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Ignacy Friedman: COMPLETE SONGS, CD Neuerscheinung

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Ignacy Friedman, Complete Songs

copyright: www.actprealable.com

Szymon Chojnacki, Bassbariton; Şen Acar, Sopran; Jakub Tchorzewski, Klavier

Den meisten Musikfreunden dürfte Ignacy Friedman (1882-1948) als Pianist ein Begriff sein. Seine Interpretationen der Kompositionen seines Landsmanns Chopin sind legendär; für den Musikverlag Breitkopf & Härtel editierte er u.a. auch eine Gesamtausgabe der Klavierwerke Chopins. Weitgehend unbekannt geblieben ist hingegen der Komponist Friedmann. Er verfasste weit über 100 Kompositionen, die jedoch bis heute nicht einmal ein Nischendasein im Konzertleben gefunden haben. Wie sehr das zu bedauern ist, zeigt nun die Weltpremiere der Einspielung aller 37 Lieder aus der Feder von Ignacy Friedmann durch das Label ACTE PRÉALABLE mit dem polnischen Bassbariton Szymon Chojnacki und der türkischen Sopranistin Şen Acar, die mit grosser Sensibilität vom ponischen Pianisten Jakub Tchorzewski begleitet werden. Die Lieder werden mit chronologischer Opuszahl auf der CD präsentiert, am Ende stehen vier Poems (1905 komponiert) und drei Lieder (1910 komponiert) ohne Opuszahl. Das ist überaus interessant, weil man so die kompositorische Entwicklung und Reifung des Komponisten nachverfolgen kann, von schlicht gehaltenen, mit eingängigen Melodien einnehmenden Frühwerken bis zu harmonisch und melodisch komplexeren Liedern mit höherer Opuszahl. Die Texte stammen vorwiegend von polnischen Autor*innen wie Kazimirez Przewa-Tretmajer, Maria Konopnicka, Lucja Rydel, Jerzy Zulawski u.a.m, es befinden sich aber auch drei deutsche Lieder darunter von Otto Julius Bierbaum, ein Lied von Sappho und eine dänische Volksweise. Friedman war (wie Chopin) im Herzen ein Pole, aber als Mensch ein Weltbürger. Er lebte in Krakau, Leipzig, Wien, Berlin und Kopenhagen und liess sich nach Ausbruch des zweiten Weltkriegs in Sydney nieder, wo er auch starb.

Szymon Chojnacki interpretiert diese Lieder, die thematisch oft in allegorischer Weise um Liebe, Verlust, Einsamkeit und Vergänglichkeit kreisen, mit seinem wunderschön timbrierten Bassbariton mit berührender Ehrlichkeit des Ausdrucks. Seine grundsätzlich weich und rund strömende Stimme vermag in gewissenen emotional geladenen Momenten durchaus dramatische Kraft zu entwickeln. Solche Momente bauen sich organisch und ganz aus dem Text heraus auf, bleiben dabei stets geschmackvoll und wirken nie affektiert aufgesetzt. Er vermag dem Klang melancholische und elegische Schwingungen zu verleihen, der Trauer, dem Schmerz und der Verzweiflung Ausdruck zu geben, auch mal Wut und Enttäuschung aufkeimen zu lassen. Man hat das Gefühl, dass man auch ohne Kenntnis der polnischen Sprache die ausgedrückten Empfindungen versteht (im Booklet kann man selbstverständlich die englische Übersetzung der Gedichte mitlesen). Chojnacki überzeugt mit flexibler, unaufgeregter Stimmführung, exzellenter Phrasierung und Profundität in Empfindung und Klang. Ganz besonderen Eindruck machten auf mich Pinetree (dank der schlichten Schönheit der Melodie), Watch my song flying (hat Ohrwurmpotential), Arie des Schäfers (voller Expressivität), Three boats (hoch interessanter Klavierpart), Marauder's March (Credo eines Blutvergiessers), Disenchantment (von Trauer umflort), Over dew (bewegende Erkenntinis des Besitzlosen).

Sechs Lieder werden von der Sopranistin Şen Acar interpretiert. Die Sängerin verleiht ihnen mit ihrem lichten, sauber intonierenden Sopran zauberhafte Mädchenhaftigkeit (in Das Mädchen am Teiche), tiefe Verzweiflung über eine Zwangsehe (Matched young) und berührt mit den unvergossenen Tränen, die sie innerlich verbrennen (in Hania). Şen Acar überzeugt mit den lyrischen Qualitäten ihrer schönen Stimme in den drei Liedern op.25, die Botschaften der Natur aufs Mensch sein übertragen.

Trotz aller Nähe des Komponisten zu Chopin weist der Klavierpart doch eine ganz eigene musikalische Sprache aus, der man erst bei mehrmaligem Anhören auf die Spur kommt. Es ist keine oberflächliche Virtuosität auszumachen, eine textbezogene Erzeugung von Stimmungen hingegen ausgesprochen. Jakub Tchorzewski interpretiert diese Stimmungen mit grandioser Einfühlungskraft, perlendem Anschlag, mal butterweich, mal kräftig angeschlagenen Akkorden und gekonntem Einsatz des Pedals, mit dem er die atmosphärische Dichte dieser Miniaturen untermalt.

Diese Einspielung aller Lieder von Ignacy Friedman ist eine grossartige Entdeckung und verdient allerhöchste Anerkennung. Ein Schatz ist aus dem Dunkel des Vergessens gehoben worden!

CD erschienen bei Acte Préalable, AP0523, www.acteprealable.com

 

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