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St.Gallen: THE ROCKY HORROR SHOW, 19.10.2024

Erstellt von Kaspar Sannemann | | The Rocky Horror Show

Copyright aller Bilder: Tanja Dorendorf, mit freundlicher Genehmigung Konzert Theater St.Gallen

Das Kult-Musical der 70er Jahre kommt nach St.Gallen, u.a. mit Michael von der Heide als Riff-Raff

Musical in zwei Akten | Musik: Richard O'Brien | Text: Richard O'Brien und Jim Sharman | Uraufführung: 16. Juni 1973 in London | Aufführungen dieser Neuproduktion in St.Gallen: 19.10. | 27.10. | 4.11. | 8.11. | 12.11. | 16.11. | 28.11. | 18.12. | 19.12. | 22.12. | 30.12. | 31.12.2024 | 17.1. | 2.2. | 16.2.2025

Kritik

Was für einen mitreissenden, begeisternden, rasanten und witzigen Musical-Abend durfte man gestern Abend in St.Gallen erleben! Da wurde mit ganz grosser Kelle angerichtet und das Aufgetischte schmeckte schlicht fantastisch. Es stimmte einfach alles; jede Zutat trug das ihrige bei, um ein unvergessliches, vergnügliches und irrwitziges Musical-Erlebnis zu garantieren. Da ist natürlich das Stück, Richard O'Briens so unverhoffter grosser und schnell Kultstatus erlangender Wurf von 1973, da sind die schlicht grossartig gestaltete Bühne und die entsprechenden Kostüme der Ausstatterinnen Annette Hachmann und Elisa Limberg, da findet eine Regie von Christian Brey statt, welche die Pointen präzise setzt und gekonnt trashig daherkommt, eine Choreografie von Barbara Tartaglia, bei der einem vor lauter Rasanz und Perfektion schwindelig werden könnte, unterstützt vom umwerfenden Lichtdesign von Andreas Enzler und den faszinierenden Videoeffekten von Thomas Mahnecke. Aus dem Graben sorgt die Rocky Horror Band unter der Leitung des Key I spielenden Tobias Cosler mit Gallus Hächler / Robert Paul (Key II), Simon Kessler / Nico Stettler (Gitarre), Walo Bortoletto / Thomy Jordi (Bass), Patrick Fa (Drums) und dem unnachahmlichen Marco Karrer mit seinem Tenorsaxophon, der im goldenen Glittersakko die Nummer I'm going home zu einem Highlight des Abends machte. Aber eigentlich war jede der Gesangsnummern, die im Verlauf der Jahrzehnte zu regelrechten Rock-Ohrwürmern wurden, ein Highlight. Denn die Darsteller*innen spielten, tanzten und sangen allesamt überirdisch gut. Deshalb erfolgt die Würdigung in der Reihenfolge des Besetzungszettels: Yascha Finn Nolting verkörperte den Schlossherrn und Spiritus Rector des gesamten Spuks, Frank'N'Furter, mit unfassbarer Grandezza in High Heels und Strapsen, war verführerisch als sexuell Besessener, der alles f...te, was nicht bis drei auf den Bäumen war, egal ob Frau oder Mann oder selbst erschaffene Kreatur (Frankenstein lässt grüssen). So wurde die frisch verlobte Janet Weiss von Pascale Pfeuti zu Beginn herrlich naiv und leicht hysterisch gegeben, dann, nach der sexuellen Erweckung durch Frank'N' Furter, trat sie immer selbstbewusster und frecher auf. Ihrem Verlobten Brad Majors erging es nicht anders: Jonathan Fiebig wandelte sich vom braven, seriösen All American Boy in biederer Feinripp Unterwäsche nach der sexuellen Erfahrung mit Frank'N'Furter zum stolzen Strapsträger. Beide sangen ihre Szenen mit grossartigen Stimmen. Der stilistisch vielseitige Schweizer Chansonnier Michael von der Heide verlieh dem unheimlichen, buckligen Riff Raff, der sich vom servilen Diener zum in Silberrüstung strahlenden Ausserirdischen entwickelte, beängstigend eindringliches Profil - eine sängerische und darstellerische Grosstat! Als seine Sister-in-Crime liess Maya Alban-Zapata bereits im den Abend eröffnenden Song Science fiction - Double Feature mit einem irre interessanten stimmlichen Timbre aufhorchen. Zum Niederknien!!! Auch Lilly Hartmann als Columbia sang herausragend gut und spielte die etwas amorphe Rolle hochklassig. Das Muskelpaket Rocky, das sich Frank als Ersatz für den zu schlaksigen Eddie erschaffen hatte, wurde von Michael B. Sattler mit gekonnt tumbem Sex Appeal verkörpert. Der schlaksige Eddie legte umwerfende Auftritte als Rock 'n' Roller und als Zombie hin. Sein Vater, der im Rollstuhl sitzende Dr.Scott, fand in Christian Hettkamp einen Interpreten von gewaltiger Eindringlichkeit. Wie er da seinen bulgarischen Akzent heraushebt, sich im Verlauf der immer turbulenter daherkommenden Geschehnisse die Decke von den Knien reisst und so offenbart, dass auch der Wissenschaftler genderfluid ist (Strapse, Strümpfe, Highheels) ist grosse Klasse! Natürlich wird da immer ganz bewusst an der Grenze zum derben Klamauk entlanggeschlittert, doch das ist alles mit soviel Enthusiasmus, schauspielerischem und gesanglichem Können angereichert, dass man nur noch zurücklehnen und geniessen kann. Unterstützt wurden all diese grossartigen Darsteller*innen auch von den sechs "Phantoms", singenden Tänzer*innen von stupender Artistik: Sarah Madeleine Kappeler, Daniela Moser, Zoe Staubli, Robert Lankester, Laurent N'Diaye und Sandro Wenzing. Ein grosses Lob gebührt auch der von Marko Siegmeier und Nicolai Gütter-Graf verantworteten, exzellenten Tontechnik, die mit perfekter Abmischung und ohne Übersteuerung die englisch gesungenen Songs und die deutsch gesprochenen Dialoge verstärkt. Mutig ist die Erzählerin, die grosse Heidi Maria Glössner: Jeder ihrer Auftritte wird von einem Buh-Konzert und von Zwischenrufen (aufhören, langweilig!) des Publikums begleitet. Wer das Stück nicht kennt, ist vielleicht verwirrt, doch gehört sich das so, ist kultige Tradition beim Stück und beim Film geworden. Erst wenn Heidi Maria Glössner dann zum Schlussapplaus die Hose ihres fliederfarbenen Anzugs abgelegt hat und ebenfalls in Strapsen auftritt, ist ihr der Jubel des Publikums gewiss. Diese Traditionen, dazu gehören auch das Spritzen mit Wasserpistolen, das Werfen von Konfetti und Papierschlangen und das Schwenken von Lichtern - manchmal auch das Herumwerfen von Esswaren, aber dies hat das Theater St.Gallen explizit untersagt - machen Aufführungen von THE ROCKY HORROR SHOW und THE ROCKY HORROR PICTURE SHOW seit über fünf Jahrzehnten zu Events und zu Klassikern. (Das Theater St.Gallen bietet den Besucher*innen eine Mitmachtasche an, mit Konfetti, Wasserpistole, Federboa und Lichtstab.)

