St.Gallen, Festspiele Klosterhof: I DUE FOSCARI, 19.06.2015
Tragedia lirica in drei Akten | Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Francesco Maria Piave, nach Lord Byrons THE TWO FOSCARI | Uraufführung: 3. November 1844 in Rom | Aufführungen in St.Gallen: 19.6. | 20.6. | 23.6. | 26.6. | 27.6. | 1.7. | 3.7.2015
Kritik:
Düster und bedrohlich dräuten sich die dunkeln Wolken während des ganzen Tages über den St.Galler Himmel an diesem kühlen Junitag und lange Zeit befürchtete man, dass die Aufführung vom Klosterhof ins Theater verlegt werden müsste. Doch dem war nicht so – einmal mehr blieb der Platz mit der magischen Ausstrahlung von Schauern und Platzregen verschont und das Premierenpublikum kam in den Genuss einer atmosphärisch ungemein dichten und musikalisch begeisternden Aufführung von Verdis Frühwerk I DUE FOSCARI. Nur schon das Bühnenbild, welches Rifail Ajdarpasic vor die Barockfassade der Klosterkirche gestellt hat, ist geradezu spektakulär: Ein riesiges Wasserbecken mit venezianischen Gondeln, gesäumt von Treppen, Brücken und Stegen, dahinter ein gigantischer Kubus mit bedrohlich abweisenden Eisentoren, hinter denen der mächtige und mit undurchsichtigen Mitteln agierende und mysteriöse Rat der Zehn im rot-goldenen Saal seine geheimen Sitzungen und Gerichtsverhandlungen abhält. Der aus den Kanälen aufsteigende Modergeruch ist geradezu allgegenwärtig, auch und vor allem im übertragenen Sinne. Etwas ist faul im Staate Venedig – und in der Politik im Allgemeinen. Guido Petzold hat diese unheimliche Szenerie mit präzise akzentuierenden Lichteffekten versehen, scharfe und kalte Scheinwerfer durchschneiden die aufsteigenden Nebelschwaden, bringen mal einen Umhang eines Gondoliere silbern zum Leuchten, schaffen starke schwarz-weiss Kontraste, welche atmosphärisch an einen Film Noir gemahnen, führen das Auge zu den zentralen Szenen, lassen die Bauten und Menschen auf der glatten Wasseroberfläche spiegeln oder die Wellen bedrohlich an den Fassaden der umliegenden Gebäude glitzern. Nur in der Kerkerszene, wenn sich Lucrezia auf einer zweiten Gondel der Kerkergondel ihres Gemahls nähert und ihn aus seinen Schreckensvisionen in die Realität zurückholt, wird das Licht wärmer. Die Intrige greift um sich, infiltriert alle und alles. Regisseur Carlos Wagner und die Kostümdesignerin Ariane Isabell Unfried holen die Handlung aus dem 15. Jahrhundert näher an das 21. Jahrhundert heran, verleihen ihr damit eine stringente Allgemeingültigkeit. Deutlich werden die Oberschicht und das gemeine Volk voneinander abgehoben: Während sich die Mächtigen und Reichen in smarten Anzügen und oft mit Designerklamotten und Sonnenbrillen ausgestattet oben auf den Treppen tummeln, muss das Volk (mit Waders ausgestattet) durch das modrige Wasser waten, durch düstere Gänge auf- und abtreten. Der Zugang zu den prunkvollen Treppen wird ihnen mit Gewalt verwehrt. Mit panem et circenses wird das Volk bei Laune gehalten (3. Akt) und wenn dann Loredano und Barbarigo den armen Fischern das Brot tatsächlich noch zuwerfen, mag das etwas gar plakativ erscheinen, doch wird so die unsägliche Verachtung, welche die Oberschicht gegenüber den mittellosen Arbeitern empfindet, evident.
