Kopenhagen, Operaen: BILLY ELLIOT, The Musical; 24.11.2024
Eines der erfolgreichsten Musicals in der Geschichte des Londoner West Ends kommt nach Dänemark
Musik: Elton John | Liedtexte und Dramaturgie: Lee Hall, nach dem Film BILLY ELLIOT - I WILL DANCE | Uraufführung: 31. März 2005 im Victoria Palace Theatre in London | Aufführungen in der Oper Kopenhagen: 21. November 2024 bis 12. Januar 2025
Kritik:
Ganz ehrlich gesagt, ich bin mir nicht so ganz sicher, ob ich keine 24 Stunden nach diesem so tief zu Herzen gehenden musiktheatralischen Erlebnis bereits in der Lage bin und die notwendige Distanz habe, eine Kurzkritik zu BILLY ELLIOT, THE MUSICAL zu verfassen. andererseits ist das Ereignishafte der gestrigen Aufführung immer noch dermassen präsent, dass ich nicht umhin komme, meine Leserschaft daran teilhaben zu lassen.
Die Story (man kennt sie vom gleichnamigen Film aus dem Jahr 2000, der zu Recht auch regelmässig in der Weihnachtszeit im TV gezeigt wird) ist dermassen stark und in ihrer Aussage noch immer aktuell: E geht um das Überschreiten von gesellschaftlichen Klassenschranken, die Überwindung von Vorurteilen, um Akzeptanz von Lebensentwürfen jenseits des gerade herrschenden Mainstreams. Wie Billy Elliot seinen Traum, Balletttänzer zu werden, verfolgt, wie sein stockkonservativer Vater aus der Arbeiterschicht sich schliesslich von seinen Vorurteilen zu lösen vermag, seinen Sohn im Drang zum Ballett unterstützt, sogar zum Streikbrecher wird, um die notwendigen Geldmittel zu beschaffen, wie die Dorfgemeinschaft schliesslich zu bewegender Solidarität findet, das alles lässt kein Auge trocken und ist eine lichtbringende Botschaft, nicht nur, aber auch zur Weihnachtszeit. Daneben gibt es aber auch enorm viel zu schmunzeln, ja gar zu lachen. Und wenn dann alles noch mit soviel Rasanz und grandioser Schauspielkunst, bestechenden Choreografien und einem ganz fantastischen Bühnenbild daherkommt, ist der Weg zum Gesamtkunstwerk beschritten. Ein Musical, das direkt zu Herzen geht - und ich habe mehr Tränen der Rührung vergossen, als in BUTTERFLY, BOHÉME und TRAVIATA zusammen.
Obendrauf kommt die eingängige, stimmungsvolle Musik aus der Feder von Elton John, welche von der mit gefühlvollem Sound aufwartenden DET KONGELIGE KAPEL unter der Leitung von Robert Houssart herausragend stimmungsvoll und mit glänzenden instrumentalen Soli intoniert wurde. Blech, Holz, Streicher, Schlagzeug, angreichert mit Gitarren und Keyboards - ein umfangreiches Orchester, das Königliche Theater hat mit grosser Kelle angerichtet! Die Abmischung des Klangs gelang hervorragend, stets wirkte die Balance zwischen Bühne und Graben wunderbar ausgewogen, die Stimmen kamen klar durch, wurden in keinem Moment übersteuert.
Heinrich Christensens hat die Vorlage szenisch mit grosser Präzision und Eindringlichkeit umgesetzt. Von der Duschszene der Bergarbeiter, über den Boxring und die Ballettklasse von Frau Wilkinson bis zur ärmlichen Behausung von Billys Oma und dem Finale im Royal Opera House lief die gefühlvolle Story in überaus stimmigen Bildern ab. Benjamin la Cour hatte eine wunderbar wandelbare Bühne entworfen. Das labyrinthartige, drehbare Sichtbetonelement, das die meisten Szenen prägte, war wirklich beeindruckend und liess schnelle Szenenwechsel zu. Von Helle Damgaard stammten die träfen Kostüme der Minenarbeiter und ihrer Angehörigen, aber auch die fantastischen Figuren in Michaels Traum des Ausbrechens aus der beengten Welt der Arbeiterklasse - eine der ganz zentralen Szenen des Musicals. Miles Hoare zeichnete für die schmissigen, einfallsreichen Choreografien verantwortlich, welche von allen Ausführenden mit Bravour getanzt wurden. Jonas Bøgh bereicherte die Szene mit einem variantenreichen Lichtdesign.
In der Titelrolle vermochte der 14jährige Arthur Skov Kristensen mit seinem Schalk genauso wie mit seiner Ernsthaftigkeit zu begeistern. eine überaus reife Leistung! Sein Vater Jack Elliot wurde von Mads Rømer Brolin-Tani mit exzellenter Einfühlungskraft in den emotional erst stark überforderten, dann immer sensibleren Charakter gespielt. Billys cholerischer, rebellischer Bruder Tony in seinem Che-Guevara-Shirt wurde von Lukas Toya dargestellt. Auch er erkannte sehr spät, dafür umso berührender, Billys Potential und liess die Bruderliebe siegen. Annette Heick war herrlich erfrischend selbstbewusst als Tanzlehrerin Frau Wilkinson: Die liess sich von keinem der Machos auf der Nase herumtanzen und wies allen ihren Platz zu. Daneben sang sie ihre Songs mit begeisternder Musikalität. Ein ganz besonderes Lob verdient Anne Marie Helger als Oma: Subtile Schauspielkunst vom Allerfeinsten. Michael, Billys Freund, entdeckte seine Homosexualität: Elliot Lucas spielte die sehr feinfühlig inszenierte Szene mit einer stupenden Natürlichkeit. Es gäbe noch so viele zu würdigen: So die etwas einfach gestrickte, aber die Wahrheiten geradeaus posaunende Debbie (Josephine Wesselhoff), den umwerfend agierenden Boxtrainer George (Morten Lindemann Olsen), den Klavierspieler Mr. Braithwaite (mit unerfüllten Träumen) von Christopher Læssø und natürlich Alban Lendorf, der den älteren Billy gab, den Balletttänzer des Royal Ballet, der seine an SCHWANENSEE orientierten Soli mit raumgreifender Grandezza und Virtuosität darbot. Aber auch die unterschiedlich charakterisierten, streikenden Minenarbeiter, Billys als tröstende Figur erscheinende, verstorbene Mutter (Camille Rommedahl) und die quirligen Ballettmädchen trugen enorm Wichtiges zum Gelingen der Aufführung bei.
