeier und Nicolai Gütter-Graf): Absolut perfekte Balance zwischen den mit Microports unterstützten Stimmen und dem Orchester, nie übersteuert, nie zu laut!

Fazit: Wer LES MISÉRABLES noch nie gesehen hat, sollte unbedingt hingehen, wer es schon kennt, ist eh süchtig danach und wird diese wunderbare, herausragend interpretierte und zu Herzen gehende Neuproduktion sicher nicht verpassen wollen.

Werk:

LES MISÉRABLES ist DAS Erfolgsmusical der letzten vierzig Jahre, über 50 Millionen Menschen in 38 Ländern und über 200 Städten haben LES MISÉRABLES gesehen, es wurde in über 20 Sprachen übersetzt und gewann zahlreiche Auszeichnungen, so u.a. allein acht Tony Awards. Basierend auf dem gleichnamigen Romanepos von Victor Hugo entstand die erste Version in französischer Sprache. Da der Roman Victor Hugos und somit die Handlung zum französischen Kultur- und Bildungskanon gehören und deshalb das französische Publikum viel an Vorkenntnissen des Geschehens und dessen Bedeutung mitbrachte, musst für die internationale Szene eine erweiterte, revidierte Fassung erstellt werden. Diese Fassung trat 1985 von London aus ihren Siegeszug um den Erdball an. LES MISÉRABLES wurde zur am längsten laufenden Show im Londoner Westend, ähnlich grossen Erfolg hatte das Musical am Broadway, wo es 16 Jahre lang ununterbrochen zu sehen war. 

LES MISÉRABLES wurde 2012 verfilmt, mit Hugh Jackman in der Rolle des Jean Valjean, Russell Crowe als sein Gegenspieler Javert, in weiteren Rollen waren Helena Bonham Carter, Sacha Baron Cohen und Anne Hathaway zu erleben.

Nach dem sensationellen Erfolg von Susan Boyle mit Fantines Song I dreamed a dream aus LES MISÉRABLES bei der TV Show Britain's got talent erreichte der Videoclip des Auftritts auf YouTube 300 Millionen Clicks. Weitere unsterbliche Hits aus dem Musical sind:

Who am I, Master of the house, Castle on a cloud, Red and black, Do you hear the people sing, A heart full of love, Bring him home und Empty chairs at empty tables.

Victor Hugo hatte - mit Unterbrüchen - 30 Jahre lang an seinem monumentalen Romanepos LES MISÉRABLES gearbeitet. Enstanden ist ein stilbildendes Meisterwerk, das quasi als erstes literarisches Werk ein absoluter Bestseller wurde und bei den Massen das Bewusstsein für die Misere der benachteiligten sozialen Schichten schärfte und die Kluft zwischen Arm und Reich anprangerte. Unzählige Verfilmungen und TV-Adaptionen, aber vor allem das Musical mit der Musik von Claude Schönberg, verhalfen dem Stoff weltweit zur Unsterblichkeit.

Die Autoren Schönberg/Boubil schufen später auch das Erfolgsmusical MISS SAIGON.

Inhalt:

Das Musical deckt eine Zeitspanne von 1815 bis 1840 ab. Anhand des Schicksals des Sträflings Jean Valjean, der wegen einer Banalität verurteilt wurde (Diebstahl eines Brotes wegen Hungers) und dessen Strafe wegen Ausbruchsversuchen auf 16 Jahre verlängert worden war, entsteht ein bewegendes Zeitgemälde, bevölkert mit diversen Charakteren. Jean Valjean schafft dabei die Wandlung vom ehemaligen Strafgefangenen zum geläuterten Humanisten. Ihm auf den Fersen bleibt der unerbittliche Polizeikommissar Javert. Die zentralen Figuren sind die Fabrikarbeiterin Fantine, die aus Armut zur Prostitution gezwungen wird, um ihre Tochter Cosette durchzubringen, die bei den geldgierigen Thénardiers in Pflege ist. Valjean, nun Bürgermeister, verspricht der schwerkranken Fantine, sich um ihre Tochter zu kümmern. Zehn Jahre später - Cosette wurde unterdessen von den Thénardiers weggeholt und lebt bei Valjean als dessen "Tochter" - verliebt sich Cosette in den Studenten Marius, der sich der revolutionären Bewegung angeschlossen hat. Éponine, die Tochter der Thénadiers, ist ebenfalls in Marius verliebt. Sie erkennt jedoch bald, dass ihre Gefühle von Marius nicht erwidert werden, schliesst sich ebenfalls der Revolution an und stirbt schliesslich in Marius' Armen auf den Barrikaden. Valjean schliesst sich ebenfalls den Aufständischen an, da sie für Gerechtigkeit kämpfen. In den Wirren kriegt er Javert in seine Hand, lässt den hasserfüllten Komissar jedoch laufen. Marius wird schwer verletzt, der Aufstand scheitert. Nach einigen Wirrungen muss Javert endlich erkennen, dass der ehemalige "Verbrecher" Valjean der bessere Mensch war. Er stürzt sich in die Seine. Marius und Cosette vermählen sich. Thénardier will Marius erpressen, erreicht dadurch aber nur, dass Marius nun weiss, wer ihn seinerzeit gerettet hatte. Marius und Cosette eilen zu Valjean. Er ist ein alter Mann geworden, dem Tode nahe. Noch einmal sieht er seine Weggefährten vor seinem geistigen Auge: Fantine, Éponine, die Studenten Gavroche und Enjolras. Das Lied der Aufständischen Do you hear the people sing wird nochmals intoniert. Er stirbt.

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