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Luzern, KKL: EVGENY KISSIN & RENÉE FLEMING, 23.01.2023

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Renée Fleming

copyright aller Bilder: Philipp Schmidli, mit freundlicher Genehmigung Schimmer PR, Festival LE PIANO SYMPHONIQUE

Franz Schubert, Lieder: Suleika 1, D. 720, Die Vögel, D. 691, Lied der Mignon, D.877, Nr. 4, Rastlose Liebe, D. 138

Franz Liszt, Klavier solo: Sposalizio, S. 161, Nr. 1, Valse Oubliée Nr. 1

Franz Liszt, Lieder: Freudvoll und Leidvoll, S. 280, Im Rhein, im schönen Strome, S. 272

Sergej Rachmaninoff, Lieder: Lilacs, Op. 21, Nr. 5, A Dream, Op. 38, Nr. 5

Rachmaninoff, Klavier solo: Mélodie in E aus Morceaux de fantaisie, Op. 3, Nr. 3, Sérenade in b aus Morceaux de fantaisie, Op. 3, Nr. 5

Franz Liszt, Lieder: S’il est un charmant gazon, S. 284, Oh! quand je dors, S.282

Henri Duparc, Lieder: Extase, Le Manoir de Rosemonde

Kritik:

Sie sind (leider) etwas aus der Mode gekommen, die Liederabende oder Rezitals, denn sie bereiten nicht den sofortigen wohligen Schauer sängerischer Hochseilakte wie dies Arienabende aus Opern vermögen, sondern erfordern konzentriertes Zuhören - und Zeit und Offenheit, sich auf die poetische Verschmelzung literarischer Texte mit Musik einzulassen, vor allem dann, wenn nicht nur die altbekannten "Hits" des umfangreichen Liedrepertoires präsentiert werden. Gestern Abend in Luzern dauerte es ein Weilchen, bis sich das Publikum erwärmt hatte und sich bewusst wurde, was für subtile musikalische Leckerbissen und Kostbarkeiten es da präsentiert bekam. Die beiden Weltstars, die Sopranistin Renée Fleming und der Pianist Evgeny Kissin, präsentierten ein vielschichtiges Programm ausserhalb der oft beschrittenen Pfade, mit Werken von Schubert, Liszt, Rachmaninoff und Duparc.

Die im Febrauar 64 Jahre alt werdende Sopranistin hat ihre Weltkarriere dank einer klugen, stets auf ihre stimmlichen Möglichkeiten angepassten Auswahl des Repertoires auf ein dermassen solides Fundament gebaut, dass ihre wunderschöne Stimme ihren unverwechselbaren Glanz, die perfekte Rundung und die leuchtende Strahlkraft stets bewahrt hat - wie gestern Abend anlässlich ihres Konzerts zu bewundern war. Vor kurzem hat sie sich entschieden, ihre bisherigen "Signature"- Rollen wie Marschallin im ROSENKAVALIER, Arabella, Desdemona u.v.a.m. abzulegen und nur noch in neuen Partien (z.B. demnächst NIXON IN CHINA an der Pariser Opéra) und in Liederabenden und Konzerten aufzutreten.