Deshalb nichts wie hin nach St.Gallen. Mindestens einmal im Leben muss man das erlebt haben. Denn dieses Musical ist nicht nur eine skurrile Geschichte mit toller Musik - es ist auch ein Plädoyer für sexuelle Selbstbestimmung und Vielfalt, das ohne erhobenen Zeigefinger daherkommt! So prangt denn auch DONT DREAM IT - BE IT in kunstvoll wechselnder Leuchtschrift rechts oben über der Bühne.

Inhalt:

Brad und Janet sind frisch verlobt. Auf der Fahrt zu einem Besuch bei ihrem Professor für Wissenschaft erleiden sie in strömendem Regen eine Reifenpanne. Sie suchen Hilfe in einem nahegelegenen Schloss. Alles dort ist "spooky", so auch der Butler Riff-Raff und das Dienstmädchen Magenta, welch ihnen die Türen öffnen. Im Festsaal des Schlosses werden Brad und Janet vom Transvestiten Dr. Frank N'Furter begrüsst. Er führt die beiden in sein Labor und enthüllt seine neueste "Kreation", ein muskelbepacktes Retortenwesen, das er Rocky nennt und auch zu seinem sexuellen Vergnügen nutzt, da er des Vorgängers Eddie (der hatte keine Muskeln) überdrüssig geworden ist. Dieser Eddie ist der Neffe des Wissenschaftlers Dr. Scott, den Janet und Brad besuchen wollten. Der zerstückelte Eddie wird von Frank N'Furter in einem Kühlschrank gelagert, die Hälfte von Eddies Hirn wurde Rocky implantiert.

