St.Gallen: GRÄFIN MARIZA, 20.12.2014
Operette in drei Akten | Musik: Emmerich Kálmán | Libretto: Julius Brammer und Alfred Grünwald | Uraufführung: 28. Februar 1924 in Wien | Aufführungen in St.Gallen: 20.12. | 27.12. | 31.12.2014 | 2.1. | 10.1. | 12.1. | 14.1. | 23.1. | 25.1. | 14.2. | 3.3. | 10.3. | 17.3. | 26.3. | 15.4. | 26.4.2015
Kritik:
Ach, was sind sie doch schön, die eingängigen csárdás- und walzerseligen Melodien mit ihren Foxtrott- und Revue-Einschüben, welche Kálmán für sein Erfolgswerk GRÄFIN MARIZA aus der Feder flossen. So schön und eingängig, dass man sie beinahe nicht mehr aus dem Ohr kriegt. Das Sinfonieorchester St.Gallen unter der federnden Leitung von Stéphane Fromageot spielte die Partitur mit kontrolliertem Feuer, Verve und mitreissendem Schmiss, wurde sowohl dem pseudofolkloristischen Rausch als auch den subtil ausgehorchten melancholischen und kammermusikalisch instrumentierten Passagen vollauf gerecht.
Die Kunstform der Operette erfordert hervorragende, leicht und doch mit unverschleierter Präsenz und Durchschlagskraft ansprechende Stimmen. Zudem müssen die Sängerinnen und Sänger für die extensiven Textpassagen auch über geschulte Sprechstimmen und grosse schauspielerische Fähigkeiten verfügen. In dieser Beziehung ist es dem Theater St.Gallen gelungen, eine stimmige und wirklich spielfreudig agierende Besetzung zusammenzustellen. Da Mikroports zum Einsatz kamen (warum eigentlich?) ging jedoch ein etwas undifferenziertes, gleichförmig lautes Klangbild von der Bühne aus. Der Vorteil war jedoch, dass man die mehr oder weniger witzigen Dialoge stets gut verstand, was man an den vielen Lachern im Publikum festmachen konnte.
In der Titelpartie gab Siphiwe McKenzie eine wunderbar eingebildete, standesbewusste, kratzbürstige und lebenslustige Mariza und vermochte ihre Wandlung erst zur die Arbeit nicht scheuenden Verwalterin und dann zur endlich das Glück in der Liebe findenden Frau gekonnt zu interpretieren. Ihr leicht metallisches Timbre wurde mit ihrer Wandlung zunehmend weicher und einschmeichelnder. Tobias Bonn war als verarmter Tassilo ein Sympathieträger der Aufführung. Als Verwalter auf dem Gut der Gräfin agierte er stets mit seinem zurückhaltend zur Schau gestellten Stolz und seiner elegante Würde. Mit klarer, in allen Lagen bruchlos ansprechender Stimme sang er die Partie und scheute auch exponierte Töne nicht. Seine Schwester Lisa war mit der glockenrein singenden Simone Riksman bestens besetzt. Die Sängerin zeichnete sich auch durch ihren Humor in den Dialogen mit Baron Koloman Zsupán aus, dieser Karikatur des trotteligen, aber immens reichen adeligen Schweinezüchters aus der Puszta, den Riccardo Botta mit augenzwinkerndem und gekonnt plumpem Humor und herrlich leicht ansprechender und sehr gut fokussierter Stimme gab. Der irgendwie oft unter seinem Wert gehandelte Schweizer Schauspieler, Moderator und Kabarettist Walter Andres Müller war ein überaus agiler vermeintlicher Weiberheld Fürst Moritz Dragomir Poplescu. Herrlich wie er in seinem lächerlich gelb-schwarz karierten Anzug der Gräfin den Hof machte, und trotz diverser Körbe nie aufgab. Eine Art Ochs auf Lerchenau, der sich in die Operette verirrt hatte. Theresa Holzhauser hatte zwei eindrückliche Auftritte als Zigeunerin Manja, welche mit ihrem Orakel so recht behalten sollte. Vokal die schönste Leistung des Abends. Christian Hettkamp (Tassilos besorgter Freund Liebenberg), Peter Zimmermann (der beflissene Tschekko) und Cristian Joita (Berko) komplettierten das Ensemble. Regisseur Stefan Huber erzählte die Geschichte geradlinig, meist lustig und quirlig, manchmal etwas gar bieder. Aber was soll's, dem begeistert applaudierenden Premierenpublikum hat die Produktion mit den farbenprächtigen, originellen und stimmigen Kostümen von Heike Seidler einen Riesenspass bereitet. Den Coup der im dritten Akt plötzlich als Dea ex machina auftauchenden Fürstin Božena Cuddenstein zu Chlumetz nahm der Regisseur vorweg, indem er die Fürstin mit ihrem Faktotum Penižek (umwerfend komisch mit seinen Halbweisheiten und falschen Zitaten Max Gertsch) bereits noch vor dem Vorspiel zu einer unheimlichen Geräuschkulisse (Ende des Krieges?) auftreten und das Schlösschen der Gräfin Mariza in Brand setzen liess. Diesen an und für sich interessanten Ansatz hätte man noch etwas stringenter durchführen und ausarbeiten können. Christoph Marti war einmal mehr seine Lust an der Darstellung von Frauen mit Charakter anzumerken. Er verlieh der hinkenden Fürstin eine Grandezza, welche an Maggie Smiths Violet, Countess of Grantham aus der Erfolgsserie Downton Abbey erinnerte. Für Christoph Marti hat man in St.Gallen noch das Lied Nur pour l'amour aus einer anderen Operette Kálmáns eingefügt, aus der ZIRKUSPRINZESSIN, welches er mit rauchiger Nachtclubstimme im Stile einer Diseuse zum Besten gab. Yvonne Kálmán, die Tochter des Komponisten, welche in St.Gallen anwesend war, hat dies genehmigt. Auf der nicht allzu grossen Bühne des Theaters St.Gallen fand sich trotz des Drehbühnenschlösschens (aus einem Mix verschiedener Architekturstile entworfen von Stephan Prattes und versehen mit passend-kitschigen Projektionen) noch genügend Raum für die fulminanten Auftritte der Tanzkompanie des Theaters St.Gallen, welche die einfallsreiche Choreografie von Danny Costello (von akrobatischen Schweinchen bis zu mehr oder weniger adretten Tennisspielerinnen) energiegeladen umsetzte. Selbst für die klangstarken, mitreissenden Auftritte des Chors und des Opernchors St.Gallen (Einstudierung Michael Vogel) blieb auf der Bühne und auf den Balkonen und Treppen des Schlösschens noch genügend Platz.
