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München: DIE TEUFEL VON LOUDUN, 07.07.2022

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Die Teufel von Loudun

copyright: Wilfried Hoesl, mit freundlicher Genehmigung Bayerische Staatsoper

Oper in drei Akten | Musik: Krzysztof Penderecki | Libretto: vom Komponisten nach The Devils of Loudun von Aldous Huxley in der Dramatisierung von John Whiting unter Benutzung der deutschen Übertragung des Dramas von Erich Fried (1968/69) Uraufführung: 20. Juni 1969 in Hamburg | Aufführungen in München: 27.6. | 30.6. | 3.7. | 7.7. 2022 | 11.3. | 14.3. | 16.3.2023

Kritik:

Da wabern akustisch Gänsehaut Klänge und die obszön-gruseligen Schreie von vom Teufel Besessenen durch die heiligen Hallen der Staatsoper, eine Nonne wird brutalst (und genüsslich von Seiten der Ausübenden, bis sie sich übergeben müssen ...) auf offener Bühne klistiert, einem Priester werden bei der Folter durch Elektro-Teaser grausame Verletzungen zugefügt und die Fingernägel herausgerissen, man wähnt sich in einem 70er Jahre Horror-Exorzistenfilm ( Friedkinds THE EXORCIST oder Richard Donners THE OMEN grüßen von weither) - und man ist total fasziniert, ja geradezu gebannt von Pendereckis komplexem und mit ungeheurer Kraft unter die Haut gehendem Klangteppich, der die Handlung mehr als nur untermalt. Nach der Uraufführung in Hamburg 1969 schrieben Kritiker noch despektierlich von "Dünnschiss", "minderwertig", "Mini-Oper" und bezeichneten die Oper als "überflüssiges Erstlingswerk". Nun, wie sich schon bald zeigte, täuschten sich diese bärbeissig-biederen weissen Männer, Pendereckis Erstling verschwand (im Gegensatz zu manch anderer Oper aus der Zeit) nie vollständig vom Radar und - wie die begeisterte Reaktion des Publikums gestern Abend in der Bayerischen Staatsoper zeigte - zu Recht!

Die Aufführung zeigte einmal mehr mit aller Deutlichkeit, wie wichtig ein Ineinanderfließen von Szene und Musik ist, um einen beeindruckenden Musiktheaterabend zu generieren. Die musikalische Verantwortung lag dabei in den Händen von Vladimir Jurowski, der seit der Saison 2021/22 die Position des GMD der Bayerischen Staatsoper innehat. Er sorgte zusammen mit dem Riesenapparat des Bayerischen Staatsorchesters für eine beeindruckende Wiedergabe der flächigen, vertikal komponierten Partitur Pendereckis. Trotz des Riesenapparates, den Penderecki für dieses Werk vorschrieb, wurde es praktisch nie laut und schon gar nie ZU laut. Das Klangbild blieb stets transparent, nicht einmal die vielen Cluster führten zur Ermüdung der Ohren. Man war von der Musik fasziniert, der Klang war magisch in den Bann ziehend - und an gewissen Stellen auch abstoßend. Die zwei pausenlosen Stunden vergingen jedenfalls wie im Flug. Daran hatte (natürlich auch neben den exzellenten musikalischen Interpret:innen) die Inszenierung von Simon Stone ihren verdienten Anteil: Der Bühnengestalter Bob Cousins hatte für die 30 (zum Teil nur 40 Sekunden dauernden) Szenen eine kongeniale Lösung gefunden. Ein gigantischer weisser Kubus stand auf der Drehbühne, der durch einen klugen Einfall gar fünf Seitenflächen aufwies. Jede der Flächen wies andere geometrische Einschnitte auf, die Kapelle, Zelle, Folterraum, Treppenhaus, Kirchenraum, Beichtstuhl oder Schlafzimmer darstellten. Durch die Drehung wurden die häufigen Szenenwechsel fließend und organisch ermöglicht. Simon Stone nun erfüllte die abstrakt-konkrete Bühnenkonstruktion mit deutlicher, auch - wo angebracht - drastischer Interaktion. So wurde die Handlung deutlich, spannend, intensiv, ja atemberaubend und die Charaktere erhielten klare Konturen (welche ein Unterschied zu LES TROYENS am Abend zuvor). 