Janet und Brad werden für die Nacht in separaten Schlafzimmern untergebracht. Janet erwacht und spürt einen Körper an ihrer Seite. In der Annahme, dass Brad sich in ihr Schlafzimmer geschlichen habe, gibt sie sich ihm hin. Doch es ist Frank N'Furter, der sich nach Janet auch gleich noch Brad vornimmt. Auf einem TV-Monitor erscheint Riff-Raff und verkündet, dass Rocky unauffindbar sei. Auch Janet macht sich auf die Suche nach Rocky, erhascht einen Blick auf einen Monitor, auf dem sie die Liebesszene zwischen Brad und Frank N'Furter sieht. Sie findet Rocky und verführt ihn (Rachesex). Auch der Rest der Bewohner ist nun auf der Suche nach Rocky und der entsetzte Brad entdeckt Janet und Rocky beim Liebesspiel auf einem weiteren Monitor. Riff-Raff kündigt Dr.Scott als Besucher an. Der sitzt gelähmt in einem Rollstuhl und sucht seinen Neffen Eddie. Frank verdächtigt Dr.Scott mit dem FBI zusammenzuarbeiten. Er fesselt Scott, Brad und Janet. Es wird offenkundig, dass die Bewohner des unheimlichen Schlosses Space-Aliens sind. Magenta und Riff-Raff erklären ihre Mission (Sex with Earthlings zu erforschen) für beendet und wollen zu ihrem Planeten zurückkehren. Frank weigert sich. Riff-Raff und Magenta treten in Schutzanzügen für Raumfahrer auf, Riff-Raff mäht Frank, Columbia (ein Groupie) und Rocky mit einer Ray Gun nieder. Er befreit Brad, Janet und Scott und befiehlt ihnen zu fliehen. Magenta und Riff-Raff freuen sich auf die Rückkehr zu ihrem Heimatplaneten. Brad, Janet und Scott schauen (noch verwirrt vom Erlebten) zu, wie das Schloss in den Weiten des Alls entschwindet. Mit den Worten des Erzählers "and crawling on the planet's face, insects called the human race, lost in time, and lost in space – and meaning" endet die Erzählung.

Werk:

Eigentlich schrieb der arbeitslose Schauspieler und B-Movie Bewunderer Richard O'Brien das Stück als Zeitvertreib für lange Winterabende. Als er es dem Regisseur Jim Sharman zeigte (er hatte ihn bei einer Aufführung von JESUS CHRIST SUPERSTAR kennengelernt), ging dieser sofort daran, es in einem kleinen Theater in Chelsea zu inszenieren. Der Erfolg stellte sich schnell ein, das Stück zog um in immer grössere Theater in London.

THE ROCKY HORROR SHOW reiht sich ein in die künstlerischen Werke der 60er und 70er Jahre, welche die sexuellen Befreiungsbewegungen und die Gegenkultur zur verkrustet-biederen Bourgoisie der 50er Jahre thematisierten (wie z. B. auch das Musical HAIR). Schnell erreichte THE ROCKY HORROR SHOW Kultstatus, lief alleine in London in verschiedenen Theatern ununterbrochen während sieben Jahren. In Los Angeles verkörperte Meat Loaf den Scott/Eddie, in Australien Russell Crowe. Die Mischung aus sexueller Fluidität, Transvestismus, Glam Rock im Stil eines Gary Glitter oder David Bowie (Ziggy Stardust), Science Fiction und B-Movie mit grotesker Gewalt zog die Massen an; die Vorstellungen wurden zu regelrechten Happenings, es wurden Lebensmittel geworfen, mitgegröhlt und jeder konnte wie er wollte im Fetisch-Outfit in die Theater gehen - und mit der nur kurz nach der Uraufführung entstandenen Verfilmung 1975 als THE ROCKY HORROR PICTURE SHOW erreichte das Werk Millionen von Zuschauer*innen. Die Regie des Films übernahm Jim Sharman selbst, die Rolle des Frank N'Furter wurde mit Tim Curry besetzt, Meat Loaf war als Eddie zu erleben, den Riff-Raff übernahm der Autor des Stücks, Richard O'Brien und die junge Susan Sarondon spielte Janet.

Kultige Songs:

- Time Warp

- Sweet Transvestite

- The Sword of Damocles

- I Can Make You A Man

- Touch-a, Touch-a, Touch Me

- Eddie's Teddy

- I'm Going Home

- Superheroes

- Science Fiction Double Feature

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