Fazit: Sich von BILLY ELLIOT, THE MUSICAL berühren und bewegen lassen, Taschentücher mitnehmen und bereichert nach Hause gehen!
Werk:
Elton John sah den Film von BILLY ELLIOT - I WILL DANCE im Jahr 2000 in Cannes und sprach daraufhin noch vor Ort den Regisseur Stephen Daldry an und machte ihm den Vorschlag, den Stoff für ein Musical zu verwenden. Lee Hall, der bereits das Drehbuch für den Film verfasst hatte, übernahm die Dramaturgie und die Liedtexte des Musicals. Es feierte bereits 2005 Welturaufführung in London und lief ununterbrochen bis 2016. Schon 2010 hatten 3 Millionen Zuschauer das Musical gesehen, welches vier Lawrence Olivier Awards erhielt. In den USA kamen 10 Tony Awards dazu. Der Film seinerseits erhielt drei Auszeichnungen des britischen Filmpreises BAFTA und mehrere Oscar-Nominierungen. Das TIME Magazine urteilte: „The best musical of the decade.“ Die New York Times verstieg sich gar zur Aussage: „The best show you will ever see“. In Zürich folgte kürzlich die erste deutschsprachige Fassung des Musicals, in Kopenhagen nun die erste in dänischer Übersetzung.
Inhalt:
BILLY ELLIOT spielt zur Zeit des Bergarbeiterstreiks 1984 im ärmlichen Norden Englands. Billy wächst nach dem Tod seiner Mutter zusammen mit seinem Bruder, dem Vater und der Grossmutter auf. Er sollte Boxunterricht nehmen, was ihm aber keinen Spass macht. Zufällig beobachtet er im Gemeindezentrum die Ballettklasse von Mrs. Wilkinson. Er ist auf der Stelle fasziniert von der Anmut des Tanzes. Billy nimmt heimlich Ballettunterricht, kann aber die 50 Pence pro Stunde nicht bezahlen. Als sein Vater davon erfährt, ist er ausser sich und verbietet Billy jegliche weitere Teilnahme am Ballettunterricht. Mrs. Wilkinson hingegen erkennt Billys Talent und will ihn gerne an die Royal Ballet School bringen. Billy sucht Rat bei seinem besten Freund und trifft diesen in Frauenkleidern an. Michael überzeugt Billy davon, dass nichts Schlimmes dabei ist, dass es für ihn eine Möglichkeit sei, gegen die Prüderie der Gesellschaft zu rebellieren. Unterdess spitzt sich die Lage der streikenden Bergarbeiter zu. Billys Bruder wird bei Auseinandersetzungen mit der Polizei verletzt.
Sechs Monate später dauert der Streik immer noch an. Billys Vater betrinkt sich. Michael gesteht Billy, dass er in ihn verliebt sei. Billy erklärt ihm, dass er nicht schwul sei, obwohl er Ballett liebe. Billy tanzt zum ersten Mal nach langer Zeit für sich alleine, nachdem Michael gegangen ist. Billys Vater beobachtet ihn und ist gerührt von Billys Ausdruckskraft im Tanz. Billys Vater wird zum Streikbrecher, da er wieder arbeiten geht, um für Billys Aufnahmeprüfung an der Royal Ballet School bezahlen zu können. Billys Bruder ist jedoch gar nicht einverstanden mit der Entscheidung des Vaters. Die Zukunft der Bergarbeiter sei wichtiger als Billys Spleen des Tanzens. Während der Auseinandersetzung kriegt Billy einen Schlag ab. Die anderen Bergarbeiter wollen das fehlende Geld für Billys Reise nach London aufbringen, der Bruder lehnt ab, der Vater hingegen nimmt das Geld an.
Billy und sein Vater fahren nach London. Billy hat das Gefühl, die Juroren nicht überzeugt zu haben. Seine Nerven liegen blank. Er schlägt einen anderen Jungen. Als die Leitung der Ballet School dies erfährt, sind sie entsetzt. Ein Brief von Mrs. Wilkinson, in welchem sie die schwierigen familiären Verhältnisse Billys erklärt, führen zu einer Aussprache zwischen den Leitern der Schule und Billy. Billy erklärt, was der Tanz in ihm auslöst, was er dabei empfindet.
Vater und Sohn sind zurück in Durham. Die Armut in der Stadt wächst angesichts des nicht enden wollenden Streiks. Alle warten gespannt auf den Brief aus London, der über Billys Aufnahme oder sein Scheitern berichten wird. Billy erhält endlich die freudige Nachricht, dass er in der Royal Ballet School aufgenommen sei. Gleichzeitig geht der Streik zu Ende. Billy verabschiedet sich vom traurigen Michael. Er gibt ihm einen Kuss auf die Wange, so wie es Michael bei ihm in der Nacht seines Coming Out gemacht hatte. Dann geht er seiner Zukunft entgegen.
Never give up - make your dreams come true!