Aušrinė Stundytė war eine Jeanne von eindringlicher Intensität. Ihre fatale Besessenheit erhielt durch die ihre Stimme in keinem Moment schonende Expressivität beängstigenden Ausdruck. Wolfgang Koch (er konnte die Premiere wegen einer Erkrankung nicht singen, die beiden folgenden Vorstellungen mussten wegen weiterer Coronafällen abgesagt werden, so dass die von mir besuchte Aufführung Kochs Premiere war) zeigte die Figur des Grandier mit all ihren widersprüchlichen, menschlichen Facetten. Er war der geile Priester, der keinem Mädchen, keiner Frau widerstehen könnte, man sah ihn beim Gruppensex, beim sexuellen Übergriff im Beichtstuhl, bei dem feigen Davonschleichen aus der Verantwortung, nachdem er die blutjunge Philippe ebenda geschwängert hatte. Doch da war auch seine aufrechte politische Haltung, seine konsequente Auflehnung gegen Richelieus Forderung, die Stadtmauern schleifen zu lassen. Dieser Grandier ist ein zwiespältiger Charakter, der jedoch in seiner Erduldung der Folter, in seiner Standhaftigkeit was seine Unschuld anbelangt zu einer moralischen Größe messianischen Ausmaßes aufsteigt. Wolfgang Koch verlieh diesem Grandier stimmlich alle divergierenden Aspekte eines wahren Menschen. Er konnte zugleich zärtlich sein, aufbrausend, herablassend, sarkastisch und mit den an seine Widersacherin Jeanne gerichteten Worten vor seiner Hinrichtung erlangte er die Parallele zu den Leiden Christi: "Seht da an, was ich bin, und lernet, was Liebe heißt."

Aus dem großen Ensemble ragten zudem Martin Winkler aus furchterregender Exorzist Barré, Wolfgang Ablinger-Sperrhacke mit exemplarischer Diktion als königlicher Kommissär Baron de Laubardemont, die beiden intriganten "Bürger" Adam (Apotheker) und Mannoury (Chirurg) von Kevin Conners, respektive Jochen Kupfer als willfährige Helfershelfer von Kirche und Staat heraus. Ulrich Reß war der ebenso willfährige Beichtvater der Ursulinen (Vater Mignon), Andrew Harris sang de Varer Ragnier, Piotr Micinski war der warmstimmigen Trost spendende Vater Ambroise. Grandios attackierte Danae Kontora die unheimlich schwierigen Intervallsprünge der Philippe im Beichtstuhl. Herausragende Leistungen zeigten auch die Ursulinen (Ursula Hesse von den Steinen, Nadezhda Gulitskaya und Lindsey Amann) die zusammen mit Aušrinė Stundytė das klanglich so exquisite Quartett bei Jeannes Suizidversuch gestalteten. Exzellent auch die beiden Schauspieler Thiemo Strutzenberger als Bürgermeister und Barbara Horvath als Stadtrichter de Cerisey. Als Henri de Condé entlarvte Sean Michael Plumb souverän die falsche Besessenheit der Nonnen, konnte das bestialische Verfahren aber nicht mehr aufhalten. Der Chor der Ursulinen interpretierte mit beängstigender Hysterie die diabolische Besessenheit. Den Auftritt in der Kirche mussten sie wie einen Akt von Pussy Riot absolvieren, in mit feministischen Parolen beschrifteten Unterkleidern. Überhaupt trug der Chor off- und onstage entscheidend zum Erfolg des Werks bei, mit atmosphärisch dichten Klängen aus dem Off und beinahe babylonischem Stimmengewirr beim öffentlichen Spießrutenlauf Grandiers durch die Straßen von LOUDUN.

Wer bereit ist, sich auf diese TEUFEL einzulassen, erlebt Musiktheater erster Güte!

Inhalt:

Die Geschichte beruht auf Vorgängen, die sich zur Zeit Kardinal Richelieus und König Ludwigs XIII. in Loudun 1634/35 zugetragen haben.

Jeanne, die missgestaltete Priorin der Ursulinen, sieht in einer Vision, wie der Priester Grandier zum Scheiterhaufen geführt wird. Sie erhält einen Brief in dem sie erfährt, dass der von ihr sexuell begehrte Priester es ablehnt, Beichtvater ihres Klosters zu werden. Ihre Liebe schlägt in Hass um. Ihrem Beichtvater, Pater Mignon, erzählt sie, dass der Teufel in Gestalt Grandiers sie und ihre Nonnen heimsuche. Mignon ruft den Exorzisten Barré herbei. Unterdessen weigert sich Grandier Richelieus Befehl, die Stadtmauern zu schleifen, nachzukommen. Wir erfahren auch vom ausschweifenden Liebesleben Grandiers mit der Witwe Nonon und dem Mädchen Philippe. Grandier wird von den intriganten, missgünstigen Bürgern Adam (Apotheker) und Mannoury (Chirurg) bespitzelt und diffamiert.

