Kopenhagen, Holmens Kirke: PETITE MESSE SOLENNELLE; 16.11.2024
Die Copenhagen Soloists präsentieren Rossinis spätes Meiterwerk in der Originalbesetzung für vier Solostimmen, Doppelquartett (hier neun Sänger*innen), Klavier und Harmonium (hier Akkordeon)
Musik: Gioacchino Rossini | Text: Die Petite Messe Solennelle folgt dem liturgischen Messetext einer Missa solemnis | Uraufführung: 14. März 1864 in der Privatkappelle des gräflichen Paares Pillet-Will in Paris | Aufführungen durch die Copenhagen Soloists: 16.11.24 in der Homens Kirke in Kopenhagen und 17.11.24 in der Sct. Mariæ kirke, Helsingør
Kritik:
In seiner ihm eigenen, selbstironischen Art nannte Rossini seine letzte, umfangreichere Komposition PETITE MESSE SOLENNELLE, wobei sich das Adjektiv “petite” natürlich nur auf die kleine Besetzungen bezog: Ein vokales Doppelquartett (als Chor), vier Gesangssolisten, zwei Klaviere und ein Harmonium. Der Dirigent dieses Konzerts in Kopenhagen, Jonathan Ofir, hatte Rossinis eh schon kleine Besetzung noch weiter reduziert, machte aus dem “petite” ein “encore plus petite”, indem er bloss neun Sänger*innen der Copenhagen Soloists und nur noch ein Klavier einsetzte und das Harmonium durch ein Akkordeon (gespielt von Yngvild Ruud) ersetzte. Das Ergebnis war - man muss es leider konstatieren - eine “Trop Petite Messe Solennelle”. Klanglich war das zu brüchig, zu transparent, da man die unterschiedlichen Qualitäten der Stimmen deutlich heraushörte, der Gesamtklang insgesamt zu wenig gerundet war. Zudem wurden durch das Akkordeon allzu “schräg” daherkommende Akzente gesetzt, was stellenweise einer Musik ähnelte, die man z.B. in einer verrauchten Kneipe am Montmartre zu hören bekommt.
Auch dynamisch kam diese Messe unausgewogen daher: Verhaltenere Momente wurden durch jähe, als willkürlich empfundene Ausbrüche im Fortissimo unterbrochen. Das große Engagement der Beteiligten war zwar durchaus spürbar, doch überzeugend war das Ergebnis leider nicht. Die Gesangssolisten waren im Programmheft nur nach Stimmgruppen geordnet aufgeführt, ich vermute mal, dass die jeweils erstgenannten Personen die Soli sangen:
Sopran: Lise Bech Bendix, Anna Carina Sundstedt, Alt: Isolde Eninger, Helle Grarup, Simone Rønn, Tenor: Kieran White, Petter Møen, Bass: Ørjan Hartveit, Steffen Bruun. Der Sopranistin gelang das zweite Solo (O salutaris Hostia) besser als das erste (Crucificus etiam pro nobis), das mit zitternder Stimme und ohne die notwendige Tiefe vorgetragen wurde. Der Bassist war mit dem Tonumfang seiner Arie (Quóniam tu solus Sanctus) hörbar bis über seine stimmlichen Grenzen gefordert. Einzig mit seiner stimmschönen Mittellage vermochte er zu punkten. Die Altistin immerhin führte das abschließende Agnus Dei zu einem intensiven, dramatischen Moment! Das absolute Glanzlicht aber war das Tenor-Solo Domine Deus, Rex celestis. Hier sang ein junger Mann mit einer geradezu überwältigenden Emphase und Strahlkraft, intonierten Phrasen, die direkt ins Herz trafen.
Hervorragend meisterte die stark geforderte Pianistin Christina Bjørkøe ihren umfangreichen Part und führte das rein instrumentale Preludio religioso zu einem Höhepunkt der Aufführung. Einige Zuhörer*innen allerdings verpassten diesen Moment, da sie das eh schon schwach besuchte Konzert in der Pause verlassen hatten.
