Luzern, KKL: ALLE FÜNF KLAVIERKONZERTE VON SAINT-SAËNS, 10.&11.11.2021
Programm 10.11.: Hector Berlioz: Ouvertüre zu BÉATRICE ET BÉNÉDICT | Camille Saint-Saëns: Klavierkonzert Nr.1 in D-Dur | Uraufführung: vielleicht 17. Juli 1862 in Paris | Klavierkonzert Nr. 2 in g-Moll | Uraufführung: 13. Mai 1868 in Paris | Richard Wagner: Vorspiel zu DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG | Ignacy Jan Paderewski: Nocturne op.16 Nr. 4 | Saint-Saëns: Klavierkonzert Nr. 4 in c-Moll | Uraufführung: 31. Oktober 1875 in Paris | Konzert vom 11.11.: Camille Saint-Saëns: LE ROUET D'OMPHALE, sinfonische Dichtung | Klavierkonzert Nr. 3 in Es-Dur | Uraufführung: 25. November 1869 in Leipzig | Edouard Lalo: Ouvertüre zu LE ROI D'YS | Saint-Saeëns: Klavierkonzert Nr. 5 in F-Dur | Uraufführung: 6. Mai 1896 in Paris
Kritik:
Konzert vom 10.11.2021
Bereits nach dem ersten Konzertabend darf man sagen: Die dem Schaffen von Camille Saint-Saëns (und seiner Zeitgenossen) gewidmete Woche des Luzerner Sinfonieorchesters hat Ereignischarakter. Sämtliche fünf Klavierkonzerte des Meisters an zwei Abenden erklingen zu lassen und dazu ein reiches kammermusikalisches Begleitprogramm an diversen Spielorten auf die Beine zu stellen, verdient allerhöchste Anerkennung und Bewunderung.
Gestern Abend erklangen die Klavierkonzerte Nr. 1, 2 und 4, gespielt von einer Pinaistin und zwei Pianisten. Bereits das von Saint-Saëns im Alter von 23 Jahren geschaffene erste Klavierkonzert zeigte die kompositorische Meisterschaft des einstigen Wunderkindes. Wie in den späteren Konzerten schaffte es Saint-Saëns auf bewunderswerte Art, ein relativ simples Motiv elgant zu verarbeiten, es nach vielen Variationen und Modulationen zum eingängigen Strahlen zu bringen. Der mit einer aufsteigenden Triole des Horns (mit schönem Echo-Effekt mit Dämpfer wiederholt) beginnende erste Satz wartete im weiteren Verlauf mit bravourös gespielten, wellenartigen Arpeggien des Klaviers auf. Nareh Arghamanyan wusste mit wunderbar das Seitenthema umspielenden, flinken Sechzehntel-Läufen und tänzelnden Dialogen mit den fantastisch aufspielenden Holzbläsern zu begeistern. Rasante Passagen in der Durchführung und lieblich-beschwingte Momente liessen auf eine ausgezeichnete Koordination mit dem Dirigenten Fabien Gabel schliessen. Hoch interessant klang der zweite Satz, ein suchendes, enigmatisches Andante, quasi Adagio. Virtuose Trillerkaskaden der Solistin wechselten mit elegischen Klarinettenmelodien. Nareh Arghamanyan konnte den introvertierten Charakter dieses Satzes mit ausgeprägter, subtil abgestimmter dynamischer Bandbreite und sparsamem Pedaleinsatz wunderbar klar zur Wirkung bringen, das Orchester nahm diese Stimmung vortrefflich auf und zusammen liessen Pianistin und Orchester den Satz (nach einer virtuos vorgetragenen Kadenz) ruhig verklingen. Trefflich gelang im dritten Satz das wie ein Frage- /Antwortspiel konzipierte Zwiegespräch des Klaviers mit dem Orchester, das Piano aufgeregt fragend, das Orchester mit beruhigenden oder lustigen Antworten reagierend. Mit kräftigen Akkorden wurde auf das Hauptthema des Satzes zurückgegriffen, das Hornthema des ersten Satzes (das sich im Kopf des Zuhörers eingnistet hatte) schlich sich mit Erhabenheit nochmals ein und Orchester und Solistin brachten das Werk zum krönenden Abschluss.