Barré vollzieht den Exorzismus. Schnell wird klar, dass die Nonnen bloss hysterisch sind. Nach der Klistierung Jeannes verbietet der Richter Cerisey weitere Exorzismen der Nonnen. Grandier wird gewarnt, dass die Anschuldigungen der Nonnen und seine politische Haltung (er stellt sich gegen Richelieu) Konsequenzen haben werden. Grandier zeigt sich gefasst. Aus Jeanne sind plötzlich wieder fremde, unheimliche Stimmen zu hören, sie will sich erneut den Exortitien unterziehen. Barré wird wieder hergeholt, nun finden die Teufelsaustreibungen auf einem öffentlichen Platz statt. Der anwesende Prinz von Condé beweist mit Hilfe eines (leeren) Reliquienkästchens, dass Jeanne und ihre Nonnen bloss falsche, hysterische Anschuldigungen vortragen. Doch der Teufel scheint nun in Pater Mignon gefahren zu sein. Aufruhr - der Prinz lässt den Platz räumen und Grandier wird von de Laubardement, dem Abgesandten des Königs, verhaftet.

Grandier wird den allerschärfsten Folterungen unterzogen, gleichzeitig belastet Jeanne den Verhafteten immer wieder und Apotheker und Chirurg werden gerufen, um den nun verurteilten Grandier auf die Vollstreckung des Urteils vorzubereiten. Sie ziehen ihn aus, scheren ihn kahl und reissen ihm die Fingernägel aus. Allerdings haben die schweren Folterungen Grandier nicht zu einem Geständnis gebracht. Er gesteht zwar seine menschlichen Schwächen (Sex), doch verneint standhaft jegliche schwarze Magie. Trotzdem wird er wegen ebendieser sowie Unzucht und Sakrileg zum Tode verurteilt. Wie eine zerbrochene Puppe wird er zur Hinrichtung getragen (gehen kann er nicht mehr, da seine Beine gebrochen wurden). Jeanne unternimmt einen Suizidversuch, wird aber von den Nonnen daran gehindert. Barré ist dermassen wütend über die Standhaftigkeit Grandiers - trotz all der grausamen Folter - dass er behauptet, der Teufel habe Grandier schmerzresistent gemacht. Grandier erbittet den Friedenskuss, das Volk schreit "Judas, Judas" und Barré setzt die Fackel an den Scheiterhaufen. Jeanne versinkt in Umnachtung.

Werk:

Krzysztof Penderecki (1933-2020) schaffte seinen Durchbruch als anerkannter Komponist im Dom zu Münster (NRW) 1966 mit der Uraufführung seiner LUKASPASSION. Dieser Sensationserfolg zeigte, dass hier der Stern eines zeitgenössischen Komponisten aufging, dessen Musik auf offene Ohren bei einem Grossteil des interessierten Publikums stiess. Die Avantgarde schien plötzlich nicht nur auf sich selbst bezogen, mit für die Laien kaum nachvollziehbaren mathematischen Klüngeleien, hier erklang eine Musik, die aus der seriellen Musik auszubrechen schien, einen betörenden Sonorismus offenbarte. Cluster, Glissandi, Klangfarben, Dichte und Artikulation und Vibrationstechniken vermochten Klangteppiche von atemberaubender Intensität zu weben. In seinem musiktheatralischen Erstling, DIE TEUFEL VON LOUDUN, setzte er diese Techniken gleich einer Schauspielmusik ein. Es erstaunt nicht, dass Pendereckis Klänge später oftmals als stimmungsvolle Filmmusik verwendet wurden (Friedkins THE EXORCIST, Kubricks SHINING). DIE TEUFEL VON LOUDUN entstand als Auftragswerk von Rolf Liebermann für die Staatsoper Hamburg. Die Uraufführung wurde freundlich, aber vor allem von Seiten der Kritik eher durchzogen aufgenommen, doch bereits zwei Tage später, nach der ersten Aufführung in Stuttgart änderte sich die Rezeptionsgeschichte. Von nun an setzte sich das Werk durch, wurde in Santa Fe (New Mexico) über London, Marseille, Genf, Wien, Kopenhagen, Wiesbaden, Hannover, Düsseldorf , Krakau, Warschau u.v.a.m. gespielt. Damit gehört DIE TEUFEL VON LOUDUN zu dem Dutzend Opern, das sich nach 1950 einigermassen im Repertoire halten konnte. Das Werk stellt eine Allegorie auf eine immerwiederkehrende Passionsgeschichte dar, auf Stalins Säuberungen oder die Hexenjagd auf "Kommunisten" durch den US Senator Joseph McCarthy. Die Dramenvorlage Whitings wurde durch klerikalen Einspruch 1962 in Berlin unterbunden, was deutlich die Sprengkraft des Themas zeigt, das Bestreben der Mächtigen in Politik und Kirche, unliebsame Opponenten zum Schweigen zu bringen, ein Thema, das uns heute wieder mehr und mehr beschäftigen sollte und die ungebrochene Aktualität der Oper sowie deren Vorlagen (von Huxley und Whiting) vor Augen stellt.

Der britische Filmregisseur Ken Russell verfilmte das Drama unter dem Titel THE DEVILS 1971 mit Vanessa Redgrave und Oliver Reed in den Hauptrollen, die Filmmusik komponierte der britische Komponist Peter Maxwell Davies.

Karten

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