Kopenhagen: Søndergård & The sea, 25.10.2019
Benjamin Britten: FOUR SEA INTERLUDES (aus PETER GRIMES) | Uraufführung (der Oper PETER GRIMES): 7. Juni 1945 in London | Edward Elgar: SEA PICTURES | Uraufführung: 5. Oktober 1899 in Norfolk | Aksel Borup-Jørgensen: MARIN | Uraufführung: 1970 unter der Leitung von Herbert Blomstedt | Claude Debussy: LA MER | Uraufführung: 15. Oktober 1905 in Paris
Kritik:
Zu dieser Progrmmgestaltung kann man dem DR SymfoniOrkestret unter der Leitung von Thomas Søndergård nur gratulieren. Vier Werke, die allesamt die Thematik des Meeres, die Sonnen - und Schattenseiten, mit musikalischen Mitteln malen, entstanden innerhalb von 70 Jahren, wurden an diesem Abend gespielt, und zwar zusammengefasst in zwei Blöcke. Vor der Pause die beiden narrativen Werke, Brittens SEA INTERLUDES und Elgars SEA PICTURES, nach der Pause die beiden Kompositionen mit " impressionistischem" Charakter, Borup-Jørgensens MARIN und Debussys LA MER.
Stimmungsvolle, ja aufwühlende Seelemgemälde malt Britten in den SEA INTERLUDES aus PETER GRIMES. Wunderbar gespielt der DAWN mit der Mixtur aus tiefem Blech, den ersten Violinen und der Flöte. Betriebsamkeit dann im zweiten Interlude SUNDAY MORNING: Gezwitscher der Holzblasinstrumente über grummelndem Bass, Unheil wird durch scharfes Blech angekündigt, dazu die Scheinheiligkeit der Glocken. Im MOONLIGHT verbreitete sich trügerisch ruhige Stimmung, welche dann im STORM mit brachialer Gewalt vertrieben wurde. Faszinierend gelangen hier dem Orchester die Übergänge von Harfenglissandi zu Streicherphrasen.
Elgars wunderschön vertonte fünf Lieder SEA PICTURES wurden von der Mezzosopranistin Karen Cargill mit sanft timbrierter Mezzosopranstimme vorgetragen. Sie ist keine Sängerin, die mit oberflächlicher Stimmprotzerei imponieren will, sondern sie bettet ihre schöne Stimme zurückhaltend, aber mit interpretatorischer Tiefe in den orchestralen Fluss ein. Søndegård und das Orchester waren ihr dabei aufmerksame Partner. Wunderschön die Wärme im SLUMBER SONG, mit Liebe efüllt wie ein lauer Frühlingswind erklang IN HAVEN. Mit dezenten Turbulenzen wurde SABBATHMORNING AT SEA gestaltet, textafin und mit hymnischem Blech untermalt . Verführerisch und neugierig führte und Cargills Stimme zu dem mystischen Ort WHERE CORALS LIE. Mit grossen Effekten warteten Orchester und Sängerin in THE SWIMMER auf: Das ging unter die Haut - Elgars Spätromantik vom Allerfeinsten glänzte wortwörtlich silbern und golden!
Nach der Pause erblickte man dann auf dem Podium ein Riesenorchester mit zwei Flügeln, viel Schlagwerk, vollbesetzte Bläser- und Streicherpulte. Überraschenderweise wurde Borup-Jørgensens Riesenpartitur MARIN aber nie laut und lärmig. Geradezu fein ziseliert und von zarter Transparenz im Klang erfüllt, lauschte man dem Werk, mit seinem Flüstern, Gemurmel und Brodeln. Untewasserwelt, mit all ihren Geheimnissen und Schönheiten und Gefahren, wie ein Tauchgang. Das Orchester war stark gefordert. Da müssten die Posaunisten auch mal rhythmisch präzise auf die Notenpulte und die Bässe auf den Resonanzkasten klopfen, einer der Pianisten die Saiten des Flügels zupfen. Diese Klangkulisse liess innere Bilder entstehen, die Orchestercrescendi wühlten auf, die Gongs schufen Mystik und das geradezu träumerische Verklingen des Stückes löste begeisterten Applaus aus. Ja, diesen Weg kann zeitgenössische Musik einschlagen (ok, das Stück ist schon 50 Jahre alt), aber auch nicht viel älter als Lachenmanns unsägliche Komposition, die ich mit kürzlich in Zürich anhören musste.