Populärer ist Saint-Saëns zweites Klavierkonzert, das erst zehn Jahre nach dem ersten entstanden war. Kit Armstrong schlug die Zuhörer*innen von Beginn weg in seinen Bann. Die stupende Brillanz seines Spiels, welche er nach der elegischen Soloeinleitung des ersten Satzes offenbarte, war ungeheuer! Mit einem gekonnten Accelerando huschten seine Finger mit präziser und perlender Geschwindigkeit über die Tasten, kitzelten alles an spätromantischem Aplomb aus der Partitur heraus. Das sanft-sehnsüchtige Hauptmotiv wurde wirkungsvoll erklommen, schwelgerisch in die Kadenz eingewoben und mit wuchtiger Koda zu Ende gebracht. Mit verspielter tänzerischer Sicherheit spielte Kit Armstrong im schnellen Scherzando des zweiten Satzes, die vertrackten Fingersätze liess er als einfach vorzutragende Tanzstück erscheinen, ja er "rockte" geradezu auf seinem Stuhl, schien total in der Musik aufzugehen. Witzig und glitzernd klang das alles und setzte sich im markant angegangenen dritten (ebenfalls schnellen) Satz fort, eine mitreissende Musik im Tarantella-Charakter, vom Solisten und dem aufmerksam und beschwingt mitgehenden Luzerner Sinfonieorchester unter Fabien Gabel mit entfesselter Brillanz und strahlender Virtuosität dargeboten.
Mit dem vierten Klavierkonzert verabschiedete sich der stets formbewusste Saint-Saëns scheinbar von der traditionellen Dreisätzigkeit des Solistenkonzerts. Doch die zwei Sätze verschleiern eine dem Werk immanente Viersätzigkeit, und damit eine architektonisch-klassische Symmetrie. Mit variantenreichem Spiel stieg Nelson Goerner nach kurzer Orchestereinleitung in das Konzert ein, virtuos und kraftvoll schmückte er das Wechselspiel Orchester - Klavier aus. Eleganz und Leichtigkeit beherrschten sein Spiel, leichtfüssig perlend, ja beinahe traumverloren klang sein Anschlag im Andante-Teil des ersten Satzes. Atemberaubende Läufe, herunterstürzende und wieder aufsteigende Kaskaden kämpften wie unermüdliche Wellen für das Thema und dessen Kulmination. Doch alle äusserliche Brillanz und Virtuosität setzte Nelson Goerner nicht zu exhibitionistischem Selbstzweck ein, sie dienten einzig und allein dem Werk, welches einen fesselnden Eindruck hinterliess und das Publikum zu verdienten Beifallsstürmen hinrissen.
Bevor das vierte Klavierkonzert von Saint-Saëns erklingen durfte, kündigte der Intendant noch eine Programmänderung an. Anstelle der geplanten Ballettmusik von Gluck gedachte man des am ersten November verstorbenen Pianisten Nelson Freire. Nelson Goerner hatte sich bereit erklärt, eines der Lieblingsstücke des grossen Pianisten Freire zu spielen, Paderewskis Nocturne op 16, Nr.4. Dies passte auch insofern gut ins Programm, da sich Paderewski und Saint-Saëns anlässlich eines Konzertes am Genfersee begegneten und freundschaftlich verbunden blieben. Nelson Goerner spielte dieses Nocturne mit wunderbarer Zartheit und Tönen, die vom Himmel herab zu steigen schienen. Im Gedenken an den Verstorbenen verzichtete man auf Applaus. Auf den ersten Blick weniger gut ins Programm passte hingegen Wagners Meistersinger-Ouvertüre. Welch ein Gegensatz zum noblen, zurückhaltend, fein parfümiert und transparent instrumentierenden Saint-Saëns stellt Wagners protzend zur Schau gestellter, gleissend und auf Effekt zielender Blechbläsersatz dar. Auf den zweiten Blick machte dieser Programmeinschub dann doch wieder Sinn: Zu Ende des 19. Jahrhunderts wurde manch ein Komponist, der etwas fortschrittlicher komponierte, schnell mal als "Wagnerianer" abgestempelt. Die direkte Gegenüberstellung von Wagners (zugegebenermassen effektvoll Gänsehaut erzeugender Ouvertüre) und Saint-Saëns' sublimer, formbewusster Kompositionskunst strafte jedenfalls diese obsolete Schubladisierung offensichtlich Lügen. Das Konzert wurde eröffnet mit Berlioz' Potpourri Ouvertüre zur Oper BÉATRICE ET BÉNÉDICT (die übrigens 2016 im Luzerner Theater live auf der Bühne zu erleben war). Auch hier begeisterte das Luzerner Sinfonieorchester unter der Leitung von Fabien Gabel mit warmem, transparentem Streicherklang und schön herausgearbeiteter Charakterisierung der einzelnen - aus Arien und Ensembles der Oper entlehnten - Melodien.