Werk:
Der überragende Repräsentant des Belcanto im Bereich der Oper, Gioacchino Rossini (1792-1868), hatte sich zwar im Alter von nur 27 Jahren mit seiner Grand Opéra GUILLAUME TELL vom Komponieren für die Opernbühne verabschiedet, aber es entstanden sehr wohl noch geistliche Werke (und Kammermusik) aus seiner Feder. Neben dem berühmten STABAT MATER eben auch die noch immer viel zu wenig geschätzte PETITE MESSE SOLENNELLE, die sein umfangreichstes geistliches Werk darstellt (Aufführungsdauer ca. 80 Minuten). Entstanden ist die Komposition 1863 in Passy bei Paris, wo Rossini ab 1855 bis zu seinem Tod lebte. Das “PETITE” im Titel bezieht sich also nicht auf das Ausmass dieser Vertonung des liturgischen Messetextes, sondern auf die Besetzung: Nur ein Solistenquartett und ein vokales Doppelquartett sowie zwei Klaviere und ein Harmonium sind gefordert. Das Harmonium kann wegen der ähnlichen Art der Tonerzeugung auch durch ein Akkordeon ersetzt werden, und auf das zweite Klavier kann gut verzichtet werden, da es keine Stimmführung übernimmt. Später dann orchesterierte Rossini die PETITE MESSE SOLENNELLE auch noch, da er so verhindern wollte, dass (in seinen Worten) “Herr Sax mit seinen Saxofonen oder Herr Berlioz mit anderen Riesen des modernen Orchesters meine paar Singstimmen totschlagen und so auch mich glücklich umbringen würden.” Bereits in einer handschriftlichen Notiz in der Originalpartitur blitzt Rossinis selbstironischer Esprit durch: “Zwölf Sänger und drei Geschlechter: Männer, Frauen und Kastraten werden zur Aufführung genügen, also acht für den Chor, vier für die Soli, im ganzen zwölf Cherubin. Gott verzeihe mir die folgende Zusammenstellung. Zwölf sind auch die Apostel in der berühmten Kinnbackenhandlung, die Leonardo als Fresko gemalt hat, das sogenannte Abendmahl. Wer sollte es glauben! Es gibt unter deinen Jüngern welche, die falsche Noten singen!! Herr, beruhige dich, ich versichere, bei meinem Frühstück wrid es keinen Judas geben, und meine Jünger werden richtig und mit Liebe deine Lobpreisungend und diese kleine Komposition singen, die leider die letzte Todsünde meines Alters ist. Lieber Gott - da ist die arme kleine Messe beendet. Ist es wirklich heilige Musik, die ich da gemacht habe, oder am Ende gar Musik des Teufels? Ich bin für die komische Oper geboren, du weisst es wohl! Wenig Kenntnisse, ein wenig Herz, das ist alles. Sei also gepriesen und gewähre mit das Paradies. G.Rossini - Passy 1863” Natürlich darf man das mit den Kastraten nicht wörtlich nehmen, denn das Kastratentum war logischerweise zu dieser Zeit (glücklicherweise) nicht mehr existent. Doch mit dieser ironische Bemerkung offenbarte Rossini, dass er das Ende des Kastratentums bedauert. Denn das Ende der Kastraten hatte für ihn den Verfall der belkantistischen Gesangskultur eingeläutet. Der handschriftliche Zusatz zur PETITE MESSE SOLENNELLE zeigt neben der Ironie auch die tiefe Verletzung, welche er durch Kritiker an seiner Art des Komponierens erfahren hatte. Der Vorwurf, sein Stil sei ungelehrt, uninspiriert, im Bereich der Sakralmusik zu opernhaft, ja er sei unfähig, geistliche Kompositionen zu verfassen, hat Rossini tief getroffen. Mit seiner PETITE MESSE SOLENNELLE straft er alle Kritiker der Falschaussage: Sein vokaler “Schwanengesang” ist von tief empfundener Frömmigkeit geprägt, einer Frömmigkeit, die sich mit luftig atmenden Kantilenen der Sinnlichkeit nicht verschliesst.