Am Anfang ihres Rezitals mit Evgeny Kissin standen vier Lieder von Franz Schubert. Bereits im ersten, SULEIKA I, bewunderte man die perfekte Fokussierung der Stimme Flemings und die phänomenal austarierte Klavierbegleitung durch Kissin, zart, fein ziseliert und eben diese wunderbare Verschmelzung von Stimme und Klavier erzielend. Witzig geriet das kurze darauffolgende Lied DIE VÖGEL, fein hingetupfter Schalk. Im LIED DER MIGNON (Nur wer die die Sehnsucht kennt) begeisterten die herrlichen, langgezogenen Bögen der perfekten Phrasierung und das erlebbar gemachte Leiden des einsamen Erzählers (Goethe). Gerade im Piano und im Mezzoforte klang Renée Flemings Stimme balsamisch schön. Nach dem passend in schnellem Tempo vorgetragenen RASTLOSE LIEBE (ebenfalls eine Goethe-Vertonung), glänzte Evgeny Kissin mit zwei Perlen aus Franz Liszts unermesslich reichem Notenmaterial für Klavier: mit SPOSALIZIO aus Années de pèlerinages und mit einem Valse oubliée. SPOSALIZIO ist ein ganz spezielles Werk, nicht auf oberlächlichen Effekt ausgerichtet. Es beginnt etwas sperrig mit der pentatonischen Melodie der linken Hand, die bald in einen paradiesischen Zauber mündet. Dieser introvertierte Teil kontrastiert mit gewaltigen Ausbrüchen, stupenden Begleitfiguren der linken Hand zu den triumphal krachenden Oktavakkorden der rechten. Evgeny Kissin führte uns dieses von Raphaels Bild DIE VERMÄHLUNG MARIÄS inpirierte Tongemälde in seiner ganzen Plastizität vor Augen. Ein subtiles, verhauchendes Ritardando liess das Stück verklingen. Perlend und rasant zog der Valse oubliée vorbei, fulminant und mit frappierender Leichtigkeit von Kissin gespielt. Nun war die Reihe wieder an der Sopranistin. Mit leuchtender Intensität trug Renée Fleming drei Lieder aus Liszts Feder vor: Zwei davon auf Gedichte von Goethe (FREUDVOLL UND LEIDVOLL und ÜBER ALLEN GIPFELN IST RUH), eines fusste auf einem Text von Heinrich Heine (IM RHEIN IM SCHÖNEN STROME). Beeindruckend die kontrollierte Stimmführung, die klangliche Balance zwischen Stimme und kunstvoller Klavierbegleitung. Gerade in den kurzen Vor- und Nachspielen konnte Kissin aufhorchen lassen. In der Heine-Vertonung gelang es Renée Fleming auch, die unangenehm tiefen Töne mit vorzüglicher Stimmtechnik ohne "brustigen" Druck zu erreichen.

In diesem Jahr wird bekanntlich des 150. Geburtstags von Sergej Rachmaninoff gedacht, der einige seiner bekanntesten Werke am Vierwaldstättersee geschaffen hatte. Von ihm hörten wir nach der Pause die Lieder LILACS und A DREAM. Renée Fleming trat nun in einem wunderschönen Kleid, von edlem Rotgold auf. Im Farbton dieses Edelmetalls glänzte auch ihre Stimme, sie erklomm die Höhen mühelos und einschmeichelnd in LILACS und blieb in den forte-Passagen der Traumerzählung stets kontrolliert, verzichtete wohltuend auf Exaltationen. Mit brillantem, ausdrucksstarkem und kraftvollem Spiel ergänzte Kissin den Rachmaninoff-Block mit MÉLODIE und SÉRENADE aus den Morceaux de fantaisie des Russen. Selbst das an diesem Abend zu Beginn etwas zurückhaltend applaudierende Publikum erwachte nun aus seiner Lethargie. Mit den Liedern S'IL EST UN CHARMANT GAZON und einem von Renée Fleming zum Dahinschmelzen schön vorgetragenen OH! QUAND JE DORS gings nochmals kurz zurück zu Franz Liszt, bevor das offizielle Programm mit den beiden Liedern von Henri Duparc seinen Abschluss fand: EXTASE, ganz fein parfümiert den französischen Esprit einfangend und LE MANOIR DE ROSAMONDE, wo Renée Fleming zu dramatischem (und augenzwinkerndem) Erzählen fand, die stimmliche Wohlfühlzone mutig und doch stets geschmackvoll verliess.

Gleich drei Zugaben liessen sich die beiden Stars entlocken: Schuberts AVE MARIA, von exemplarischer Innigkeit beseelt, der FRÜHLINGSWALZER von Rachmaninoff, attackierend und mutig die bequeme Mittellage der Stimme verlassend und MORGEN von Richard Strauss, wo Renée Fleming noch einemal ihren so wunderbaren Straussschen Silberglanz verströmen konnte und Evgeny Kissin im Nachspiel eine tief empfundene Melancholie (mit effektvollen Rubati) aufschimmern liess. Wunderbar!

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