Man kann sich auf die Begegnung mit den Klavierkonzerten Nr. 3 und Nr. 5 von Saint-Saëns heute Abend freuen!
Konzert vom 11.11.2021:
Voll mitreissender Allegro-Freude ging gestern Abend im KKL das Klavierfestival LE PIANO SYMPHONIQUE mit Saint-Saëns meisterhaftem "Ägyptischen" Klavierkonzert zu Ende. Mit wuchtigen, beinahe stampfenden Akkorden war der französische Weltklasse-Pianist Jean-Yves Thibaudet in diesen Finalsatz eingestiegen, bereicherte später die aufgewühlte "See "mit zauberhaften Melismen und führte zusammen mit dem Luzerner Sinfonieorchester unter der hochkonzentrierten und doch musikantischen Leitung von Fabien Gabel das Konzert zu einem fulminanten Abschluss. Akkordläufe über die gesamte Tastatur, in rasantem Tempo vorgetragen, dabei mit stupender Präzison und Technik ausgeführt, machten auch dieses letzte von Saint-Saëns' fünf Klavierkonzerten zu einer ungemein spannenden und begeisternden Entdeckungsreise in die Klavierliteratur des Komponisten, der leider hierzulande noch immer viel zu wenig bekannt ist. Wunderbar lautmalerisch und mit atmosphärisch dichter Exotik ist der zweite Satz angereichert, der mit der Verwendung des nubischen Liebesliedes, dem Kolorit des Tam-Tam, der Pentatonik und arabischen Tonleitern die nahöstliche Stimmung einnehmend evoziert. Das sind nicht einfach "erfundene" Orientalismen, wie sie damals in Mode waren, sondern Saint-Saëns hatte sich auf seiner Ägyptenreise ganz direkt vor Ort dazu inspirieren lassen. Im ersten Satz ereignete sich das für Saint-Saëns so Typische: Ein relativ simples Thema wird vorgestellt, doch was der Komponist dann daraus macht, ist einfach wundervoll. Bei Jean-Yves Thibaudet erklang das wie mit zart geführtem Pinsel hingetupft, äusserst sauber, mit allergrösster rhythmischer Präzision vorgetragen. Die diffizilen Läufe wurden mit weichem Anschlag angegangen, organisch entwickelten sich die Crescendi, perfekt die Koordination mit dem Orchester, obwohl Thibaudet relativ kurzfristig für Nicholas Angelich engesprungen war. Welch ein Glück für das Luzerner Sinfonieorchester (und das Publikum), dass man auf die Schnelle solch einen hochkarätigen Ersatz hatte verpflichten können. Pures pianistisches Glück ereignete sich auch vor der Pause, mit der grandiosen Lise de la Salle am Flügel, die Saint-Saëns' drittes Klavierkonzert spielte. Wahrscheinlich das am wenigsten bekannte der fünf Werke, aber aus meiner Sicht zu Unrecht. Auch hier entwickelt Saint-Saëns aus einem einfach gehaltenen Thema wieder einen grossartig komponierten Satz, umflort das eingängige Thema zuerst mit Arpeggien des Klaviers, das Orchester kämpft gegen Klavierwogen an, bis das Klavier das Thema mit aller Kraft vorgibt und dem Orchester quasi zeigt, wo's langgeht. Lise de la Salle glänzte mit ungeheurer Virtuosität, warf sich souverän in die vielschichtig angelegt Kadenz, in der das Hauptthema beinahe im Verborgenen eingewoben ist. Funkelnd und in exquisiten Farben schillernd interpretierten sie und das Luzerner Sinfonieorchester den Klangkosmos von Saint-Saëns Instrumentierungskunst. Blitzsaubere Triller in der rechten Hand liefen parallel zum Seitenthema, das die linke Hand vortrug. Nach einer verinnerlicht gespielten Passage erinnerte die Flöte an das simple Hauptthema (das sich eh schon längst im musikalischen Gedächtnis des Zuhörers eingebrannt hatte), und das nun vom vollen Orchester glanzvoll wiedergegeben wurde. Gegen den zarten idyllischen Ton, der im zweiten Satz vorherrschte, setzte die Pianistin mit schweren Tönen der linken Hand und später mit wuchtigen Akkorden einen wirkungsvollen Kontrast. Ein traumhaft schön gespielter Dialog mit den Celli leitete quasi attaca über in den rasanten, mit unglaublicher Virtuosität interpretierten