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Pfäffikon: MAX UND MORITZ, 26.10.2013

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Max und Moritz

Bilder: K.Sannemann

Eine musikalische Lausbubengeschichte nach Wilhelm Busch | Musik: Gisbert Näther | Aufführung durch das Kammerorchester Amici dell´arte in Pfäffikon am 26.10.2013 und in Winterthur am 27.10.3013

 

Kritik: 

 

Bloss keine Angst vor zeitgenössischer Musik! Das Kammerorchester AMICI DELL' ARTE aus Pfäffikon begeisterte zum Saisonauftakt Gross und Klein mit einer grossartigen Wiedergabe (und Schweizer Erstaufführung!) von Gisbert Näthers spannungsgeladener, vielschichtiger Komposition MAX UND MORITZ. Diese Musik (entstanden Mitte der 90er Jahre) bringt alles mit, was eine gute Komposition (nicht nur für junge Ohren) ausmacht: Gehalt, Witz, Bildhaftigkeit, auch Eingängigkeit, Überraschung, wunderbare Abstimmung der Klangfarben, Gespür für Rhythmus und Timing. Dirigent Marcel Blanchard und sein Orchester brachten diese Partitur mit geradezu beglückender Farbigkeit zum Erklingen. Diesem Dirigenten zuzusehen ist ein Ereignis für sich. Er strahlt eine verblüffende Ruhe und Unaufgeregtheit aus und schafft es doch, eine ungeheure Lebendigkeit des Musizierens aus seinen Instrumentalisten hervorzulocken. Die Abmischung des Klangs, die dynamischen Schattierungen, die präzise rhythmische Gestaltung und sein Sinn für den grossen Bogen, welchen er trotz der Kleingliedrigkeit des Werks über den Abend spannen konnte, verdienen höchstes Lob. Durch die überaus geglückte Symbiose von Klang, Wort (als Erzähler machte Michael Zürrer auf der Kanzel eine hervorragende Figur) und Bild (die Originalzeichnungen von Wilhelm Busch wurden auf eine grosse Leinwand projiziert) kam man in den Genuss eines kurzweiligen Abends und eines überaus bereichernden musikalischen Erlebnisses. Denn wie der Komponist die altbekannte Lausbubengeschichte in Klang verpackt hatte, verdient allergrösste Bewunderung. Da braucht er sich auch hinter weitaus berühmteren Komponisten (z.B. Richard Strauss mit seinem TILL EULENSPIEGEL) nicht zu verstecken. Die Sentimentalitäten der Witwe Bolte (wunderbares Oboenspiel), das letzte Eierlegen der armen Hühner und deren Trauermarsch, das Kläffen des Spitz, das elegische Schlummern der vollgefressenen Schlingel, die spitzen Klänge des Schneiders Meck, das choralhaft in Klang gesetzte Moralisieren des Lehrers Lämpel, die "Kakophonie" der Pfeifenexplosion (einziger "Fehler" in der Partitur, da der Einsatz des Erzählers mitten in dieser Szene die ungeheure Wucht der Musik abschwächt und somit verpuffen lässt!), das Summen und Brummen der Maikäfer, das stimmungsvolle Notturno, wenn sich Onkel Fritz zu Bette begibt, die Gluthitze des Backofens, das vom Dirigenten so grossartig herausgearbeitete crescendo in der Überleitung zum letzten Streich (Ravel und sein Boléro liessen grüssen!), das unerbittlich vertrackte ricke-racke des Mahlwerks in der Mühle und schliesslich die vom Dirigenten so herrlich ausgekostete Emphase des spätromantisch auftrumpfenden "Trauermarschs“ als es mit Max und Moritz brutal zu Ende ging – dies alles und natürlich das eingängige Leit- und Klammermotiv der beiden Lausbuben wurden von den Musikerinnen und Musikern des Kammerorchesters AMICI DELL'ARTE mit schelmischer Spielfreude an dieser wirklich hörenswerten Musik dargeboten.

Inhalt und Werk:

Wilhelm Buschs 1865 erstmals veröffentlichte Bildergeschichte ist dank ihrer witzig gereimten Verse und den dazugehörenden Holzstichen des Autors zu einem unverwüstlichen Kulturgut der deutschen Sprachlandschaft geworden und manche Reime wurden geradezu zu geflügelten Worten der deutschen Sprache. In sieben turbulenten Streichen wirbeln die rotzfrechen Lausbuben Max und Moritz eine biedere Kleinstadtidylle ordentlich durch, bevor sie erwischt und einer grausamen Strafe zugeführt werden, welche Busch für einen moralisierenden Epilog nutzt. In jeder der sieben Szenen wird erst eine geordnete kleinbürgerliche Welt geschildert, in welche dann durch die Lausebengel das Chaos einbricht. Im Gegensatz zur Zeichnung von lieben, folgsamen und überangepassten Kindern (Folgen der Zucht – und Prügelpädagogik?) im Familienroman des 19. Jahrhunderts stellt Busch seine Buben voller Hinterhältigkeit und Bosheit dar. Damit drückt er ein ziemlich pessimistisches Menschenbild aus. Die Verkaufsszahlen des Buchs waren trotz der Kritik von Pädagogen erstaunlich: Bis 1908 waren bereits 56 Auflagen mit über 400´000 verkauften Exemplaren gedruckt worden. Bis heute wurde das Werk in beinahe 300 Sprachen und Dialekte übersetzt. Aber noch 1929 untersagte z. B. die steirische Schulbehörde den Verkauf des Buchs an unter 18jährige … .

Die Geschichte hat vor allem in der 2. Hälfte des 20.Jahrhunderts einige Komponisten zur Vertonung inspiriert. Die nun in Pfäffikon zur Aufführung gelangende Version von Gisbert Näther (geb. 1948) entstand Mitte der 90er Jahre und wurde in Potsdam uraufgeführt. Durch seine sehr bildliche Kompositionsweise braucht das Werk nicht zwingend ein szenisches Pendant, denn dem Komponisten ist durch die polystilistische Technik und das Einbeziehen eines Erzählers/ einer Erzählerin eine ungeheuer plastische musikalische Erzählweise gelungen. Für sein Werk wurde der Komponist 1996 mit dem Wilhelm Busch Preis ausgezeichnet.

Auf CD liegt eine gelungene Einspielung von Näthers MAX UND MORITZ vor, mit dem exzellenten Deutschen Filmorchester Babelsberg (dem auch der Komponist als Hornist angehört) unter der Leitung von Scott Lawton und mit Katja Riemann als Erzählerin. Die CD erhielt den Medienpreis Leopold 2005

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