Den Abschluss dieses eindrücklichen Konzerts bildete Debussys Orchesterwerk - man könnte es auch eine Sinfonie in drei Sätzen nennen - LA MER.Stimmungsvoll die Morgendämmerung über dem Meer, sanfte Wellenschlag, geheimnisvolle Ruhe, zwei Harfen begleitet von Celli und Bratschen, dann die effektvolle Solotrompete, die zum höchsten Sonnenstand am Mittag überleitet. Im zweiten Satz das liebliche und Lichte Spiel der Wellen, reizvoll die Kombination Triangel - Harfen. Den krönenden Abschluss bildete die mit wagnerianischem Aplomb gestaltete Apotheose Darstellung des DIALOGUE DU VENT ET DE LA MER. Grndios die Homogenität der Blechbläser. Ein herausragender Abend, der lange nachhallen wird!
Werke:
Benjamin Brittens (1913-1976) Oper PETER GRIMES handelt von einem Fischer, der von der Dorfgemeinschaft verdächtigt wird, seine angestellten Lehrlinge zu missbrauchen. Ein Aussenseiter, der von Moralisten in den Suizid getrieben wird. Die vier ausgedehnten orchestralen Zwischenspiele aus dieser Oper veröffentlichte Britten unter dem Titel FOUR SEA INTERLUDES. Sie spiegeln die Aggressivität und die Gefahren des Meeres und sind eine Metapher für die Bedrohungen, welche von der der Lynchjustiz anheimfallenden Dorfbevölkerung ausgehen.
Sir Edward Elgar (1857-1934) war der erste Komponist nach Henry Purcell, welcher die englische Musik wieder ins Bewusstsein der mondialen Musikszene rückte. Seine SEA PICTURES sind ein relativ frühes Werk. Dabei vertonte er fünf Texte verschiedener Autoren (von Roden Noel, von seiner Frau Alice Elgar, von Mrs. Browning, von Richard Garnett und von Lindsay Gordon). Bei den Texten handelt es sich eher um dramatischen Monologe als um Gedichte (ausser In Haven seiner Frau Alice). Die SEA PICTURES entstanden zur selben Zeit wie Sigmund Freuds Traumdeutung und widerspiegeln mit reicher, einfühlsamer musikalischer Sprache den Blick in die Tiefe der Seele, ins Unbewusste.
Axel Borup-Jørgensen (1924-2012) war einer der bekanntesten Komponisten Dänemarks im 20. Jahrhundert. Sein Orchesterwerk MARIN ist für ganz grosse Orchesterbesetzung geschrieben. Der Titel des Werkes legt nahe, was die Inspiration des Komponisten gewesen ist: das Meer mit all seinen Farben und seiner unablässigen Bewegung, seiner Tiefe und dem auch im übertragenen Sinne Schäumen klanglicher Verästelungen. Die Aufnahme mit Thomas Søndergård und dem Dänischen Nationalen Symphonieorchester, welche von einem wunderbaren Animationsfilm begleitet 2017 erschien, erhielt 2018 den deutschen Preis OPUS KLASSIK.
Claude Debussy (1862-1918) gilt als der Impressionist schlechthin. Besonders bedeutsam für ihn war seine Begegnung mit der asiatischen Kunst, der bildenden und der musikalischen. So übte die Pentatonik mit ihrem schwebenden Klangbild einen grossen Einfluss auf seinen Kompositionsstil aus. Um diesen Einfluss zu unterstreichen, wählte er z.B. Hokusais Holzschnitt DIE GROSSE WELLE als Titelbild für einen Druck seiner Partitur LA MER aus. Dieses zwischen 1903 und 1905 entstandene Orchesterwerk umfasst die drei Teile De l’aube à midi sur la mer – Jeux de vagues – Dialogue du vent et de la mer. Er beschreibt darin mit differenzierter musikalischer Sprache Atmosphärenwechsel in der Natur, irisierendes Licht und Wellenschläge, die bis zur Bedrohung durch Sturmwinde im dritten Teil reichen.