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St.Gallen: I LOMBARDI, 24.06.2011

Erstellt von Kaspar Sannemann | | I Lombardi

copyright: T+T Fotographie, mit freundlicher Genehmigung Theater St.Gallen

Oper in vier Akten |

Musik: Giuseppe Verdi |

Libretto: Temistocle Solera |

Uraufführung: 11. Februar 1843 in Mailand |

Aufführungen in St.Gallen: 24.6. | 25.6. | 28.6. | 1.7. | 2.7. | 6.7. | 8.7.2011

(Koproduktion mit Erfurt)

Kritik:

Freilichtaufführungen von Opern bergen naturgemäss Risiken – aber oft auch nicht kalkulierbare Chancen. So geschehen gestern Abend anlässlich der Premiere von Verdis I LOMBARDI im einmalig stimmigen Ambiente des Klosterhofes in St.Gallen. Nach einem eher trüben, kühlen Tag, riss die Wolkendecke ausgerechnet in dem Moment auf, als der Chor der Nonnen zu seinem Gebet ansetzte. Die letzten Strahlen der Abendsonne tauchten die barocken Türme der Stiftskirche in ein warmes Licht und umschmeichelten so den friedlichen Bittgesang. Dank der stimmungsvollen Lichtgestaltung durch Guido Petzold kommt man jedoch auch nach Sonnenuntergang in den Genuss grossartiger Lichteffekte. Vor allem der vierte Akt, welcher ins Surreale, Utopische greift, gerät zu einem spektakulären Höhepunkt. Hank Irwin Kittel hat eine imposant geschwungene Sanddüne in den Klosterhof gebaut, welche den unterschiedlichen Schauplätzen von Verdis wirrem Drama überaus gerecht wird. Regisseur Guy Montavon arrangiert die Massen und die Protagonisten zu beeindruckenden Tableaus, unterstreicht die Handlung mittels Schlüsselbegriffen („MORD“, „SUCHE“, „HASS“, „FRIEDE“ etc.), welche mit überdimensionalen Buchstaben auf und neben die Bühne gestellt werden. Dass es in I LOMBARDI (neben dem blutigen Bruderzwist und der tragischen Liebesgeschichte) auch um einen leider immer noch aktuellen Religionskonflikt und um religiösen Fanatismus von christlicher UND muslimischer Seite geht, unterstreicht der Regisseur mit den Lettern MINARETT, welche im Schlussbild vor der katholischen Kathedrale aufgestellt werden. Wenn ein Publikum, welches vor zwei Jahren in seiner Mehrheit vermutlich der unsäglichen Minarettverbotsinitiative in der Schweiz zugestimmt hatte, nun diese Inszenierung mit einer standing ovation feiert, entbehrt dies nicht einer gewissen traurigen Ironie ... Das imposante Schlusstableau mit den beiden aufeinander zufahrenden Riesenpuppen, welche sich die Hand zu reichen versuchen, aber die Berührung nicht schaffen, gehört zu den eindrücklichsten des Abends. Überhaupt gelingen die spirituellen Szenen weitaus überzeugender als die plakativer gestalteten Bilder in Mailand oder die an gackernde Hühner erinnernde Szene im Harem zu Antiocchia. Die Einleitung zum Finale III mit dem in schwindelerregender Höhe spielenden (falschen) Geiger und den weissen, in den dunklen Nachthimmel aufsteigenden Luftballons schrammt zwar nur haarscharf am Kitsch vorbei, schafft die Kurve aber dank einer ironischen Brechung gerade noch.

In diesem (kurzen) Violinkonzert erweist sich der junge Verdi auch bereits als versierter Opernkomponist, der die Farben der Instrumente gekonnt einzusetzen weiss. Das Sinfonieorchester St.Gallen unter Antonino Fogliani kostete die Effekte der Partitur wunderschön aus. Dem Dirigenten gelingt es, die Massen via Bildschirme (nach etwas verwackeltem Beginn) zunehmend besser zu koordinieren. Aufgeboten sind nicht weniger als drei herrlich singende Chöre: Der Theaterchor St.Gallen wird zusätzlich vom Prager Philharmonischen Chor und dem Theaterchor Winterthur unterstützt. Auf einer Bühne mit diesen enormen Ausmassen ist eine Charakterisierung der Protagonisten schwierig zu erreichen. Die Sängerinnen und Sänger müssen die Aufgabe allein durch die stimmliche Ausgestaltung ihrer Rollen bewältigen. Dies gelingt ihnen ausgezeichnet. Katia Pellegrino zeigt eine starke Giselda: Mit leicht metallischer Schärfe stellt sie sich den aggressiven, von fundamentalistischem Eifer beseelten Männern mutig entgegen, mit zauberhaftem Vibrato und fein gesetzten Piani berührt sie in ihren intimen Gebeten. Als Oronte steht ihr der ebenmässig und sicher geführte Tenor von Maxim Aksenov zur Seite. Mit seiner wunderschönen Gestaltung der berühmten Arie La mia letizia infondere vermag er die Herzen zum Schmelzen zu bringen. Tigran Martirossian ist ein grandioser Pagano. Sein schwarzer, stets wohlklingender Bass vermag sowohl den intriganten, ruchlosen Mörder als auch die Wandlung zum heiligen Eremiten glaubhaft zu vermitteln. Selten schrieb Verdi gleich zwei Tenören tragende Rollen zu. In I LOMBARDI ist dies der Fall. Derek Taylors Darstellung des Arvino zeichnet sich durch sein markant männliches Timbre und die makellose Stimmführung aus. Tijl Faveyts besticht einmal mehr mit seinem profunden Bass als wendiger Pirro, Gergana Geleva (Viclinda) und Fiqerete Ymeraj (Sofia) überzeugen als intelligente Mutter- und Frauenfiguren zwischen den eher eindimensional denkenden Männern.