Schlusssatz. Das mit all der erforderlichen Brillanz - auch in der Abstimmung der Solistin mit dem Orchester und dem Dirigenten - vorgetragene Finale löste zu Recht Enthusiasmus beim Publikum aus. Eingestimmt worden auf das Programm war man mit Saint-Saëns' sinfonischer Dichtung LE ROUET D'OMPHALE. Die Anekdote aus dem griechischen Heldenepos rund um Herakles, der als Sklave der Königein Omphale auf deren Geheiss in Frauenkleidern am Spinnrad sitzen muss, hat Saint-Saëns als beschwingtes und dem Thema angebrachtes, leicht spöttisches Perpetuum mobile in Töne gesetzt. Fabien Gabel und das Luzerner Sinfonieorchester interpretierten das wunderbar subtil instrumentierte Stück mit fein ausgehörter Klarheit und dezentem Witz. Nach der Pause eröffnete die Ouvertüre zur Oper LE ROI D'YS von Édouard Lalo das Programm. Dabei konnte sich das Luzerner Sinfonieorchester von seiner allerbestern Seite präsentieren. Diese Ouvertüre ist ein hinreissendes Orchesterstück, flirrende Streicher untermalen die dankbaren und stimmig vorgetragenen Kantilenen der Flöte, der Oboe, der Klarinette, sich dramatische zuspitzende Orchester-Tutti ragen heraus, kurz klingt auch mal das Pilger-Thema aus Wagners TANNHÄUSER an, eine traumhaft schön vorgetragene Kantilene des Solocellos leuchtet auf und alles wird gekrönt durch einen mit grandioser Emphase gespielten, spektakulären Schluss!
Spektakulär waren auch die beiden Konzerte unter dem Motto LE PIANO SYMPHONIQUE im KKL mit fünf meisterhaften Pianist*innen, die ein grossartiges und beeindruckendes Plädoyer für den Komponisten Saint-Saëns boten.
Nach dem Sinfonie-Konzert von gestern Abend kam man nochmals in den Genuss von Musik aus der Feder von Saint-Saëns: Lise de la Salle und die vier Frauen des renommierten Quatuor Zaïde aus Paris interpretierten das einzige Klavierquintett des Komponisten, sein Opus 14, im Alter von 20 Jahren geschrieben und seine fantastische Reife beweisend. Das rund vierzigminütige Werk wurde von den fünf Frauen mit beglückender Intensität interpretiert. Energiegeladen und mit fantastischer Virtuosität spielte Lise de la Salle den Klavierpart, wunderbar singend und mit herrlichem Wellenklang und - wo geboten - mit traumverlorener, entrückter Schönheit klangen die Streicherinnen. Die einzigartige Harmonie der Interpretinnen untereinander war durch und durch spürbar. Von warmen Klängen erfüllt ging man selig hinaus in die neblig-kalte Novembernacht.
Werke:
Camille Saint-Saëns (1835 - 1921) war wahrscheinlich eines der beeindruckendsten Wunderkinder der Musikgeschichte. Nicht nur komponierte der mit dem absoluten Gehör ausgestattete kleine Camille bereits im Alter von drei Jahren sein erstes Stück (das Autograph ist im Pariser Konservatorium aufbewahrt), nein er spielte auch mit zehn Jahren Beethoven-Sonaten und Werke von Bach u.a. auswendig. Des Weiteren pflegte er ein weitgefächertes Interessenspektrum von Astronomie über Botanik zur Archäologie, schrieb Gedichte, ein Theaterstück und reifte zum bedeutendsten Pianisten und Organisten seiner Zeit. Er gründete die bedeutende Societé Nationale de Musique, welche als Talentschmiede für eine ganze Generation von Komponisten diente. Mit zunehmendem Alter wurde er immer mürrischer und ruheloser, er galt bei jüngeren Kollegen als verbissener Reaktionär, veröffentlichte eine pessimistische Studie, die für den Atheismus eintrat. So war er lange vor Sartre einer der ersten Existentialisten. Von seinem reichhaltigen kompositorischen Schaffen haben sich eigentlich nur die Sinfonie Nr. 3 (Orgelsinfonie), der KARNEVAL DER TIERE (daraus insbesonder Der sterbende Schwan) und die Oper SAMSON ET DALILA im ständigen Repertoire gehalten. Das ist in Anbetracht der hohen Qualität seines Schaffens eindeutig zu wenig.