Fazit: Ein leicht verdaulicher, vergnüglicher Abend, der Lust auf Entdeckungsreisen ins Land der Operette macht, ein Land das an vielen hoch subventionierten Bühnen sehr stiefmütterlich behandelt wird. Es müssen ja nicht gerade 10'000 Aufführungen sein, wie sie die GRÄFIN MARIZA bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland und Österreich erlebte. Aber ab und an eine mit Esprit inszenierte Operette (...es muss nicht immer FLEDERMAUS oder LUSTIGE WITWE sein) würde auch anderen Bühnen gut anstehen, zumal man damit einem offensichtlichen Bedürfnis eines auch Steuern bezahlenden Publikumssegments entgegenkommen könnte.
Inhalt:
Gräfin Mariza will eine Zeit in der Stadt verbringen und vertraute ihr Landgut dem verarmten Grafen Tassilo an, der unter dem Namen Bela Török seinen Dienst verrichtet. Dieser hofft, für seine Schwester Lisa eine Mitgift zu verdienen. Die Gräfin selbst hat er jedoch nie zu Gesicht bekommen. Plötzlich tritt sie als launische junge Frau auf und gibt ihre Verlobung mit dem Baron Zsupán bekannt. Die Gäste sind schon eingetroffen. Einer Vertrauten gesteht Mariza, dass alles nur ein Schwindel sei und sie bloss Ruhe vor ihren Verehren haben wolle und deshalb den Bräutigam erfunden habe. Unter Marizas Freundinnen bemerkt Tassilo auch Lisa, die glaubt, er mache sich einen Spass daraus, Verwalter zu spielen. Aber auch Mariza ist überrascht, als sie erfahren muss, dass der imaginäre Baron Zsupán wirklich existiert und sie es kaum schaffen wird, sich ihm zu entziehen. Die Feier beginnt, der Verwalter ist natürlich nicht in den Saal geladen und hängt singend seinen Gedanken nach. Mariza hört ihn und wünscht, dass er für die Gäste singe. Tassilo weigert sich und die Gräfin entlässt ihn auf der Stelle. Doch nachdem die Gäste weg sind, versöhnt sie sich mit ihm und er singt nur für sie allein.
Vier Wochen später: Tassilo ist in Mariza verliebt (immer noch inkognito) und Mariza lässt das Werben zu. Von Zsupán will sie nichts mehr wissen. Doch der hat schon längst ein Auge auf Lisa geworfen. Unterdessen gerät zufällig ein Brief Tassilos in Marizas Hände, welcher die wahre Identität Töröks entlarvt. Mariza befürchtet, Tassilo könnte es nur auf ihr Geld abgesehen haben und entlässt ihn wiederum.
Trotz und Stolz verhindern, dass sich Tassilo und Gräfin Mariza versöhnen können. Doch wie eine dea ex machina taucht die Fürstin Bozena Cuddenstein zu Chlumetz, Tassilos Tante, auf, welche von Tassilos pekuniärer Not erfahren und heimlich seine verpfändeten Güter zurückgekauft hat. Somit ist Tassilo nun ein standesgemässer Partner für die lebenslustige Gräfin und dem Glück der beiden steht nichts mehr im Wege.
Musikalische Höhepunkte:
Grüss mit die süssen, die reizenden Frauen, Tassilo
Einmal möcht' ich wieder tanzen, Mariza und Tassilo
Schwesterlein, Schwesterlein, Lisa und Tassilo
Ich möchte träumen von dir, mein Puzikam, Lisa und Zsupán
Komm mit nach Varasdin, Mariza, Lisa, Zsupán
Komm Zigan, komm, Tassilo
Komponist und Werk:
Emmerich Kálmán (1882-1953) war ein ungarischer Komponist und zusammen mit Franz Lehár der Begründer der silbernen Ära der Operette. Zu seinen weltweiten Erfolgen zählen DIE CSÁRDÁSFÜRSTIN, GRÄFIN MARIZA und DIE ZIRKUSPRINZESSIN. Als Jude musste er Österreich 1938 verlassen und emigrierte über Zürich und Paris in die USA.
GRÄFIN MARIZA wurde auch mehrmals verfilmt, u.a. 1958 mit Rudolf Schock, Hans Moser und den Kessler Zwillingen und 1974 mit René Kollo und Dagmar Koller (und Ljuba Welitsch als Fürstin!).