Die Festspiele St.Gallen können mit einer glanzvollen Besetzung der Hauptpartien aufwarten: Paolo Gavanelli scheint die Rolle des alten Dogen auf den Leib geschrieben – ein wahrer baritono nobile. Weich und begeisternd stilsicher phrasiert er die Kantilenen, lässt den weichen Kern des verzweifelten Vaters unter der harten Schale des in den Strängen der Macht gefangenen Politikers durchbrechen. Er erreicht auf der grossen Bühne eine eindrückliche Präsenz (wie alle anderen Protagonisten auch!), lässt seinen warmen Bariton mit grandioser Eindringlichkeit strömen. Begeisternd auch die Lucrezia von Yolanda Auyanet: Da steht eine resolute Gemahlin (welche sich nicht scheut, ihre sieben Kinder vor dem Rat der Zehn als Waffe einer Frau einzusetzen) auf der Bühne, welche effektvoll und mit präzisen Läufen und Verzierungen durch ihre Cabaletten rast, mit stählerner, aber biegsamer Stimme in den Szenen ihrer Verzweiflung Ausdruck verleiht, in den Cavatinen jedoch auch zu einfühlsamen und zart intonierten Kantilenen findet. Höhensicher und mit voluminöser Tiefe – ein echter Spinto! Bravissima! Der erste Auftritt ihres Gemahls, Jacopo Foscari, lässt ein wenig an seiner stets von ihm beteuerten Unschuld zweifeln: Betrunken und umgeben von einer Entourage aus zwielichtigen Gestalten der Jeunesse dorée taumelt er auf die Bühne, singt seine grosse Arie und die effektvolle Cabaletta (Odio solo) zum Teil auf dem Rücken liegend. Leonardo Capalbo verfügt über eine sehr schön timbrierte, lyrische Tenorstimme, welche er mit beeindruckender Agilität einsetzt - ein weltfremder, etwas pathetisch agierender junger Mann, der irgendwie nicht ganz zu realisieren scheint, in welch düstere Machenschaften er da geraten ist. Levente Páll als Jacopo Loredano ist der Drahtzieher der Verleumdung. Sein sonorer und rund geführter Bass kontrastiert auf spannende Art mit dem fiesen Charakter der Rolle. Nicht ganz gelungen ist dem Regisseur die Erklärung für das Handeln Loredanos, sein Pagato ora sono ging leider szenisch unter.
Einmal mehr beeindruckte auf dem Klosterhof die ausgezeichnete Abmischung des Gesamtklangs. Auch feinste Farben des Orchesters wurden sehr schön hervorgehoben, so zum Beispiel die spannende Einleitung zum zweiten Akt (Viola und Cello) oder das immer wiederkehrende Klarinettenmotiv. Attilio Tomasello führte das Sinfonieorchester St.Gallen und den Chor (Chor des Theaters und Opernchor St.Gallen, Theaterchor Winterthur, Prager Philharmonischer Chor) mit sicherem Gespür für Tempi, Emotionen und effektgeladene dynamische Steigerungen (Finale 2. Akt) durch den Abend.
Am Ende steigt Paolo Gavanelli als alter, der Macht müde gewordener Doge die Treppe hinunter und stirbt einsam und tief traurig im dunklen Wasser des Kanals – ein hochemotionales Bild, das man so schnell nicht vergisst.
Inhalt:
Ort: Venedig, Mitte des 15. Jahrhunderts
Vorgeschichte:
Der Sohn des Dogen von Venedig, Jacopo Foscari, wurde Opfer einer bösartigen Intrige. Von den Widersachern seines Vaters, allen voran Loredano, wurde Jacopo Foscari der Korruption beschuldigt und vom mächtigen Rat der Zehn nach Kreta verbannt. Heimlich ist er nach Venedig zurückgekehrt und wird erneut gefasst und zugleich beschuldigt, Ermolao Donato, einen Gegener seines Vaters, ermordet zu haben.
Handlung der Oper:
Jacopo Foscari wird vom Rat der Zehn erneut schuldig gesprochen, obwohl er trotz Folter den Mord nicht gestanden hat. Jacopos Gemahlin Lucrezia glaubt an die Unschuld ihres Mannes und will sich für ihn einsetzen – vor dem Gericht und vor allem vor Jacopos Vater Francesco, dem Dogen von Venedig. Doch dieser bekundet seine Machtlosigkeit gegenüber dem Urteil des allmächtigen Rats der Zehn, in welchem sich die heimliche Macht über die Lagunenstadt manifestiert.