DIE FÜNF KLAVIERKONZERTE
Das dreisätzige Klavierkonzert Nr.1 in D-Dur op.17 schrieb Saint-Saëns im Alter von 23 Jahren. Es ähnelt von der Form her den Klavierkonzerten seines Vorbilds Mendelssohn. Eingeleitet wird es von einer wunderschönen Hornfanfare. Dieses Thema wird als Hauptthema im ersten Satz behandelt und taucht am Ende des fulminanten dritten Satzes wieder auf, bildet somit eine Klammer des Werks. Der Mittelsatz evoziert eine geheimnisvoll-elegische Stimmung. Im ersten Satz fehlt eine Solokadenz, aber hier im Mittelsatz finden wir solche Solo-Passagen. ein gneaues Uraufführungsdatum ist nicht überliefert, eine Aufführung in Paris am 17. Juli 1862 jedoch dokumentiert. Gedruckt erschien das Konzert jedoch erst 1875.
Das Klavierkonzert Nr.2 in g-Moll op. 22 entstand 10 Jahre später, 1868 und war ein Auftragswerk des russischen Pianisten und Komponisten Anton Rubinstein, der damit sein Pariser Debüt geben wollte. Binnen weniger Wochen lieferte Saint-Saëns die Noten, Rubinstein dirigierte, Saint-Saëns spielte den Solopart. Nach der Pause tauschten sie die Rollen für ein Klavierkonzert aus Rubinsteins Feder. Auffallend ist die Abfolge der Sätze in Saint-Saëns zweitem Klavierkonzert: Statt dem traditionellen Schnell - Langsam - Schnell beginnt das Konzert mit einem langsamen Satz, auf den ein Allegro sccherzando und ein Presto folgen. Wie bei Rachmaninovs zweitem Klavierkonzert eröffnet das Soloinstrument das musikalische Geschehen, hier im Stil eines barocken Präludiums. Witzig virtuos ist der zweite Satz gehalten, den Abschluss bildet eine wahnwitzige Tarantella.
Formal interessant ist das vierte Klavierkonzert in c-Moll op 44, welches 1875 entstand und Franz Liszt gewidmet ist. Oberflächlich betrachtet besteht es nur aus zwei Sätzen, doch wenn man genauer hinschaut, erkennt man in jedem der beiden Sätze eine Unterteilung in jeweils zwei Einzelsegmente. Das Konzert ist von einer klassizistischen Striktheit und Ernsthaftigkeit und einer strengen Symmetrie geprägt und bildet damit einen spannenden Gegenpol zum witzigen zweiten Klavierkonzert. Diese beiden Konzerte, das 2. und das 4. tauchen denn auch am häufigsten noch auf den Konzertprogrammen auf.
Zwischen diesen beiden polaren Werken entstand 1869 das dritte Klavierkonzert in Es-Dur op. 29. Es ist zweifellos des "romantischste" von Saint-Saëns Klavierkonzerten und weist bereits auf Rachmaninows elegischen Stil hin. Nach einer kurzen Arpeggio-Einleitung des Klaviers ertönt ein schlichtes Hornthema (ähnlich wie beim ersten Klavierkonzert), das nun im Verlauf des Satzes intensiv verarbeitet wird und in einer glanzvollen Reprise wiederkehrt. Im zweiten Satz herrscht eine lyrische Grundstimmung vor, untermalt von bedrohlichen Einwürfen verschiedener Instrumente und des Klaviers. Der Finalsatz schliesst pausenlos an (attacca), mit lauten, jubelnden Akkorden wird das Hauptthema eingeführt, es folgen technisch überaus anspruchsvolle Passagen, bevor das Konzert in einer kraftvollen Coda endet.
Das fünfte (und damit letzte) Klavierkonzert von Saint-Saëns steht in F-Dur, trägt die Opuszahl 103 und wird auch als Ägyptisches Konzert betitelt, weil es anlässlich eines Aufenthalts des Komponisten 1896 in Luxor entstanden war. Saint-Saëns schreib dazu: „Eine Art Orientreise, die in der Episode in Fis-Dur sogar bis zum Fernen Osten vordringt. Die Passage in G-Dur ist ein nubisches Liebeslied, das ich von Schiffern auf dem Nil singen gehört habe, als ich auf einer Dahabieh den Strom hinuntersegelte.“ Der erste Satz ist klanglich noch am ehesten konventionell "europäisch" gehalten. Im zweiten Satz bestimmen fernöstliche Pentatonik und das erwähnte nubische Liebeslied die Klangwelt. Der tänzerische dritte Satz besticht mit seiner durchgehenden Motorik, die wohl die Monotonie der Schiffsmotoren auf dem Nil abbilden soll. Wegen seiner Tonmalerei und dem quasi programmatischen Charkter ist diese Werk auch beim ersten Anhören leicht zugänglich.