Für die exzellente Qualität des Tons sorgt wiederum Frank Sattler. Die Tonabmischung verschmilzt die Stimmen des Orchesters, des imposanten Chors und der Solisten zu einem natürlichen, transparenten Gesamtklang, der ohne Übersteuerung auskommt.

Inhalt:

Die beiden Brüder Pagano und Arvino waren beide in Viclinda verliebt. Arvino hatte die blutige Auseinandersetzung gewonnen, Pagano wurde verbannt. In Mailand findet nun die Versöhnung statt, worüber sich Viclinda und ihre Tochter Giselda freuen. Arvino wird zum Anführer der lombardischen Truppen auf dem Kreuzzug nach Palästina ernannt. Pagano jedoch gibt die Absicht, Viclinda für sich zu gewinnen nur scheinbar auf. Heimlich rekrutiert er Mörder (Pirro), um zu seinem Ziel zu gelangen. Der elterliche Palast wird von diesen in Brand gesteckt, Pagano dringt ein und ermordet statt seines Bruders seinen Vater Folco. Pagano wird von Arvino erneut in die Verbannung geschickt.

In Antiocchia herrscht der Tyrann Acciano. Sein Sohn Oronte ist in die Christin Giselda verliebt, welche im Harem gefangen ist. Pirro ist unterdessen ebenfalls in Antiocchia eingtroffen, zum Islam konvertiert und mit dem Schutz des Herrschers betraut worden. Er beichtet seine Schuld einem Einsiedler. Dieser sagt, ihm könne vergeben werden, wenn er die Stadttore für die Kreuzritter öffne. Oronte und sein Vater fallen angeblich im Kampf. Arvino will Giselda befreien, doch diese stösst den Mörder ihres Geliebten zurück. Der Einsiedler kann Arvino davon abhalten, seine halb wahnsinnige Tochter zu erschlagen. In einem Zeltlager trifft Giselda auf Oronte, der zwar noch nicht tot ist, doch bei der Einnahme Antiocchias schwer verletzt wurde. Sie fliehen gemeinsam. Am Ufer des Jordan lassen sich sie sich erschöpft nieder. Der Einsiedler spendet Oronte das Sakrament der Taufe. Oronte erliegt seinen Verletzungen. Giselda hat eine Vision: Oronte erscheint ihr und prophezeit den Sieg der Kreuzfahrer. An einer Quelle laben sich die erschöpften Kreuzfahrer. Der tödlich verletzte Einsiedler wird in Arvinos Zelt gebracht. Er gibt sich als Pagano zu erkennen und fleht um Vergebung für den Vatermord. Er blickt noch auf die mit den Fahnen der Kreuzfahrer geschmückten Mauern Jerusalems, dann stirbt er.

Werk:

I LOMBARDI ist Verdis vierte Oper. Nach dem Erfolg des NABUCCO wandte er sich erneut einem religiösen Stoff zu. Das etwas gar überfrachtete Libretto bot ihm Gelegenheit, sein melodisches Füllhorn über die dramatisch zugespitzte, kontrastreiche Handlung auszuschütten und seiner damaligen Vorliebe für ausgedehnte, rhythmisch prägnante Chorpassagen zu frönen. Mag das Werk auch unter einigen plakativen und sehr simpel ausgestalteten Szenen leiden, die leidenschaftliche Impulsivität, der Reichtum an Melodien, schmissigen Finali und der effektvolle Vorwärtsdrang der Oper verfehlen deren Wirkung auf das Publikum nicht. Für die Pariser Oper erstellte er auch eine französische Fassung, JÉRUSALEM, mit neuem Libretto und den obligaten Balletteinlagen. Diese Oper wurde dann wieder ins Italienische zurück übersetzt und kam 1850 an der Scala unter dem Titel GERUSALEMME heraus, konnte sich jedoch gegenüber der Urfassung (trotz reiferer Kompositionstechnik) nicht durchsetzen.

Musikalische Höhepunkte:

Tassale un tremito, Quintett, Akt I

Scigurata!, Arie des Pagano, Akt I

La mia letizia infondere, Oronte, Akt II

O madre dal cielo, Rondo der Giselda, Akt II

No, no giusta causa non è, Finale II

Qual voluttà, Finale III

Qual prodigio, Arie der Giselda, Akt IV

Te lodiamo, gran Dio, Finale IV


Weiter Informationen und Karten: http://www.theatersg.ch/festspiele/programm

Videobeitrag auf art-tv.ch (wunderschön gestaltet von Mélanie Moser)

 

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