Im Gefängnis ereilen den von der Folter erschöpften Jacopo Schreckensvisionen seines baldigen Todes. Lucrezia sucht ihren Gemahl im Kerker auf. Auch sein Vater nimmt Abschied von ihm. Auch der Intrigant Loredano (Mitglied des Rats der Zehn) macht Jacopo seine Aufwartung und verkündet ihm triumphierend das Urteil der neuerlichen Verbannung, welches er anschliessend selbst vor dem Gericht verlesen muss. Lucrezia erscheint mit den Kindern, um das Herz der harten Richter zu erweichen, vergebens, denn Loredano hat die Mehrheit auf seine Seite gezogen.
Während der traditionellen Regatta wird die Staatsgaleere angekündigt, welche Jacopo in die Verbannung führen soll. Jacopo verabschiedet sich von Lucrezia und den Kindern. Loredano unterbricht die rührende Szene und gibt erneut seinen Hass- und Rachegefühlen freien Lauf. (Er ist immer noch überzeugt, dass seine Famielie um den Dogenthron von den Foscaris betrogen wurde, da nach seiner Meinung sein Vater von Francesco Foscari vergiftet worden sei.) Im Dogenpalast betrauert Francesco Foscari das Schicksal seines Sohnes. Der Senator Barbariga tritt auf und berichtet, dass ein anderer Mann auf seinem Totenbett den Mord an Donato gestanden habe. Doch es ist für eine Rehabilitierung zu spät: Lucrezia eilt herbei und berichtet vom Tod Jacopos. Loredano fordert den alten Dogen Francesco auf, sein Amt niederzulegen. Francesco Foscari weigert sich, da er einst dazu gedrängt wurde, zu geloben, sein Amt bis zum Tode auszuüben. Loredano insistiert. Francesco übergibt die Dogenkrone einem anderen Senator, seine Robe wird ihm abgenommen. Die Glocke von San Marco kündigt den neuen Dogen an. Foscari stirbt an gebrochenem Herzen und Loredanos Rache-Rechnung ist beglichen. Er trägt dies so in seinem Buch ein.“Pagato ora sono“.
Werk:
Nach den erfolgreichen Choropern NABUCCO und I LOMBARDI wollte Verdi etwas völlig anderes komponieren. Die Lesedramen Lord Byrons schienen ihm passend für seinen Aufbruch zu neuen Stoffen. Byron hatte in seinem Werk bevorzugt Männer porträtiert, welche zugleich heldisch und verletzlich waren und sich an althergebrachten, verkrusteten Machtstrukturen rieben. Dies hat den jungen Verdi fasziniert. Doch erwies es sich als dramaturgisch schwierig, die Lesedramen in ein Opernlibretto zu fassen. Piave wurde von Verdi dazu angehalten, Effekte zu schreiben und doch nahe am Original zu bleiben. Ein Spagat, der nicht restlos gelang. Die Figuren sind ziemlich statisch gehalten, eine Entwicklung findet nicht statt. Somit war die Uraufführung nicht gerade erfolgreich und Verdi äusserte sich auch in seinen späteren Lebensjahren eher abschätzig zu I DUE FOSCARI. Verdi, der stets zu Kürze und Prägnanz neigte, übertraf sich bei den FOSCARI noch selbst: Die Oper dauert nur ungefähr hundert Minuten. Auffallend sind die musikalischen Reminiszenzen, die aber nicht im Wagnerschen Sinne als Leitmotive eingesetzt werden. Die systematische Verwendung dieser Motive in der Orchestermelodik waren für Verdi neu. Ebenso prominent ist der Dreiertakt vertreten (Dreiviertel, Drei- und Sechsachtel), welcher dem Werk einen barkarolenartigen Duktus verleiht.